Korrespondenz-Nachrichten Dresden Oktober – Dezember 1817 (mit Aufführungsbericht L’Accoglienza)
Nachrichten.
Dresden. Wer es sich, wie wir von uns wahrlich behaupten dürfen, mit Ernst, Eifer und ¦ beharrlichem Fleis, auch mit Benutzung gewiss nicht geringer und nicht einem jeden verstatteter Mittel, Jahrzehende lang hat angelegen seyn lassen, eine Kunst, ihrer Theorie und Praxis nach, genau kennen zu lernen, und sein Urtheil über sie und ihre Erzeugnisse zu läutern, und, geläutert, zu befestigen; wer dann, wie wir nicht minder von uns behaupten dürfen, beym Aussprechen seiner Urtheile zugleich das unverrückt vor Augen behält, was Humanität und Sitte eigentlich von jedem verlangt, der öffentlich und vor Gesitteten auftritt – und nun doch siehet, wie, was er sagt, zwar nicht verworfen, auch wol nachgeschwatzt, dessen ungeachtet aber, nach wie vor, immer und immer wieder, sey es auch (wir wollen das gar nicht in Zweifel ziehen) mit sonst gar vorzüglichen Talenten und Geschicklichkeiten, doch aber ganz offenbar ohne Kenntnis der Sache – hier also der Musik – frischweg öffentlich abgeurtheilt wird; wie die Künstler, nach wie vor, was ihnen nicht blos und unbedingt schmeichelt, zu ignoriren affectiren; wie, was man die Lesewelt nennt, Wahres und Falsches, bedachte Prüfung und hohle Worte, mit gleicher Eil, und in gleicher Absicht – blos um über das Gesprochene wieder zu sprechen – herunterlieset; ja, selbst für diese Absicht, nach wie vor, doch nur auf Einzelnes und Persönliches, und auch darauf wieder blos für den Augenblick merkt, übrigens aber bleibt, wie zuvor; der – ich komme endlich zu Athem – der würde, entweder sich, etwas stolz, zurückziehn, wie jetzt so Mancher eben von denen, welchen ein Os sublime gegeben ist, oder er würde, etwas weichlich, ermatten – wenn er um irgend eines Andern willen, als einzig um die Sache, schriebe. Das Letzte ist aber bey uns der Fall; und so ziehen wir uns nicht zurück, und ermatten auch nicht, sondern fahren fort, wie bisher: bitten aber, diese, freylich breite, und Auswärtigen vielleicht unverständliche, gewiss uninteressante Ergiessung nicht durch die Redigirfeder abzudämmen, sonden durch den Druck ausfliessen zu lassen, indem sie ein- für allemal gilt, und wir damit die besten Absichten haben, möchten diese auch am fremden Orte nicht einleuchten.
Die beyden Wiederholungen der Oper Generali`s Le Lagrime d’una Vedova*, bewiesen durch das fast ganz leere Schauspielhaus, und durch den so kärglich gezollten Beyfall, dass, so ¦ wie die Dichtung nicht gefallen, auch die Musik nicht hat eingreifen wollen. Dagegen erhielt das sich heranbildende, jugendliche Talent des Violoncellisten, Hrn. Kammermusic. Fr. Kummers, den lautesten Beyfall. Er liess uns zwischen dem ersten und zweyten Aufzuge jener Oper ein Adagio in C moll, a solo, von seiner Composition, und ein sehr anmuthiges Rondoletto in A dur hören. Er spielte beydes brav: dies, mit Leichtigkeit, guter Manier und Nettigkeit auch in den schwersten Gängen; jenes, mit Gefühl und Haltung in der Ausführung, beydes auch in vollkommen reiner Intonation, und mit einem sonoren, runden, keineswegs näselnden Tone – wozu bekanntlich dies Instrument unter gewöhnlicher Behandlung sehr hinneigt. Um sich auch des grössern Styls zu bemächtigen, und überhaupt dem Höhern und Vollkommnen in der Kunst sich zu nähern, sollte er einige Zeit lang unter einem der ersten Meister, z.B. unter B. Romberg, streng studiren. Es müsste ihm trefflich gelingen, denn er zeigt zugleich (auch durch seine Composition) Gabe der Erfindung und Begeisterung. – Sodann wiederholte die italien. Gesellschaft Le Donne cambiate von Pär*, wovon wir schon in No. 64‡, S. 408 dieses Jahrgangs gesprochen haben. Wir wollen nur einige Worte hinzusetzen. Hr. Bassi hatte, wegen Unpässlichkeit des Hrn. Benincasa, dessen Rolle als Schuhflicker Biaggio übernommen, und spielte sie, als echter Komiker, mit natürlichen, unter einander übereinstimmenden, eben darum nur desto kunstgemässer belustigenden Gesten, und mit einer durchweg so interessanten Mimik, wie es dieser Charakter irgend zulässt. Er erhielt allerdings die Aufmerksamkeit des Publicums, vorzüglich in der Scene vor dem Duett, welches den 1sten Aufzug beschliesst: noch interessanter fand man aber Mad. Sandrini in dieser Scene. In der That zeigte sie an jenem Abende ihr Talent vorzüglich: ihre Stimme war stärker, als gewöhnlich; sie spielte ganz allerliebst; und diese Rolle ist sicher eine ihrer vollendetsten.
Bey Gelegenheit der Vermählung der Prinzessin Mariane von Sachsen, am 29sten Sept.‡, war das Theater vom Hofe selbst nur für die Minister, Gesandten, Familien von hohem Range, und andere sehr ausgezeichnete Personen bestimmt. Abends um 6 Uhr trat unser verehrtester Landesherr, nebst der ganzen königl. Familie, so wie der Infant D. Francesco di Paola von Spanien, ¦ der sich seit einiger Zeit hier aufhält, ins Theater. Die erlauchte Vermählte wurde von den Sängern des königl. italien. Theaters mit einer Cantate empfangen, welche den Titel führt: L’Accoglienza in occasione del felice Imeneo delle A. A. I. I. e R. R. Leopoldo di Toscana e Maria Anna Carlina di Sassonia etc. Die Musik ist vom königl. Kapellm., unserm berühmten Carl Maria von Weber; der Text von Hrn. Celani. Dieser Text ist, wie denn neuere italien. Gelegenheitscantaten zu seyn pflegen, allegorisirend, ohne eigentliche Handlung und dramatische Entfaltung, mithin etwas kalt und steif: aber rühmenswürdig ist an ihm, die Wahl und Anordnung der Scenen unter sich; wo denn ein gewandter Componist auch seine Partie mit glücklichem Erfolge zu nehmen weiss. Vorzüglich schön ist, dass, nachdem Kunst, Wissenschaft, Handel, Feldbau, jedes das Seinige vom Herzen hat, und die ganze Bühne mit Wolken eingehüllt ist, auf strahlender Morgenwolke der Genius von Florenz sich niedersenkt, das zunächst auf das hohe, junge Paar Bezügliche vorträgt, und dann auf seinen Wink sich die Wolken zertheilen, damit die holde Braut einen Blick in ihre nächste Zukunft thue. Da zeigen sich nun durch die allmählig und dann gänzlich schwindenden Wolken, die Gärten von Bonboli, der Arno, der Palast Pitti, ein Theil der Stadt Florenz etc.; hernach (die Himmlischen sind indess verschwunden) kommen frohe Toskaner jedes Geschlechts und Alters, unter ihnen, als Sprecher, ein blinder Greis, ihrer neuen Fürstin zu huldigen und Heil für sie und ihren erlauchten Gemal vom Himmel zu erflehen. So weit der Dichter! Ganz ausgezeichneten Genuss gewährte und den einstimmigsten Beyfall fand die durchgängig ausgezeichnete, in allen Haupttheilen wahrhaft vortreffliche Composition des Hrn. von W. Sie ist vor vielen ähnlichen Gelegenheitstücken, auch mancher der grössten neuesten Meister werth, im Einzeln betrachtet zu werden. Da fällt uns denn gleich in der Ouvertüre ein eben so origineller, als eingreifender Gedanke auf. Die Ouvert. ist nämlich in Es dur, und Hr. v. W. wusste in sie die Hymne zu legen, welche dem Ganzen des Gedichts als Prolog dient, und ein Andante in C dur ist, von welchem er dann mit einem einfachen, blos der Flöte gegebenen Uebergange in die Tonica zurückkehrt, worauf das Thema des Allegro wieder anfängt und das Final-Chor ¦ eingeflochten enthält, das sehr kräftig geschrieben ist, und worin grosse Schwierigkeiten, durch die Richtigkeit in der Behandlung, sowol der Harmoniefolgen, als jedes Instruments, das an seiner gehörigen Stelle steht, in der Ausführung leicht werden. Der Schluss der Ouvertüre brachte bey allen Anwesenden eine rauschende Freude hervor. Die Hymne fing sich mit den Worten: Benigno eccelso fato an. Dies harmoniereiche Quartett in C dur, für Sopran, Alt, Tenor und Bass, das meist im Thema von Violoncellen, und dann von Blasinstrumenten begleitet wurde, machte einen rührenden, aber keineswegs, weichlichen Eindruck. Nun traten eben jene Personificationen auf. Den Sachen und den Worten gemäss waren die Recitative stufenweise alle von Instrumenten begleitet und gut declamirt. Sie wurden mit vollkommener Genauigkeit ausgeführt. Immer harmoniereicher erhoben sich die Solos der vier Stimmen, von denen jedes dem Charakter der Person und dem Sinne ihrer Worte, auch (wir loben dies gleichfalls vorzüglich) nach Beschaffenheit der Stimmen der vier Sänger, gesetzt waren und begleitet wurden. So konnte denn auch jede Sylbe überall verstanden werden, und ohne dass der Sänger sich darum Gewalt anthun, und so dem Wohlgefälligem schaden musste. Von einzelnen Stellen die uns dem Componisten ganz vorzüglich geglückt scheinen, heben wir folgende aus: In der grossen Scene und Arie des Genius die Worte: Dell’ arte il tempio e del saper – und die Worte: Da l’Elba a Arno – Reizend war das, mit heiterer Grazie, und mit Benutzung nationaler Melodien geschriebene Chor der Toskaner in A dur. Von trefflicher Wirkung trat da besonders auch die Stelle hervor, wo die Harmonie in Cis dur ist und der Componist, um wieder in die Haupttonart zu kommen, blos den Kunstgriff anwendet, die Soprane zwey Takte Cis aushalten, und nun das ganze Chor sotto voce gleich mit dem Accorde 8/5/3 eintreten zu lassen. So etwas fällt zwar auf dem Papier Niemanden auf, und, ists vorgemacht, kann’s jeder nachmachen: aber so, am rechten Ort, trifft’s doch nur der Genius, und da ists auch von schönem Effect, von wahrem Werth. – Ueberaus rührend war für das ganze Publicum die kurze Scene des Greises, welche Hr. Bassi als sehr braver Schauspieler, trefflich darstellte. ¦ Sein Recitativ bereitet zu dem Gebete in F dur vor. Dies halten wir für ein Meisterstück, worin Hr. v. W. auch seine tiefe Kenntnis in der Harmonie zu erkennen giebt. Es ergriff die Gemüther der Anwesenden unwiderstehlich, und erregte auch für den Comp. die Bewunderung des sämmtlichen Publicums. Mit einem Accorde in 3 min. ging er dann in eine passata ragionata mit dem Motive der Ouvertüre in Es dur über, um das Final- Chor zu beschliessen und dem erhabenen Paare in dem Allegro desselben Glück zu wünschen. Dies Chor schloss sich, wie wir schon gesagt haben, mit rauschender und glänzender Harmonie, woran Kenntnisse und Begeisterung gleichen Antheil hatten. Hrn. v. W.s Verdienst wird noch dadurch vergrössert, dass er dies Werk in kurzer Zeit zu schreiben veranlasst war; obgleich wir recht wohl wissen, dass eben ein solcher Drang, ist man der rechte Mann dazu, den Geist nur noch mehr beflügelt. Dass wir übrigens scharf aufgemerkt haben, und auch, wie wir es mit ihm meynen, wird Hrn. v. W. wol aus dieser Anzeige bemerken. Jetzt noch einiges zur Ausführung!
Die Besetzung war folgende. Die Kunst: Hr. Benelli; Ackerbau: Fr. von Biedenfeld; Wissenschaft: Mad. Mieksch; Handel: Hr. Benincasa. Jedes that, in seinem Recit., im Quartett etc. sein Möglichstes, alles vollkommen nach Wunsch hervorgehen zu lassen. Desgleichen trug Mad. Sandrini, als Genius von Florenz, ihr langes Recit. und ihre Arie mit Würde und innigem Gefühle vor. Das Gebet wurde in tiefer Rührung, das feurige Schlusschor in voller Begeisterung ausgeführt; wie das eben bey diesem Feste eines so innig, und von jedem Theilnehmenden verehrten Fürstenhauses wol kaum anders möglich war. Ganz dasselbe ist vom gesammten Orchester zu rühmen, und aus demselben Grunde.
Auf diesem dramatische Cantate folgte Mozarts Clemenza di Tito. Ueber das herrliche Werk brauchen wir nichts zu sagen. Die Dauer der Vorstellung nicht allzusehr zu verlängern, hatte man für diesmal mehre Stücke weggelassen. Fr. v. Biedenfeld, als Vitellia, und Mad. Mieksch, als Sesto, waren zwar, kleiner Unpässlichkeiten halben, nicht vollkommen bey Stimme, wussten aber durch beste Aufführung dies vergessen zu machen. Vitellia übertraf den Sesto im Gesang: dieser jene im Spiel. Hrn. Benelli’s würdige Declamation, als ¦ Tito, haben wir schon früher gerühmt und wollen uns selbst nicht wiederholen. Alle Uebrige, Chöre und Orchester, boten ihre besten Kräfte auf; so dass dieses Werk hier niemals so trefflich aufgeführt worden ist. –
Editorial
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Albrecht, Christoph
Tradition
-
Text Source: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 19, Nr. 49 (3. Dezember 1817), col. 832–838