Rezension des Librettos der Oper Euryanthe von Helmina von Chézy (Teil 1/5)

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Ueber die Eurianthe als literarisches Produkt.

Sie werden über den heutigen Brief zuweilen den Kopf schütteln, mein verehrter Freund, aber schütteln Sie immerfort, es wird mich bedächtig, wenn nicht bedenklich machen, aber aufhören werd’ ich darum nicht, eine Meinung zu eröffnen, die ich so lange für wahr halte, als ein Opponent mich nicht mit überwiegenden Gründen besiegt. Meine Epistel betrifft die „Eurianthe,“ große romantische Oper in drei Aufzügen von Helmine v. Chezy, geborne Freyin Klenke. Wien, Druck und Verlag von J. B. Wallishausser 1824. Die Angabe auf dem Titelblatte: „Für das k. k. Hoftheater nächst dem Kärnthnerthore“ könnte mich abhalten, das dramatische Stück vor das öffentliche Tribunal der Kritik zu rufen, da ein solcher Druck keine Befugniß dazu zu ertheilen scheint, indeß ist es Gegenstand des merkantilischen Buchhändlerbetriebs geworden, es ist in öffentlichen Blättern angekündigt, es ist versendet worden, Gründe genug, es der Literatur einzuverleiben und demjenigen ¦ Gebrauche zu unterwerfen, der einer literarischen Douane-Anstalt nicht unähnlich sieht. Aber es ist nicht blos schriftstellerisches Produkt, wie jedes andere, mein Freund, es will noch etwas mehr seyn, es ist ein Operntext, aber, wie der Freischütz denkt er, nicht unter die gewöhnlichen zu gehören, und daher fragt sich’s billig, was er gethan hat, diese Ansprüche geltend zu machen, und in wie weit man verbunden ist, sie anzuerkennen.

Eine Auseinandersetzung dieser Rechte aber ist keine leichte Sache, denn sie feststellen heißt nichts anderes, als eine Opernpoetik schreiben, die Gesetze erklären, nach denen ein Kunstwerk dieser Art geschaffen werden muß. Und wie ist das möglich zu einer Zeit, wo diese Kunst noch in ihrer Entwicklung steht, wo die Regeln, die man befolge, noch unklar und verwirrt in den Häuptern der Theoretiker liegen? Wo befindet sich ein Kodex, der dem Richter sein Geschäft erleichtert? Wie kann sich die Kritik anmaßen, ein Kunstwerk zu beurtheilen, ehe sie weiß, was sie fordern soll; wie ein einzelnes gegebenes Produkt unter den Richterstab allgemeiner Prinzipien setzen, ehe diese allgemeinen Prinzipien gefunden sind? Sie sehen, es ist Ursache da, den Kopf zu schütteln, wenn ich dennoch nicht augenblicklich meine Epistel schließe. Indeß betreffen jene Fragen genau genommen nur die Behandlung einer besondern poetischen Gattung, die eben deswegen unter denselben Gesetzen steht, wie jedes Kunstwerk. Noch näher rückt man, wenn man es als Abart der Dramatik bezeichnet, die Tochter kann das Blut der Mutter nicht verleugnen, und wenn sie es thut, so wird die Erörterung der Frage immer noch interessant genug seyn, ob überhaupt die Opernpoesie in das Reich der dramatischen Kunst gehört. Mich dünkt, es wird Zeit, sich näher um die Natur der Oper zu bekümmern, da sie die Tragödie von den Brettern zu verdrängen scheint, ein Umstand, der die Frage nicht unterdrückt, ob Ersatz geleistet werde oder überhaupt nur geleistet werden könne. Sie werden mir erlauben, hier einen kleinen Aufsatz zu machen.

Ich weiß bis diese Stunde noch nicht, was eigentlich Musik ist, und ich merke, es wird andern nicht besser gehen, sogar den Rezensenten in den musikalischen Zeitungen nicht, nur soviel weiß ich, daß sie keine Gedanken giebt, denn das kann nur die Sprache. Ein Ton allein ist nichts, er gleicht dem Vokal, der nichts weiter ist, als hohl; die Verbindung macht seinen Zauber aus, und diese kann entweder in der Zeit, oder im Raum, oder in beiden zugleich bestehen, was ich deutlicher ausdrücken muß. Ein Ton erfolgt entweder nach dem andern, oder mit ihm zusammen. Geschieht diese Vereinigung nach bestimmten Gesetzen, so entsteht aus dem erstern die Melodie, aus dem zweiten die Harmonie, und in diesem einzigen Umstande scheint das Geistige zu liegen. Ein Ton in diesen Verbindungen mit seines gleichen wird nämlich immer ein Ton bleiben, der dem Vokale gleicht; man setze soviel Selbstlauter zusammen als man will, es wird keine Sprache herauskommen, d. h. kein Zeichen, womit sich der Gedanke des Geistes kund giebt.

(Fortsetzung folgt.)

Editorial

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Bandur, Markus

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