Rezension des Librettos der Oper Euryanthe von Helmina von Chézy (Teil 2/5)

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Ueber die Eurianthe als literarisches Produkt.

(Fortsetzung.)

Das Gefühl des Menschen würde einem wesenlosen Spiele der Laute hingegeben seyn, wenn der Geist nicht in der Wahrnehmung der Gesetze, nach denen es sich entwickelt, Vergnügen fände. Hierin such’ ich den Grund, warum geistreiche Menschen in demselben Maaße von der Musik bezaubert werden, wie gedankenlose, welche der ewige Spielball sinnlicher Gefühle sind. Indeß erschlafft sie doch eben sobald, wie sie erst gestärkt hat, und diese Eigenschaft scheint mir nicht sowohl in dem physischen Gesetz des Wechsels zu liegen, als in dem Umstande, daß sie theils ¦ nur allgemeine Gefühle auszudrücken vermag, wie Freude und Schmerz, theils dem Geiste keine andere[n] Gedanken anbietet, als etwa die Bemerkung der Regel; eine Bemerkung, die eben nicht Zweck der Kunst ist. In dieser Verlegenheit muß sie Hilfe bei der Sprache suchen, um Mittel zu erhalten, bestimmte einzelne Gefühle ausdrücken zu können und durch diese Komposition dem Geiste Unterhaltung zu gewähren. Da sie sich mit dieser Acquisition nicht begnügt und in das Drama sich eindrängt, so liegt es klar vor Augen, daß sie nur in denjenigen Partieen Wirkung äußern kann, welche ihrer Sphäre nicht fremd sind. Sie hat demnach nichts weiter zu thun als sich von der dramatischen Poesie Gelegenheiten zu erbitten, das seyn zu dürfen was sie ist. Die Gesetze jener wird sie nicht verändern können, höchstens wird man ihr die Gunst erzeigen, die Wahl der Stoffe nach ihren Forderungen zu motiviren und in der Aufführung nur al fresco zu malen.

Durch die strengere Erfüllung der dramaturgischen Regeln wird die Opernpoesie ihrer Ehre aufhelfen, durch das Geschenk musikalischer Situationen, wenn ich so sagen darf, wird sie der Tonkunst den Beweis liefern, daß das Amalgama nicht absurd ist. In ersterer Hinsicht gehört die Eurianthe vor den Richterstuhl der Dramaturgie, in letzterer vor den der Musik, in beiden Fällen möchte ihr Stand ein bedenklicher seyn. Indem nämlich die Verfasserin die Katastrophe ihres Stückes aus der Entwicklung einer Intrigue spann, verdarb sie es mit der Musik, denn zum Intriguiren gehört der Kopf, nicht das Herz, worauf allein die Tonkunst ihre Zauber richtet, und indem sie den Uebelstand zu Liebe der letztern aufzuheben suchte, ich meine, die geheimen, leise und sorgfältig fortlaufenden Fäden der Intrigue versteckte, oder vielmehr gar nicht spielen ließ, überwarf sie sich mit der dramatischen Kunst, von der sie ihr Heil erwartete.

Die Idee der Fabel, die Moral derselben, ist soviel ich einsehen kann, die Gefahr des Versuches, ein Herz, das liebt, auf die Probe zu stellen; Eurianthe wäre nicht die erste gewesen, die sie nicht bestanden. Aber wie sie die Verfasserin gestellt hat, erscheint der Held Adolar, der sich in die gefährliche Wette einläßt, nicht genug motivirt; es mußte ihm völlig gleichgültig seyn, ob Lysiart, der eine geheime, aber nicht erwiederte Neigung zu Eurianthe nährt, den Glauben an Weibertreue hegt oder nicht. (S. 6.) Nicht das feste, ehrliche Vertrauen Adolars zu seiner Geliebten, sondern der Uebermuth mußte bestraft werden, mit der er sich auf Kosten anderer der Treue Euryanthe’s rühmt, und dieser Uebermuth ist nirgends anzutreffen. Die Oper beginnt bekanntlich mit einem Friedensgesang und Lysiart beleidigt den Adolar durch den allgemeinen Zweifel an Weibertreue. Wie nun? Wenn der Gesang geblieben, sich aus ihm aber auf natürlichem Wege ein Zwist unter den aus dem Kriege heimkehrenden Rittern entsponnen hätte, welche Geliebte wohl die treueste sey, ähnlich dem Streite im Lager des Tarquinius, welcher den Tod Lucretia’s herbeiführte.

(Fortsetzung folgt.)

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Bandur, Markus

Tradition

  • Text Source: Charis. Rheinische Morgenzeitung für gebildete Leser, Jg. 4, Nr. 145 (4. Dezember 1824), pp. 3

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