Briefe über Euryanthe in Wien und Webers Empfang in Dresden (Teil 2)

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Briefe über Maria v. Weber’s Euryanthe und seine Bewillkommnung in Dresden.

(Erster Brief siehe in Nr. 278.)

II.

Wien, den 8. Nov.

Kapellmeister Maria v. Weber hat bei den vier Aufführungen seiner Euryanthe, die bis jetzt Statt fanden, und in welchen er die drei ersten selbst dirigirte, der vierten aber, wo Kreuzer dirigirte, nur zusah, die schmeichelhafteste Aufnahme gefunden. Aber auch die allgemeine? Dies wage ich nicht zu behaupten. Bei den ersten zwei Aufführungen war das Haus gedrückt voll; bei den zwei folgenden waren besonders die Logen schon weit weniger angefüllt, und von den Logen herab war gleich Anfangs der Beifall sehr mäßig. Man hatte vielleicht zu viel, oder ganz etwas Andres erwartet. Der Text ist wenig interessant und hat gerade da, wo die größte Deutlichkeit herrschen soll, bei’m Orakel, eine unverzeihliche Dunkelheit. Die Musik hat zu viele und zu lange Recitative, zu wenig Arien. Daraus entspringt bei allem Aufwande der Gelehrsamkeit und tiefem Gefühl, das selbst die eifrigsten Rossinisten nicht zu bestreiten vermögen, auch hie und da Monotonie. Das klingt ja wie ein Requiem! so hörte man vernehmlich aus manchen Logen. Doch ist wohl auch viel Parteilichkeit im Spiel. Die wenigstens, welche der Euryanthe das Schicksal von Beethoven’s Fidelio prophezeihen, möchten sich doch betrügen. Denn alle Unbefangenen sind der Meinung, daß, je mehr man sich hinein höre und die herrlichsten Chöre und Tonstücke in ihrer überschwenglichen Fülle recht aufzufassen wisse, man auch desto mehr und größere Schönheiten darin finde. Witzlinge plauderten vom Ennuyanten und nennen diese neue Oper geradezu eine Malerei ohne augengefällige Färbung. Das Alles wird sich ausweisen. Ergriffen, begeistert, elektrisirt soll ja wohl das ganze deutsche Publicum, nicht blos das hierin vielfach getheilte wiener, durch eine Musik werden, worin offenbar der Meister sich selbst zu überbieten und das Beste zu geben den ernsten Willen hatte. Das müssen wir abwarten. München, Berlin, Darmstadt, Hamburg, Weimar, das sind die Schöppenstühle, woher man den Spruch erwarten muß. In Dresden und Leipzig könnte zu leicht Vorgunst zu Gericht sitzen. Die Kräfte der hiesigen Sänger und Sängerinnen, nur die Grünbaum und Forti ausgenommen, sind freilich auch sehr mäßig. Die Sontag, als Euryanthe, thut was sie kann; sie hat eine frische Stimme und angenehme Methode, worin sie der Fodor nachstrebt. Sie ist ein schönes Mädchen, aber eine schwache Schauspielerin. –

III.

Dresden, den 14. Nov.

Nicht ohne Hochgefühl des Stolzes nennen wir den allgepriesenen Maria von Weber den Unsrigen. Bei uns ist sein Freischütz, bei uns der südliche Klang zur Preziosa, bei uns seine Euryanthe empfangen ¦ und geboren worden. Weber könnte die Seele der fröhlichsten Geselligkeit seyn. Sein trockner Humor wirkt unwiderstehlich, und phantasirt er am Pianoforte, so schweigt jede andre Unterhaltung. Aber er zieht es vor, einem kleinen auserwählten Kreise geprüfter Freunde ganz zuzugehören und in dem Schoße der Seinen zu leben. Ein einfaches Landhäuschen am Fuße der Rebenhügel und des romantischen Köppengrundes, einige hundert Schritte von Pilnitz, mit der Aussicht auf ein heiter umsonntes Thal bis zum reizenden Elbufer hinab, ein stets grünender Wiesenteppich vor seinen Augen, ist seine Sommerwohnung, wo er mit seiner wahrhaft liebenswürdigen Gattin und einem einzigen Söhnlein, wie billig Max genannt, mit seinem treuen Schüler Benedict, der ihn auch nach Wien begleitete, ein stilles Familienleben führt. Hier ist die Wiege seiner Compositionen zur Euryanthe, und die hiesigen Führer der wandernden Scharen, die im Sommer hier vorbei auf die Bastei, die Vorhalle der sächsischen Schweiz, und nach Schandau wallfahrten, verfehlen nie, von fern dem Fremden die Hütte und das Gärtchen zu zeigen, wo Weber in Tönen mächtig waltet.

Weber war, nachdem er noch am 8. November die funfzigste Aufführung des Freischütz in dem ihm durch so viele Erinnerungen theuern prager Theater dirigirt hatte, den 10ten Abends von seiner wiener Reise munter und vergnügt zurückgekehrt. Eine Menge Briefe circulirten bei den hiesigen Ton- und Theaterfreunden über den Erfolg der Euryanthe auf dem wiener Hoftheater. Alle sprachen einstimmig von dem Gelingen dieser Oper, wenn auch kühle Berichte aus den obern Regionen, wo es immer kalt ist, den Zusatz machten: die höchstverdienstliche Musik habe nicht Alle begeistert, sey viel zu gediegen und studirt erschienen. Man fragte mit Recht, wie werden wir den Meister empfangen? Wir müssen ihm wenigstens da, wo er zunächst wirkt und durch seine Alles belebende Direction selbst Unbedeutendes hebt, im Theater so recht unter uns ein kleines Fest bereiten. Alles, was zur Kapelle und Bühne gehört, bringe ihm da einen Gruß inniger Anerkennung. Das erhielt Beifall. In den nächsten drei Tagen war Alles zubereitet und einstudirt. Der Generaldirector billigte und beförderte das Unternehmen. Niemand wurde besonders veranlaßt zu erscheinen. Aber da fehlte auch nicht Einer. Italienische und deutsche Sänger und Sängerinnen, alle Mitglieder beider Orchester und des Kirchendienstes, alle Schauspieler und Schauspielerinnen, alle Choristen, Hoftheatermaler, Maschinenmeister drängten sich herzu, um Theil an diesem feierlichen Morgengruß im Theater zu nehmen. Es war ein kleines Volk von beinahe 200 Köpfen. Der durchaus davon nichts ahnende Kapellmeister wurde am Morgen des 13. Nov. plötzlich beschickt, um schnell eine Probe zur Preziosa zu halten, weil eine Unpäßlichkeit der ersten Sängerin die auf diesen Abend festgesetzte Wiederholung der Libussa unmöglich mache. Etwas unmuthig über die unvermuthete Störung, eilte Weber in’s Theater, vor welchem ihn aber der Regisseur Helwig aufhielt und ersuchte, mit ihm einen | Augenblick hinter die Bühne zu kommen. Wie groß war seine Ueberraschung, als er da eingeladen wurde, durch die Mittelthür auf die Bühne zu treten. Alles war in voller Beleuchtung! Um einen Lehnstuhl in der Mitte stand im Hintergrund rechts, links, in mehrfachen Reihen das ganze Personal der Sänger und Sängerinnen, Schauspieler und Schauspielerinnen. Gleich nach dem Eintritt, als er sich unter einer rauschenden Fanfare gesetzt hatte, fing das heute dreifach besetzte Orchester, unter des wackern Kapellmeisters Tietze Leitung (unser Kapellmeister Morlachi war vor Kurzem nach Italien gereist, um dort eine neue Oper von sich aufzuführen und frische Subjecte zum italienischen Operngesang zu werben), den ersten Chor des Siegeslieds aus Mozart’s Titus an zu spielen. Nun trat die erste Sängerin der italienischen Oper, die im Spiel und dem ihr eignen Gesang noch immer unübertreffliche Signora Sandrini hervor und bekränzte den Gefeierten mit dem ihm gebührenden Lorbeer, indem unsre erste, alle jüngere Schwestern der Thalia noch immer mit eignem Liebreiz übertreffende Schauspielerin, Madame Schirmer, die Worte des Gesanges auf einem Atlaskissen, worauf der Kranz gelegen hatte, gedruckt überreichte. Nun begann der zweite Chorgesang, der Schlußchor aus der Euryanthe, mit steigendem Jubel und allgemeiner Begeisterung, und als er geendet, erschallte dem tiefgerührten, Freudenthränen vergießenden Mann ein dreimaliges Lebehoch mit der rauschendsten Begleitung des Orchesters. Alles brachte Blumen. Er wurde mit Blüthen ganz bedeckt und man hätte der Brautjungfer so gern aus ihrem Körbchen Kränze und Blumen gestreut. Viele, die sich zufällig in den Logen und Parquet eingeschlichen hatten, waren gerührte Zeugen dieses Jubels, dem dadurch das eigenthümliche Gepräge einer großen, herzinnigen Familienscene aufgedrückt wurde, daß darin die freudigste Theilnahme eben so unverdächtig von dem zahlreichen Verein der italienischen Ton- und Sangkünstler, als von der deutschen Oper, eben so laut von dem Personal des Orchesters, als von den Mitgliedern des recitirenden Schauspiels, so ganz unvorbereitet in so reicher Fülle an den Tag trat. Diese Einigkeit ist großentheils Weber’s Werk. Er und Morlachi leben wie zwei Brüder zusammen. Und es paßt auch hier:

Hirten und Heerden sind Eins, wenn die bissigen Hunde nicht bellen.

Theodor Hell, der überall freundlich und sangreich Eingreifende, hatte beiden Chören eigene Worte unterlegt. Diese wurden in zahlreichen Abdrücken vertheilt und verdienen schon um der festlichen Veranlassung willen aufbewahrt zu werden. Hier sind sie.

Willkommen!Dem königl. sächs. KapellmeisterHerrnKarl Maria von Weber.Willkommen hier, o MeisterBei Freunden und Verehrern,Den Gluck’s und Mozart’s GeisterStolz nennen ihren Sohn._____ ¦ Auf, feiert hoch in vollen JubeltönenDen Trefflichen, den Lorbeerkränze krönen.Er kehrt zurück in seiner Heimat Land,Es reicht ihm Lieb’ und Achtung hier die Hand.Und treu bleib’ er uns hier!Heil sey der Kunst, Heil, Weber, Dir!

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Frank Ziegler
Korrektur
Eveline Bartlitz

Tradition

  • Text Source: Literarisches Conversations-Blatt für das Jahr 1823, Nr. 279 (4. Dezember 1823), pp. 1114–1115

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