Aufführungsbesprechung Leipzig: darunter Jubelkantate von Carl Maria von Weber, 19. Oktober 1818

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Nachrichten.

Leipzig. Wir haben in der nun beendeten Michaelismesse viel gute, zum Theil vortreffliche Musik gehört; und wenn sich das anwesende Publicum, das zu solcher Zeit weit mehr aus fremden, als aus hiesigen Theilnehmern besteht, unsern hiesigen Musikanstalten ungleich günstiger zeigte, als dem, was uns aus der Fremde zukam oder zukommen sollte: ¦ so gereichte das diesen Anstalten zur Ehre, und diesem Publicum nicht zum Nachtheil.

Das Theater gab zwar nur Wiederholungen, da in den Messwochen, wegen täglichen Spiels, die Proben beschränkt werden müssen; aber auch nicht Ein ganz unbedeutendes oder schlechtes Stück; dagegen manches der ausgezeichnetsten von ältern oder neuern, mehr oder weniger bekannten. Wir führen nur an: D. Juan und Titus von Mozart; Vestalin von Spontini; Bergsturz von Weigl; die neue, anmuthige Idylle, Nachtigall und Rabe, von demselben Meister; das Fischermädchen, mit mehren interessanten Gesängen von Schmidt in Berlin; und Joconde, mit seiner heitern, geistreichen, echttheatralischen, wenn auch hin und wieder an ältere Freunde erinnernden Musik von Nicolo. Die Ausführung, war sie gleich nicht allezeit und in allen, auch den untergeordneten Theilen so präcis und ausgearbeitet, wie wir uns ihrer vor der Messe erfreuen konnten: so liess sie doch niemals Talente, Geschicklichkeit, Fleis und Liebe zur Sache vermissen; was denn auch von allen Anwesenden erkannt und nicht selten mit dem lautesten Beyfall belohnet wurde. Dieser ward, und wol nicht mit Unrecht, am meisten den Vorstellungen des D. Juan und des Joconde im Ganzen, und der Vestalin in den Hauptpartien zu Theil. Joconde wird (nur mit Ausnahme der unbedeutenden Rolle des bäuerischen Bräutigams) schwerlich auf irgend einem andern deutschen Theater jetzt so trefflich gesungen und gespielt. – In das Einzelne, was theils die Componisten der weniger bekannten Opern, theils die vorzüglichern Mitglieder der Gesellschaft geleistet, werden wir vielleicht zu anderer Zeit eingehen.

Das wöchentliche Concert, das mit dem Michaelistage beginnet und nun fast vierzig Jahre als eine der schönsten Zierden dieser Stadt überall anerkannt ist – fand bisher an drey Abenden statt. Wir hörten darin Folgendes; und wenn wir die Ausführung der einzelnen Stücke nicht rühmen: so geschiehet das nur, weil wir diese Ausführung überall, nur bey dem Einen mehr, bey dem Andern weniger, rühmen müssten; und dies gilt eben so wol von den Solos, als von den vollstimmigen Compositionen, und zwar für Gesang, wie für Orchester. Symphonien – von Beethoven aus C moll, von Andr. Romberg aus D dur, von Mozart aus D dur. (Die, ohne Menuett.) Ouvertüren – von Beethoven und Bernh. Romberg. Concerte – von Ries, durch Hrn. Musikd. Schneider; von Matthai, durch ihn selbst; von Crusell, durch Hrn. Barth vorgetragen. Kreutzers Bolero, von Hrn. Lange gespielt. Scenen und Arien – von Portogallo, Alberghi u. Federici, ges. von Mad. Neumann-Sessi. Vollstimmige Gesangstücke: Winters Cantate, die Musik, Andr. Rombergs Hymne, die Harmonie der Sphären, gedichtet v. Kosegarten; Göthe’s Ballade, Johanna Sebus, für Solostimmen und Chor mit Begleit. des Pianoforte von Zelter componirt, und nun für’s volle Orchester (schön u. sehr wirksam) bearbeitet vom Hrn. Musikd. Schulz. |

Von fremden Virtuosen reiseten einige wieder ab, ohne aufzutreten, weil sie aus eigener Ansicht sich überzeugten, was keiner der Versicherung glauben will: dass im Drang der Messe, ihrer Geschäfte, Beschwerden u. Zerstreuungen, bey täglichen Vorstellungen des Theaters, und bey so Vielerley, was die Aufmerksamkeit theilt, für die Tonkunst wenig, für Virtuosen, denen nicht ein ganz ausgezeichneter Ruf vorhergeht, gar kein Heil zu finden, und dass es nur dem Merkur selbst, dem Gotte, eigen sey, dem Sekkel u. der Lyra zugleich vollkommen ihr Recht anzuthun. Der ohngefähr sechzehnjährige Carl Mar. v. Bocklet aus Prag, als Violinist ein Schüler v. Pixis, als Klavierspieler ein Schüler von Tomascheck, gab zwey Concerte, und in jedem überzeugende, ja, für seine Jahre, wahrhaft bewundernswerthe Beweise schönen Talents u. ausgezeichneter Geschicklichkeit auf beyden Instrumenten. Sein Ton auf der Violin ist klingend und angenehm, seine Fertigkeit ausgezeichnet, seine Bogenführung kräftig u. mannigfaltig; auf dem Pianoforte bezwingt er überaus Schwieriges, u., wie es scheint, mit Leichtigkeit. Wird er – was bey seinem Talent, seiner Jugend, seinem Eifer u. seiner Bescheidenheit gar nicht zu bezweifeln ist – sein Spiel auf beyden Instrumenten noch mehr ausarbeiten, damit alles vollkommen rein, deutlich u. nett herauskomme, und wird dann sein eigenes Innere, ist es mehr vertieft, genährt und gekräftiget, sich in seinem Vortrage bestimmt, innig und eigenthümlich aussprechen: so kann ihm der Ruhm eines trefflichen Künstlers gar nicht fehlen. Er fand lauten Beyfall, und schien ihn am meisten zu verdienen in dem Concert von Rode aus E moll und in den Variationen von Polledro aus G dur auf der Violin, so wie in den bekannten, überaus schwierigen Variationen von Moscheles auf dem Pianoforte. Am ersten Abend sang Mad. Werner vom hiesigen Theater, mit weniger Glück, als auf diesem; am zweyten sang Dem. Schneider aus Berlin eine Scene und Arie von ihrem Hrn. Vater, und, mit Hrn. Klengel, ein Duett von Rossini. Sie zeigte eine volle, starke, in den mittlern u. tiefern Tönen nicht unvortheilhaft sich ausnehmende Stimme und eine nicht unbeträchtliche Geübtheit. In dem Duett, das ihr in Hinsicht auf Beydes am angemessensten war, gefiel sie am meisten. – Auf dem Theater trat Mad. Campi von Wien als Vitellia, Donna Anna, Constanze, und mit grossen Scenen und Arien zwischen den Acten eines Schauspiels auf. Mit Achtung u. grosser Erwartung empfingen sie die ältern Freunde der hiesigen Oper, deren Mitglied u. schöne Zierde sie vor zwanzig u. mehren Jahren gewesen war: mit Bewunderung u. lebhaftester Freude sahen sie aber ihre Erwartungen, in gewisser Hinsicht noch übertroffen. Die Frische u. (darf man so sagen) Jungfräulichkeit der Stimme, die nun einmal der Blüthenzeit des Le¦bens vorbehalten ist – diese kaum abgerechnet, fand man an der trefflichen Künstlerin noch alle die Vorzüge, mit welchen sie uns früher oft entzückte, u. eine wahrhaft bewundernswürdige Geübtheit, Fertigkeit und Geschicklichkeit, für die auch das Allerschwierigste, nicht nur ausführbar, sondern leicht scheint, war noch hinzugekommen. Jedermann wünschte jedoch, dass sie durch ihre grosse Geschicklichkeit sich, besonders in Mozarts Musik, nicht zu so zahllosen, und wenigstens nicht zu harmoniewidrigen Verzierungen hinreissen liesse.

Die hiesige Singakademie hatte, in Vereinigung mit dem Orchester und andern Musikfreunden, beschlossen, nachdem sie am Tage des Regierungsjubiläums des Königs sich rühmlich hervorgethan, auch in einer möglichst glänzenden Nachfeyer dieses Festes ihre Theilnahme darzulegen: die Umstände verstatteten aber nicht, diese früher, als den 19ten Oct., auszuführen. An diesem Tage fand sie aber auch desto ungestörter, und zwar in der grossen, hierzu besonders vorbereiteten und schön erleuchteten Universitätskirche statt. Der kön. sächs. Kapellmeister, Hr. Carl Maria von Weber, hatte der Gesellschaft, auf ihr Ersuchen, seine, von Friedr. Kind gedichtete Jubel-Cantate mitgetheilt: diese füllete den ersten Theil aus; im zweyten wurde unsers Hrn. Musikd.s Schulz Chor: Salvum fac regem – der am Jubeltage so feyerlichen Eindruck gemacht hatte, und dann Mozarts glänzende, feurige Hymne aus D dur: Gottheit, dir sey Preis und Ehre – aufgeführt. Diese ist bekannt, von jenem erst kürzlich gesprochen worden, und über die Cantate werden die Leser in einem der nächsten Blätter weitere Nachricht von dem dresdner Corresp. erhalten. Wir begnügen uns daher mit wenigen Zeilen. Hr. Kapellm. v. W. hat – so gehet aus dem Werke selbst hervor – keine Kirchenmusik liefern wollen, zu welcher sich auch der, übrigens für Musik sehr günstige Text nicht eignete: sondern eine recht eigentliche Festcantate, welche, zunächst für den Moment bestimmt, auf die sicher zu erwartende zahlreiche und sehr gemischte Gesellschaft so mannigfaltig und so lebhaft, als möglich, wirken sollte: u. diese Aufgabe finden wir sehr befriedigend gelöset – was sich auch durch den Erfolg an denen, die sich entweder mit dieser, oder mit gar keiner bestimmten Ansicht, sondern nur mit einem offenen, unbefangenen Sinn einfanden, vollkommen bewährte. Als Musikstücke überhaupt, mit oder ohne Berücksichtigung der besondern Bestimmung des Ganzen, fanden wir vornämlich den ersten und den letzten Chor ausgezeichnet. Die Ausführung war, besonders in den Chören, unbedingt zu rühmen, und die Versammlung überaus zahlreich.

Editorial

Summary

Aufführungsbesprechung der Jubelkantate in Leipzig

Creation

Responsibilities

Übertragung
Charlene Jakob

Tradition

  • Text Source: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 20, Nr. 43 (28. Oktober 1818), col. 761–764

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