Der Verkauf der Dreyssig’schen Musikaliensammlung (1821)

1812 schrieb Weber einen begeisterten Artikel über die vom Dresdner Hoforganisten Anton Dreyssig gegründete Singakademie. Diese positive Stellungnahme könnte möglicherweise den Ausschlag dafür gegeben haben, dass sich mehr als sechs Jahre nach dem Tod Dreyssigs dessen Witwe mit der Bitte an Weber wandte, sie beim Verkauf von Musikalien aus dem Besitz ihres Mannes zu unterstützen1. Tagebuchnotizen vom 11. April und 10. August 1821 mögen auf erste diesbezügliche Kontaktaufnahmen hindeuten2.

Weber nahm im Auftrag der Witwe Verbindung zu mindestens zwei ihm bekannten Musiksammlern auf: Johann Friedrich Naue in Halle und Georg Poelchau in Berlin. An Naue sandte Weber am 21. September 1821 den Katalog der Sammlung3, den er samt Begleitschreiben seinem Freund Hinrich Lichtenstein mitgab, der von Dresden über Leipzig und Halle nach Berlin zurückreisen wollte. Offenbar zeigte Naue an einzelnen Stücken der Sammlung Interesse, denn Weber vermerkte am 12. Oktober 1821 im Tagebuch die Übersendung von Musikalien an ihn. Das geringe Porto (4 Groschen) deutet allerdings nur auf wenige Einzelstücke hin.

Fraglich bleibt, wann ein entsprechendes Angebot an Poelchau erging, ob möglicherweise bereits während Webers Aufenthalt in Berlin im Frühjahr 18214 oder – das erscheint naheliegender – erst im Herbst, als Weber laut Tagebuch am 25. Oktober 1821 an den befreundeten Friedrich Wollank „wegen Pölchau“ schrieb – genau einen Tag, nachdem er (ebenso laut Tagebuch) Elisabeth Dreyssig einen Besuch abgestattet hatte. Gesichert ist, dass Weber, wie er am 4. Dezember im Tagebuch vermerkte, die von Poelchau ausgewählten Stücke verpackte, um sie am Tag darauf mit dem Fuhrmann Lehmann nach Berlin abzusenden. In Webers Brief an Poelchau vom 6. Dezember 1821 ist von einem „Paket Musik“ die Rede, auch hier sind also keine genaueren Informationen über den Umfang des Verkaufs zu ermitteln.

Sowohl die Musiksammlung von Naue als auch jene von Poelchau kamen im Verlauf des 19. Jahrhunderts in den Besitz der Berliner Königlichen Bibliothek (heute Staatsbibliothek), erstere bereits 1824/255, letztere 18416, so dass zu vermuten ist, dass auch die durch Webers Vermittlung an die beiden Sammler verkauften Dreyssig-Bestände dorthin gelangt sein müssten (soweit sie nicht vorher durch Tausch in anderen Besitz übergegangen waren). Leider existieren bislang keine verlässlichen Angaben, in welchem Umfang sich innerhalb dieser Bestände auch Exemplare der ehemaligen Sammlung Dreyssig befinden. Lediglich drei Manuskripte, die Poelchau aus Dreyssigs Nachlass erworben hatte, sind derzeit anhand der RISM-Datenbank ausfindig zu machen:
- J. D. Zelenka, Miserere c-Moll ZWV 57, Kopie, Mus. ms. autogr. Eler 1 M (4),
- C. F. Zelter, Motette g-Moll „Wer spannet den Bogen im dunkeln Gezelt“, Autograph, Mus. ms. autogr. Zelter, K. F. 2,
- C. F. Zelter, Choral für drei Chöre C-Dur „Preis ihm! er schuf und er erhält“, Kopie, Mus. ms. autogr. Fasch, K. F. Ch. 2 (e) [Bl. 24–29].

Interessant ist, dass sich noch drei weitere in der Berliner Staatsbibliothek erhaltene Manuskripte dem Vorbesitzer Dreyssig zuordnen lassen, ohne dass sie mit den Sammlungen von Naue oder Poelchau in Verbindung stünden. Das deutet entweder darauf hin, dass die Witwe neben den durch Weber vermittelten Verkäufen noch weitere Absatzmöglichkeiten erschloss, oder aber darauf, dass Weber weitere Interessenten rekrutierte, ohne dass sich dies in den bislang bekannten Quellen niederschlüge. Einer der Käufer war der Sänger Franz Hauser, der 1825/26 am Dresdner Hoftheater engagiert war. Er erwarb eine Bach-Kopie mit autographen Korrekturen: J. S. Bach, Präludium und Fuge G-Dur BWV 550, Mus. ms. Bach P 12107.

Auch die beiden anderen Sammler standen mit Weber in Verbindung, so dass in diesen Fällen eine Vermittlung seinerseits nicht gänzlich auszuschließen ist. Sein Berliner Freund Ludwig Hellwig erwarb die Abschrift einer Zelter-Komposition: Hymnus an die Sonne Es-Dur, Mus. ms. 23563.

Der Wiener Sammler Aloys Fuchs, der 1824 mit Weber in Kontakt getreten war8, ist als Besitzer eines Autographs nachweisbar: A. Mariottini, Esercizi per il Canto, Mus. ms. autogr. Mariottini, A. 1 M.

Es bleibt zu hoffen, dass die Provenienzforschungen der kommenden Jahre auch zur Sammlung Dreyssig neue Erkenntnisse liefern werden.

Endnotes

  1. 1Diese private Dreyssig’sche Musikaliensammlung ist nicht zu verwechseln mit der Sammlung der Dreyssig’schen Singakademie, die heute überwiegend in der Sächsischen Landesbibliothek verwahrt wird (ein Einzelstück dieser Provenienz befindet sich in der Bayerischen Staatsbibliothek in München). Fraglich bleibt allerdings, ob es Verkäufe durch die Witwe aus dem privaten Bestand an die Singakademie gab.
  2. 2Der Brief vom 10. August 1821 an Caroline von Weber deutet allerdings darauf hin, dass der Besuch der Witwe Dreyssig eher Webers Frau galt.
  3. 3Dieser und mögliche weitere Kataloge der Dreyssig’schen Sammlung konnten bislang nicht nachgewiesen werden.
  4. 4Im Tagebuch sind Begegnungen mit Poelchau am 17. Mai und 8. Juni 1821 bezeugt; anschließend reiste dieser nach Hamburg und von dort aus weiter nach Wolfenbüttel, vgl. Klaus Engler, Georg Poelchau und seine Musikaliensammlung. Ein Beitrag zur Überlieferung Bachscher Musik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Diss. 1970, gedruckt 1984, S. 15.
  5. 5Vgl. Frank Ziegler, … diese Sachen, die wir so wenig brauchen als Sie. Notizen zur ersten umfangreichen Musikalienerwerbung der Königlichen Bibliothek, in: Mitteilungen (Staatsbibliothek zu Berlin – PK), N. F. 3 (1994), Nr. 1, S. 48–53. Die historischen Kataloge der Naue-Sammlung stehen als Digitalisate zur Verfügung: www.digital.staatsbibliothek-berlin.de sowie www.digital.staatsbibliothek-berlin.de .
  6. 6Vgl. Walter Schulze, Zur Entstehung und Bedeutung der Musikalien-Sammlung Georg Pölchaus. Ein Beitrag zur Geschichte der Musik-Abteilung der Preussischen Staatsbibliothek, mschr., 1938 sowie Klaus Engler (s. o.). Drei der vier historischen Kataloge der Poelchau-Sammlung stehen als Digitalisate zur Verfügung: www.digital.staatsbibliothek-berlin.de , www.digital.staatsbibliothek-berlin.de sowie www.digital.staatsbibliothek-berlin.de .
  7. 7Vgl. www.bach-digital.de . Kobayashi vermutet, das Manuskript könne durch Vermittlung Moritz Hauptmanns in den Besitz Hausers gekommen sein; vgl. Yoshitake Kobayashi, Franz Hauser und seine Bach-Handschriftensammlung, Diss., Göttingen 1973, S. 145.
  8. 8Allerdings betraf diese Kontaktaufnahme nicht seine später so ausgeprägte Sammelleidenschaft, sondern Fuchs bat Weber um Ratschläge für seinen beruflichen Werdegang; vgl. Webers Schreiben vom 27. Mai 1824.

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