Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Heinrich der Vierte von Frankreich“ von Eduard Gehe am 6. Juni 1818 (Teil 2 von 2)
Heinrich der Vierte von Frankreich.
(Beschluß.)
Die überall ganz neuen Costüms waren nach den berühmten Cyclus von Rubens in der Galerie von Luxemburg, doch besonders bei der Frauenkleidung, ohne pedantische Kleinmeisterei, nachgeahmt. Hrn. Hellwigs (Heinrichs IV.) Maske schien, vorzüglich im Haarwurf und Zwickelbart, völlig aus einem Porträt herausgeschnitten. Mad. Werdy (Marie) erschien in zweifacher Herrlichkeit. Der Krönungszug mit ganz frischen Gewändern war überaus befriedigend. Außer Hrn. Hellwig, als ordnendem Regis¦seur, verdient Hr. Heine, ein jüngeres Mitglied unserer Bühne, als kunstgeübter Erfinder und Zeichner, hierbei unsern Dank.
Alles kam darauf an, daß Heinrich selbst in der Intention des Dichters, hohe Gemüthlichkeit mit Seelenadel vemählend, gespielt wurde. Hr. Hellwig entsprach dieser Anforderung so vollkommen, daß beim Gelingen des Stücks viel auf seine Rechnung gesetzt werden muß. Er entwickelte in den zwei Hauptscenen mit der anstürmenden Königin und mit Ravaillac im Garten eine wohlberechnete Steigerung, ohne daß dies Kunstspiel der Wärme und Wahrheit Abbruch that. Leichter Sinn, Genialität, Frohmuth, der alle Warnungen bald zurückwirft. Wie so ganz | im chevaleresken Charakter eines in Liebe und Heldenthum gleich starken Ritters trug er die Worte an die Königin vor:
O, werden Sie die holde Dame meines Herzens,
Ihr Heinrich wird Ihr treuer Ritter seyn!
Die berühmte Scene mit den Kindern Anfangs des zweiten Akts, erhielt durch Declamation und Gruppirung rauschenden Beifall. So schön auch Mad. Werdy gleich als Königin geschmückt auftrat, so glauben wir doch, daß ein weniger prächtiges Morgengewand sogleich beim Eintritt in der Beschwörungsscene ihr in der Darstellung der höchst gereizten Leidenschaftlichkeit und Spannung, und der sich auch in äußerer Beweglichkeit und Unruhe stets zurückspiegelnden Neugier, womit dieser Gemüthszustand hätte gegeben werden müssen, wohl zugesagt haben würde. Denn gewaltig angeregte Beweglichkeit setzt ja der von dem Dichter fein angedeutete Umstand voraus, daß Pasithea sie anfaßt und still auszuhalten zwingt. Aber in wahrhaft tragischer Steigerung, Würde und Kraft verbindend, spielte sie die Scene, wo sie dem König die verhängnisvolle Krönung abdringt. Dieser Sturm auf Heinrich, wie sie kniet, wie sie bald schmeichelt, bald trotzt, ist ihr Triumph, den sie auch mit Verklärung des Sieges in Miene und Ton, in der schönen Stanze: Dich lad’ ich ein, doch mit dem Rosenkranze! ganz ins Proscenium tretend, malerisch ausdrückte. Nur mit dieser Würde mag die etwas stark bezeichnete Prunkliebe und Eitelkeit erträglich erscheinen. Die Stellen, welche eine gehaltene Declamation fordern, gelangen ihr am besten. Wir können in dieser Rücksicht unsrer Bühne zu einem schönen Erwerb Glück wünschen. Mad. Hartwig, als Pasithea, stattete das Fantastisch-Düstre dieser schwierigen Rolle mit aller ihr eigenthümlichen Kunst und ergreifenden Lebendigkeit aus. Auf Kothurnen einherschreitend flößte sie oft ein heimliches Grauen ein, wozu ihre fast seltsame Verschleierung und Costümirung wohl paßte. Mit welcher Kraft declamirte sie die wunderbaren Beschwörungsformeln! Doch blieb es uns zweifelhaft, ob der umkreisende Umgang vor den eigentlichen Zaubersprüchen, oft schon im gewöhnlichen Gaukelspiel gebraucht, nicht unter dem Würde-vollen Anstand dieser, durch stolze Abgeschlossenheit imponirenden Schicksalsfigur sey, einem Charakter, den sie in beiden Besprechungen mit Ravaillac meisterhaft auszudrücken wußte. Ihr endliches Verschwinden durch die Fallthüre wird, nachdem beide Candelabre von ihr gelöscht sind und sichtbare Finsterniß sie umnachtet, durch das Ergreifen einer bisher verhüllt gewesenen Fackel, nach der Vorschrift des Dichters, noch viel schauerlicher gemacht werden können. Allen andern Rollen gnügte die Kunst. Den ehrwürigen Sully gab Hr. Werdy mit aller der Gediegenheit, womit er in der Geschichte ausgeprägt erscheint und vom Dichter eingeführt wird. Sein Ruf: Der König reiset! war ein elektrischer Schlag. Nicht leicht ist die Aufgabe, wie er dem ihn an seine Brust ziehenden König gleich im ersten Auftritt dessen Liebschaften zu Gemüth führen soll, ohne den Respect zu verletzen. – Dem Vertrauten Sully steht die Vertraute Galigai gegenüber. Es ist ein kleine, doch gewichtige Rolle. Mlle. Schubert zeigte, daß sie ihr vollkommen genügen wolle und könne. Sie war trefflich costümirt. So wird sich auch von kleinen Nebenrollen nur Gutes sagen lassen. Herr Geyer gab die spanische Grandezza sehr brav. Daß diese sich ungeheißen setzte, war ganz in der Ordnung, wohlbedacht. Die Art, wie Hr. Schirmer die kleine Rolle des Todtengräbers ganz in der Natur eines so klugen Nacht-Raben sprach und spielte, verdiente lauten Beifall, der ihm auch zu Theil wurde.
¦ Besondere Auszeichnung aber verdiente Hr. Julius als Ravaillac. Sind einige Zuschauer irre an seinem Spiel geworden, haben sie es für allzu düster und grell gehalten, so liegt dies wohl nur in dem Abstoßenden der ganzen Erscheinung, wie sie der Dichter selbst einführt, in welchem man jedoch kein Wort geändert wissen möchte. Gleich sein erster Auftritt und Umklammern des Kreuzes auf dem Grabhügel, gab uns den in Lüsten erschöpften, lebenmüden, nun auch noch durch Kasteiung und Fasten abgetriebenen Fanatiker. Man bedenke nur, was er selbst eingesteht:
- auf der Erdenwollust Strudel
Schwamm einst mein Leib, wie eine Feuerrose.
Aus diesem ausgebrannten Vulkan lecken nun, gewaltig auflodernd, Höllenflammen empor. Da fängt er auch wohl an, mit donnernder Stimme loszubrechen, und, was er in seiner Schule so oft gehört hat, den Strafprediger zu machen, welches wieder manchem Anwesenden ein allzu schroffer Uebergang schien und doch so natürlich ist. Wie tief der Künstler in seine Rolle eingedrungen war, zeigte er vorzüglich in der erschütternden Unterredung mit dem König, wo er sich einigemal in der Lage eines Besessenen befindet, dem ein Himmlischer sänftigend sich nahet. Da tritt der höchste Moment seiner fanatischen Begeisterung ein, wo er knieend den König beschwört. Aber immer zuckt der Dolch, den er im Busen trägt. Das krampfhafte Ausspreizen aller Finger in den hinausstarrenden Händen, der Gest, womit er beim ersten Anblick des unbewehrten Königs die Mordlust der Hölle in sich niederkämpft, die feuersprühenden Blicke in dem kurz vorher noch gleichsam erstorbenen Auge müssen gesehen, nicht beschrieben werden. Der wahre, denkende Künstler beurkundet am meisten die sich selbst besitzende Oekonomie und haushälterische Aufsparung erst am Schluß. Hr. Julius erschien am furchtbarsten in der Schlußscene, wo er gegen den warnenden Fançois den Dolch zückt und ausruft: Du bist der Satanas! Sehr verständig trat er hier mit glührothem Antlitz ein. Wie wenige Künstler üben so die Toilette selbst in den Zwischenakten! Unsrer Ueberzeugung nach ist diese Rolle eine der tiefsten und gelungensten Leistungen. Die Probe zum Exempel ist, daß der Aufmerksame bei solchem Spiel den Königsmörder eigentlich eben so wenig verabscheut, als seinen Dolch. Man begreift es ja, beides sind nur willenlose Werkzeuge. Aber um so fluchwürdiger die unsichtbare Hand, die alles leitet. Darum konnte diesem Künstler so gar lauter Beifall werden, und ward es, ward es selbst durch die dazwischen bemerkten Zeichen der Mißbilligung.
Ein Stück, in welchem solche Künstler so viel Kunst entwickeln können, und wirklich entwickelten, muß entschiedenes Verdienst haben. Denn in zerbrochene Schaale läßt sich keine gute Frucht legen. Wir wünschen, daß diesem Stück auch auf andern Theatern eine willkommene Aufnahme werde. Es ist hier manches aus guten Gründen weggeblieben, was auf andern Bühnen doch gefallen könnte. Gewiß, es muß, mit ähnlicher Liebe aufgefaßt und ausgestattet, überall die darauf gewandte Mühe mit Zinsen belohnen. Ein lebendig aufgeregtes Publikum ließ ihm hier gerechte Anerkennung widerfahren. Wir rufen dem uns vielfach theuern Dichter, in dem ein schönes Talent fruchtbar aufblühet und sich in dem Grade bekräftigen wird, in welchem rastlose Gewinnung mannichfaltigen Stoffes mit unermüdlichen Vorstudien sich im Bunde mit der Fantasie vereinigen, aus voller Brust das alte – edera crescentem ornate poetam! zu.
Böttiger.Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Heinrich der Vierte von Frankreich“ von Eduard Gehe (Teil 2 von 2), der erste Teil erschien in der vorigen Ausgabe.
Entstehung
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Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas
Überlieferung
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Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 144 (18. Juni 1818), Bl. 2r