Aufführungsbesprechung Dresden: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 26. Jan. 1822 (Teil 2 von 4)

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Ueber die Dresdner Schaubühne.

(Fortsetzung.)

Frommer Volksglaube steht den in Finsterniß ausgebrüteten Verirrungen des Aberglaubens, die hinreißende Herzerhebung im Gebet, welches die zarte und tieffühlende Agathe in beiden Akten in himmlischen Tönen aushaucht, den frechen Trinkliedern und Samiels Anrufungen des verhärteten Verführers, die jungfräulich-zarten Erscheinungen der Brautjungfern zu Anfang des dritten Aktes dem kräftigen Volksleben beim Scheiben-Schießen beim Anfang des ersten und dem ergreifenden Jägerlied, im dritten so wahr, so ganz ohne alle künstliche Herbeiführung entgegen; und das sich allen diesen Wechselempfindungen so gewinnend für Ohr und Gefühl in seltenen Zauber der Melodie anschmiegende, immer nur das Wahre, allgemein Menschliche hervorhebende Genie des Tonsetzers weiß dieß alles so zu beseelen, und in Klängen, die alle Saiten unseres Innern anschlagen, bald zu verkörpern, bald zu vergeistigen, daß die Wirkung, welche dadurch bereits auf den ersten Bühnen Deutschlands hervorgebracht worden ist, sich nicht nur vollkommen daraus erklären läßt, sondern auch gerade so und nicht anders erfolgen mußte, wenn das deutsche Publikum durch den herrschenden Modegschmack nicht ganz zu einem Klang- und Resonanzboden umgeschaffen und – übertäubt worden ist. Doch das mögen uns die musikalischen Zeitungen weiter und ausführlicher aus einander setzen. Hier kann nur von der Wirkung die Rede seyn, die eine, vom Meister selbst in der Mitte vieler von ihm mit Liebe umfaßten Künstler dirigirte, von einem der ersten Orchester Deutschlands, welches bei dieser Gelegenheit seine ganze, vielerprobte Virtuosität gleichsam zu einer höheren Potenz gesteigert hatte, ausgeführte, von der Direction in allen, was Scenerei und Decoration betrifft, mit eben so viel Geschmack als Liberalität ausgestattete, von dem einsichtvollen Regisseur Hellwig in allen seinen Theilen mit rastlosem Eifer gestaltete, vom Publikum mit einem bei uns so noch nie gezeigten Enthusiasmus aufgenommene erste Aufführung bei uns zu Tage gebracht hat.

Die herrliche Ouverture, uns schon einmal in einer musikalischen Akademie vom Meister vorgeführt, sollte beginnen und uns ein ganz neues musikalisches Klang-Gemälde im Kleinen vorbilden. Beschwichtigende Zeichen erbitten die Stille. Man hätte in dem gedrückt vollen Hause den Fall einer Nadel vernehmen können. Alle übrigen Sinne schienen allein im Ohre zu wohnen. Jetzt schließen sich diese Vorhallen. Die Brust eines jeden hatte sich bald in Beklommenheit beengt, bald in Lust erweitert gefühlt. Ein minutenlanges Beifallrufen und Klatschen schien nur durch die Nothwendigkeit, der gepreßten Brust Luft zu machen, hervorgerufen. Der aufgezogene Vorhang zeigte uns in wohlgeordneten Gruppen das Volksleben eines Scheibenschießens. Von höchster Wirkung war der muthwillige Spottchor mit dem höhnend wiederkehrenden „He, he!“ von unserm wackern Unzelmann, der den singreichen Kilian machte, mit Ausbrüchen bäuerischen Jovialität vielfach ausgestattet. Hrn. Bergmann’s schmelzender, reiner Tenor erfüllte jede Foderung des Gesanges und drückte den hier gemalten See¦lenkampf theils im Wechselgesang mit dem Erbförster Cuno, von Hrn. Keller kräftig vorgetragen, theils in den spätern Versuchungsscenen, wo Kaspar ihn verführt, auf’s angemessenste aus. Die Rolle hat überhaupt viel Weiches und jeden Eindruck hingegebenes. Um so edler und liebenswürdiger muß sie da, wo der innere gute Kern des Menschen sichtbar wird, in natürlicher Rechtlichkeit sich gestalten. Hier wird noch mancher Pinselstrich zur Vollendung des Gemäldes gethan werden können. Sehr brav und ganz im Charakter der Rolle trug Hr. Mayer den Kaspar vor. Er hat in Gesang und Spiel die schwierigste Aufgabe zur großen Zufriedenheit aller Unbefangenen gelöst und verdiente den Beifall, den er bei der vom Tonsetzer so überrreich ausgestatteten, immer furchtbarer anschwellenden, bei dem letzten Racheruf alles erschütternden Arie am Schluß des ersten Aktes reichlich gespendet erhielt, worauf dann nach herabgelassen[em] Vorhang dem Tonsetzer selbst neuer Jubel ertönte. Während der kurzen Pause, in welcher sich Herr v. Weber auf einige Augenblicke zurückgezogen hatte, sah das Publikum einen Lorbeerbaum mit einem bedeutsamen Blumenkranz behangen und mit Festons von Atlasbändern geschmückt, auf welchen Gedichte gedruckt zu seyn schienen, sich zu dem leeren Platz des Meisters bewegen. Es konnte kein Zweifel seyn, daß diese seine Huldigung von einigen Zuschauern ausgegangen sey. Aber das ganze Parterre sprach gleichsam das Aneignungs-Wort, als der von diesem Anblick überraschte Meister herzutrat, um seinen Platz wieder einzunehmen. Ein stürmendes Bravo und Beifallrufen, das ihm nun bewillkommte, sagte deutlich, daß hier Einige den Sinn und den Wunsch Aller errathen und ausgeführt hätten. Jetzt kam im zweiten Akt das zarte Jungfrauenverhältniß, die Scene im Forsthause zwischen Agathen und Annchen. Agathe wurde von Dlle. Funk, Annchen von Mad. Haase gewiß ganz zur Zufriedenheit des Meisters selbst gesungen, aber auch in dem schon vom Dichter ausgeführten Gegensatz des sittsam schüchternen, durch Ahnung getrübten Sinnes der Braut und der munter scherzenden Unbefangenheit der Freundin sehr angemessen gespielt. Es versteht sich, daß das mit großer Frischheit und Schalkhaftigkeit gesungene Erheiterungsliedchen Annchens und dann wieder Agathens Herzerhebung in frömmster Rührung vorgetragen und emporschwebend auf den Flügeln herzschmelzender Melodien, die bald in den davon schon veranstalteten Clavierauszug auf aller tugendbelobten deutschen Jungfrauen Instrumenten zu finden seyn werden, der lebendigste Beifall von allen Seiten gezollt wurde. Welche Ahnungen drückte das Lebewohl am Ende der Unterredung mit Max aus, mit welchen Tönen ist die nochmalige Rückkehr desselben begleitet! Gewaltig wirkt der Uebergang von diesen Blicken auf’s harmlose Leben im Innern des Frauengemachs zur grausenden Wolfsschlucht und Teufelsbeschwörung. Hrn. Mayer’s wahrhaft gelungene Darstellung gebührt hier die dankbarste Anerkennung. Aber vollendet war auch die Scenerei zu nennen. Man hatte nichts gespart, um der Phantasie des Dichters volle Genüge zu leisten. Die Felszacken, durch welche sich der Wasserfall mit dem blau-grünen Mondschein-Reflexe drängt, der Graus wilder Verödungen, die uns aus geklüfteten Steinblöcken entgegen gähnen, sagten beim ersten Blick: hier ist’s nicht geheuer.

(Die Fortsetzung folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 26. Jan. 1822 (Teil 2 von 4)

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Mo, Ran

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 6, Nr. 28 (1. Februar 1822), S. 112

Textkonstitution

  • „allen“sic!

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