Aufführungsbesprechung Dresden: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 26. Jan. 1822 (Teil 3 von 4)
Ueber die Dresdner Schaubühne.
(Fortsetzung.)
Aber vor allen that die gewaltige Eule mit den feurig-rädernden Augen ihre Pflicht. Denn sie ist ja die Hekate dieses Höllenspuks oder, nach dem gemeinen Ausdruck, die verkörperte Großmutter des Teufels. Ihr Nicken, ihre Flügelbewegung beim Fortgang des Zaubers sagen uns hier deutlich: hier habe ich den Vorsitz. Zur rechten im Vorgrund gähnt ein verdorrter Baumsturz wie mit einen Krokodil-Rachen. Samiel’s Erscheinung mit der rothglühenden Todtenkopfmaske im Purpurmantel nach der ersten Beschwörung, so wie das doppelte Gesicht der zurückwinkenden Mutter und der trostlosen Braut, dem am gähen Abgrund stehenden Max gegenüber, steigerten, mit Präcision eingeführt, den Höllen-Graus. Auch hier noch Contrast zwischen den guten und bösen Mächten. Mit bewundernswürdiger Pünktlichkeit in Leitung der Maschinerie, wobei an 65 Personen ihre nur für Eine Maschinerie wirksame Wachsamkeit bethätigen, tritt nun nach jedem einzelnen Kugelguß die schauderhaft anschwellende Geisterempörung ein. Hier erprobte sich die seit 4 Monaten erfolgte Erweiterung und Erhöhung des Spielraums unserer Scene, und es ward klar, daß sinnig berechnende Anordnung in kleinen Flächen und Räumen fast Unglaubliches leisten könne. Die vom Dichter vorgeschriebenen Erscheinungen huschten, flatterten, schnaubten, rauschten im Wechselaufruhr der Natur mit blitzschneller Aufeinanderfolge vorüber. Vorzüglich gelangen die Nachtvögel und Fledermäuse, die Schlangenprocession, die aufblitzenden Irrlichter, und zuletzt das wüthende Heer, welches in zwei Rotten, schwefelgelb und weiß, wobei Pferdegerippe und Skelette zwischen den bald hier bald dort aus den Gebüschen herausgrinzenden Teufelsmasken mit dem dröhenden, uns mit Schauder durchrieselnden, Schlußgesang: „Berg und Thal“ u. s. w. in den Lüften vorüber flog. Der Wagen mit den 4 Feuerrädern war eben vorübergerollt. Der davon aufqualmende Dampf erhielt sich noch in der Mitte und bildete einen magischen Dunstpfad für das luftige Gesindel. Selbst die Tannen und Fichten wurden lebendig. Man hat auf anderen Bühnen die aus ihren Wurzeln gerissenen Bäume durch wirkliche Bäume vorgestellt, die man aus den Coulissen in die Scene wirft, während die gemalten Bäume unbeweglich stehen! Durch eine sinnreiche Anordnung unsers Regisseurs Hellwig bewegten sich alle Baumstämme, senkten ihre Wipfel, brachen zusammen. Aber wozu dieß Nachäffen der unereichbaren Natur? Ist nicht auch dieß nur Opern-Spektakel? Nein, zu so gemeinem Unwesen, auch Rührei genannt*, erniedrigt sich kein Kind und kein Weber; das mag Robert in seinem unvergleichlichen Paradiesvogel geißeln. So ausgeführt und in jedem Moment richtig eintretend, wird’s nothwendiges Accompagnement der unglaublich kühnen und in ganz neuen Klängen fortrauschenden, pfeifenden, grollenden Musik und Sangweisen. Hier hat der Meister die reichste Fantasie kund gegeben; er hat, was nur dem Genie gelingen kann, in neuen Formen und wunderbar aufgelösten Dissonanzen alles gewagt, und alles gewonnen. Der Beifall am Schluß, als der Vorhang herabrollte, durchbrach alle Schranken. – „Unverkennbar ist’s“ – wir sprechen hier das Urtheil ¦ eines der kompetentesten Richter in Dresden aus – "daß M. v. Weber in der Beschwörungsscene von einer Eingebung gedrängt, wobei er oft den schulmeisternden Verstand in seine Grenzen wies, seine Fantasie ganz gehen ließ und alle Ausdrucksweisen der prosaischen, melodischen und recitativischen Declamation nach dem Bedürfnisse des Moments aufstellte, mischte und sich gegenseitig durchdringen ließ. Denn nur so mochte er’s versuchen, das in dieser Weise nie Dagewesene zu einem Kunstwerk zu verbinden, das nicht in der Formlosigkeit seine Form suche, sondern, trotz aller scheinbar widerstrebenden Elemente, eine Totalwirkung auf den Hörer mache und darum des musikalischen Zusammenhanges nicht entbehre, wenn diese sich auch nur dem Denker offenbart. Man mag Vieles sehr gewagt und von der angenommenen Form abweichend finden; dennoch möchte der Meister wohl auch vor musikalischen Puritanern in Reinheit bestehen. " – Nur behüte der richtige Tact jede Theater-Direktion vor chaotischer Uebertreibung, Donnergebrüll und unsinnigem Lärm hinter den Coulissen u. s. w. Ueber allem muß der Genius der Harmonie herrschen. Wie kann der aber noch vorwalten, wenn er in zerstörendem Wirrwarr untergeht? – Wohl uns, daß hier der Meister selbst schon in den letzten, mit voller Beleuchtung und Maschinerie gehaltenen Proben der nie trügende Leitstern geworden war. – Der Effekt war unbeschreiblich.
Das Gebot der Raumersparniß gestattet uns nicht, eben so ausführlich in dem Berichte vom dritten Akte zu seyn. Mit einem in Worten nicht zu schildernden Anmuth-Reiz wirkte, nach dem von Dlle. Funk recht einfachfromm gesungenen Gebet und den von Mad. Haase eben so drollig als fein vorgetragenen Traum, worin sie der Berliner Künstlerin, wie Kenner versicherten, gewiß nichts nachgab *), die liebliche, auch im wohlgewählten Costüm sehr gefällige Erscheinung der acht Brautjungfern, die, während Dlle. Müller die einstimmigen Verse mit Anstand und Gefühl vortrug, mit Chorgesang, je Paar und Paar, der Braut symbolische Blumengebinde übergaben; dieß ist eines der naivsten Tonstücke, welches auf deutschen Bühnen gehört wurde, ganz würdig des Meisters, der schon seit so langer Zeit für Ermuthigung und Begeisterung in unwiderstehliches Melodien das Volkslied belebte, und es ist nicht zweifelhaft, daß seine Wiederholung überall begehrt werden müßte, wenn nicht die dasselbe begleitende Action dieß erschwerte. Daß die Centifolie des romantischen Gesanges, die nun auch schon in tausend Privatgärten blüht, das allbelebende Jägerlied auf stürmendes Verlangen auch bei uns wiederholt wurde, versteht sich von selbst. Auch die scenische Anordnung und das für jene Zeit wohlberechnete und kleidsame Jäger-Costüm verdienen Achtung. Der Eremit, von Hrn. Kammersänger Mieksch brav gespielt und gesungen, trat mit besänftigender Würde ein und bewirkte die durchaus befriedigende Ausführung im Wechselgesang mit Ottokar (Hr. Wilhelmi), welchem das meisterhaft gesetzte Schlußchor das Siegel der Vollendung aufdrückte.
(Der Beschluß folgt.)
[Originale Fußnoten]
- *) Das Traumlied wurde, wie uns der Dichter sagt, S. 96 später für Dlle. Eunicke in Berlin eingelegt.
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbesprechung Dresden: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 26. Jan. 1822 (Teil 3 von 4)
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Mo, Ran
Überlieferung
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Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 6, Nr. 29 (2. Februar 1822), S. 116