Aufführungsbesprechung München, Hoftheater: „Oberon“ von Carl Maria von Weber am 10. April 1831 (Entwurf)

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Am 10 Aprill im Königl: Hof u Nationaltheater Oberon, wie jedesmahl bei überfülltem Hause*. Ehre dem Schwanenlied des Unsterblichen, die Fittiche des Todesengels rauschen schon durch das sturmbewegte Tonmeer, dieser u wehen ahnungvoll schaurig über die Melodien seiner leuchtenden Wogen. Oberon steht auf einer andern Stufe als […] der Freischütz, die Euryanthe, u die Lieder u Chöre in der Preciosa – auf einer höheren, möchte ich sagen, wenn gleich der Freischütz nie welken kann, u Euryanthe ewig stralen, u Preciosa immer rühren u gewinnen wird. Der Meister vergaß beim Oberon die Erbärmlichkeit des Textes u hielt sich an die Elemente der Dichtung – Liebe, Zauber[,] Ritterthum, Orients Farbenschmelz u die Wunder der Meerespracht, groß u entzückend im Sturm u Drang, wie voll Anmuth im Frieden. Stellen voll Poesie, wie Rezias Szene am Ozean, wie der Chor der Meermädchen, mußten den Grundton zu der ganzen Composition legen, u wer mit Kummer u Unwillen bei dem verschrobenen, verwässerten Opernbuch an das herrliche altfranzösische Gedicht von Hüon von Guyenne, u an Wielands unvergeßlichen Oberon denkt, der tröste sich damit, daß doch immer vieles davon in der schönen Ouvertüre, u manches in der Tondichtung selbst liegt. So reich, als hier, wird wol nirgend sonst dieser schöne Trost dem Hörer zu Theil, bei dieser unübertrefflichen Ausführung unter des verdienstvollen Moralt Leitung!

Als Weber den Oberon schrieb, muß ihn sein ahnender Genius eine Schechner* verheißen haben, nicht nur in der stets anmutvollen Gewalt einer Stimme, welche die Hallen durchschmettert, u über die stürmende Vollkraft des Orchesters siegreich emporsteigt, auch in der ächt orientalischen Pracht u Fülle der Erscheinung, u in der seelenvollen Zartheit, Innigkeit u Kraft des Spieles. In einer, vielleicht noch beispiellosen Vollkommenheit des Einklangs aller Gaben der Natur mit allen Vorzügen der Kunst erscheint diese Sängerin, und macht uns stolz darauf sie zu besitzen. Ihre liebenswürdige Bescheidenheit hält von ihr den Gedanken fern, daß sie den einstimmigen Beifall der Versammlung verdiene, der sie ehrenvoll, so würdig feiert. Wer immer sie beobachtet, wird bemerken, wie bei den Ausbrüchen der allgemeinen Gesinnung ihre Züge sich verklären, wie um so freier u herrlicher die Töne ihren begeisterten Schwung nehmen, wie die Künstlerinn in wenigeng Augenblicken, sich jeder hemmenden Fessel entwindet, u sich ganz zu […] | dem verwandelt, was sie eben vorstellt.

Dieser Anblick, dieser Genuß wurde uns gestern wieder in vollem Maaß zu Theil. Die gefeierte Künstlerin empfing, wie immer gleich, nachdem sie die ersten Töne gehaucht den freiwilligen, reichen Zoll der liebevollsten Bewundrung u Verehrung, u sang so himmlich, so unübertrefflich schön, daß jeder zu bedauern ist, der Kunst verehrt, u Sie an diesem Abend nicht hörte. In der Wunderpracht der morgenländischen Märchenwelt erschien sie in ihrer Anmut, mit ihren stralenden Blicken, […] ihre Stimme selbst das süßeste Wunder der Natur, ihr ganzes Wesen, Gefühl u Einklang. Der Enthusiasmus für die, durch den anhaltenden ohnmächtigen Versuche, sie anzufallen von Edeln u Ehrenwerthen, wie vom ganzen kunstliebenden Publikum nur theurer und glühender verehrte Sängerin, machte sich während der Vorstellung unzähligemahle Luft, am Rührendsten in jenen unwillkührlichen, halblauten Ausdrükken, die jeder Zuschauer Theils um sich her im Saale vernommen haben muß, u die theils den Meisten selbst entschlüpften: „Wie schön ist Sie! – Welch eine Stimme!“

Daß Loehle u Bayer sehr schön gesungen*, Madame Hölken sehr artig spielte u sang*, die Vorstellung sehr lobenswerth zusammengieng, Verwandlungen, Costüme, Züge, u sonstiges Zubehör auf hier gewohnte Weise vortrefflich u würdig erschienen, bedarf keiner Erwähnung. Die Pracht und Würde theatralischer Illusion könnte allerdings auf allen Theatern noch bedeutend gesteigert werden, eh sie denjenigen Grad der Vollendung erreichte, der wünschenswerth u vollkommen bewundrungswürdig wäre, allein das liegt noch im Hergebrachten, u wenn uns gestern der feuchte Zauberduft in welchem Rezias Traumbild erscheint zum Erstaunen über diesen Grad hoher, schöner Täuschung hinriß, so läßt sich auch leichtlich das Lächeln erklären, mit welchem jedes Publikum, hier, wie in London, Paris, Berlin, Wien, […] auf kleinen Theatern die Wolkenwürste an Seilen betrachet, welche den Genius oder den Gott, unter Gefahr des Halsbrechens zur Erscheinung bringen – andrer Dinge nicht zu gedenken, die an […] das Wort im Faust erinnern: „Es irrt der Mensch, so lang er strebt“, u. ein eignes Capitel verdienen.

H. v. Ch.

Apparat

Zusammenfassung

über eine Aufführung von Webers Oberon in München unter Leitung von Joseph Moralt; hohes Lob für die Sängerin Nanette Schechner (Rezia); in weiteren Rollen: Franz Löhle (Hüon), Aloys Bayer (Oberon) und Auguste Hölken (Fatime)

Generalvermerk

Die Aufführungsbesprechung ist weder datiert noch mit Ortsangabe: die Zuordnung zu München ist durch das erwähnte Sängerpersonal eindeutig, die genaue Datierung erfolgte aufgrund des verbürgten Aufenthalts der Chezy in München 1830/31, wo eine Vorstellung der Oper am 10. April 1831 nachweisbar ist.

Entstehung

nach 10. April 1831

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Schreiter, Solveig

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (D-Bbbaw)
    Signatur: NL H. von Chézy 101

    Quellenbeschreibung

    • 1 Bl. (2. b. S.)
    • unter der Signatur noch eine unvollständige Niederschrift derselben Besprechung von der Autorin, aber in sehr unterschiedlichem Schreibduktus in den einzelnen Teilen (1 DBl. mit eingelegtem Bl.), auf Bl. 2r/v des DBl. außerdem weitere Notizen

Textkonstitution

  • „… wie jedesmahl bei überfülltem Hause“Reihenfolge der Satzbestandteile durch Ziffern korrigiert
  • das„die“ durchgestrichen und ersetzt mit „das
  • „dieser“durchgestrichen
  • „schaurig“über der Zeile hinzugefügt
  • seiner„der“ durchgestrichen und ersetzt mit „seiner
  • „[…]“gelöschter Text nicht lesbar
  • „u“durchgestrichen
  • „Ritterthum“über der Zeile hinzugefügt
  • „Wunder der“über der Zeile hinzugefügt
  • SzeneSzeneLied“ durchgestrichen und ersetzt mit „Szene
  • „Szene“überschrieben
  • „Lied“in der Zeile hinzugefügt
  • „von“durchgestrichen
  • „manches“über der Zeile hinzugefügt
  • unter„der“ durchgestrichen und ersetzt mit „unter
  • Genius„Geist“ durchgestrichen und ersetzt mit „Genius
  • Gewalt„Kraft“ durchgestrichen und ersetzt mit „Gewalt
  • über„über“ durchgestrichen und ersetzt mit „über
  • „über“sic!
  • I„i“ überschrieben mit „I
  • die Künstlerinn„sie in“ durchgestrichen und ersetzt mit „die Künstlerinn
  • „in“am Rand hinzugefügt
  • „en“durchgestrichen
  • „g“in der Zeile hinzugefügt
  • sich„auf“ durchgestrichen und ersetzt mit „sich
  • „[…]“gelöschter Text nicht lesbar
  • verwandelt„wird“ durchgestrichen und ersetzt mit „verwandelt
  • empfing„füllte die“ durchgestrichen und ersetzt mit „empfing
  • „gleich, nachdem sie … ersten Töne gehaucht“über der Zeile hinzugefügt
  • „morgenländischen“über der Zeile hinzugefügt
  • in ihrer Anmut,gelöschter Text nicht lesbar
  • „[…]“gelöschter Text nicht lesbar
  • „der Natur“über der Zeile hinzugefügt
  • „den“durchgestrichen
  • „n“durchgestrichen
  • „n“durchgestrichen
  • „e“in der Zeile hinzugefügt
  • vom„dem“ durchgestrichen und ersetzt mit „vom
  • „Theils“über der Zeile hinzugefügt
  • „u“über der Zeile hinzugefügt
  • „theils“durchgestrichen
  • e„ie“ überschrieben mit „e
  • „sehr“durchgestrichen
  • Theatern„Bühnen“ durchgestrichen und ersetzt mit „Theatern
  • „vollkommen“über der Zeile hinzugefügt
  • „feuchte“unsichere Lesung
  • auch leichtlichgelöschter Text nicht lesbar
  • „[…]“gelöschter Text nicht lesbar
  • betrachet„sieht“ durchgestrichen und ersetzt mit „betrachet
  • „[…]“gelöschter Text nicht lesbar

Einzelstellenerläuterung

  • „… wie jedesmahl bei überfülltem Hause“EA in München am 29. März 1829; vgl. die Aufführungsbesprechungen.
  • „… sein ahnender Genius eine Schechner“Nannette Schechner hatte in der Münchner Erstaufführung noch die Fatime gesungen, wechselte dann aber zur ersten Partie (Rezia), die sie zuerst während ihres Berlin-Gastspiels im Juli 1829 verkörperte; vgl. AmZ, Jg. 31, Nr. 34 (26. August 1829), Sp. 560. In München trat sie in dieser Rolle laut Theaterzetteln erstmalig am 6. und 8. Dezember 1829 auf; vgl. auch Münchener Conversations-Blatt (Beilage zum Bayer’schen Beobachter), Jg. 2, Nr. 6 (6. Januar 1830), S. 27. Sie behielt die Partie auch 1830 (laut Theaterzettel etwa am 3. März, 27. Juni und 24. Oktober); vgl. u. a. den Bericht zum 27. Juni in: Bayerische Blätter, Jg. 1830, Nr. 42 (28. Juni), S. 173f. In der Korrespondenz-Nachricht zur Aufführung am 24. Oktober 1830 in der Wiener Modenzeitung findet sich eine ähnliche Formulierung zur Schechner: „Diese Stimme muß Weber errathen haben, als er den Part der Rezia schrieb, denn damals kannte er keine solche.“; vgl. Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, Jg. 15, Nr. 146 (7. Dezember 1830), S. 1182 (mit falscher Datierung der Vorstellung: 22. Oktober).
  • „… u Bayer sehr schön gesungen“Sie gaben laut Theaterzettel Hüon (Löhle) bzw. Oberon (Bayer). Als Scherasmin wirkte Ferdinand Schimon mit.
  • „… sehr artig spielte u sang“Sie gab die Fatime.

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