Erwiderung von Kind, Weber und Böttiger auf Hr. K.’s Kritik an Kinds „Das Nachtlager zu Granada“

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Korrespondenz und Notizen.

Aus Dresden, den 18. März.

I.

Ein sogenannter Hr. K. allhier fährt fort, Dichter, Tonkünstler, Schauspieler und Theatermaler zu hofmeistern, und somit auch der Direktion und dem Publikum, die auf jene etwas halten, seine Brille anzubieten. Da sein Tadel immer das Vorzüglichste trifft, so könnte ich mir auf die Mühe, die er sich mit meinen Stücken, z. B. mit Vandyk und dem Weinberge, mit sichtlicher Anstrengung, doch ohne allen Erfolg, gegeben hat, fast etwas einbilden. Ich bin aber so undankbar, das, was Hr. K. und einige seines Gleichen von mir meinen, nicht zu achten, und habe weder Zeit, noch Lust, Jemand seine Sporen an mir verdienen zu lassen. Ich begnüge mich daher an der kurzen Erwiederung: daß auch dasjenige, was er über das Nachtlager zu Granada zu sagen beliebt hat, eines Theils Unfähigkeit der Urtheilskraft und Unwissenheit – siehe z. B. die Erwähnung Kaiser Maximilians in Spanien und im Jahr 1548! – andern Theils bösen Willen beurkundet. Das Stück ist zwei Mal hier*, und fünf Mal schnell hintereinander in Wien gegeben worden*; mehrere Vorstellungen, hier, in Wien und an andern Orten werden trotz der Meinung des Hrn. K., daß mir nichts Dramatisches glücke, wahrscheinlich in Kurzem folgen; auch erscheint das Stück zu seiner Zeit im Drucke*. Urtheile dann Jeder mit eigenen Augen! – Die Unanständigkeit, die sich Hr. K. gegen die sittige Grazie gestattet hat, muß jeden Freund des Edlen und Schönen empören, und erinnert an gewisse Insekten, die selbst die weiße Rose – nicht verschonen! Genug!

Kind.

II.

In No. 46 der Zeitung f. d. eleg. Welt hat ein Herr K. in einem Bericht aus Dresden mit fast heimtückischer Lust das Kunststück versucht, mit anscheinender Ruhe und Unbefangenheit Dichtung und Aufführung des Nachtlagers in Granada, von Kind, herabwürdigend zu entstellen, und dabei mit nicht ungewandter Feder recht zweckmäßig zu verschweigen – zu umgehen – oder herauszuheben gewußt, was an und für sich gut, aber so zusammengestellt als das Entgegen|gesetzte erscheinen muß. Meines Amtes ist es hier nur, als Beleg zu dem oben gesagten, des „feinen Liedchens, worin die kunstgewandte Hirtin es selbst an dem schweren Triller nicht ermangeln läßt,“ zu erwähnen. Ich bedaure zu Gunsten des Hrn. K. recht sehr, daß die spanischen Hirten, oder Spanier überhaupt, anders singen, als Er sich in den Kopf gesetzt hat. Diese Melodie ist ein echt spanischer Nationalgesang. So wie auch die Ballade selbst. (Siehe Ursinus*.) Die Kehlen der Italiener und Spanier geben vermöge ihrer angebornen Geschmeidigkeit, ihren Gesangswendungen andre Formen, als die unsrigen; und was der Deutsche oft erst durch Kunst seinem Organ abgewinnen muß, ist dort natürliche Gabe. Daher in spanischen und italienischen Liedern oft ganze passagenartige Figuren auf einzelnen Sylben gesungen werden; ja fast jedes Seguidillas mit einem Triller anfängt und endigt.

Welchen Ursprunges sind also Hrn. K’s Rügen? Der Unwissenheit oder des vorsetzlich bösen Willens? Leider wird man genöthigt, das letztere zu glauben.

Dresden, den 19. März.

Carl Maria von Weber.

III.

Es war gewiß eine ganz eigene Art von Wahnsinn, die, wie Horaz in seinem Briefe erzählt; jenem alten Argiver den Kopf verrückt hatte. Der sonst harmlose und gutmüthige Mensch war von einer gar seltsamen Theaterliebhaberei befallen. Er konnte zur Zeit, wo keine lebende Seele im Theater war, ganz allein da sitzen, und nicht satt werden, die Schauspieler, die doch nur in seinem Hirn spukten, mit Beifall zu bedecken. Das klatschte von früh bis Abends und rief Bravo – als hört’ er ein treffliches Spiel der Tragöden. Tollheit wars, das wird niemand läugnen, aber die gutartigste von der Welt. Unsere Theatermänner sind nur zu oft gerade das Gegentheil von jenem argivischem Dilettanten. Die sitzen im vollen Hause, und hören ein geistreiches Stück aufführen und sehen gelungene Kunstleistungen unserer Mimen, regen aber keinen Finger zum Beifall, während alles klatscht und entzückt ist, und murmeln allein zwischen den Zähnen: schlecht, albern, unverständig! Damit nicht zufrieden, bringen sie, was Witz- oder Scheelsucht ihnen vorspiegelt, auch zu Papier und, was sie ihrem Nachbar ins Ohr zu sagen kaum wagen würden, vors auswärtige Publikum. Krankheit ist auch dies. Doch ist der erste Irrwahn unendlich liebenswürdiger, als der zweite.

Mir ist dergleichen Betrachtung ganz zufällig und, versteht sich, ohne alle Beziehung weiter, beim Lesen einer Kritik über das Nachtlager von Granada, von Fr. Kind, und von der Aufführung desselben auf der Dresdener Bühne, beigefallen. Ein wahrer Sonderling ist dieser Kritikus auf jeden Fall. Wir haben hier dies Stück zwei Mal mit vielem Genuß gesehen. Die stummen Fische und Gründlinge ausgenommen, die jedermann aus Hamlet’s Anrede an die Schauspieler kennt, und die Neidharte abgerechnet, welchen jedes Gelingen Ohrenzwang und Augenweh verursacht, kamen alle warme Theaterfreunde bei uns darin überein, das Stück sey lieblich erfunden, kräftig ausgedrückt und werde von unsern Bühnenkünstlern brav aufgeführt. So glaubte ich denn im Sinn der Verständigen geurtheilt zu haben, wenn ich in einer Anzeige davon in unserer Abendzeitung sagte, es sey dem Dichter, der dadurch aufs neue sein dramatisches Talent beurkunde, vollkommen gelungen, die Anmuth einer Schäfer- und Jagdidylle mit den Schauern einer Mordnacht zu verweben. Im Wiener Burgtheater, wo man das Stück am Vorabend des Geburtstags Sr. Maj. des Kaisers und dann schnell hintereinander noch fünf Mal aufgeführt hat, hält man es sogar für ein ausgezeichnet gutes Stück, und doch sind die dortigen Gäste feine Schmecker, die schon manches Schüsselchen zurückschoben, was auswärts mit allen Belobungen der dramatischen Kochkunst gekocht und gegessen worden ¦ war. Hört man nun aber unsern Theater-Rhadamanthus in der Zeitung f. d. eleg. Welt, so ist das Ganze nichts als ein Gewebe von sehr gewöhnlichen oder auch ungewöhnlichen Abenteuern ohne Einheit und Tiefe. Ja es steigt unserm Mann gar am Ende der Zweifel zu Kopf, ob dem Dichter bei so absolutem Mangel erforderlicher Eigenschaften überhaupt irgend ein dramatischer Beruf geworden sey. Sind es Erscheinungen oder Offenbarungen, kurz, der Mann sitzt bei solchen Aeußerungen in seiner Opposition ganz allein da. Das Stück wird ja wohl, bald durch den Druck mitgetheilt, das ganze unbefangene Publikum zu Mitrichtern konstituiren. Dann mögen andere kritische Gerichtshöfe entscheiden! – Die geachtete Künstlerin, welche auf unserer Bühne als Gabriele den Forderungen des nicht leicht zu befriedigenden Dichters so sehr entsprach, daß er ihr selbst mit dankbarer Hand einen Kranz in unsere Abendzeitung flocht, erregte dies Mal Beifallsäußerungen auch bei solchen Zuschauern, die sonst ohne Gratias blos stillschweigend die feine Gottesgabe hinnehmen und genießen, das allgemeine Verslein in Prior’s Merry Andrews folgsam ausübend:

Iß deinen Pudding, Freund, und halt das Maul!

Ich glaubte daher wieder nur der treue Referent der öffentlichen Ueberzeugung zu seyn, wenn ich über ihre im Spiel und Vortrag wahrhaft gelungene Leistung sagte, sie habe nichts zu wünschen übrig gelassen. Was thut nun unser Einsiedler mitten im vollen Hause? Zwar vermag er ihr das, was seit sie die Zierde unserer Bühne ist, stets an ihr anerkannt wurde, Naivität nicht abzustreiten, doch möchte er durch den Beisatz: bestechend, auch hier gern noch unechte Theatermünze durchschimmern lassen. Solche Süßigkeiten erinnern an das sardinische Honig, welches die Biene aus bittern Blumenkelchen saugte. Die ihr Spiel stets auch noch in der Gattung individualisirende Künstlerin gab dem ländlichen Naturkind, das sie hier vorzustellen hatte, gerade so viel Zuthat ungeründeter Arm- und Handbewegung, als dem eigenthümlichen Ausdruck ländlicher Unschuld wohl anstehn mochte. Ich bemerkte dies ausdrücklich in einer nachträglichen Anzeige der zweiten Vorstellung, mit dem Zusatze, es sey dies charakteristische Geberdenspiel gar sehr verschieden von der bäurischen Unbeholfenheit, da ja auf der Bühne nie die rohe Natur zum vorschein kommen könne. Weniger eckige Bewegungen! ruft dessen ungeachtet unser Kritiker, und erlaubt sich nun noch einen wohl unzarten Zusatz. Auch erfahren wir hier noch zum gedeihlichen Ueberfluß, daß die Künstlerin die Verse noch härter als gewöhnlich aussprach! Davon hat freilich bei ihr, über deren eben so weiche als richtige Aussprache selbst in Berlin kein Zweifel obwaltete, weder der Dichter, noch sonst ein aufmerksamer Zuhörer etwas vernommen. Allein es bleibe dabei, unser Mann hat eine recht geniale Eigenthümlichkeit im Sehen und Hören, hat seinen eigenen Gesichts- und Hörwinkel, er will allein stehen, sehen, hören.

Ich würde über diese Idiosynkrasie, die wir schon lange in seinen liebreichen Kritiken über unsere besten theatralischen Leistungen zu bewundern Gelegenheit gegabt haben, auch dies Mal kein Wort verloren haben, wenn wir es hier blos mit unserm einheimischen Publikum zu thun gehabt hätten. Allein da dies in einem mit Recht geachteten sächsischen Blatte immer wieder kommt, und daher das auswärtige Publikum nur nach Relationen von Augen- und Ohrenzeugen sein Urtheil bestimmen kann; so mußte ich wohl ein für alle Mal mein Urtheil als die Gesammtstimme der Unbefangenen, in demselben Blatte rechtfertigen. Mag der Mann mit herabgezogenem Visire seine Luststreiche fortsetzen und sich nun noch weiter gebehrden wie er will, ich antworte ihm gewiß nicht, verbitte mir aber im Theater durchaus seine Nachbarschaft, weil ich mich da, dankbar, gern fröhlichen Eindrücken hingebe und die versteinernden Gorgonenhäupter aus Pappedeckeln und Timons-Masken so weit als möglich vom Leibe zu halten suche.

Dresden, den 20. März.

Böttiger.

Apparat

Zusammenfassung

Reaktion von Kind, Weber, und Böttiger auf Hr. K.’s Kritik an Kinds „Das Nachtlager zu Granada“ in der Zeitung für die elegante Welt, Jg. 18, Nr. 46 (5. März 1818), Sp. 367f.

Entstehung

19. März 1818 (laut TB); 20. März 1818 (laut A)

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 18, Nr. 61 (28. März 1818), Sp. 486–488

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Entwurf: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
      Signatur: Weberiana Cl. II A f 3. 24ι

      Quellenbeschreibung

      • = Entwurf zum zweiten Teil von Weber; stimmt mit dem Druck im Wesentlichen überein
      • über dem Ms. Titel: „Berichtigung.“; Incipit: „In No: 46, der Zeit. f. d. el. Welt, hat ein H: K in einem Bericht aus Dresden mit fast heimtükischer Lust“; datiert: „d: 20t. März 1818.“; unterzeichnet: „C. M. vWeber.“
      • von Jähns pag. mit 2; auf einzelnem Bl. v (Format 34,5x21,3 cm, kein WZ erkennbar); bei Kaiser datiert mit 19. März 1818; wird durch TB bestätigt, unter 19. März: Aufsaz gegen K: in der eleg: Z: geschrieben.; in HellS und MMW nicht enthalten
    • Kaiser (Schriften), S. 381f. (Nr. 128)

Textkonstitution

  • „das sardinische Honig“sic!

Einzelstellenerläuterung

  • „… Stück ist zwei Mal hier“Aufführungen in Dresden am 22. Januar und 8. Februar 1818, vgl. Aufführungsberichte in der Abend-Zeitung.
  • „… hintereinander in Wien gegeben worden“Erstaufführung im Wiener Burgtheater am 12. Februar 1818; vgl. Wiener allgemeine Theaterzeitung, Nr. 21 (17. Februar 1818), S. 84. Weitere Aufführungen lt. Theaterzeitung am 13., 14. und 16. Februar 1818.
  • „… zu seiner Zeit im Drucke“Erschienen in W. G. Beckers Taschenbuch zum gesellschaftlichen Vergnügen 1819 sowie in Friedrich Kind’s Theaterschriften, Bd. 2, 1823.
  • „… die Ballade selbst. (Siehe Ursinus“Ursinus: August Friedrich U., verdienter Herausgeber einer Sammlung altenglischer und altschottischer Balladen (Berlin, 1777)?

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