Carl Maria von Weber an Amalie Sebald in Berlin
Weimar, Donnerstag, 29. Oktober 1812

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An

Mademoiselle

Amalie Seebald.

Wohlgebohren

zu

Berlin

Lezte Straße No: 1.

Endlich wieder ein Beweis Ihres Andenkens an den Entfernten. Sind Sie böse wenn ich gestehe daß Ihr langes Stillschweigen mich etwas ungewiß machte? Sie haben das Recht es zu seyn, und doch auch nicht; Sie kennen mich, und wißen daß leider vielleicht nie ein vollendet fester Glaube in mir leben wird. —

Ich kann es mir denken daß Ihr Aufenthalt in Töpl: nicht der angenehmste war*. Die schöne Natur ist uns freylich viel, aber doch auf die Dauer nichts, ohne das Einzige wodurch wir sie wahrhaft genießen und lieben lernen, — durch ohne den den Menschen. deßhalb werden Sie auch in Sandwüsten der Heymath sich troz mancher trüben Aussicht, mancher beengenden Umgebung wieder wohler fühlen. wie froh wäre ich könnte ich mich noch zu Ihren Umgebungen zählen. Kaum so oft als Sie sich vielleicht, mich am Klaviere denken, Sizze ich vor demselben in meinem stillen Kämerlein und überlaße mich dem Brüten über Ideen die sich meist selbst wieder vernichten.      ich bin im Ganzen in einer sonderbaren Stimmung, und meine Arbeiten gehen lange nicht so schnell von Statten als ich es wohl wünsche. wenn ich so des Abends mehrere Stunden im Dunkeln sizze und spiele, oder auch wohl nur vor dem Klaviere sizze, die Klaviatur ansehe, und zu verstimmt oder zu faul Töne zu spielen, mir sie blos denke, — da verliere ich mich oft in mir selbst, und die Zeit verstreicht ohne daß ich irgend etwas festgehalten hätte.       Vielleicht ist dieß auch gut, ich laße mich gehn, und hoffe dann doch aus diesem Meere zuweilen ein Tröpf[ch]en schöpfen zu können.

Lichtenstein hat mir einen liebevollen Brief geschrieben der mir recht wohl that. in der Ferne nähern wir uns erst einander. es ist sonderbar, liegt aber in uns selbst, Unsere beyderseitigen Erfahrungen waren die Ursache daß jeder etwas kälter und vorsichtiger zu Werke gieng als ihn wohl sein Inneres trieb.

Es freut mich daß Sie Beethoven noch gesehen haben. ich sprach Gestern lange und viel über ihn mit Göthe*, den ich einmal nicht im Exellenz Gewande zu faßen bekam.      ich bin ganz Ihrer Meinung daß man ihn in Berlin Un häufig Unrecht beurtheilen wird. doch, hüten Sie sich, nicht daßelbe zu thun. Es giebt nichts was das Urtheil der Weiber mehr besticht, als wenn Sie ihr Mitleiden erregt fühlen, zumale bey einem übrigens so genialen Menschen. Es wird Beeth: in Berlin gehen wie überall. Eine Parthei wird i[h]n gerade zu ohne Umstände zum Gotte machen, und die andere wird so frey sein ihn einen Narren zu heißen. da werden denn beyde sehr Recht und Unrecht haben.      ich glaube daß Lichtenstein Ihnen als gutes Fernrohr um diesen Planeten zu besehen dienen kann.

Sprechen Sie je mit Beeth: von mir, so versichern Sie ihn meiner wahrsten innigen Verehrung. —      Von Berner habe ich lange nichts gehört obwohl ich ihm geschrieben habe. ich bin begierig von Ihnen zu erfahren ob er geantwortet hat. Seit 3 Tagen bin ich nach dem Wunsche der Großfürstin hier, und spiele und singe mir die halbe Seele aus dem Leibe. denn wenn Sie fertig ist mit Begehren, so fällt erst noch der ganze Hofdamen Troß über mich her.      in Gottes Nahmen, dazu bin ich einmal auf der Welt.      in 3 Tagen gehe ich wieder nach Gotha wo ich bis Ende November bleibe, dann geht es nach Prag.

Schreiben Sie mir ja bald wieder. empfehlen Sie mich Ihrer guten Mutter aufs beste, und so allen die mich leiden können, oder auch denen die mich nicht leiden können, welches mir sehr Leid thut, weil ich niemand ein Leid thue. doch muß ich das alles leiden. addio senza addio. Ewig Ihr treuster W:

Apparat

Zusammenfassung

kommentiert ihren Aufenthalt in Teplitz; über seine Verfassung beim Arbeiten; erwähnt einen Brief von Lichtenstein; freut sich über ihren Besuch bei Beethoven; er habe mit Goethe über Beethoven gesprochen; glaubt, dass Beethoven in Berlin zwei Parteien antreffen werde; bittet sie, Beethoven seine Veehrung auszurichten; von Berner habe er lange nichts gehört; er sei auf Wunsch der Großfürstin in Weimar und sehr gefordert; in 3 Tagen ginge er nach Gotha zurück, Ende November nach Prag

Incipit

Endlich wieder ein Beweis Ihres Andenkens an den Entfernten

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Boston (US), Boston Public Library, Department of Rare Books and Manuscripts (US-Bpr)
    Signatur: Ch. G. 3. 11

    Quellenbeschreibung

    • 1 Bl. (2 b. S. einschl. Adr.)

Textkonstitution

  • S„s“ überschrieben mit „S
  • „durch“durchgestrichen
  • „ohne denüber der Zeile hinzugefügt
  • „den“durchgestrichen
  • „Un“durchgestrichen

Einzelstellenerläuterung

  • „… Töpl: nicht der angenehmste war“Amalie Sebald befand sich ab dem 9. August 1812 gemeinsam mit ihrer Mutter und deren Schwester Mad. Sommer in dem böhmischen Kurbad, wo sie Kontakt zu Beethoven hatte; vgl. Alexander Wheelock Thayer, Ludwig van Beethoven’s Leben, Bd. 3, Berlin 1879, S. 204, 212–215.
  • „… viel über ihn mit Göthe“Das Treffen fand nicht, wie hier zu lesen, am 28. Oktober statt, sondern einen Tag früher. Goethe notierte in seinem Tagebuch am 27. Oktober 1812 eine Begegnung mit „Hℓ Capellmeister v Weber“ (ohne nähere Angaben); vgl. Johann Wolfgang Goethe, Tagebücher, Bd. 4,1 (1809–1812), hg. von Edith Zehm, Sebastian Mangold und Ariane Ludwig, Stuttgart und Weimar 2008, S. 405. Weber hielt die Begegnung in seinem Tagebuch nicht fest.

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