Carl Maria von Weber an Hinrich Lichtenstein in Berlin
Gotha, Samstag/Sonntag, 5./6. Dezember 1812
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Ich war Gestern eben im Begriff an dich zu schreiben, und dir beyliegendes Billetchen zu übersenden, als der Postbote, ein willkomner Bothe, deinen lieben Brief brachte. ich verschob also mein Schreiben bis heute, um Fr: Silvien erst deinen Gruß zu überbringen, und zu sehen ob Sie vielleicht noch etwas an dich schreiben wollte. ich konnte aber leider nicht zu ihr komen da ich den ganzen Tag beym Prinzen zubringen muste. Ja! lieber Bruder der Zufall hat unsere Bekanntschaft gemacht. Sie kam zum Geburtstag des Herzogs hieher, und gerade zu ihm als ich auch da war. Nun weißt du liebe ich das fade HofWeiberGeschwäz eben gar nicht sonderlich, und bin noch viel weniger dazu aufgelegt es gar selbst zu führen, wo mir also dergleichen in den Wurf kommen bin ich eben nicht in der brillantesten Laune, und ich mochte wohl da auch mein Griesgram Gesicht hervorgesucht haben. Wir wurden einander Präsentirt pp und ich gab‡ nahm weiter keine Notiz von ihr. und empfahl mich bald. Abends komm ich zum Prinzen sehe ich die Dame bey ihm auf dem Sopha sizzen, und denke in meinem Grimme, hat die der Teufel auch wieder da*. sezze mich hin und bin so recht entsezlich höflich wie es die Nohtdurft mit sich bringt. endlich rükt mir das Fräulein näher und sagt ganz schüchtern, = Sie freue sich recht meine persönliche Bekanntschaft zu machen. = Gehorsamer Diener. = Sie habe schon so viel gutes von mir gehört = sehr schmeichelhaft — der Profeßor Lichtenstein habe ihr geschrieben — Wie? da gieng an meinem Horizont die Sonne der Freundlichkeit auf, und ich rükte um einen Schritt näher, denn ein weibliches Wesen an das ein Lichtenstein schreibt kann kein gewöhnliches Beest sein. — = und nun giengs los, da hatten wir so viel zus‡ erzählen — zu fragen — pp daß die Stunden wie Minuten verflogen. ich bat um die Erlaubniß sie besuchen zu dürfen. und bin seitdem einmal da gewesen* wo ich die Einlage zur Spedition erhielt. Ich muß dir sagen daß du eine innige Verehrerin an Ihr besiz‡est und s‡ie mit großer Theilnahme und Achtung deiner gedenkt.
Es that mir recht wohl jemand zu finden mit dem ich von dir plaudern konnte. Es nähert nichts mehr und schneller, als wenn man von einem von beyden Theilen geliebten Wesen sprechen kann. ich muß nur bedauern, daß ich Sie wenig zu sehen bekomme, da meine Zeit zwischen meinen Arbeiten dem Herzog und dem Prinzen so getheilt ist daß für ein 3tes höchstens alle 8 Tage eine Stunde zu fischen ist. ich will sehen ob ich heute Nachmittag hin kommen kann um‡ dir vielleicht noch etwas neues zu schreiben. adio. Guten Appetit es ist 1 Uhr. — |
d: 6t Es war nichts, ich habe Sie nicht mehr zu sehen bekommen*, und muß dir schon das Zettelchen schikken wie es ist. Kann überhaupt mich sputen, denn die Post geht. Gestern Abend kam ich erst um 12 Uhr vom Prinzen* und war da zu faul mich noch an den Schreibtisch zu sezzen. ich habe heute einen schweren Tag. Morgen schikke ich die Partituren von Silvana, Abu Hassan und der Hymne nach Leipzig und dazu müßen heute noch geschrieben werden 3 Aufsäzze und 10 Briefe. zum Glükk ist heute ein bischen HofRuhetag für mich. seit des Prinzen Friedrich Ankunft* hat sich meine Lebensweise sehr verändert. ich bin nur des Morgens höchstens bis 11 oder wenns Glük gut ist bis 12 Uhr Herr meiner Zeit. dann gehts zum Prinzen oder Herzog bis 2 Uhr. dann wird gegeßen dann Musik gemacht, geplaudert pp bis tief in die Nacht hinein. in einem Nachmittage 3 bis 4 italienische Opern durchzusingen ist uns Bagatell. des Wäßrigen giebts da ganze Meere, doch mitunter auch vortreffliche Sachen. auch ist mir der Umgang mit dem SingMeister de Cesaris den der Prinz mit sich aus Italien genommen hat in vieler Hinsicht sehr lehrreich. er kennt das Italienische Publikum, Opern Wesen, Theater aufs genauste und ich habe mir 1000derley Bemerkungen für meinen Hausgebrauch hinter das Ohr geschrieben. Auch eine gute Motion für das italienische Sprechen ist dabey, indem fast kein andres Wort g‡ über die Lippen kömt.
Was unterstehst du dich denn mir meine Briefe zu zerreißen? Wenn er einmal geschrieben war, war er nicht mehr dein sondern mein Eigenthum. hättest mich in Gottesnahmen etwas runterkanzeln können. von Freundes Hand nimmt man’s gerne an. daß es was geholfen haben würde, will ich grad nicht sagen, aber mich doch wieder ein bischen auf mich selbst aufmerksamer hätte es mich geho‡ gemacht. doch ist das nun so auch bewirkt. ich habe mit großer Beruhigung und Wohlgefallen aus dem Ganzen deines Briefes gesehen daß du froh, thätig und zufrieden bist. Heil dir! und Beständigkeit der Mamsell Fortuna. Gerns* die dir nun schon meine besten Grüße überbracht haben werden, grüßen‡ nun wieder von mir vielmals.
Das Oratorium von H: v: Sekendorf* schikke mir: gefällt es mir woran ich nicht zweifle bey des Verfaßers bekanntem Talent und deinem Beyfall, so componire ich es mit Muße. ich habe mir schon längst ein gutes Oratorium gewünscht. um es mir hieher zu schikken möchte es wohl zu spät seyn. da ich mit Gottes Hülfe d: 20t abzumarschiren gedenke. aber nach Leipzig an Kühnel kannst du es schikken da bekomme ich es auf jeden Fall; weil ich über Leipzig nach Prag gehen werde.
Lebe wohl lieber Bruder, schreibe mir bald wieder, und grüße alle Bekannten aufs herzlichste
von mir.
Ewig dein treuster
Weber.
Gotha d:
6t December. 1812.
Apparat
Zusammenfassung
Privates; erwähnt, dass er die Partituren von Silvana, Abu Hassan und Hymne nach Leipzig schicken werde; habe in Gotha eine große Anzahl italienische Opern kennengelernt; bittet um Zusendung eines Oratorium-Textes von Seckendorf
Incipit
„Ich war Gestern eben im Begriff an dich zu schreiben“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
Textkonstitution
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„gab“durchgestrichen
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„s“durchgestrichen
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„z“„s“ überschrieben mit „z“
-
„s“„S“ überschrieben mit „s“
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„um“„und“ überschrieben mit „um“
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„g“durchgestrichen
-
„geho“durchgestrichen
-
„grüßen“sic!
Einzelstellenerläuterung
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„… nicht mehr zu sehen bekommen“Vgl. den Tagebucheintrag vom 5. Dezember zur „vergebliche[n] Visite“.
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„… Oratorium von H: v: Sekendorf“Gustav Anton von Seckendorffs Oratorientext Christi Geburt wurde von Georg Abraham Schneider vertont. Zur Uraufführung dieser Komposition am 19. März 1813 vgl. AmZ, Jg. 15, Nr. 19 (12. Mai 1813), Sp. 319.