Carl Maria von Weber an Friedrich Rochlitz in Leipzig
Prag, Sonntag, 4. und Samstag, 17. Februar 1816
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Mein lieber theurer Freund!
Es drängt mich so recht eigentlich dazu ein Stündchen mit Ihnen zu plaudern und mir dadurch die mancherley trokenen Geschäfte die meiner diesen Abend noch warten zu versüßen. So wie man mit einer guten lieben Ouverture anfängt um sich in Gang zu sezzen. Als ich Ihnen das leztemal schrieb d: 26t 9ber hatte wirklich auch der Himmel mir dazu gerathen, auf lange Zeit die lezte Schäfer Stunde /: nehmlich die die mein gehöre :/ dazu zu benuzzen. um 12 Stunden später hätte ich mir bis jezt diese Freude versagen müßen. denselben Tag nehmlich entschied es sich noch unvorhergesehen und schnell, daß ich mein jährliches Concert schon den 22t Xb geben solleT. dazu nun meine Cantate zu vollenden war eben so schnell mein Entschluß, zu deßen Ausführung wahrlich kein Augenblik Zeit mehr zu verliehren war. ich nahm mir also vor alles, außer den wichtigsten DienstAngelegenheiten liegen und stehen zu laßen. war heimlich froh, durch eine solche Veranlaßung mir selbst einen gewaltsamen Sporn in die Seite sezzen zu müßen, und arbeitete nun, buchstäblich, Tag und Nacht, alle Nächte meist bis 2-3 Uhr. Gott sey Dank, das was mir selbst beynah unmöglich schien, gelang, und den 18t Xb war alles fix und fertig. welches ich mir für etwas anrechne, zumal in diese Zeit, außer mehreren Aufsäzzen, nothwendig zu componirenden Kleinigkeiten fürs Theater*, noch 3 von mir zu dirigirende Concerte* und eine neue Oper, fielen. Reichlich belohnte sich diese Anstrengung durch die herrliche Aufführung d: 22t Orchester und Sänger waren wirklich begeistert, und ließen mir kaum etwas zu wünschen übrig. die Aufnahme war so, wie ich sie von einem Publikum das des Enthusiasmus beynah unfähig ist, deßen Landsleute den Sieg nicht ausgefochten haben, und die auch im entgegengesezten Falle, doch den Feind noch nicht an ihrem Mittagstisch gesehen hätten — erwarten konnte. Manches pakte sie gewaltig und riß sie mit fort. So viel ich beurtheilen konnte, habe ich mich in keinem Effekt verrechnet. Wird mein Abschreiber fertig so schikke ich Ihnen mein[en] Aufsaz über meine Arbeit den ich vor ein paar Tagen niederschrieb nebst dem Texte* zu. Und, so Gott will hören Sie das Werk selbst im künftigen Herbste*. die ZwangsHöflichkeiten des neuen Jahres raubten mir nun meine Zeit. d: 1t Januar 1816 kam Fränzl von München hier an, wohnte bey mir gab d: 12t ConcertT und reiste d: 15t wieder ab. da ich ihm alles besorgte, auch alle lästigen Visiten mit ihm schnitt, so blieb da kein Augenblik für mich übrig. Wie er weg war, sank ich wie ein überheztes Pferd zusammen, in eine so totale Abspannung, daß ich beynah fürchtete diese lezten Wochen mit einer Krankheit bezahlen zu müßen. dieser unüberwindliche Ekel vor aller Arbeit, wie einmal eine Berlinerin ihre Krankheit nannte, hielt bis vor wenig Tagen an. gegenwärtig hält mich ein kleines Fieber, von Hals und Kopfweh erzeugt zu Hause. und in der Einsamkeit fange ich an mich wieder zu samlen.
Nach diesem treuen Referat nun vor allem zu Ihrem lieben Briefe vom 2t Dec: 1815. Ja! Sie verstehen mich wahrhaft, und unendlich wohlthuend ist es mir das so ausgesprochen vor mir zu sehen. Erheiterung und Stärkung sauge ich daraus. die Bestätigung die Ihre Erfahrung und Einsicht, meinen Ansichten und Gefühlen giebt, ist um so beruhigender für mich, da es mir nur zu häufig geschieht, daß, selbst übrigens kluge Menschen, das was mich unwiderstehlich ins thätige schaffende Leben der Kunst treibt, — es oft nur mit dem mir höchst wiederlichen und falschen Prädikat eines unruhigen Geistes der nirgends Ruhe hat, bezeichnen wollen. Aber ich laße mich nicht irre machen, und gehe mein[en] Weg in ruhiger Ueberzeugung fort. Mein Abgang von hier, wird auch häufig unrichtig beurtheilt werden. item. — |
Was Sie von meiner Cantate sagen ist sehr wahr. Sie ist zwar nicht so beziehend im Text daß sie ganz GelegenheitsStük wäre, aber doch halte ich es für kaum möglich ihr eine noch allgemeinere Tendenz zu geben. ehe ich sie vollendete machte mich dieser Gedanke freylich manchmal kraus, aber jezt ist es mir gleich. Eine Arbeit ist nie verlohren, und darin immer Gewinn für mich.
bey der Gelegenheit fällt mir ein daß es doch sehr ärgerlich ist da߇ Schleßinger unsere Hymne noch nicht herausgegeben hat, die ich gar zu gerne weiter verbreitet gesehen hätte.
Manchmal kann ich recht böse über Sie‡ werden, wenn Sie mich falsch verstehen, Ey wie zum Kukuk‡ kann es mir einfallen, mit ein paar Melodien in Ihre Erzählungen denselben helfen zu wollen*. das werden sie schon allein thun; ich wäre nur gerne mitgegangen, und da ich mich freue auf Ihre herzigen Lieder, und sie gerne bald haben möchte, da sieht mein Freund beynah nur den Dünkel eines frisch aufgehenden Compositeurleins, der glaubt der Kohl wäre schon fett, wenn nur seine hochgeehrte Firma mit dabey ist. Ey ey. die Künstler haben Ihnen schon übel mitgespielt, und es kann wohl noch eine Reihe von Jahren dauern, ehe Sie es wahrhaft glauben, daß es einmal einen giebt, der nicht alle diese Gebrechen hat. Nichts vor ungut, — aber ich erboße mich jedesmal ein bischen wenn ich die Stelle lese.
Nun gute Nacht. ich habe Ihnen eigentlich nicht eher schreiben wollen als bis ich zugleich wieder einen Aufsaz über Prag als versprochene Fortsezzung des ersten* mitschikken könnte. aber noch kam ich dazu nicht, und muste doch eins mit Ihnen reden. Mit stiller Rührung erfüllt mich immer jede Notiz Ihres häuslichen Lebens.
Glük und Segen, und meine herzlichen Grüße allen diesen Lieben. Gute Nacht. d: 4t Februar 1816.
d: 17t
In Ruhe ist dieser Brief angefangen, in Eile muß ich ihn vollenden wenn ich nicht will daß er noch Wochenlange im Pulte liegen soll.
Ich habe mich seit einiger Zeit recht ergözt, erheitert und gefreut an der Musik: Zeitung die ich durch einen Freund erhalten habe, und die doch manches gar treffliche enthält. An vielen Orten jukten mich die Finger auch meinen Senf dazu zu geben, aber zu so schönen LustArbeiten läßt leider Gottes der Dienst keine Zeit. Haben Sie Dank für alles Schöne was ich las, denn meist habe ich Sie gar wohl erkannt und gefunden. Meine Besorgniß daß man alles hervorsuchen wird meinen Entschluß hier wegzugehen wankend zu machen, fängt schon an sich zu bestätigen. erst Gestern frug mich der Direktor Liebich darum so herzlich und gut, daß ich es ihm frey gestehen und sagen muste. da ich unmöglich gegen Jemand der mir gerade entgegen komt, hinterm Berge halten kann. Ja ja, sie werden mir so manches anbieten daß es fast wie eine Tollheit aussehen wird, es auszuschlagen, — aber es kann nicht anderst sein will ich nicht untergehen als Künstler für die Welt. — Von KunstNeuigkeiten giebt es bey uns nichts. eine Schaar von Concerten erwartet uns zwar in der Fasten Zeit, aber alles nur Concerte ohne andern Zwek als des Geldes wegenT. ich will die Fasten noch abwarten und dann alles in eines zusamen gekocht Ihnen zuschikken. |
a prospos. haben Sie die Phantasiestükke von Hoffmann, 4 Theile gelesen? und was halten Sie davon. finde viel Vorzügliches, blühende, ja oft toll überschäumende Phantasie darin, und das Ganze /: mit Erlaubniß gesagt :/ und‡ wie mir scheint, ohne bestimten Zweck vor Augen gehabt zu haben hingeworfen. der erste Theil gefällt mir am besten. Bey der Gelegenheit ist die Lust mein KünstlerlebenT, wieder vorzunehmen lebendig in mir erwacht. und ich werfe so manchmal eine kleine Skizze hin. Aber allein kann ich an so etwas nicht arbeiten, ich muß einen Freund haben, deßen Urtheil mich berichtigt deßen Beyfall mich befeuert. Könnte ich Sie doch zu mir hexen.
Hier folgt endlich auch mein Aufsaz in schlechter Abschrifft, nebst einem Text*.
Von Ihrem Gemälde VerzeichnißT habe ich verschiedene Abschriften vertheilt. lachen Sie nur ungläubig, vielleicht hilft es doch. Graf Sternberg scheint nicht übel Lust zu haben.
Die Zeit in die Probe von Doctor und Apotheker rükt heran und ich muß schließen. Wundern Sie sich über die alte Oper? ist doch ein trefflich komisches Werk, ich habe ohne dem Componisten eine Note zu stehlen, die unnüzen Wiederholungen, Ritornellen, Cadenzen, mit vieler Mühe oft Takt weise herausgestrichen und wahrlich, es sollte jezt unsern jungen Herren schwer werden wieder so etwas gutes zu schreiben.
Gott erhalte Sie froh und gesund, alles Erdenkliche an die lieben Ihrigen und gedenken Sie freundlich Ihres treuen Webers
Apparat
Zusammenfassung
berichtet über Vollendung und Aufführung der Sieges-Kantate in Prag; äußert sich zu seinem Plan, Prag zu verlassen; bezieht sich auf ein von Rochlitz offenbar missverstandenes Anerbieten Webers, zu dessen neuen Erzählungen etwas zu komponieren; erwähnt verschiedene publizistische Arbeiten; äußert sich über Hoffmannns „Fantasiestücke“, die ihn angeregt haben, „Tonkünstlers Leben“ wieder vorzunehmen; betr. Verzeichnis einer Gemäldesammlung, die Rochlitz veräußern will
Incipit
„Es drängt mich so recht eigentlich dazu ein Stündchen“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: London (GB), The British Library (GB-Lbl)
Signatur: Add. MS. 47843, fol. 46 u. 47Quellenbeschreibung
- 1 DBl. (3 b. S. o. Adr.)
- ursprünglich beiliegend Kopie der Ansichten Carl Maria von Webers bei seiner Komposition der Wohlbrückschen Kantate „Kampf und Sieg“ mit Korrekturen Webers
Provenienz
- 1872/74 im Besitz von Charles John Hargitt, der F. W. Jähns eine Fotografie für seine Weberiana-Sammlung (Cl. VIII, Heft 3) überließ
Dazugehörige Textwiedergaben
-
tV: MMW I, S. 505–508
Themenkommentare
Textkonstitution
-
„daß“„das“ überschrieben mit „daß“
-
„Sie“„sie“ überschrieben mit „Sie“
-
„Kukuk“„Gukuk“ überschrieben mit „Kukuk“
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„und“durchgestrichen
Einzelstellenerläuterung
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„… zu componirenden Kleinigkeiten fürs Theater“Im geschilderten Zeitraum (26. November bis 22. Dezember 1815) entstanden keine entsprechenden Werke; Weber meinte wohl die am 12. November komponierte Ballade WeV F.6, vielleicht auch die im Oktober komponierten Einlagen zu Der travestierte Aeneas bzw. Lieb’ und Versöhnen.
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„… von mir zu dirigirende Concerte“Es waren die Konzerte am 30. November 1815 von F. Siebert, am 8. Dezember von M. Czegka und am 15. Dezember von M. Janusch und J. SellnerT.
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„… Tagen niederschrieb nebst dem Texte“Textdruck: „Kampf und Sieg.| Kantate | zur | Feyer der Vernichtung des Feindes | im Juny 1815 | bei Belle-Alliance und Waterloo.| Gedichtet | von | Wohlbrück. | In Musik gesetzt | von | Carl Maria von Weber. | Prag. 1815.“ (4 Blatt, 8°).
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„… Erzählungen denselben helfen zu wollen“Zu Webers Vorschlag, Kompositionen zu Rochlitz’ Erzählungen beizusteuern, vgl. den Brief vom 26. November 1815.
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„… schlechter Abschrifft, nebst einem Text“Textdruck: „Kampf und Sieg. | Kantate | zur | Feyer der Vernichtung des Feindes | im Juny 1815 | bei Belle-Alliance und Waterloo. | Gedichtet | von | Wohlbrück. | In Musik gesetzt | von | Carl Maria von Weber. | Prag. 1815.“ (4 Blatt, 8°).