Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
Dresden, Dienstag, 14. Januar – Freitag, 17. Januar 1817 (Nr. 18)
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An
Mademoiselle
Wohlgebohren
Mitglied des Ständischen Theaters
zu
Prag.
Wohnhaft am Juden TandelMarkt
im Hause des K: K: Herrn
Gott grüße dich, und segne meinen Einzug in Dresden. Es war mir ganz seltsam zu Muthe als ich den Berg herunter fuhr und die Stadt vor mir liegen sah, die mir viel Freude geben soll, und in deren Mauern ich einen festen Stüzpunkt für mein ganzes Leben suchen muß. Gott gebe seinen Seegen dazu, was an mir liegt soll geschehen so viel in meinen Kräften steht, und mein treuer Muks, wird gewiß in meinem stillen Hause, mich allen Verdruß übersehen und vergeßen machen, der mir in der Kunst und Geschäfts Welt allenfalls begegnen kann, nicht wahr meine geliebte Lina? Doch nun zum erzählen. d: 11t hezte ich mich ab wie ein armer Hund. Abends waren noch Rungenhagen und Hoffmann da, und wir waren so fröhlich als es der Ernst des Abschiedes zuließ. um 12 Uhr Nachts gieng ich ans Einpakken. Das dauerte bis 3 Uhr. dann schlief ich etwas bis ½ 6 Uhr, dann wurde aufgepakt, die Koch und Kisting halfen, und um 8 Uhr Sonntag d: 12t verließ ich das gute Berlin, in dem ich einen so lieben Kreiß von Freunden besizze, und die 3 Monate so angenehm thätig verlebt hatte. Ich wollte anfänglich übernachten, aber wie es Abend wurde verließ mich der alte Reise Geist nicht, und ich fuhr immer fort, hatte mitunter sehr schlimmen Weg, Waßer hatte alles überschwemmt, und darauf halb gefroren, so daß Pferde und Wagen immer einbrachen, und erstere oft nicht mehr fort wollten. Doch mit Gottes Hülfe gieng alles sehr glüklich und auch schnell ab. eine Station von Dresden begegnete ich Legrand, und Baron Poisl aus München*. Wir freuten uns beiderseits‡ unmenschlich, konnten aber natürlich nicht viel auf der offnen Landstraße mit einander plaudern. Poisl hatte eine Meße in Dresden aufgeführt, und eine sehr schöne mit Brillanten besezte Tabatiere erhalten. Legrand eine einfache, mit denselben Engelchens, wie meine von Bayern*T; d: 13t um 5‡ Uhr Abends kam ich also hier an, und stieg im Engel abT.
hier wurde ich gestört und konte Gestern den ganzen Tag nicht dazu komen fortzufahren, ich muß also jezt noch voll Sehnsucht zu meinem guten Muks eilen, und ihm ein Weilchen erzählen, ihn bußen, und dann gute Nacht sagen, sonst ist mir nicht wohl ums Herz, denn es dünkt mich schon eine Ewigkeit, daß ich in 4 Tagen nicht ordentlich an dich schreiben konnte. also wieder zur Ordnung und fortgefahren wo ich es oben gelaßen. – […]‡Schikte sogleich zu Schmidl und sezte mich sehr hungrig zum Eßen, Schmidl kam erst später, aber sogleich 3‡ Briefe, worunter dein lieber herzlich froher No: 18 war, der mich ganz glüklich und heiter stimmte, und den trüben Eindruk linderte den ein Brief vom Bruder Fritz machte. Du weist daß ich seit 10 Monaten keine Sylbe von ihm erhalten habe, jezt sizt er brodlos in Leipzig, und verlangt Hülfe, was kann ich thun? Es ist recht traurig. – Der 3t Brief war von Grünbaum, dem ich bis Uebermorgen auch antworten werde. Du kannst denken daß ich den Abend Hundemüde war, es half aber nichts, ich muste zu Schmidl der seiner ältesten Tochter Geburtstag feyerte, und sie mit ein paar Freunden überraschte. Es wurde unendlich viel von dir geplaudert, und wirklich mit aller möglichen Liebe, was mich manches andere übersehen ließ. man brachte mir deine Silhoutte, und trank deine Gesundheit, während ich sie bußte. Bassi zeigte eine wirklich recht herzliche Freude, und endlich um ½ 12 Uhr kam ich in Bett. war aber zu müde um gut schlafen zu können. d: 14t war ich kaum aufgestanden, und hatte angefangen an dich zu schreiben, als schon Schmidl kam, und ich nun herumlaufen muste, zum Juden wegen Kleider pp ich laße mir jezt kein Hofkleid machen, und borge es mir zur Vorstellung beim König, weil wir Uniform‡ bekomen. Nun Muks gelte das ist was für dich. aha. schön – – , um 1 Uhr aß ich bey Schmidl, gieng dann zum Grafen bis 4 Uhr, lief dann nach Quartier herum, gieng Abends ins Theater, Heinrich von Anjou*, traf dann ein paar Fremde die mich nicht los ließen, | und kam abermals spät und müde ins Bett. Heute früh wurde sehr in Wix geworfen, und von ½ 10 bis 2 Uhr Visiten gefahren. Dann erhielt ich deinen lieben Brief No: 19. aß etwas zu Mittag, lief nach Quartier, und fand endlich ein ganz allerliebstes, im italienischen Dörfchen, nahe beym Theater, und wie ein Dokkenkasten eingerichtet, ganz nach Mukischem Geschmak. und wenn es ein bischen größer wäre, könten wir beyde da wohnenT. Abends in die Schweizerfamilie*, dann zu Schmidl noch, und nun hier bey Schneefuß. Ich wurde überall sehr freundlich aufgenommen, namentlich vom Minister. Viel und mancherley wird es geben, denn die italienischen Schlangen zischen sehr, aber es wird wohl gehn. Viel Geld muß Muks auch ausgeben, heute habe ich schon SpizenManschetten gekauft die sonst 20 Ducaten kosteten, habe sie aber für 3 Louisdor bekommen und Schnallen pp Wenn die Uniform zu Stande komt weiß ich wohl wer die Spizzen kriegt. – – . Alles grüßt dich 10000mal, und ich habe schon einige Stürme deinetwegen ausgehalten, aber gegen das Gewicht meiner Gründe, und der Festigkeit meiner Ueberzeugung, kann Niemand etwas anderes aufbringen als Bedauren, nun das ist schon recht, das sollen Sie, und es wäre schlimer wenn sie sagen müsten, es ist oh‡nedieß gut daß sie geht – . Ich hoffe meine geliebte Lina wird täglich mit mir einverstandner sein, und mir ehrlich und aus Ueberzeugung kämpfen helfen. Nicht wahr? Den armen Bassi, hält Heiserkeit und Katharr seit vorgestern im Bett, er nimmt sich wirklich recht ehrlich und freundschaftlich. Morgen werde ich vielleicht Sr. Majestät vorgestellt. Wo nicht so ziehe ich in mein stilles Quartirlein. Meine Sachen aus Prag sind schon hier, ich kuschle also gleich unter dem lieben grünen Dekerl, und werde ihm auch für dich ein Buß geben. Nun will ich aber in Bett gehn – , und Morgen früh deine lieben Briefe gehörig beantworten.
Gute Nacht mein theures geliebtes Leben, du wirst wohl recht warten auf Briefe von mir, wäre ich nur eine Stunde früher hieher gekommen, hättest du einen Posttag früher Nachricht gehabt. Nun gute gute Nacht. Morgen ein mehreres von deinem dich über alles liebenden treuen Carl.
Es ist wirklich als ob das stille Dresden sich rächen wollte für das, daß ich ihm gar zu viel Ruhe zutraute, ich kann vor lauter Bestürmungen und Visiten und Bestellungen gar nicht zu mir selbst kommen, und mit meiner geliebten Lina plaudern. Gestern bin ich eingezogen in mein neues Quartier, und habe auch deinen lieben lieben Brief No: 19 / soll heißen / No. 20 erhalten. Du kommst recht in Vortheil gegen mich, und ich werde so bald ich einen Augenblik Ruhe habe, dir ein ganzes Buch schreiben müßen. Vor der Hand muß ich nur über etwas zanken und dich berichtigen. Du dummer Kerl. ist denn das nicht das Schönste wenn ich mich so über deine Freude freue? warum freue ich mich darüber am meisten? weil ich dich über alles liebe, und nur dann glüklich durch dich sein kann, wenn ich auch gewiß weiß daß du es bist, also Puntum, du bist ein Oz, und doch übrigens recht brav denn zu andern Zeiten hättest du eine große Sauçe daraus fabrizirt.
Ich habe dir viel viel zu sagen das aber heute unmöglich ist, da ich mich geschwind anziehen muß und den Grafen bey mir erwarte. Jezt bin ich schon wieder etwas ruhiger, aber gestern Abend war es darauf und dran, daß ich auf der Stelle wieder abgereist wäre, wegen einem MißVerständniß in der KapellMeisterschaft, die nicht in dem Resskript steht, und da ich nur darauf hin, den Dienst auf ein Jahr angenommen hatte, so sah ich daß man mich zurüksezzen wollte, welches ich nicht zu leiden sogleich erklärte und die Sache | für aufgehoben ansah. Das Herz blutete mir, aber ich konnte nicht anderst meiner Ehre halber, und ich wuste daß dann auch meine Lina alles mit mir zu tragen im Stande ist. Nun wurde ich aber bestürmt und mir vorgestellt, daß ich den Grafen unglüklich mache, der Triumph der Italiener vollendet sein würde, und die deutsche Kunst für ewig einen Stoß erhielte, Schmidel‡ bat mich [mit] Thränen bis 12 Uhr Nachts, bis ich halb und halb nachgab, und man das Ganze als ein Versehen im Kabinet ansehen will, und mich der Graf heute dem Personale nach einem so eben von ihm erhaltenen Billet als KapellMster und Direktor der deutschen Oper vorstellen wird. Nun habe ich doch alles in der Geschwindigkeit gepabst. Ich bitte dich recht sehr dir nun keinen Kummer oder ängstliche Gedanken zu machen, Muks wird sich schon durchbeißen, und zwar mit Ehren, und komme es wie es wolle, Michaeli führt mir meine geliebte Lina zu. Gelte? also nur frischen Muth, Gott segne dich 1000mal, ich drüke dich recht Sehnsuchtsvoll innig an meine Brust mein geliebtes Leben, ich hab dich so lieb.
+ + + Millionen Bußen. Ewig dein Treuer Carl.
Apparat
Zusammenfassung
Tagebuch 11.-16. Januar: Reisebericht Berlin – Dresden; gesellschaftl. Verpflichtungen; betr. die misslichen Umstände seiner Anstellung als Direktor der deutschen Oper; habe sich, um das Unternehmen nicht von vornherein scheitern zu sehen, überreden lassen, sein Amt trotzdem anzutreten; hofft, dass es sich um ein Versehen handelt
Incipit
„Gott grüße Dich, und segne meinen Einzug in Dresden.“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Mus. ep. C. M. v. Weber 73Quellenbeschreibung
- 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
- auf dem Adressblatt untere Ecke abgeschnitten (ohne Textverlust)
- Rötelmarkierungen von Max Maria von Weber
Dazugehörige Textwiedergaben
-
Muks, S. 318–324 (Nr. 59)
Themenkommentare
Textkonstitution
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„erseits“„e“ überschrieben mit „erseits“
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„[…]“gelöschter Text nicht lesbar
-
„3“sic!
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„oh“gelöschter Text nicht lesbar
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„del“gelöschter Text nicht lesbar
Einzelstellenerläuterung
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„… und Baron Poisl aus München“Zum Zusammentreffen mit Peter Legrand und Johann Nepomuk Poißl in Großenhain vgl. TB 13. Januar 1817.
-
„5“weitere mögliche Lesungen 3.
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„Uniform“weitere mögliche Lesungen Uniformen.
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„… ins Theater, Heinrich von Anjou“EA am 14. Januar 1817; vgl. die Besprechung in der Dresdner Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 20 vom 23. Januar 1817, Bl. 2v.