Über das Metronom

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Gespräch zwischen einem Componisten und einem Musik-Director.

Comp. Sie sind also ganz dagegen?

Musikd. Aufrichtig gesprochen: ich halte davon eben so wenig, als von vielen anderen hochgepriesenen Neuerungen.

Comp. Nun, was eben die Neuheit betrifft, so hat es damit gute Wege! Die Bemerkung, dass ein langer Pendel langsam, ein kurzer geschwinde schwingt, hat schon seit mehr als vor hundert Jahren die Idee erzeugt, die Taktzeiten nach den Schlägen eines Pendels, welcher, nach Bedürfnis, leicht verlängert oder verkürzt werden kann, abzumessen. Schon Loulié hat in seinen Elements ou principes de musique (Paris 1698) eine Maschine der Art beschrieben, und ihr den Namen Chronomètre gegeben; und nach Kochs musikal. Lexikon, ist ein ähnliches Instrument vor mehr als hundert Jahren vom Mathematiker Sauveur erfunden worden.

Musikd. Nun, so beweiset, dächt ich, eben dieser Umstand, dass die Erfindung schon so alt ist, und doch bis auf diesen Augenblick noch keine Aufnahme gefunden hat, schon allein gegen die praktische Brauchbarkeit der Maschine.

Comp. Kann denn nicht die so gewöhnliche Abneigung der Menschen gegen das nicht Hergebrachte, und mehr noch vielleicht der unrechte Gesichtspunkt, aus welchem man die Sache betrachtete, oder vielmehr die unrichtige Anwendung, welche man von der Erfindung machen wollte, die Schuld tragen, dass die Sache nicht gemeinnützig geworden?

Musikd. Ich glaube doch bey meinem Urtheil verharren zu müssen; es ist ja auch nicht das ¦ meinige allein! Hören Sie darüber einen Quanz, einen.....

Comp. Quanz, so viel ich mich entsinne, bekennt, nie einen Chronometer, oder auch nur eine Zeichnung davon, gesehen zu haben.

Musikd. Auch der Angehende Musik-Director von Arnold, welchen Sie mir gestern so bereitwillig schenkten, als ich ihn von Ihnen leihen wollte – auch dieser übergeht den Chronometer ganz, würdigt ihn nicht einmal einer Erwähnung.

(Der Componist schweigt, gewissermassen verlegen.)

Musikd. Auch Rousseau in seinem Dictionnaire de musique beweiset......

Comp. Lieber, Bester! lassen Sie mir das Dictionnaire de musique aus dem Spiele! Was beweiset und demonstrirt dieser kunstreiche Redner nicht alles, wenn er in den Zug kömmt, und sich capricirt, gewissen Resultaten, die nun einmal heraus sollen, eine Art von Begründung unterzulegen! Hier ist ein Band davon! Da können Sie’s, z.B. mit vieler Evidenz bewiesen finden, dass es kein gutes Quartett in der Welt geben kann, weil jedes Quartett nothwendig schlecht ist. Hören Sie nur:
Quatuor. Il n’y a point de vrais Quatuors, ou ils ne valent rien. Il faut que dans un bon Quatuor les parties soient presque toujours alternatives, parceque dans tout accord, il n’y a que deux parties tout au plus qui fassent Chant et que l’oreille puisse distinguer à la fois, les deux autres ne sont qu’un seul remplissage et l’on ne doit point mettro de remplissage dans un Quatuor.“

Musikd. Nun, ich sehe wohl, durch Autoritäten wird man mit Ihnen nicht fertig: so hören Sie denn Gründe an.

Comp. Die sind willkommen!

Musikd. Sagen Sie mir: werden Sie’s erträglich finden, wenn z.B. bey einem Haydn’schen Oratorium ein Chronometer durchgängig die Takte und Takttheile laut und durchdringend vorklappert, oder gar, wie der Stöckelsche, auf einer | gellenden Glocke herunter hämmert? muss das nicht allen Effect vernichten?

Comp. Allerdings: es giebt keinen grössern Feind aller hörbaren Direction, als ich.

Musikd. Nun, so wollen Sie also, wie es scheint, den Wenkschen Chronometer, welcher blos leise knistert – aber eben darum bey einer vollstimmigen Musik von Niemand gehört wird, und also geradezu für nichts da ist!

Comp. Nein!

Musikd. Oder etwa den, von Hrn. Gutmann in No.8. der allgem. musikal. Zeitung, 9ten Jahrgangs, vorgeschlagenen, in der Form einer Taschenuhr, welchen der Musikdirector, so oft er ein Tempo anzugeben hat, geschwind eine Zeitlang ans Ohr halten, sich dessen Rhythmus einprägen, und dann zu taktiren anfangen soll?*

Comp. Auch diesen nicht!

Musikd. Nun, so wollen Sie etwa ein neues, theures, mechanisches Kunstwerk erfinden, welches durch einen künstlichen Arm auf Commando alle Bewegungen dem Chor und Orchester gerade so vormacht, wie es ein lebender Musikdirector mit dem Taktirstabe zu thun pflegt? – Nun ja freylich, dann haben Sie einen Dirigenten, der an Steifigkeit, Pedanterey, Unerbittlichkeit und Unbehülflichkeit jeden lebenden, wo möglich, noch übertrifft; der um alle Welt keinem Solo-Sänger oder Spieler wieder einhilft, oder durch Nachgeben einen begangenen Fehler zudeckt; der vom Stringendo oder Ritardando keine Notiz nimmt, und auf das Schulgerechteste in unwandelbarem Tempo ein Stück vom Anfange bis ans Ende herunter haut! – Ist Ihnen damit gedient: nun ja, so stellen Sie die Maschine an meine Stelle, und setzen mich auf Pension!

Comp. Sie thun mir Unrecht, Freund! Sie missverstehen mich, indem Sie mir Ansichten unterlegen, die ich eben so sehr verwerfe, als Sie.– Nie war ich der Meynung, dass ein Chronometer dazu tauge, eine Musik zu dirigiren! Dazu wird keine lebens- und empfindungslose Maschine jemals taugen; und gerade das beklage ich ja, dass man die Erfindung zu dergleichen gebrauchen wollte, und darüber vergass, sie zu dem Gebrauche anzuwenden, wozu sie wirklich taugt, und wirklich von unschätzbarem Nutzen ist.

Musikd. Nun? und dies wäre?

Comp. Ich weiss doch, Sie sind längst darüber mit mir einig, dass in unsern Kunstwörtern – Allegro, Andante, Adagio u.s.w. – durch welche ¦ wir die Geschwindigkeit oder Langsamkeit unsrer Tempi zu bezeichnen pflegen, eine heillose Unbestimmtheit liegt, welche so mancher Missdeutung Raum und Gelegenheit lässt! ¦

Musikd. Leider, freylich sehr wahr! Besonders fühlbar ist dies bey der ältern Musik. Bekanntlich verstanden die Musiker aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts unter Allegro nur ungefähr, was wir jetzt Andante nennen, und so waren alle übrigen Bezeichnungen der Bewegung langsamer zu verstehen, als die der neuern Componisten. Wie schwer ist es nun, wenn man Werke älterer Meister aufführt, das rechte Tempo zu errathen, wie es der Verfasser hat haben wollen!

Comp. Ganz recht! und dabei, welcher Unsinn liegt nicht zuweilen in diesen Bezeichnungen, wenn man sie wörtlich nimmt! z.B. Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen! Allegro assai (zu deutsch: sehr lustig!) – Dies irae, Allegro vivace (lebhaft und lustig!) u.s.w.

Musikd. Wol wahr; und freylich wäre zu wünschen, dass diesen vielfältigen Missständen auf eine fügliche Art abgeholfen werden könnte.

Comp. Und warum könnte das nicht füglich geschehen? Nichts ist leichter, nichts ausführbarer! Gebrauchen Sie nur dazu den Chronometer, aber auch nur dazu: gebrauchen Sie ihn als Werkzeug, blos dazu bestimmt, den Dollmetscher zu machen zwischen dem Componisten, und dem, der seine Composition aufführt. – Verstehen Sie mich recht: ich will nicht, dass bey Aufführung weder einer kleinen, noch einer vollstimmigen Musik ein Chronometer erscheine und thätig sey –: nein! verbannt bleibe er von jeder Aufführung, und nicht weniger von der Probe: er sey blos der Maasstab, dessen der Componist sich bedient, um dem Spieler, oder, für vollstimmige Musiken, dem Dirigenten, genau bezeichnen zu können, in welchem Tempo er sein Werk aufgeführt haben will. Diesen Maasstab lege der Musikdirector für sich allein zu Hause an, mache da sich die Willensmeynung des Componisten bekannt, präge sich die Bewegung ins Gedächtnis, und gehe dann in die Probe, lasse sein Chronometer zu Hause, und dirigire nach der ihm auf diese Art bekannt und geläufig gewordnen Intention des Componisten. – Blos als Verständigungs-Mittel zwischen dem Componisten und dem Ausführer: blos dafür hat der Chronometer Brauchbarkeit, unverkennbaren, unbezahlbaren Werth! allein thöricht genug, wollte man ihn unmittelbar | auf die Aufführung wirken lassen; missbrauchte ihn zu einem Dienste, wozu er nicht taugte, nie taugen wird, nie taugen kann, und machte dadurch das Gute verkennen, was er leisten könnte, und was ohne ihn nie erreicht werden wird; machte, dass man das Instrument als unbrauchbar zurücklegte, weil es sich zu einer Verrichtung nicht missbrauchen lassen wollte, wozu es nicht geschaffen ist.

Musikd. Ich gestehe Ihnen: so wenig Ihre Idee neu ist – denn sie deutet eben auf die ursprüngliche, nur in der Folge misskannte Bestimmung des Chronometers zurück – so habe ich doch selbst das Werkzeug nie ausschliesslich von dieser Seite betrachtet; ich habe mit so vielen Andern darüber, dass es zum Dirigiren selbst nichts taugt, den Nutzen, welchen es sonst gewähren mag, zu erwägen vergessen.

Comp. Nun, es freuet mich, dass ich Sie überzeugt und für meine Meynung gewonnen habe.

Musikd. Oho! so weit sind wir noch nicht! Noch hätte ich verschiedene Einwendungen gegen die Anwendbarkeit und Gemeinnützigkeit des Instruments!

Comp. So? Nun, lassen Sie hören!

Musikd. Einen grossen Strich durch Ihre Rechnung macht die Unregelmässigkeit und Unvollkommenheit der bis jetzt erfundenen Chronometer: meistens fallen sie ungleich ab; geben die eine Zeit länger oder kürzer, als die andre. Doch dem könnte noch abgeholfen werden, durch – freylich kostspielige, Vervollkommnung des mechanischen Baues! Allein, was das Schlimmste ist: gesetzt auch, jedermann wollte sich nun gleich nach Ihrem Willen so eine kostbare Maschine anschaffen – lassen Sie noch zehn Chronometer erfinden, ja lassen Sie zehn von einer und derselben Art bauen; so ist immer sehr ungewiss, ob der eine fortwährend übereinstimmend mit den andern gehen und schlagen wird; und wenn ich dann meine Zeiten nach einem Chronometer abmesse, welcher mit dem, des Componisten nicht genau übereinkommt und vollkommen gleichen Schritt hält, so ist Ihr ganzer eingebildeter Vortheil wieder zu Wasser geworden.

Comp. Diesem Missstande zuvorzukommen, ist eben nicht schwer. Der Componist, statt sich auf die conventionellen, und freylich eben darum nicht allgemein gültigen, noch überall gleichen Grade, Ziffern, oder sonstigen Abtheilungen irgend eines Chronometers zu beziehen, darf nur, was noch viel kürzer und einfacher ist, anmerken, wie viel Zoll ¦ und Linien (nach einem allgemein bekannten Masse, z. B. dem französischen) ein Pendel lang seyn müsse, um die Takttheile, so wie er sie haben will, anzugeben. So z. B. giebt ein Pendel von 5, 6 bis 7 pariser Zollen die Viertheile eines mehr oder weniger raschen Allegro an. Um nun eines dieser Tempo’s allgemein gleichverständlich und haarscharf zu bezeichnen, darf der Componist nur die kurze Bezeichnung voransetzen: 5 oder 6 oder 5 ½ (und damit man nicht etwa rheinische, statt pariser Zoll verstehe, 5 ½ Par.) Eben so würde ein Viertheil unsers gewöhnlichen Adagio ungefähr folgendermassen zu bezeichnen seyn: 48 Par. d. h. 48 Zoll pariser Maas, ein Achtheil aber 12.

Musikd. Sie wollten sagen: 24.

Comp. Keineswegs: Sie wissen ja wol, dass ein doppelt langer Pendel nicht noch einmal so langsam schlägt, als ein einfach langer, sondern nur ein viermal so langer; dass also ein Pendel von 12 nicht viermal so geschwind schlägt, als einer von 48, sondern nur zweymal so geschwind.

Musikd. Ja wol: ich dachte nur eben nicht daran. Der Pendel, welcher Achtel schlagen soll, darf allerdings nur ¼ so lang seyn, als der Viertel schlägt.

Comp. Allerdings! – Kurz also: der Componist wird und muss überall auf diese Art sogleich richtig und überall gleichförmig verstanden werden, sobald er nur jedesmal die Länge des Pendels bezeichnet, welcher als Maasstab seiner Takttheile gelten soll, also der Viertel im zwey-Viertel-, drey-Viertel-, vier-Viertel-, sechs-Viertel-, neun-Viertel-Takte; der Achtel im drey-Achtel-, sechs-Achtel-, neun-Achtel-Takt u. s. w.; der halben Noten im Zwey-Zweytel- oder C-Takt, im 3/2-, 6/2-Takt, u. s. w.

Musikd. Ey, auf diese Art bedürfte es ja überall nicht einmal mehr irgend einer eignen Maschine, sondern jede Bleykugel, an einem Zwirnfaden befestigt, (an dem man allenfalls die Zolle durch Knoten und Punkte bezeichnet und welche man hin und her schwingen lässt,) genügt, um auf das unzweydeutigste zu erforschen, wie geschwind der Componist sein Stück vorgetragen haben will!

Comp. Allerdings; denn auf allzuscrupulöse Genauigkeit kömmt es hier nicht an, da selbst ein halber Zoll mehr oder weniger keinen merkbaren Unterschied in der Schwingungsdauer bewirkt. – Nur brauche man die einzige Vorsicht, die Kugel nicht allzuhoch zu heben, den Pendel nur kleine, | kurze Schwingungen machen zu lassen, weil, nach bekannten dynamischen Gesetzen, grössere Schwingungen retardieren. Mit dieser geringen Vorsicht ist allerdings eine Bleykugel, an eine durch Knoten bezeichnete Schnur befestigt, nicht nur ein hinreichender, sondern sogar der vollkommenste Pendel, und auf jeden Fall allgemeiner anwendbar, als jede andere künstliche Maschine.

Musikd. Wie! und ich mache mich anheischig, binnen 24 Stunden durch geringe Routine dahin zu gelangen, die Bezeichnung: auf den ersten Blick, auch ohne erst den Pendel schwingen zu lassen, eben so gut zu verstehen, und aus dem Stegreif anzugeben und auszuführen, als bisher die Bezeichnung:

Comp. Gut! nur mit dem Unterschiede, dass in jedem etwa vorkommenden Zweifelsfall ein ganz einfacher Pendel untrügliche Auskunft giebt, deren Deutung selbst die alles wandelnde Zeit nicht mehr schwankend und unverständlich machen wird. ¦

Musikd. Und dabey könnte man ja zur Erleichterung auch wol beyde Bezeichnungsarten zugleich gebrauchen, z. B.

Comp. Sie haben Recht: diese Methode, ohne erst das durch sein Alter ehrwürdige Gebäude niederzureissen, um ein neues an dessen Stelle zu setzen, stellt vielmehr das neuere und dem Zeitbedürfnis angemessnere bescheiden neben das alte. Wer die neue Bezeichnungsart noch nicht versteht, oder nicht verstehen will, der findet dabey die gewohnte ältere ungeschmälert, indess dem, der die Vortheile der neueren benutzen mag, durch wenige Zeichen ein untrüglicher Maasstab gegeben ist.

Musikd. Mein Gott! hätten doch die Händel, die Bache und Graune eine oder zwey solche Ziffern vor ihre Werke gesetzt: diese würden nicht in jetzigen Zeiten von so manchen meiner Collegen in missverstandenen, unrichtigen Zeitbewegungen aufgeführt, entweiht und geschändet!

Gottfried Weber.

Apparat

Zusammenfassung

Über das Metronom

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 15, Nr. 27 (7. Juli 1813), Sp. 441–447

    Einzelstellenerläuterung

    • „… dann zu taktiren anfangen soll?“Vgl. F. Guthmann, Ein neuer Taktmesser, welcher aber erst erfunden werden soll, in: AmZ, Jg. 9, Nr. 8 (19. November 1806), Sp. 117–119.

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