Aufführungsbesprechung Wien, Kärntnertor-Theater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 7. März 1822

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K. k. Hoftheater nächst dem Kärnthnerthore. Am 7. März zum Vortheil der Dlle. Schröder und unter der persönlichen Orchesterführung des Tonsetzers: der Freyschütze. Das bey dieser Lieblingsoper unsers Publicums stets volle Haus war heute überfüllt; viele zu spät Kommende konnten ihre gesperrten Sitze nicht mehr erreichen, und gegen Einlaßkarten war schon eine halbe Stunde vor Anfang kein Unterkommen zu finden. Unser verehrter C. M. v. Weber (wir nennen ihn unser, da sein gediegenes Werk der ganzen deutschen Nation angehört) wurde bey seinem Erscheinen mit wiederholter lauter und allgemeiner Begrüßung empfangen. Die meisterhafte Ouverture, heute wie die ganze Oper mit dem größten Eifer und der wärmsten Liebe ausgeführt, fand gleiche Auszeichnung. Der Lachchor und das Trinklied im ersten Aufzuge wurde wiederholt, und schon nach dem ersten Aufzuge rief man den Componisten hervor. Zugleich fiel ein Gedicht*) zu den Füßen des inniggerührten Mannes nieder. Die folgenden zwey Acte unterhielten würdig diese Stimmung. Überrascht wurden wir durch eine Cavatine Annchens im dritten Aufzuge, die sich an ihre Traumgeschichte anschließt und uns bis jetzt unbekannt geblieben war. Die Zahl der Brautjungfern war vermehrt worden; dem Jägerchor widerfuhr sein herkömmliches Recht: er mußte wiederholt werden u. s. w. Nach dem Schlusse erschien der Componist wieder zwey Mal, denn nachdem er sich zuerst in der Mitte der Schlußgruppe gezeigt und einen Theil des Gelingens den Darstellenden pantomimisch zugeschrieben hatte, wollte die Versammlung heute ihm allein die Zeichen ihrer Verehrung widmen. So erhielt dieser seltene zweymalige Ruf einen tieferen Sinn, als man sonst hinein zu legen pflegt.

Dlle. Schröder und Hr. Forti zeichneten sich unter den Hauptpersonen verzüglich aus. Erstere ersetzt durch ihre passende angenehme Persönlichkeit, was sie im Gesange stellenweise schuldig bleibt. Des letztern Darstellung ist sehr verdienstlich; hin und wieder nur zu stark aufgetragen, denn wer sich dem Bösen ergab, lacht nicht mehr laut, sondern verschließt scheu sein Trachten und Thun vor den Menschen. Annchen (Dlle. Vio) spielte heute genügender als sonst. Demnach läge es nur am Wollen, um eine höhere Stufe des Kunstwerthes und des Gefallens zu erreichen. Max (Hr. Rosner) ist stellenweise seiner Rolle mächtig, die außer der Gestalt und Jugend auch geistige Erfordernisse hat, wie sie die gangbare italienische Operngattung, in welcher dieser Sänger mehr Glück macht, freylich minder erfordert. Wie viel auf mehreren oder minderen Fleiß in der Darstellung des Gesungenen ankomme, zeigte Maxens erste, heute sehr ausgezeichnete Arie, die sonst kälter gegeben, auch kälter empfangen ward.

Den Freunden der Tonkunst war es interessant, zu hören, in wie weit das Zeitmaß der Musikstücke und andere kleine Nuancen darin von den frühern Aufführungen verschieden seyn würden. Die große Wirkung von Heute ist aber wohl mehr dem allgemeinen Enthusiasmus zuzuschreiben, der die Ausübenden und die Anhörenden zugleich belebte, als beudeutenden Abänderungen. Die Oper wurde beym ersten Einstudieren, wie wir schon früher erwähnten, so umsichtig und sorgsam behandelt, daß grobe Irrthümer nicht möglich waren. Und wenn einige Tempi schneller als in Berlin gegriffen wurden, z. B. das Allegro der Ouverture und der Jägerchor: so liegt der Hauptgrund wohl in der größeren Beweglichkeit des wärmeren Süden, gegen den kalten Norden, und der Puls- und Herzensschlag ist zuletzt doch der erste und beste Metronom.

Annchens neue Arie ist schön componirt, aber man sieht es ihr zu sehr an, daß sie nicht für Annchen, sondern für Dlle. Eunicke, das ist: für eine Sängerinn, die sich zeigen wollte, geschrieben ist. Hr. von Weber mochte es vielleicht auch klug finden, manches, was bey dreysig Vorstellungen das Ohr der Hörer gewohnt geworden, nicht mehr zu ändern, wenn es auch nicht ganz nach seinem Sinne war. Dasselbe soll Spontini bey seiner Vestalinn auf einem andern Theater eben so gethan haben, und beyde Meister hatten, unsers Bedünkens, Recht.

Ja, dreyßig Mal in vier Monaten ist der Freyschütze über unsere Breter im Kärntnertortheater gegangen, und indem er den Berliner Enthusiasmus mehr als doppelt überflügelt hat, möge Jedermann, und der gefeyerte Componist vor allen, es erkennen, wie bereit Wien ist, das Schöne, Erhabene und Wahre zu empfangen, wenn es sich ihm im würdigen Gewande und in der rechten Stunde zeigt.

L. M.

[Originale Fußnoten]

  • *) Wir geben es im Abdrucke, da es sich bey weitem nicht in den Händen Aller befinden dürfte, die diesem Feste beywohnten oder beyzuwohnen wünschten.

    Erschaffend dringt aus lichten Äther-RäumenDer Töne süßbewegte Zaubermacht;Sie weckt den Geist aus trüber Lebensnacht,Sie führt ihn himmelwärts in süßen Träumen. Und schaut er auf mit Trosterfüllten Blicken,Dann quillt der Sühne heil’ger Strahl herab;Durch’s Leben wallt er freyer bis zum Grab,Weil er gefühlt der Seligkeit Entzücken. Und der den Drang erweckt in stiller Brust,Die Erde bindend an des Himmels Ferne,Was ist des hohen Sängers würd’ger Preis? Ihn labt der Töne reichgeschaff’ne Lust,Und jedem Erdenlohn entsagt er gerne,Denn seine Krone blinkt im Sternenkreis.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung K. k. Hoftheater nächst dem Kärnthnerthore: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber, Am 7. März 1822

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Mo, Ran

Überlieferung

  • Textzeuge: Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, Jg. 7, Nr. 34 (19. März 1822), S. 279–280

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