Aufführungsbesprechung Wien, Theater an der Wien: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber, Sommer 1822

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Novellistik.

Theater an der Wien.

Carl Maria v. Weber’s Freyschütze macht immer noch einige Streifzüge in seinem neuen Reviere, dem Theater an der Wien*, und scheint den allen Jägern heiligen Tag des Egidius, den ersten September abzuwarten, wo er wahrscheinlich wieder seine wahre Schiesszeit auf dem wahren Hauptreviere beginnen wird. In diesem heissen Sommer ging es bisweilen dem sonst so gut treffenden Freyschützen auch nicht besser, als es manchen Jägern geht, die nicht immer auf einem gehegten oder geschonten Reviere jagen, und bisweilen in den Fall kommen, dass ihre Jagden eigentlich nur Jagdvorstellungen sind, weil sich fast eben so viel Schützen auf dem Platze befinden, als Stücke Wildpret.

Die Vorstellungen aller Stücke geben davon ein Beyspiel, und nur dann, wenn man ein Schauspiel zum letzten Mahl zu sehen fürchten müsste, würde das Haus voll werden. Desshalb sind auch alle ersten Vorstellungen neuer Werke so besucht.

Es ist aber auch keine Kleinigkeit für einen theatralischen Sanguiniker oder Choleriker bey der in unserer Athmosphäre fast täglich wehenden Bruthitze sich noch in ein sentimentales Treibhaus, ein Theater zu setzen, wo der beym Wiener Klima sehr häufige Fall oft eintritt, dass binnen drey Stunden, nähmlich von 7 Uhr bis 10 Uhr Abends der Thermometerstand nicht allein fünf bis sechs Mahl wechselt, sondern auch sogar nicht selten dreyssig über Null zeigt, und mit einem höchst fatalen, die ganze Temperatur abkühlenden Schauer endigt.

Wie wäre diess Thaliens Ruhme gebrachte Opfer nur noch möglich, wenn nicht manche Dichter schon in ihren Werken für eine Erleichterung der Zuschauer gesorgt, und durch einige Erfrischungen, die in der Kälte ihrer Phantasie und Begei¦sterung erzeugt oder crystallisirt werden, schon für die Erholung der Schwitzenden ein Mittel vorbereitet hätten. Wenn nun etwa gar die Spielenden auf der Bühne diese Gluth der Schauenden beobachten, und von Mitleid ergriffen den ohnehin kühlen Gedanken des Dichters noch einige eigene Kälte beymischen – dann umspielt die Wangen des schwerathmenden Sperrsitzinhabers doch wenigstens oft eine anmuthige erquickende Luft, als ob sie von dem Fächer aller im Theater anwesenden Schönen erregt, und durch braves Fächeln immer unterhalten würden.

Diese poetische Fächeranstalt bezieht sich aber auf alle Theater in Solidum, und nicht etwa auf das obengenannte insbesondere. Die Hitze des Sommers bringt die ganze Erfindung schon mit sich, und ist gleichsam da zum Wohle der Theatermenschheit. Wir sprachen weiter oben von Weber’s Oper und ihrer Aufführung. Die angenehmen, schönen und kräftigen Gesangsmelodien des Freyschützen erhalten durch eine neue Besetzung dieser oder jener Rolle oft einen eigenen Reitz der Neuheit. Bald fühlt sich ein neuer Max berufen, bald eine neue Agathe. So sahen wir, wie schon in einem früheren Blatte gemeldet, den Sänger Herrn Hambuch vom Stuttgarder Hoftheater, in dieser Rolle auftreten*, und er schoss mit seinen Freybolzen eben nicht fehl, denn die Administration der beyden vereinigten Theater fand in ihm einen recht brauchbaren Sänger, und engagirte ihn.

Seit dieser Zeit hörten wir auch Dlle. Hornik als Agathe, und wir stimmen mit Vergnügen in den vom Publicum ihr zu Theil gewordenen Beyfall ein. Sie bewegte sich mit recht viel Geschicklichkeit in dem getragenen Gesange der Agathe, und bewiess, dass sie nicht aus Schwäche der Stimme die figurirten Gesangsrollen in Rossinischen Opern vorzugsweise zu lieben scheine.

Bey jedem Theater entscheidet überhaupt die | Liebe eines Individuums zu gewissen Rollen selten, ja nicht einmahl die zärtlichste Sehnsucht darnach bringt öfters eine Wirkung hervor. Mancher steht da, wie jener Gott, dem die goldenen Äpfel immer vor der Nase herumtanzen, und so oft entschwinden, als er darnach schnappt. Es gibt nehmlich eine unsichtbare Macht, welche mit ihrem Zauberstabe sie ihm stets wieder entrückt. Hier wirkt dann die eiserne Nothwendigkeit oft Wunder, und wenn vorher die Talente und Kräfte eines Individuums in keiner Hinsicht ausreichten, um die oder jene Rolle gut zu besetzen, so wachsen sie bey solchen Nothwendigkeitsfällen oft über Nacht zu einer so erstaunlichen Grösse, Zweckmässigkeit und Brauchbarkeit, dass nichts die Besetzung hindert.

Wer wird so gottlos seyn und glauben, dass manche Sängerinn zu dem Apollo ordentliche Klagbaumlieder hinaufseufze, dass er doch diese oder jene mit irgend einer kleinen aber plötzlichen Unpässlichkeit heimsuchen möchte, die weiter keine nachtheiligen Folgen für jener Wohl oder Leben habe, für sie selbst aber die vortheilhaften, dass doch nun einmahl der Tag komme, an welchem sie die insgeheim während der Vorstellungen einer Oper miteinstudierte Rolle nun auch einmahl geben könne. Wer wird diess denken, wenn er weiss, dass eine Sängerinn ihren Nebenbuhlerinnen im Rollenfache desshalb so freundlich auf der Probe die Hand drückt, um ihnen dabey verstohlener Weise den Puls zu greifen und eine Diagnose über eine etwa im Keime noch steckende Krankheit zu stellen, die allein ihr Glück befördern kann.

Dasshalb darf man auch nur ganz keck alle Theaterzettel auf die Art betrachten, dass man bey jeder Anzeige: "Dlle. Thalia ist unpässlich" auch gleich fragt, wer ist denn heute gesund geworden? Wer wird es läugnen, dass diese unsere Bemerkungen einigen unserer lesenden Schönen, die sich leider auch noch in der Hoffnung befinden, neue Rollen zu erhalten, ein wahres Trostwort seyn werden, das ihren Eifer alle Singrollen immer heimlich gleich mitzustudieren verdoppeln, und dadurch allen Directoren der Theater von grossem Nutzen seyn wird?

Gerade Dlle. Hornick ist von Obengesagtem ein lebendes Beyspiel, denn ihre gute Gesundheit setzte sie seit ihrem ersten Theaterversuche immer in den Stand, die Krankheiten anderer Sängerinnen mit anzusehen. Das Schicksal handelte für sie, als eine ¦ wohlwollende Regie, und theilte ihr manche Rolle zu, die nach den Gesetzen des dinglichen Theaterrechtes, besonders nach der leider so alten Praescriptio regularis im Rollenbesitz – nicht in ihre Hände gekommen wäre.

Wir erkannten sie auch hier wieder als eine fleissige und mit einem besondern Talente begabte Sängerinn, die sich in alles zu finden weiss, nur noch nicht ganz – sub rosa! – in das Musikstudium.

Da aber weder eine menschliche Macht, noch eine grobe, oder gar eine feine Theaterintrigue die Erlernung dieser, von uns unmassgeblich als höchst nöthig anerkannten Kunst hindern kann, und es jedem frey stehet, sie sich anzueignen, so lässt sich das Übrige alles schon von selbst denken.

Der Vortrag des Sologesangs als Agathe war nicht ohne Gemüth, obgleich wir sonst immer mehr Fertigkeit als Gefühl bey dieser Sängerinn bemerkten. Das schöne Vorbild, welches einen fast allzusentimentalen – wohlzumerken, äusseren Anstrich hat, und den tragenden Gesang bisweilen zu tragisch nimmt, hat hier ohne Zweifel auch wohlthätig auf Dlle. Hornick gewirkt. Auch die Darstellungskraft schien in manchen Scenen plötzlich aus ihrem Schlummer erwacht, und bey der jungen Sängerinn etwas zum Durchbruch gekommen zu seyn, denn eine sonst bey ihr gewöhnliche Monotonie und Gleichgültigkeit im Gespräch hatte einer mehr passenden Art zu declamiren – nein, nein! zu reden Platz gemacht.

Das Publicum, welches mit vieler Güte über alle geistigen Kräfte der Künstlerwelt, besonders in Wien, eine Art Vormundschaft auszuüben pflegt, die alle Fleisszettel und Fleissschlüssel wohl beachtet, welche sie dem Individuum selbst umhängt, und auf alle Fortschritte unter seinen Augen eine freudige Aufmerksamkeit richtet, diese hohe, milde Vormundschaftsstelle nahm auch jeden kleinen Beweis ihres geistigen Fortschreitens mit besonderer Vorliebe auf, und zeichnete die Sängerinn durch grossen, ehrenden Beyfall aus.

Es fällt uns nicht ein, hier irgend einen Parteygeist oder Protectionswuth zu suchen, um einen künstlichen Moderationsschlüssel oder eine Art Ehrenzwicker für diesen Beyfall zu finden, sondern wir halten diesen Beyfall unumwunden für wirklichen veritablen Beyfall, den die junge Sängerinn durch eine recht sichtbare Bereitwilligkeit den Wünschen des | Publicums zuvor- oder wenigstens nachzukommen – für ihre Kunst– Versuche vorzubereiten gewusst hat.

Herr Hambuch schien sich immer besser in die Rolle zu finden, und manche Nüançen im Gesange mit mehr Freyheit zu geben. Etwas mehr Sentimentalität, nicht weinerliche Zerflossenheit, könnte hier gar nicht schaden.

Ein verliebter Jägerbursche, hat schon durch seinen steten Gebrauch des Mordgewehrs, durch sein Leben im Walde eine etwas derbere Frischheit, die nur in gewissen Momenten durch das geheimnissvolle Wesen Caspars und die Erinnerung an die Mitternacht in der Wolfsschlucht von einer gewissen Ahnung und Bangigkeit befangen wird. Aber alles jägermässig. Darum ist die Hauptfarbe des Charakters bey Herrn Hambuch gut.

Herr Seipelt (Caspar) wirkte ebenfalls mit mehr Glück in den beyden letzten Vorstellungen und befriedigte sowohl durch Gesang als Darstellung grössten Theils. Es versteht sich von selbst, dass wir den eigenthümlichen Reitz im Organe, dessen Herr Forti sich erfreut, eben so wenig vergessen, als die Anmuth seines jugendlich männlichen Wesens. Im Trinkliede zeigt sich diess ganz vorzüglich. Die alle physische Kraft in Anspruch nehmende Arie gelang dem Herrn Seipelt schon besser. Dlle. Thekla Demmer war recht artig als Annchen, besonders steht ihr die Farbe des Charakters gut an.

Das übrige Personale wirkte sehr zweckmässig. Der Chor war kräftig und brav, das Orchester bis auf Einzelnheiten in manchen Instrumenten exact und präcis.

[…]

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Ran Mo

Überlieferung

  • Textzeuge: Allgemeine Musikalische Zeitung, mit besonderer Rücksicht auf den österreichischen Kaiserstaat, Jg. 6, Nr. 59 (24. Juli 1822), Sp. 465–469

    Einzelstellenerläuterung

    • „… dem Theater an der Wien“Während der italienischen Stagione in der Hofoper wurde der Freischütz ab dem 5. Juni 1822 mit neuen Dekorationen von Hermann Neefe (Maschinerie: Andreas Roller) im Theater an der Wien gegeben; vgl. u. a. die Besprechung in der Wiener Theaterzeitung vom 11. Juni 1822.
    • „… , in dieser Rolle auftreten“Am 30. Juni 1822.

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