Aufführungsbesprechung Hamburg: „Oberon“ von Carl Maria von Weber am 15. Januar 1829

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Correspondenz-Nachrichten.

Aus Hamburg.

Endlich wurde auch uns die Freude zu Theil, des verklärten Meisters Weber Schwanengesang: Oberon, auf unserer Bühne zu sehen. Die langdauernde Vorbereitung zu dieser Vorstellung wurde vollkommen durch die Sorgfalt und den Aufwand, womit die Direction die Oper ausgestattet hatte, gerechtfertigt; denn man darf mit Recht behaupten, daß bei uns nie früher Aehnliches ist gesehen worden, da unsere Bühne nie einen Maschinisten besaß, der einigermaßen etwas zu leisten im Stande gewesen wäre. Jetzt hat sie an Höck, welcher von der aufgehobenen Leipziger Bühne zu uns kam, eine sehr gute Acquisition gemacht; er hat auf dem so sehr beschränkten Raume außerhalb und oberhalb der Scene das Mögliche geleistet und gleich bei der ersten Vorstellung durch Sicherheit und Präcision in allen Theilen der Maschinerie bewiesen, daß er seinem Werke vollkommen gewachsen war. An unserm wackern Decorationmaler Cocchi fand er eine tüchtige Stütze. Dieser Künstler begnügt sich nicht, ein oberflächlich gearbeitetes Scenenbild zu liefern, welches vielleicht auf den ersten Blick, durch grell aufgetragene Farben, das Auge des Nichtkenners besticht, sondern er ist stets bemüht, den richtigen Character den Decorationen zu verleihen, und er opfert daher bisweilen gerne der Wahrheit den prunkenden Schimmer auf, um den wahren Kennern zu genügen und ihren Beifall sich zu erwerben. Sein Elfensaal, bei welchem er seine Phantasie frei hat walten lassen, zaubert uns wahrhaft in den Aufenthalt des Elfenkönigs; seine Ansicht von Bagdad, bei welcher er besonders das Colorit des arabischen Himmels so wohl getroffen hat, versetzt uns unwillkührlich in die heiße Zone; sein Palast des Kalifen verdient, besonders wegen des Contrastes des Lampenlichts im Gemache mit dem Mondlicht auf der Terrasse, rühmliche Erwähnung; sein Ascalon läßt uns einen Blick auf die ruhige Meerfläche thun, der ungemein wohlthuend wirkt; so wie uns die Steinmassen der Felsenkluft auf die Erscheinung der Elementargeister vorbereiten. Auch die Schlußdecoration, das reich bevölkerte Elfenreich, macht einen grandiosen Effekt und schließt das Ganze würdig, da auch bei uns der Hof Karls des Großen nicht erscheint.

Doch wir bemerken eben, daß wir nur noch immer von dem technischen Theile der Oper geredet haben, und wir gleichen hierin unserm Publikum, welches bei der ersten Vorstellung auch nur von dem Maler und Maschinisten Notiz nahm und Beide herausrief. Doch kommen wir jetzt auf das Wesentliche.

Was den Text anbetrifft, so können wir Planché’s Arbeit durchaus nicht rühmen; er steht bedeutend demjenigen, der einst von einer Madame Seyler für die Wranitzky’sche Musik geschrieben wurde, nach, indem ihm überall Deutlichkeit der Handlung abgeht. Dazu kommt noch, daß in einem großen Hause, wie das unsrige, die einleitenden Reden Puck’s, die den Zuschauer eigentlich mit dem Zweck der Handlung bekannt machen sollen, fast unverstanden vorübergleiten, und daß dann derjenige, welcher nicht mit dem Gedichte Wieland’s* bekannt ist, das Ganze durchaus nicht fassen kann. Hätte Planché, wie jene Mad. Seyler, ¦ die Titania redend, mit ihrer Klage über das Schicksal, welches sie von ihrem Gatten trennt, vorgeführt, man würde sich mehr für die beiden Gatten interessirt und den Sinn des Stücks gefaßt haben. Planché hat dafür mehrere ganz unnöthige Scenen hinein gebracht (z. B. die Beschwörung der Elementargeister), die nur deßhalb da zu seyn scheinen, um die Lust der Engländer an Decorationen und Maschinerie zu befriedigen, hingegen die Darstellung der Oper auf deutschen Theatern, wo größtentheils diese Theile des Theaterwesens Vieles zu wünschen übrig lassen, sehr erschwert. Der Dialog leidet an einigen Stellen an einer unleidlichen Geschraubtheit; es scheint uns, als habe Planché versuchen wollen, Shakespeare’s Schwächen nachzuahmen. Dagegen sind andere Scenen wieder überaus nüchtern gehalten, und der Charakter des Scherasmin, aus dem sich so viel Ergötzliches entwickeln läßt, ist fast ganz vernachlässigt; denn einige Witze, welche ihm in den Mund gelegt sind, thun es nicht allein, indem sie durch ihre Derbheit ihr Vaterland nicht verläugnen können.

Daß sich Weber von den Fesseln, welche ihm Planché durch seinen Text angelegt, nicht hat frei machen können, ist wahrhaft schade. Wir behaupten frei und offen, daß, wenn Weber den alten Seyler’schen Text, mit einger Abänderung, von geschickter Hand bewirkt, componirt hätte, er in seinem „Oberon“ eben solche Volksoper, wie in seinem „Freischütz“, geliefert haben würde, während nun seine treffliche Arbeit, nachdem sich das Publikum an alle den Decorationherrlichkeiten satt gesehen, nicht so lange wie jener fortleben wird.

Wir sind weit entfernt, die großen Schönheiten der Musik nicht anerkennen zu wollen; es ist des Trefflichen so sehr viel im Oberon; doch nur den wahren Kenner, der im Stande ist, von einem höheren Standpunkte aus die Tonkunst zu betrachten, wird es vollkommen ansprechen; die Menge bleibt dabei ungerührt, und der überhäufte Pomp dient noch dazu, seine Theilnahme an der Musik zu schwächen. Bei uns erhält gewöhnlich nur die Ouverture und die große Scene der Rezia Beifall; das Uebrige geht still vorüber.

Zu den schönsten Stücken der Oper rechnen wir noch die große Arie des Hüon (von Weber für Braham in London nachcomponirt), die Introduction (jedoch ohne die barocke Arie des Oberon), die Beschwörungscene des Puck und die niedlichen Romanzen der Fatime. Das erste Finale macht auf der Bühne die Wirkung nicht, welche wir uns davon versprachen; wozu wohl der Umstand viel beiträgt, daß auf unserer Bühne der Türkenchor, welcher nur auf der Terrasse vorüberziehen sollte, vorn auf das Theater tritt.

Die Besetzung ließ nichts zu wünschen übrig. – Madame Kraus (Rezia), Dem. Schröder (Fatime), Cornet (Hüon), Albert (Oberon), Mad. Mädel (Puck) und Gloy (Scherasmin) brauchen nur genannt zu werden, um zu verbürgen, daß von ihnen nichts für das Gelingen der Oper verabsäumt wurde. Gloy thut alles Mögliche, um dem Scherasmin Leben und Interesse zu verleihen, doch gelingt ihm das leider nur im letzten Akte.

Die Oper ist bis jetzt vier Mal bei überfülltem Hause wiederholt worden, denn aus allen benachbarten Gegenden strömten Gäste herbei, die Herrlichkeiten anzuschauen.

Apparat

Zusammenfassung

über die EA des „Oberon“ in Hamburg

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Ziegler, Frank

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 13, Nr. 80 (3. April 1829), S. 320

    Einzelstellenerläuterung

    • „… nicht mit dem Gedichte Wieland’s“Christoph Martin Wielands Epos Oberon. Ein romantisches Heldengedicht, erstmals erschienen 1780 in vierzehn Gesängen im ersten Vierteljahresheft des Teutschen Merkur; im gleichen Jahr erschien auch eine Einzelausgabe: Oberon, ein Gedicht in 14 Gesängen, Frankfurt und Leipzig 1780; 2. Fassung 1785 in zwölf Gesängen: Die Sieben ersten Gesänge des Oberon sowie Die Fünf Lezten Gesänge des Oberon (Wielands auserlesene Gedichte, Bd. 3 und 4), Leipzig 1785.

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