Aufführungsbesprechung Berlin: „Preciosa“ von Carl Maria von Weber am 14. März 1821

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Theater.

Am 14ten März zum Erstenmale: Preciosa, Schauspiel mit Gesang und Tanz, von Wolff, Musik von Carl Maria von Weber.

Dreimal bei übervollem Hause* und mit immer steigenden Beifall der Zuschauer, in mehreren Scenen mit enthusiastischer Wärme, ist bereits dies neue Werk unsers als poetischen und mimischen Künstlers vielgeachteten Wolffs vorgestellt. Refer. mag nicht verhehlen, daß ihn dieser Beifall von Herzen freut, ja, daß er ihn erwartete, so weit er Gelegenheit hatte mit dem Inhalt und der Behandlung des Stücks im voraus bekannt zu werden. Denn alle Zeichen müßten trügen oder die Neigung für das Romantische, die so tief in der menschlichen Kunst ihre Wurzel hat, gewinnt immer mehr an Breite und Raum; alle Wahrheiten, die uns behagen, alle Irrthümer, die uns theuer sind, unsere süßesten Wünsche und Hoffnungen, unsere Ahndungen und Träume, unsere ganze heutige Bildung, insofern wir sie aus so verschiedenen Elementen zusammengesetzt, nach so verschiedenen Richtungen sich bewegend, hier sich freundlich begegnend, dort widerstrebend auseinandergehend, in eine große Masse zusammenfassen dürfen; kurz das ganze bunte Spiel des Lebens wendet sich in den Augenblicken, wo es sich von Bedürfnissen und Bedrängnissen der Wirklichkeit, frei machen kann und fühlt, nach dem analogen bunten Spiel der Phantasie hin, wo Ernst und Scherz, Natur und Kunst, Sinnlichkeit und Geistigkeit, das Gemeine und das Erhabene, das Irdische und Göttliche wechseln, sich mischen, und oft mit einander auf das innigste verschmelzen.

Die Preciosa unsers Wolff giebt uns hier ein solches Spiel: geboren in der Welt der Phantasie, schwebt sie nur in ihr, und braucht just so viel Boden, um nicht in ein leeres Luftgebild, ein Phantom, daß man nirgends fassen kann, verflüchtigt zu werden. Refer. sagt unsers Wolff; er weiß übrigens recht wohl, daß er den Stoff aus einer Erzählung des unsterblichen Cervantesdas Zigeunermädchen“ von dem Geh. Finanzrath von Grunenthal bereits vor eilf Jahren übersetzt und hier in Berlin nebst andern Cervantischen Erzählungen im Druck erschienen*, entnommen hat. – Aber die dramatische Behandlung gehört ganz Herrn Wolff.

Ob hierbei im Einzelnen nicht mancher Mißgriff geschehen ist; den man eben nicht vertheidigen kann, der so leicht zu erkennen als abzuändern ist, und mit dessen Entdeckung gewisse Kunstrichter also eben nicht Ursache haben, sich so ¦ breit zu machen, wird Refer. so viel an ihm ist, nicht verschweigen; denn da Preciosa sich so ganz der Gunst des Publikums bemächtigt hat, hofft er noch recht oft den schönen Genuß mit demselben zu theilen, und wird dann noch immer Zeit genug haben – hinterher jedem, der’s hören will, zu sagen:

die Suppe hätte können gewürzter seyn, der Braten brauner und feiner der Wein.

Aus noch gültigerem Grunde, weil nehmlich nunmehr auch durch die dreimalige Wiederholung der Preciosa ihr Inhalt nicht blos der Lesewelt, sondern auch den Schauspiel-Liebhabern genugsam bekannt geworden ist, hält er die mindeste Erwähnung desselben für überflüssig. Vollends überflüssig ist alle Empfehlung der Art, wie das geistreiche Werk in die Scene gesetzt worden. Der Intendant und die Regie unserer Bühne haben sich dadurch ein neues Recht auf die volle, und wo möglich beharrliche Erkenntlichkeit aller Schauspielfreunde erworben.

Genug; für Aug’ und Ohr ist reichlich gesorgt, und Jeder der nicht so bettelarm ist, daß er Geist und Herz nur in den Gesellschaften, die das Aushängeschild davon tragen, ängstlich zu suchen sich abmühen muß, dem wird Geist und Herz auch aus der Preciosa freundlich entgegenkommen. – Aber warum Spanische Früchte in Deutschland? Ei, ist die Heimath des Cervantes, der Calderone, der Moreto nicht die Heimath aller bessern Geister? Alle diese haben ein gemeinsames Vaterland. Auch scheint es eben nicht das Spanische zu sein, was gewissen Leuten so spanisch vorkömmt; spanisch Bitter, spanische Merinos, sind ihnen gar nicht zuwider; ein spanischer Mantel ist vielleicht für sie gemacht; Spanische Fliegen treiben oft den Unrath (aber nicht allen) bei ihnen aus: Nur die Spanischen Dichter!!! Wehe, wehe, rufen sie über ihnen, wie jener Schulmeister, der den Verlust der harten Zucht der alten Zeit beseufzt, als noch die Knaben Esel tragen mußten, und vor dem nun die neue Zeit in ihrem modernen Kleide erscheint; ach! ruft er aus: die Menschheit kommt mir doch bedenklich vor; was besser frommt – Gott in der Höh’ sei Richter! ob Span’sches Rohr, ob Spansche Dichter? – Bei gewissen Aeußerungen wäre es wahrlich nöthig, die Kunst nicht zu lachen, zu lernen! Nur wenig Worte noch über die mimische Darstellung; auch diese hat das in den bisherigen dreimaligen Wiederholungen anwesend gewesene Publikum nach Verdienst anerkannt. Mad. Stich (Preciosa) ist jedesmal hervorgerufen und hat, besonders in der Scene des zweiten Akts, wo sie dem Alonzo aus feinem Antlitz weissaget, wahrhaft entzückt und im letzten Akt hingerissen. Für den Refer. bedurfte es dieser neuen Offenbarung ihres außerordentlichen Naturells für mimische Kunst und ihrer Intelligenz nicht; er hat es, ehe die Bildung desselben es überall so einleuchtend gemacht, schon lange vorher anerkannt und sich durch nichts irre machen lassen. Aber klarer ist es ihm bei Gelegenheit dieser Preciosa geworden, was Goethe in Wilhelm Meister sagt, daß ein glückliches Naturell für die Kunst immer das erste und letzte, Anfang und Ende sei, nur in der Mitte dürfte dem Künstler manches fehlen, wenn nicht Bildung erst das aus ihm macht, was er sein soll.

Im Gesang ist ihre Höhe lieblich; vielleicht vermißt der technisch-gebildete Musiker, der nur ein Ohr für einen mehr oder weniger falschen Ton hat, manches; dergleichen Ausfallungen erinnert Refer. sich auch an dem Gesang der Bethman vernommen zu haben. Aber wo die Seele mitsingt, schreibt dem Refer. ein Mann von Gefühl und der zugleich ein rechter Musikkenner ist, einer im eigentlichen Sinn der Worts – ist die Wirkung immer schön und auch er ist bei diesem Gesang an die Bethman erinnert worden.

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Madam Wolff giebt die alte Zigeunerin mit einer solchen Kunstwahrheit, daß gerade die rechte Wirkung hervorgebracht, die schmale Grenzlinie, über die hinaus die Wirkung zu komisch werden müßte, genau, fest und zart gehalten wird. Dergleichen vermag nur eine wahre Künstlerin. Herr Rebenstein spielte den Alonzo vortrefflich, mit voller Gluth des jugendlichen Gefühls und der Flamme des Enthusiasmus. Auch Madam Krickeberg, Herr Wauer (wie Herr Lemm, der ihn in der letzten Vorstellung ersetzte). Herr Beschort und Herr Stich, alle haben gerechte Ansprüche auf den Beifall des Publikums erworben*, welcher dem Herrn Gern Sohn für seine echte vis comica laut zu Theil wurde.

Ueberflüssig ist es, hinzuzufügen, daß wenn Hr. Hoguet und Mlle. Lemiere eine Vorstellung durch ihren Tanz verschönern, ihr ein ungemeiner und hier ganz zweckmäßiger Reiz mehr nicht fehlen kann.

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Amiryan-Stein, Aida

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 39 (31. März 1821)

    Einzelstellenerläuterung

    • „… Dreimal bei übervollem Hause“Die ersten drei Vorstellungen fanden am 14., 19. und 26. März 1821 statt.
    • „… Cervantischen Erzählungen im Druck erschienen“Friedrich Sigismund von Grunenthal, Lehrreiche Erzählungen aus dem Spanischen des Cervantes, Teil 1, Berlin 1810.
    • „… den Beifall des Publikums erworben“F. Krickeberg gab die Donna Clara, C. Wauer bzw. F. W. Lemm den Zigeunerhauptmann, J. F. Beschort den Don Fernando de Azevedo und W. Stich den Don Eugenio.

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