Christian Gottfried Körner an Unbekannt in Leipzig
Berlin, Samstag, 8. März 1823

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Ew. Wohlgebohren

haben mich durch einen schätzbaren Beweis Ihres Vertrauens erfreut, und ich eile Ihre Frage nach meinem besten Wissen und so unbefangen und ausführlich, als es die Wichtigkeit der Sache erfodert, zu beantworten.      Daß Herr Weinlig als Theoretiker sich auszeichnet, ist Ihnen schon bekannt. Von seinen Compositionen für die Kirche wird er wohl Proben eingereicht haben. Was ich von seinen früheren Arbeiten kenne, war ernst und tüchtig, und durch einen zweyjährigen Aufenthalt in Italien sind seine Formen gefälliger geworden.      Von seinem Personlichen kann ich Folgendes bezeugen. Sein Vater wünschte ihn zum Juristen auszubilden, er überwand seine Neigung zur Musik, studirte Rechtswissenschaft mit Fleiß und Erfolg, gestand aber dem Vater, der Hofrath in Dresden war, daß es ihm schwer werde den frühern Trieb zur Kunst zu unterdrücken. Der Vater hoffte ihn noch durch Schwierigkeiten abzuschrecken und trug seinem Bruder (dem Cantor in Dresden) auf, dem jungen Weinlig den Unterricht nicht leicht zu machen. Dieß geschah, aber der junge Mann harrte aus, und gieng so vorbereitet nach Italien, daß er in die philharmonische Academie zu Bologna aufgenommen würde. Er ist eine ächt deutsche Natur von stiller Kraft, die sich nicht glänzend und mit Geräusch ankündigt. In seinen Verhältnissen gegen die andern Lehrer und gegen die Schüler wird er sich männlich aber ruhig betragen. Daß er bey der Creuzschule seine Lage unerträglich fand, gereicht ihm bey den Umständen, die Ihnen schon bekannt sind, nicht zum Vorwurf.      Seit sieben Jahren habe ich ihn nicht gesehen, aber damals war er körperlich gesund und kräftig, auch keineswegs mürrisch, sondern in heitrer Gesellschaft von gutem Humor. Er ist nicht ohne eignes Vermögen, und seine Stunden werden ihm gut bezahlt, da er besonders als Gesanglehrer sich die italiänischen Kunstvortheile zu Bildung des Organs zu eigen gemacht hat. Eine Schülerin von ihm, die sich durch Wohlklang der Stimme, reine Intonation und schönen Vortrag auszeichnet, habe ich selbst gekannt. Ein sicheres Einkommen mag allerdings für den Familienvater anziehend seyn, auch reizt ihn wohl die Aussicht, einem brauchbaren Chore vorzustehen, und zu eignen Arbeiten mehr Muße zu haben.      Kurz nach meiner Überzeugung, würde ich keine Bedenken haben, ihn zu einem Nachfolger Schichts zu empfehlen. Es fehlt ihm auch nicht an gelehrter und geselliger Ausbildung um in jedem Zirkel zu seinem Vortheil erscheinen zu können. -

Die guten Nachrichten von dem Kunzischen Hause freuen mich sehr. Sagen Sie beyden viel Herzliches von mir und den Meinigen. Daß Sie sich in Berlin so selten machen ist nicht löblich. Bessern Sie sich und vergessen Sie unser Haus nicht.HochachtungsvollEw. Wohlgebohren
ganz ergebenster
Körner

Apparat

Zusammenfassung

Empfehlungsschreiben für Christian Theodor Weinlig für dessen Bewerbung als Thomaskantor (s. a. den Empfehlungsbrief von Weber)

Incipit

Ew. Wohlgebohren haben mich durch einen schätzbaren Beweis

Überlieferung

  • Textzeuge: unbekannt

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • [Anonym], Zum musikalischen Konversationslexikon, in: Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik, Literatur und Kunst, Jg. 42, 1. Quartal, Leipzig 1883, S.571-579 (Brief auf S. 578)

        XML

        Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
        so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.