Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 6. September 1817

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Am 6. September. Medea, Melodrama von Gotter, Musik von G. Benda. Letzte Gastrolle von Mad. Schröder, zu ihrem Benefiz. Nebst 16 mimischen Darstellungen.

Die Geschichte des Gotterschen Melodrama wäre ein Beitrag zur Theaterkunde der letzten 5 Jahrzehende. In ihrer ersten Gestalt trat diese Medea bloß in rhythmischer Prose auf. So componirte sie Georg Benda, und in dieser Gestalt erhält sie sich noch, obgleich mit manchen kleinen Abänderungen, auf unsrer Bühne. Später gab ihr der Dichter selbst das lyrische Sylbenmaß, in welchem sie auch im zweiten Theil seiner Gedichte abgedruckt steht. Größere poetische Fülle. die bei diesem Gegenstand so leicht wäre, würde sich mehr hervordrängen, als gut ist. Je einfacher die Worte, desto mehr Spielraum hat die Darstellerin für die Entwickelung der hochtragischen Situationen. Dazu aber gehört eine vollendete Meisterin in der Verschmelzung musikalischer Declamation mit allen Künsten der Mimik und mit dem lebendigsten Eindringen in den Sinn des Dichters. Wir haben in dieser Rolle Furien gesehen, die, um mit Shakspeare zu reden, den Herodes über den Herodes spielten. Wir haben einseitige, der malerischen Drapirung alles übrige aufopfernde Stellungs-Bildnerinnen darin erblickt. Gotter dichtete, Benda componirte dies Melodrama für die erste tragische Schauspielerin, die damals nach dem Schloßbrande von Weimar in Gotha spielte, die Sayler. Nur einer solchen mag diese Aufgabe gnügen. Darum entzückte uns auch Mad. Schröder in dieser Rolle und vollendete durch diese Darstellung die Ueberzeugung, daß was ihr Namensverwandter, Schröder in Hamburg, einst im hohen Trauerspiel gewesen, sie noch sey.

Nicht jene antike, wüthende Kindermörderin mit dem Dolche (die dadurch, wie in einem eignen Aufsatz gezeigt worden ist,*) in alten Bildwerken das Attribut der tragischen Muse wurde), sondern die in liebendem Wahnsinn die Kinder inbrünstig umfassende, sie aber vor der Schmach der Knechtschaft, vor den Mißhandlungen einer Stiefmutter in dem Augenblicke, wo die Nebenbuhlerin im Hochzeitzuge stolz neben dem ehebrecherischen Jason sich zeigt, selbst durch die blutigste Unthat doch nur rettende Mutter sollen wir in dieser Medea erblicken. Dies beabsichtigte Gotter beim Entwurf dieser musikalischen Dichtung und erlaubte sich daher die wesentlichsten Abweichungen von der alten Fabel. Darauf arbeitete der jetzt viel zu sehr vergessene Benda hin, der Erfinder dieser Art von musicalisch-declamatorischen Dramen, wodurch die Würde der Declamation auf ihren äußersten Gipfel erhoben wurde. Jede Ausrufung, jede Frage, jedes Komma, jeder Ruhepunkt, jeder Strich des Denkens oder der Erwartung, jedes aufbrausende oder sinkende Gefühl des Declamators wird durch diese von Benda zuerst erschaffene Composition ausgedrückt. Zuweilen stürzt auch die musicalische Begleitung in die Rede selbst, aber nicht sie zu ersäufen, sondern sie auf ihren Fluthen zu tragen. So hebt und trägt eines das andere. Aber welcher Umfang der Stimme, welche physische Kraft setzt dies bei der Schauspielerin voraus, die hier allem gnügen will. Wie wenig haben dies die meisten unsrer Medeen bedacht. Und dann ist es gar nicht weder mit dem Ohrenschmaus volltönender Declamation, noch mit der Augenlust mimischer Bewegung und Geberdung allein gethan. Beide müssen da seyn, sind unerläßliche Ausstattung. Aber die Hauptsache ist und bleibt Tiefe des Gefühls, ¦ Wahrheit des Ausdrucks. Man hat in der Ueberlieferung ein altes Wort, welches Wieland einst sagte als von dem meisterhaften, aber doch etwas zu heftigen Spiele der Sayler in der Medea die Rede war: sie müsse so gespielt werden, daß die Polizei besorgt werde, es könne das Spiel Kindermörderinnen machen. Die poetische Hyperbel abgerechnet, liegt etwas wahres darin. Mad. Schröder wußte, ganz in der Intention des Dichters, den Affect der Mutter den Ausbrüchen der Eifersucht und Rachsucht so sehr als Gegengewicht entgegen zu stellen, daß uns der bis zum Kindermord gesteigerte Wahnsinn weniger Abscheu als Entsetzen einflößte und daß wir die Zurechnung dieses fluchwürdigen Verbrechens weit mehr auf den Jason, als auf die Medea zu legen uns geneigt fühlten. Man kann sie nicht hassen, diese Medea, man kann sie nur mit stummen Graus, daß eine Mutter mit dem tieffsten Gefühl der Mutterliebe durch Verkettung der Umstände so weit gebracht werden kann, beklagen. Im Spiel der Mad. Schröder dämmert der erste Blutgedanke, den ihre Seele faßt, vor unsern Augen auf. Es wird uns klar, wie es endlich dazu kommen mußte. Wir haben diese Gottersche Medea einst von der berühmten Brandes mit aller gesteigerten Höllen-Mimik tragiren sehn und bewahren auch jetzt noch den jugendlichen Eindruck in unsrer Brust. Und die Medea auf der griechischen Bühne wurde, wie wir aus einigen Sinngedichten in der griechischen Anthologie wissen, in höchster Wuth noch schonungsloser gespielt, weil es im griechischen Sinn eine Barbarin war. Gern aber wollen wir’s der Künstlerin, die lieber menschliche Motiven vorwalten ließ und selbst eine untadelhaft-zärtliche Mutter von sechs lebenden, ihr sehr theuren Kinder ist, danken, daß sie auch durch die psychologische Wahrheit des Spiels diese Rolle so milderte, ja, wenn das Wort erlaubt ist, ent–teufelte.

Dazu wirkte zunächst und gleich beim Anfange die Oekonomie des Spiels und die haushälterische Vertheilung ihrer Kräfte, nicht aus Mangel, sondern weil jeder zu früh hervorauellende Ueberfluß eine Lüge gewesen wäre. Welch eine Stufenleiter von dem äußerst weichen, im namenlosen Schmerzgefühl aufgelöseten Eintritt in die Säulengänge des Pallastes bis zu dem, im schmelzenden, nicht schneidenden Jammertone und mit isolirender Geberde ausgesprochenen: ich bin allein in der Schöpfung, und nun wieder von dem ersten Anflehen der Juno um Rache auf des treulosen Jason Haupt bis zum Anruf der Hecate gleich vor der Ermordung, welches wir für den Scheitelpunkt ihrer erschütterndsten Declamation halten möchten. Es giebt, wie wir aus Reisebeschreibungen wissen, Gegenden, wo die furchtbarsten Donnerwetter viele Tage nach einander grollen und brausen. Da achtet kein Einwohner mehr darauf. So ist’s mit unsern Sturm- und Drang-Declamatoren. Warum erzitterte aber jede Nerve in uns, als die Schröder ihre ungezügelte Kraft losließ, die Macht der Hölle anrief und der Sonne gebot, sich am Mittag zu verbergen! – Nun stürzt sie mit Triumphgeschrei in den Thalamus. Die höchste Wirkung brachte ihr trefflich berechnetes Wiedererscheinen nach vollendeter Blutthat hervor. Sie stürzt von der Stufe herab, flog hin auf den Boden, den langen Purpurmantel, wie einen Blutstrom, nach sich ziehend. Nun erst, langsam zuerst den Kopf, dann den Oberleib aufraffend, verhaucht sie mit unausprechlicher Wehmuth den Seufzer an die Juno: erbarme dich der reinen, schuldlosen Seele meiner Kinder! Da hört ihre entzündete Fantasie die Fittige der Furien rauschen. Sie springt, wie ein Wild von diesen Jägerinnen gescheucht, auf und ruft viermal: peitscht ihn her, den Verbrecher, zuletzt natürlich mit halberstickter, dumpfer Stimme. Alles übrige, was Dichter und Compositeur hier noch hinzuthat, blieb | weg. Jeder Zusatz ist hier vom Uebel und gießt laues Wasser auf. So blieb im Ganzen manches weg, was nur schwächen konnte. Denn die Künstlerin bediente sich eines Exemplars, welches der große Schröder für die Hamburger Bühne zubereitete. Hätten wir übrigens nicht schon bei andern Scenen das herrlich ausgebildete, nie auch bei der gewaltigsten Verstärkung kreischende oder sich überschreiende Stimmenmaß der seltnen Frau zu bewundern Gelegenheit gehabt, so wäre es in dieser und in der Schlußscene der Medea gewesen. Denn allerdings gab es da noch eine früher nicht vernommene Steigerung oder Biegung der Stimme, als sie auf dem Drachenwagen schwebend zum zweitenmale das Herz-zerschneidende: Jason! rief, wozu dann das unbetont starrende: geh und begrabe Deine Kinder, wie das ferne Verhallen des rollenden Donners sich verhielt. – Eben so rein und, wenn das Wort so gebraucht werden darf, keusch war ihr ganzes Mienen- und Geberdenspiel. Bei den heftigsten Momenten, wo Wuth und Verzweiflung sie packen, doch keine Verzerrung. Denn nur die Ohnmacht hat Muskelkrampf, ist über-beweglich, den beweglichsten, leichtsinnigsten aller Bäume, der Zitterpappel, ähnlich. Daher selbst da, wo sie dem vorübergefahrnen Hochzeitswagen nachschreitet, Großheit, Adel in jeder Bewegung; wo sie ihre Zaubermacht schildert, ruhige Haltung. Anders genommen ist’s ja nur Fanfaronade, Großsprecherei.

Da, wo alles aus einem Guß und mit sich selbst im reinsten Einklang ist, mag es ein undankbares Geschäft genannt werden, einzelnes nur in der Belobung hervorzuheben. Doch möchten wir besonders noch auf die Stellung und Geberdung hindeuten, wo sie in ihrem Innern über die empfindlichste Rache, die sie an dem Jason nehmen könne, rathschlagt, nachdem sie ausgerufen hat: hat er nicht Kinder! entsetzlicher Gedanke! – Wie bedeutsam war da das Umwickeln des Mantels, die Einhüllung des ganzen Körpers, womit sie diesen innern Blutrath vorbereitete, und das Bezeichnen der vorübergehenden Rathschläge durch die Fingersprache der über den Mantel hervorragenden, zum Kinn gehobenen Hand. Zu solchem Spiel gewann sie durch die inzwischen einschreitende Musik Zeit und so dürfen wir überhaupt jene wahre Meisterschaft nicht unerwähnt lassen, womit sie die eintretenden Tonsätze bald vorbereitend, bald nachbildend ausfüllte. Da ward uns erst deutlich, was Melodrama sey.

Welche Bilder und Gruppirungen der Mutterliebe gab uns die Künstlerin in der Scene, wie nun die kleinen, von ihr lieblich eingelehrten Kinder zu ihr gebracht worden sind. Wir wissen, was wir sagen, wenn wir die erste Gruppe, wo sie das eine Kind hoch über sich hält, mit jenem Basrelief, wo die Nymphen den jungen Bacchus emporhalten; die zweite Gruppe, wo sie niederknieend beide Kinder an sich drückt, mit einer Caritá des Da Vinci in der vormaligen Casseler Gemähldegallerie verglichen. Auch hier waltete weise Mäßigung. Statt des Unwillen erregenden Zurück! am Schlusse dieser Scene, stellten sich beide Kleinen ihr mit Aengstlichkeit gegenüber, und da ächzte sie die Jammerworte: Weg mit diesen Blicken! meine Liebe ist euer Tod! Das durfte sie sänftigend thun, da sie vorher das furchtbare Todesurtheil über den ältern Knaben: Der sieht ihm am ähnlichsten, der sey der Erste! mit wahnsinnigem Ergreifen und Emporreißen des Kindes in vollster Kraft durchgespielt hatte. Denn sonst wäre diese Milderung nur Nothbehelf, Manier, falsche Schminke gewesen! Nun bedurfte es auch gar nicht des empörenden Anblicks der Ermordeten, den uns eine Darstellerin, indem sie die Kleinen recht malerisch an den Stufen zum Gemach zurecht legte, so wenig zu ersparen Lust hatte. So etwas gehörte stets in Alterthum wie in neuerer Zeit hinter die Scene.

Medea bleibt auch in dieser modernen Erscheinung doch der Hauptsache nach eine Antike. Darum freuete es uns, diese denkende Künstlerin auch im Sinne und in ¦ der Sitte des Alterthums beten zu sehn, da wo sie kniefällig die Ehemutter Juno anfleht. Vielen blieb es unbekannt, daß unsere Art beim Beten die Hände in einander zu flechten und zu falten eine orientalische Unterwürfigkeits-Geberde ist. Mit so in einander gefalteten Händen stand von jeher der Dienende, Aufwartende in der Pforte (in den Hallen des Pallasts vor dem Großkönig, Schach, Sultan). Der Grieche und Römer beteten, um zu empfangen. Er hielt also beide Hände dem Kopf gleich oder auch über dem Kopf empor, so das die flache, zurückgebogene, gen Himmel gekehrte Hand die bereitwilligste Empfänglichkeit abbildete. Wer die schöne antike Bronze im königl. Schloß in Berlin, den betenden Jüngling, gesehn hat, kennt diese Stellung, die übrigens, wie Mad. Schröder bewieß, durch Senken und Heben bald des rechten, bald des linken Armes und durch verkürzten oder erweiteten Zwischenraum der Hände und Arme alles Eckige verliert, das Gesicht den Zuschauern nicht benimmt und das mannigfaltigste Spiel im Armtanz (Chironomie) verstattet. – Eigenthümlich war unserer Künstlerin und zur Individualisirung dieser Rolle bequemlicher das leise Erheben des Körpers durch das Auftreten bloß mit den Fußzehen. Man begreift daß auch hier das Erhabene an das Lächerliche eines Mikromegas (Gernegroß) streift. Aber wie sich diese Medea hebt, da war’s nicht lächerlich. Es versteht sich ja, daß unsre alles erwägende Künstlerin neben der Eifersucht, aus welcher allein die gewöhnlichen Darstellerinnen sich ihre Furienpeitsche flechten, eine zweite Motive eben so kräftig hervorhob, den beleidigten Stolz. Ihr gehorchen die Elemente, der Sonnenlauf und der Erebus. Und eine solche konnte der verblendete, liebessieche I–ason (so muß es syllabirt werden) verschmähen. Da machte das Erheben des Körpers im stolzen Selbstgefühl eine treffliche Wirkung. Es war Naturspiel. So wächst die Ceres empor, wenn sie dem Frevler Ersichthon erscheint. Im wahren Naturausdruck bedeutsam ist auch bei manchen Stellen das Zunicken mit dem Kopf, z. B. bei den Worten zu den Kindern: nein, nein, ihr sollt nicht Brüder von Kreusa sehn! Bei der Vision, wo sie sich die Qualen des Jason vergegenwärtigt, traten mit dem vorwärts gebeugten Körper die funkelnden Augen weit wor, die Hand aber zeigte Verachtung. Auch in der Pause ist sie Meisterin, besonders wo die Stimme auf einmal von Weichheit und Erbarmen ins Gegentheil umsetzt. So in der Rede an die Kinder, wie sie mit schmelzender Innigkeit das: „wandelt hinab zu den Schatten, in Unschuld und Frieden“ ausgehaucht hat, und nun nach einer furchtbaren Pause hinzu setzt: verkündet der Höllenmacht, wer euch sendet, wer euer Vater ist.

Wir können diese uns selbst wenig gnügende Andeutung nicht schließen, ohne zu bemerken, daß das wunderbare Medeen-Spiel, wie es diese Meisterin im ächten Cothurn uns gab, lebhaft an jenes berühmte Gemälde des Timomachos im Alterthum erinnerte, welches in der Medea die kinderliebende Kindermörderin vorstellte und einst für 50,000 Thlr. von Julius Cäsar gekauft im Tempel der Venus die Bewunderung Roms machte. Denn man kann auf Mad. Schröder vollkommen anwenden, was dort der griechische Sinndichter von der Medea des Timomachos rühmt: *)

Wunderbar übt sie die Kunst, den doppelten Willen zu bilden,Diese zum Rachegefühl, jene zum Mitleid geneigt.Und das Wunder gelingt. Betracht’ es hier! Thränen vermischenSich mit dem Zorne; die Wuth ist mit Erbarmen vermält.

So sahen wir, in dieser scenischen Bildnerei, unsere Medea in höchster Wahrheit des Gefühls und in untadelhafter Kunst, stets jenes Wortes von Schillern eingedenk:

Aufrichtig ist die wahre Melpomene!

| Zwischen den uns am Schlusse des Abends versprochenen mimischen Darstellungen, trat, den hohen Ernst der Medea zu mildern und zu erheitern, ein alter Liebling, das Räthsel von Contessa, sehr erfreulich ein, worin Elise von Mad. Hartwig trefflich gegeben wurde. Es ist der liebenswürdigste, launenhafteste Trotzkopf, den man sehen kann. Unsere verdienstvolle Künstlerin spielte darin mit der jugendlichsten Munterkeit und Frischheit. Sie war in diesem Augenblick wirklich das 16jährige Mädchen, und wurde dafür vom ganzen unbefangenen Publikum, besonders auch den zahlreichen anwesenden Fremden aus Berlin, dankbar anerkannt. Es verdient daher eine laute Rüge, wenn dies mit verlautbarter Ungezogenheit von jemand, dem eine Rolle in Göthe’s Neoterpe zugehört, verkannt wurde. Wo ist denn das 16jährige Mädchen, die uns die treffliche Künstlerin gerade in solcher Rolle zu ersetzen vermöchte? Ohne sie, wie viele Rollen würden unbesetzt scheinen? Wie viel sind wir ihr, die nie ermüdete, schuldig? –

Mad. Schröder setzte ihren genußreichen Darstellungen auf der Dresdner Bühne durch eine Reihe mimischer Gestaltungen von seltener Wahrheit und Vortrefflichkeit den schönsten Kranz auf. Sehr sinnig hatte sie auf einer zwei Stufen hohen Estrade in der Mitte einer angemessenen Bühnen-Decoration einen Rahmen mit einem dunkelrothen Vorhang aufgestellt, durch dessen Auf- und Zuziehn jede Vorstellung als ein isolirtes Ganzes hervortrat. So oft der Vorhang schwand, stand sie schon fertig gestaltet und drapirt, bewegungslos, doch ein belebtes Standbild, in dieser Einrahmung vor unsern Augen. In so fern gehörten also ihre so lange, als man bequem bis 20 zählen konnte, festgehaltenen Schaustellungen ganz der Sculptur an. Sie waren rein-plastisch. Aber durch die völlige Verdunkelung des ganzen Hauses und durch die Bedeckung aller Bühnenbeleuchtung, im Gegensatz der durch Kunst seitwärts auf das Standbild geworfenen Lichtmasse, und durch die zum Theil gefärbten Gewänder und ihre Faltenbrechung, trat diese Plastik auch wieder in’s Gebiete der Malerei und die durch Licht und Schatten wirkenden Künste ein. Um den Zauber zu vollenden, durfte die Tonkunst nicht fehlen. Eine für diese Bilderreihe von dem geistreichen Compositeur, den Ritter v. Seyfried in Wien, ganz eigenthümlich gesetzte musikalische Begleitung, bestehend aus Horn, Flöte, Fagot und Harfe, oder einem andern die Harfe ergänzenden Saiten-Instrument, verschmolz den strengen Ernst der Plastik und der bestimmtesten Formen mit der freiesten Anregung der Fantasie, die nur die Macht der Töne so entfesselt, und wirkte bald einzeln vorbereitend und spannend, bald auflösend und sänftigend im anmuthigsten Einklange. Ein älterer Freund der Künstlerin, unser verehrter Kapellmeister, Maria v. Weber, hatte die Leitung dieser musikalischen Zugabe selbst übernommen.

Die schöne Darstellungsfolge eröffnete in einer vierfachen Gestaltung Agrippina mit dem Aschenkruge, der die Ueberreste des geliebten Germanicus umschließt. Die erste Stellung zeigt uns die in Zerflossenheit des Schmerzes aufgelößte, an den Aschenkrug hingegossene noch trostlose Traurende. In der zweiten Stellung hat sich die schmerzlich Betrübte doch schon von der Erde aufgerichtet. Sie knieet rückwärts gebogen mit dem Kruge auf dem Schooße. In der dritten steht sie aufrecht, den Krug innigst an ihre Brust drückend. In der vierten endlich zeigt die malerisch gen Himmel gehobene Rechte, die unbewölkte Stirne, das aufwärts gerichtete thränenlose Auge, daß mit dem, was dieser noch immer eng an die Brust geschlossene Aschenkrug enthalte, nicht alles zu Ende sey. Die Abstufungen vom Jammer zum Schmerz, vom Schmerz zur Traurigkeit, von der Traurigkeit zur Hoffnung in diesem Cyclus waren in Miene und Gebehrden jederzeit so fest gehalten und bezeichnet, daß es schon daraus jedem zur Gnüge deutlich wurde, die Künstlerin ¦ sey mit der Tonleiter der Affekten überall im Klaren; Sie habe das Richtmaß und so könne ihr’s nicht fehlen. Wir erinnern uns, anderswo dieselben Steigerungen in derselben berühmten Aschenkrugträgerin, aber in stets fortschreitenden Pantomimen gesehn zu haben. Aber braucht nicht eine solche Besänftigung in der Natur Monate und Jahre? Wie viel liegen da leise Schattirungen dazwischen? Wie unnatürlich also, dieß so in einem Fluß gleich nach einander in beweglichen, pantomimischen Tableaux vorbilden zu wollen? Hier erblicken wir bei jedem neuen Aufrollen des Vorhangs ein nicht vor unsern Augen entstandenes, gleichsam nur die Spitze einer Reihe von langsam durchgefühlten Gemüthszuständen. Wir können uns, ohne unsrer Fantasie Gewalt zu thun, zwischen dem ersten Jammerbild der auf die Erde hingestreckten Umarmerin des Krugs bis zu der verklärt aufblickenden einen Zwischenraum von vollen zwei Jahren denken. Auf welcher Seite ist da die Wahrheit? Lady Hamilton gab stets nur die aufrechtstehende, den Aschenkrug an die Brust drückende Agrippina. Die dankbarste Stellung bleibt dies allerdings. – Wenn endlich hier und da bemerkt wurde, daß die nicht christliche Aggrippina nicht gen Himmel zeigen könne, so erinnerte man sich nicht an jenes Fragment aus der Republik des Cicero, an den Traum des Scipio.

Immer blieben diese vier Darstellungen nur ein Fingerzeig, wodurch uns die sinnvolle Künstlerin gleichsam nur zuwinkte: seht, das versteh’ ich unter mimischen Darstellungen. Auch die, welche nicht Augenzeugen waren, werden nun schon aus dem Gesagten abnehmen können, daß hier weder vom Tableaux, wie sie wohl in hoher Vollendung schon mehrmals der Berliner Künstlerverein gestellt hat, noch von pantomimisch fortschreitenden, beweglichen Gestaltungen, die also mehr zum Ballet hinneigen, hier die Rede sey. Jede Stellung ist eine Statüe, und giebt also nur den prägnantesten Moment der Leidenschaft auf einen bestimmten Zeitraum unbeweglich fest gehalten.

Ueber die in vier Abtheilungen nun folgenden zwölf Gemüthsbewegungen ließe sich vielleicht kein ganz unbedeutender Nachtrag zu Engel’s (nie vollendeter) Mimik schreiben. Aber wie schwindet alle Buchstabenweisheit (am Ende immer ein Nachklang von Le Bruu’s bekannten Passions und Lairesse’s großem Malerbuch) gegen eine solche Gallerie der lebendigsten Musterformen. Man muß dabei aber nicht vergessen: 1) daß die Künstlerin meist nur tragische, ihrem Kunstkreis entsprechende Affekte gewährte, also weit mehr auf charakteristische Wahrheit im großen Styl, als auf Schönheit der Formen überhaupt hinarbeitete; 2) daß sie die Draperie hierbei durchaus als Nebensache behandelte, auch in der bewunderungswürdigen Kürze des Zeitraums, in welchem sie diese Stellungen gab, weder Zeit noch Lust hatte, den Faltenwurf durch Künstler-Hände ordnen zu lassen; 3) daß sie überhaupt mehr der ergreifenden Wahrheit, als der einschmeichelnden Grazie opferte, also alle kleinen Toilettenkünste verschmähte, ob sie solche gleich kennt und zur rechten Zeit anzuwenden weiß. Wir können hier nur einige kurze Andeutungen schreiben. Man müßte so etwas öfter sehen, um ein bestimmtes Urtheil, einen festen Umriß fassen zu können. Man müßte mit der neidlosen, gern mittheilenden Künstlerin selbst über manche Materie sprechen können. Dies war schon darum unmöglich, weil sie sogleich nach dieser Vorstellung sich in den Wagen setzte und abreiste. – Vieles erschien uns hier noch einmal in festgehaltener Form, was wir in der Medea diesen Abend schon in beweglicher Pantomime und auf Flügeln der Rede mit der Kraft der Declamation erhoben erblickt hatten.

Die erste Quadrille, wenn wir so reden dürfen, war Liebe, Eifersucht, Haß, Verachtung. Die Stufenleiter und den innern Zusammenhang fühlt jeder, der nur etwas darüber nachgedacht hat. Als Grundton in dieser Scala durfte die Liebe nicht | fehlen. Aber was ist die Psyche ohne den Amor. der wahre Ausdruck der Liebe, die liebäugelnde, liebkosende Liebe bildet sich nur in Gegenwart des geliebten Gegenstandes. Isolirt kann sie nur die schmachtende oder schwärmerische Sehnsucht seyn. Wir besitzen in unserer, für die mimische Kunst noch viel zu wenig benutzten Antikengallerie einen colossalischen Kopf der Königin Berenice, aus der Regententafel der Ptolomäer, von unendlichem Ausdruck. Dies könnte hier Musterbild seyn. Wirklich gab auch Mad. Schröder nur die schwärmerisch-heitere Sehnsucht. Das Herbeiwinken mit der Hand lag in der Natur. Die halbgeöffnete Lippe (das semihians labellum Catulls) fehlte nicht. Aber immer blieb die Aufgabe zu schwer für eine einzelne Figur. Die Carita hat Kinder, Ariadne hat ihren Bacchus zur Seite. – Um so bequemer für die Einzelheit war die Eifersucht darzustellen. Sie gelang auch besser, war begreiflicher. Die Eifersucht ist ja beim Alleinseyn doppelt geschäftig. Das Mienenspiel mit gebogenem Kopfe aufhorchend, ausspähend, lauschend wäre noch nicht zureichend gewesen, wenn nicht zugleich zwei vielsagende Falten auf der Stirn und die ganze Haltung des Körpers eine Mischungsempfindung von Verdruß und Schmerz andeuteten. Viel bewirkte sowohl in dieser als in der folgenden Stellung die schräge Richtung des Körpers, wodurch schärferer Schatten mit Pralllicht hervorgebracht wurde. Größer wurde durch diese nur zu schnell vorübergleitende Erscheinung unser Leid, daß wir nicht auch Phädra, die sie so gern gegeben hätte, hier sehen konnten. – Da jede Gemüthsbewegung in dieser Art Darstellung, im kräftigsten Moment und gleichsam zur höchsten Potenz gesteigert, ganz fertig vor uns stehen mußte, so mußte der auf die Eifersucht folgende Haß sich uns zugleich als Abscheu zeigen, und wenn sich dieser in abwehrender Gebehrdung aussprach, so drückt sich jener besonders in den eingebissenen Lippen aus. Denn der Haß ist ein fortdauernder, gleichsam versteinerter Zorn. Beide Affecten aber sind zermalmend und lassen in den Mundwinkeln oft die Zähne sehen. Wir hatten beide Genüthsbewegungen von der Künstlerin schon im Spiel der Medea in allen Schattirungen verschmolzen gesehen. Sonst möchte wohl die Isabeau in Schillers Jungfrau das wahre Bild des Hasses auf unserer Bühne seyn. – Jedermann kennt, was Engel in seiner Mimik über den verschiedenen Ausdruck der Verachtung, verschieden nach dem Gegenstande, der verachtet wird, bemerkt hat. Mad. Schröder gab uns die Verachtung aus Stolz. Dieser saß auf den Lippen – durch die rückwärts gebogene Haltung des Kopfes trat schon die Unterlippe weiter hervor – und blies die Nase auf. Die eigentliche Verachtung wurde durch die halbweggekehrte Stellung und durch die niederdrückende Handbewegung treffend angedeutet. Elisabeth der Maria Stuart gegenüber, wäre das wahre Gegenbild.

In der zweiten Quadrille wurde die Freude zuerst gegeben, als das einzige Positive, bejahende in dieser Reihe, da die drei damit in Verbindung gesetzten Gemüthsbewegungen, Schreck, Furcht, Angst wie verneinend erscheinen. Die wahre Freude geht stets nach außen, sobald sie aufhört, blos Fröhlichkeit zu seyn. Sie jubelt, sie hüpft, sie klatscht in die Hände. Daher die bacchantischen Tänzerinnen, die Crotalistrien (Castagnetten-Schlägerinnen) der antiken Kunst alles Musterbilder der Freude sind. Solche Freude konnte nun unsere Künstlerin in ihrem festgehaltenen Statuenbilde ein für allemal nicht darstellen. Wohl aber die Steigerung, das Entzücken. Aber die Freude mußte vorausgegangen seyn. Wie sinnreich daher der Ausweg, den die Künstlerin einschlug, um dies anzudeuten! Sie hatte eben im Ausbruche der Freude geklatscht. Noch hielt sie, als der Vorhang aufrollte, die flachen Hände aneinander. Aber ¦ diese gestalteten sich nun auch in demselben Augenblicke zum Dank gegen die Gottheit, zum Dankgebet, im schönsten Einklang mit dem entzückten Blicke zum Himmel. Wir haben mit diesem Gest eine denkende Schauspielerin die Maria Stuart in der Scene spielen sehn, wo sie sich ihrer Haft entlassen glaubt und froh hervorspringt. Nur eins wurde jetzt in dieser Stellung vermißt. Die Draperie des Mantels bauschte auf beiden Seiten zu voll auf, war für die Freude nicht luftig, leicht genug. Zum Theil war dies unvermeidliche Folge der zusammengelegten Hände. Zum Theil lag es auch schon im Ausdrucke des ruhigen Entzückens. – Der auf die Knie niedergestürzte Schreck erhielt durch die aufwärts gehobenen Arme seine volle Bedeutung. Während der rechte noch bis an die Fingerspitzen starrte, erschlaffte der Linke. Im Blick Entsetzen, Uebergang zur Wirkung des Medusenhauptes. Einige Kunstfreunde erinnerten sich hierbei sogleich an die berühmte Statue des einen Sohns und der einen Tochter Niobe, wie denn überhaupt die Niobegruppe hier wichtige Belege erhielt; andere an den Heliodor in den Stanzen. Sehr malerisch und affectvoll war die fliehende und doch den gefürchteten Gegenstand seitwärts anblickende Furcht. Abwehrende Armbewegung. Hier that auch die Draperie ihre volle Wirkung. Die so festgehaltene Stellung war äußerst schwierig und zeigte vons eltener physischer Kraft. Der ältere Sohn in der Laokoonsgruppe ist der stehende Typus. Auch die Angst war zum Sprechen wahr. Die krampfhaft auf dem beklommenen Busen zusammengepreßten Hände, die in sich geschlossene, zusammengedrückte Stellung sagte alles. Der um Rettung flehende Blick gen Himmel vollendete und milderte den Eindruck durch Resignation. So Desdemona vor dem Dolchstiche.

Die dritte Quadrille unterschied sich vor den übrigen mit weiser Wahl durch einen rothen Mantel. Es ist der Hände-ballende Zorn mit dem furchtbaren Einziehen der Augenwimpern und den ächten Zornfalten auf der Stirn, hervortretenden, blitzenden Augen. Meisterhafte Wendung des Kopfes, um der Beleuchtung die rechte Zornglut anzugewinnen. Die Nase zürnte auch. Nun die Wuth krapmfhaft zerrend mit beiden Händen an dem vorgehaltenen Mantel. Reste des convulsivischen Zuckens an der Stirn und in den Lippen. Ueberall Andeutungen des Zerreißens, Zerstörens. Hierauf die Verzweiflung ganz so, wie man sie auf einigen ausdrucksvollen Bildern der Sündfluth sahe. Niedergstürzte, doch mit dem einen Knie gehobene Stellung. Das Händeringen ist vorbei, zeigt sich aber noch in den über dem Kopfe gehobenen, den Zuschauern die Handflächen zukehrenden Armen. Den Schluß (auch in Hogarths, des Seelen-Malers berühmten Rake’s Progress) machte in dieser grauenhaft wahren letzten Reihe die Raserei, hier natürlich nur als höchster Wahnsinn gegeben, nachdem die Ketten-klirrende Raserei schon ausgetobt hat. Das Jammer-erregende sinnlose Lächeln, die krampfhaft gespreizten Finger waren die zwei Endpunkte, innerhalb welcher die Dissonanzen aller sich widerstrebenden Bestrebungen eingezeichnet standen. Es blieb in der That fast unbegreiflich, wie die Künstlerin in so kurzen Augenblicken diese harschen, sich selbst bekämpfenden Schroffheiten in Geberden, Mienen-Spiel und Draperie hervorrufen konnte. Das Höchste war erreicht. Der Vorhang mußte sich schließen, um sich nicht wieder zu eröffnen! – Doch trat die mit lautestem Beifall hervorgerufene Künstlerin noch mit ganz eigenthümlicher Grazie, hoher Bescheidenheit, dankend hervor, und ließ uns die Hoffnung, die Hoch- und Reichbegabte einmal wieder als gefeierten Gast auf unser Bühne zu sehn. Solche Erscheinungen sind Festtage!

Böttiger.

[Original Footnotes]

  • *) Ueber die Vorstellung der tragischen Muse, im neuen deutschen Merkur. 1801.
  • *) Antiphilos Anth. Gr. T. II. p. 174. XX. in Jacobs Tempe I., 182.

Editorial

Summary

Aufführungsbericht Dresden “Medea” von G. Benda am 6. Sept. 1817 mit S. Schröder; darauf: Mimische Darstellungen

Creation

vor 20. September 1817

Tradition

  • Text Source: Beilage zur Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 226 (20. September 1817)

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