Hinrich Lichtenstein an Carl Maria von Weber in Dresden
Berlin, Samstag, 11. Februar 1826

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[von Webers Hand:] Mad. Cox.                    
Russel Square 7.

Deiner bewährten Freundschaft vertrau ich mein bester Weber, wenn ich keine Entschuldigung wegen meines Stillschweigens mache. Daß ich nicht geschrieben, ist Dir Beweis, daß ich nicht gekonnt. Selbst Dein letzter Brief traf mich fast unfähig zum Antworten, ich lag im Bett, das ich, heftig erkältet, ein Paar Tage habe hüten müssen. Der heutige Abend war seitdem dazu bestimmt Dir die Addreßbriefe zu schreiben und sie mit einigen Worten zu begleiten. Es sind ihrer drei, aus deren Inhalt Du ungefähr die Qualität der Personen, an die sie lauten, erkennen wirst. Mir ist sehr wohl unter diesen guten Menschen gewesen, möge es Dir auch so ergehn! Mstrss. Cox ist die Stiefmutter von Mad: Schiffert, die Du kennst, deren Mann Du wenigstens neulich noch bei mir gesehn hast, eine gebohrne Königsbergerin, ebenso gemüthlich und schlicht, als geistreich und kunsterfahren. Ihr Gesang gilt in London mit Recht für etwas mehr, als Dilettanten-Werk. Ihr Mann macht ein hübsches, wenngleich keins der ersten Häuser. Man findet dort viel liebe, ihnen ähnlich gesinnte Leute unter welchen viele Deutsche, deren mehrste Du von mir schön zu grüßen haben wirst. Ich erinnere mich besonders eines Herrn Blom und Frau von Lübeck. Die Lebensart ist auch deutsch und die englische Etikette dringt nur wenig in diesen Kreis. Dasselbe gilt von Goldschmidt, | doch geht’s da schon etwas prächtiger zu. Sie ist eine herrliche Frau, die ich seit dreißig Jahren von Hamburg her kenne, wo sie damals wohl die Schönste heißen konnte. In dem Hause ist ein Verwandter, Herr Herz, der in der Musik lebt und webt und von Allem genau Bescheid weiß, dabei eine treue Seele. An den kannst Du Dich mit Vertrauen halten. Auch der Sohn Adolph ist ein braver Mann. Ich habe Ihnen Allen viel Verpflichtung von 1819 her*.

Logier hat mir einliegende drei Briefe geschickt, die mir was werth zu sein scheinen. Er grüßt Dich herzlich.

Wegen der 800 rh habe ich an Gr. B. geschrieben, da ich keinen andern Weg zu Herrn Tzschucke weiß*. Hoffentlich ist jetzt Alles in Ordnung.

Von der Euryanthe habe ich 4 Vorstellungen gesehn, alle bei überfülltem Hause*. An vielen Stellen vermißte ich die Leitung des Meisters, manches Tempo war verfehlt; kleine Placker im Orchester, kleine Nachlässigkeiten der Sänger zeigten, daß man sich nicht mehr zu übernehmen habe. Die 5te, gestern, habe ich nicht besuchen können. Das Haus ist aber zum Brechen voll gewesen und schon Dienstag war kein Platz zu haben. Das zeigt mir, daß es aufs Klatschen hier nicht ankomme, denn in der 4t war das Publikum ekelhaft lau und die besten Stellen blieben unbeachtet, | auch wo sie vollkommen gelangen. Du weißt, was in so einer vierten Vorstellung für Volk sein kann, die Gleichgültigen nemlich die sich zu den ersten eben nicht drängen und auch doch einmal hinhören wollen, ohne weiter etwas in sich aufzunehmen oder wieder von sich zu geben. Kurz, die Oper wird sich auf unserm Repertoir wohl halten, besonders seit sie zu den niedrigen Preiß gegeben wird. Gestern soll doch auch das Publicum lebendiger gewesen sein. Du weißt doch, daß Schneider noch ein Balletstück an den Pas de cinq hat anhängen müssen. Es ist aus Silvana und Abu Hassan genommen und wirkt wenigstens nicht störend.

Deine Fehde in Paris hat hier natürlich viel Theilnahme erregt. Man hofft, Du werdest doch den Herrn Castil Blaze noch einmal recht abführen und ihm zeigen, daß ein Unterschied zwischen einem Manuskript und einer gedruckten Partitur sei, von welchem bisher in dem Streit noch gar keine Notiz genommen ist*. Wahrscheinlich thust Du das an Ort und Stelle und läßt Dir dort Deine Replik von einem gewandten Stylisten redigiren.

Deines leidlichen Befindens und des vollendeten Oberon freue ich mich mit ganzer Seele und hoffe für beide das Beste von Old England, mit Sehnsucht den Zeitpunct erwartend wo über beide von dort uns Nachrichten zugehn werden, mit noch größerem Verlangen aber Dich selbst und Dein Werk zurück ersehnend.

An Schlesinger habe ich noch nicht kommen können. Die Sache eilt auch nicht. Ich will ihm übrigens schon warm machen, daß er zugreifen soll, wenn ers nicht schon gethan hat. Denn Andre hätten das | Werk auch recht gern im Verlag —

Nun tausend Grüße Deiner lieben Frau; laß Dir von mir noch eine recht glückliche Reise und den besten Succeß wünschen und die besten Grüße von Victoire sagen. Ewig Dein DHL

Ich schreibe Dir nach London unter B. A. Goldschmidts Addresse

Editorial

Summary

erläutert W. die Personen, an die er ihm Empfehlungsbriefe schickt, und legt weitere von Logier für London bei; wegen des Euryanthe-Honorars hat er an Brühl geschrieben; erwähnt Balletteinlage dazu von Schneider; betr. Schwierigkeiten mit Castil-Blaze; hat mit Schlesinger wegen Oberon gesprochen; Wünsche zur Englandreise

Incipit

Deiner bewährten Freundschaft vertrau ich

Responsibilities

Übertragung
Joachim Veit

Tradition

  • Text Source: Leipzig (D), Leipziger Stadtbibliothek – Musikbibliothek (D-LEm)
    Shelf mark: PB 37 (Nr. 80)

    Physical Description

    • 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.)

    Corresponding sources

    • Rudorff 1900, S. 246–250

Text Constitution

  • “… zugehn werden, mit noch größerem”ursprünglich: „größerer“, End-„r“ mit „m“ überschrieben
  • “Verlangen”added above

Commentary

  • “… viel Verpflichtung von 1819 her”Lichtenstein war 1819 nach London gereist, um bei der Auktion von William Bullocks Sammlungen (29. April bis 11. Juni) mitzubieten. Er erwarb für das zoologische Museum der Berliner Universität 175 Vogel-Präparate; vgl. Frank D. Steinheimer, Martin Hinrich Lichtenstein and his ornithological purchases at the auction of William Bullock’s museum in 1819, in: Archives of natural history, vol. 35 (1), 2008, p. 88–99.
  • “… Weg zu Herrn Tzschucke weiß”Vgl. Brief von Weber an Lichtenstein vom 3. Februar 1826 und Quittung sowie Brief von Weber an Tzschucke vom 10. Januar 1826.
  • “… gesehn, alle bei überfülltem Hause”Die Erstaufführung der Euryanthe in Berlin fand unter Webers Leitung am 23. Dezember 1825 statt, weitere Vorstellungen am 28. Dezember 1825 unter Weber, am 4. und 16. Januar sowie am 10. Februar 1826.
  • “… gar keine Notiz genommen ist”Zu Webers Auseinandersetzung mit Castil-Blaze vgl. Briefe von Weber an Castil-Blaze vom 15. Oktober 1825 sowie vom 4. Januar 1826 und Brief von Castil-Blaze an Weber vom 25. Januar 1826.

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