Carl Maria von Weber an Hinrich Lichtenstein in Berlin
Prag, Dienstag, 12. und Freitag, 22. April 1814
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- 1814-04-30: from Lichtenstein
Mein theurer Bruder!
Ich stehe recht beschämt vor dir. Besonders nach dem was mir Jettchen Jordan schrieb*; nehmlich daß du glaubtest es in Etwas mit mir versehen zu haben. – dieß schmerzt mich mehr als alle Vorwürfe, denn wenn Jemand sich etwas vorzuwerfen hat, so bin nur ich es. Seit Jahr und Tag habe ich nicht an dich geschrieben*, und doch kannst du überzeugt sein, daß nicht einen Augenblik mein Herz kälter für dich geschlagen hat‡. ich tröstete mich damit daß du erfahrst wie es mir geht, und was ich treibe, und daß es der Versicherungen bei Uns nicht bedürfe. Ja, wer weis, wie lange ich noch darauf los gesündigt hätte wenn obige Äußerung mich nicht bestimmt hätte dich aus einem Irrthume zu reißen. Sieh! es ist gar nicht möglich daß wir es mit einander versehen können, denn Erstlich wirst du mir nie was thun, – und Zweitens thätest du mir wirklich etwas was mir nicht Recht wäre‡, so würde ich gar nicht schweigen und muksch stille sizzen, sondern ich würde Zeter schreyen, und dich entsezzlich herunter reißen. Also, — mit dem broulliren ist nichts. Du kannst und darfst wohl einmal sagen, - der Weber ist ein fauler Hund, — aber sonst nichts hörst du? sonst nichts. — —
Viel liegt ‡ zwischen der‡ Zeit unsrer Trennung, und doch so wenig wenn es wieder erzählt werden soll. |
Vor 4 Wochen schrieb ich vorstehende Seite, und Heute erst kann die Fortsezzung liefern. dumme Kränklichkeiten hinderten mich daran indem mir alles Lesen und Schreiben verboten war. Zudem ist meine Stimmung so höchst sonderbar, daß ich mich immer mit Gewalt zum Schreibtische ziehen muß, weil ich Furcht mitbringe meine Freunde mit meinem Trübsinn anzustekken. Eigentliche Ursache habe ich auch nicht, ich habe Kleider auf dem Leibe, sizze auf eigenen Stühlen, Eße mich satt, und die Leute nehmen den Hut vor mir ab; — ich bin also sogar ein glüklicher Mensch denn nicht alle haben es so gut. doch sizt der Teufel in mir. der Mensch ist immer der eigne Schöpfer seines Glükes und Unglüks mehr oder weniger gewiß, ich philosophire mir auch eine gewiße Zufriedenheit mit Gewalt an; aber der eigentliche Frohe Sinn der so recht alle Nerven stählt und den Geist hoch aufsprudelnd sich ergießen heißt – der läßt sich nicht anraisoniren, den kann man sich nicht geben.
Mein Dienst beschäftiget mich viel, und die zerstükkelten Stunden die mir übrig bleiben kann ich durchaus nicht zum Arbeiten benuzzen. ich habe daher in Jahr und Tag so viel wie nichts geschrieben. Ein Urlaub den ich im Sommer habe soll zum Componiren verwendet werden, wenn nicht die wahrscheinliche Anherokunft der 3 Monarchen mich hier zurükhält. Von Fremden Künstlern war Niemand hier als das Gleysche Ehepaar das entsezlich durchfiel*. die Niederkunft meiner ersten Sängerin Mad: Grünbaum*, der Tod des Braven Tenoristen Mohrhardt, und die Krankheiten Anderer, haben meine Geschäftsführung sehr verbittert manche Pläne zerstört, und mich sehr im Gange von neuen Sachen aufgehalten, da ich nur besorgt sein muste Etwas im Gange und auf dem Repertoire zu erhalten. Zulezt habe ich Fanchon und Aline gegeben*. So gerne hätte ich schon längst Wollankes Oper gegeben, und immer treten Hinderniße ein, unter anderen jezt die Aufführung der Schweizer Familie zum Vortheile des H: Grünbaum*, auf die ich der Ähnlichkeit des Stoffes wegen nicht so bald die Alphenhirten bringen mag*. das Seltsamste und lächerlichste Zugleich war wohl d: 4t Aprill | ein Concert ohne den KonzertGeberT. und das war — Meines. Einige Tage vorher überfiel mich der Friesel*. da ich hoffte er würde bis dahin verschwinden, so traf ich keine Abänderung die ohnedieß schwer gewesen wäre, da ich es im Theater an einem NormaTage geben muß*. die kleine Kinderkrankheit aber wendete sich zum ernstern, und ich muste in Gottes Nahmen im Bette schwizen während für mich gegeigt und gesungen wurde.
Du kannst aus der Beylage ersehen daß ich das Vaterländische Verdienst ehren wollte, und es zugleich mit anerkannt Großem mischte*. dieser Edelmuth ist mir schlecht gelohnt worden denn ich machte eine schlechte Einnahme. Es bleibt mir also nichts übrig als die dankbaren Herzen der hiesigen Componisten zur Einnahme zu legen.
Mit recht wohlthuender Zufriedenheit höre ich daß deine Verhältniße sich immer freundlicher wenden, und du froh bist. ich preiße dich darum, und beneide auch nebenher ein wenig den herrlichen Stoff guter Laune und Ruhe in deinem Innern, der dich die Sache immer mit den rechten Augen einsehen, und am rechten Flekken pakken läßt. Ob du das Hier auch so ausführen könntest und in meiner Lage auch froh wärest? ist eine Frage die ich mir zu Liebe gar zu gerne mit Nein beantworte, denn nimm mirs nicht übel, wenn man ein[en] solchen Kreiß trefflicher lieber Menschen um sich hat wie du in Berlin, da ists auch nicht so schwer zufrieden zu sein. du siehst ich möchte dir gar zu gerne dein Verdienst der Inneren Zufriedenheit ein bischen schmälern, mache dir aber nichts draus ich meine es doch nicht böse.
Der Gedanke an eine Reise nach Berlin ist einer meiner LieblingsPläne. aber leider sehe ich dazu keine Aussicht noch. Erstlich bin ich, aufrichtig gesagt nicht im Stande Geld gerade zu zu verreisen, wenn ich die Möglichkeit voraus sehe auf einer andern Seite in derselben Zeit welches zu verdienen, und zweitens | Fällt meine UrlaubsZeit nur immer in den Sommer, wo ich also gar nicht hoffen kann, in Berlin mich‡ nur einigermaßen etwas durch ein Concert pp zu machen*. Arbeiten würde ich bey Euch, ja, das glaube ich, denn der Aneiferung und des Dranges dazu wäre gewiß genug da, und dann gehts herrlich auf das Papier hin, aber wie gesagt, der verdammte Sommer. –
Aus Wollankes Brief habe ich gesehen daß ihr meinen lezten Musikalien Transport* schon benuzt habt, und die Hymne nächstens bey dir soll vorgenommen werden. Wenn ich jezt etwas schreibe so thue ich [es] wa[h]rhaftig immer mit Beziehung auf meine Freunde in Berlin, und denke mir immer dabey wie es Euch gefallen wird. meine neue Sonate in As Dur bekömmt ein besonderes Gesicht, und wird eine gute Finger Uebung für Gustchen Sebald werden. Grüße mir die lieben Schwestern aufs herzlichste, und frage Sie ob ich denn nicht einmal wieder ein paar Zeilen von Ihnen sehen werde?
In den lezten Tagen meiner Krankheit habe ich mich damit amusirt das Rondo meiner Sonate in C. aus dem Cis zu spielen als Studium. Seit ein paar Tagen spiele ich überhaupt viel, und es thut auch Noth den[n] meine Finger wollen ganz einrosten. ich habe so lange ich hier bin nicht 3 mal wo gespielt; schliest daraus auf‡ darnach auf die hiesige Musikalische Geselligkeit, und auf den Anstoß von Außen den man bekömt.
Nun lieber Bruder habe ich dir was rechtes vorgebaaßt, erfreue mich wenn du Zeit hast mit‡ ein paar Zeilen und behalte lieb deinen dich unveränderlich innigst liebenden Bruder Weber.
Editorial
Summary
über Schreibsaumseligkeit und Krankheit; Arbeitslast; Ereignisse und Pläne an der Prager Bühne; über sein Benefizkonzert; Für und Wider einer Berlinreise; betr. Kompositionen
Incipit
“Ich stehe recht beschämt vor dir”
Responsibilities
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Tradition
-
Text Source: Leipzig (D), Leipziger Stadtbibliothek – Musikbibliothek (D-LEm)
Shelf mark: PB 37, Nr. 5Physical Description
- 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.)
- am oberen Rand Bl. 1r Datierung von F. W. Jähns (Blei): März. | 1814
Corresponding sources
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Rudorff: Westermanns illustrierte deutsche Monats-Hefte, 44. Jg. (1899), 87. Bd., S. 28–29 (unter März bzw. 22. April ?)
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Rudorff 1900, S. 32–37
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tV: MMW I, S. 432
Thematic Commentaries
Text Constitution
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“hat”“hätte” overwritten with “hat”
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“wäre”“werde” overwritten with “wäre”
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“… Viel liegt”Einschub über der Zeile ’der’ versehentlich vor ’zwischen’ gesetzt
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“der”added above
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“mich”crossed out
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“daraus auf”crossed out
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“mit”“mich” overwritten with “mit”
Commentary
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“… vorher überfiel mich der Friesel”Vgl. Webers Tagebuchnotizen ab dem 1. April 1814.
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“… einem Norma Tage geben muß”An Norma-Tagen (d. h. an gesperrten, meist hohen kirchlichen Festtagen sowie in der Karwoche) galt für die komplette k. & k. Monarchie ein allgemeines Theater- und Konzertverbot; Ausnahmen mussten speziell beantragt werden. Weber hatte für den 4. April unter entsprechenden Auflagen eine Konzertgenehmigung erhalten.
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“… ihr meinen lezten Musikalien Transport”Vgl. die Tagebuchnotizen vom 15. Februar 1814 und den Brief an die Familie Türcke vom 17. Februar 1814.