Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
Dresden, Sonntag, 26. Januar bis Montag, 27. Januar 1817 (Nr. 21)
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Mein vielgeliebter Muken König!
Endlich einmal eine ruhige 4tel Stunde, um mit meiner geliebten Lina plaudern zu können. ich hätte dir so viel zu sagen, so 1000 Kleinigkeiten zu berichten, und doch ist es wieder nichts, wenn man es schreiben soll, und viel zu weitläufig und unverständlich. ich bin ein recht geheztes armes Thier. und heute Abends um ½ 6 Uhr wie ich nach Hause kam so abgespannt, daß ich während dem mein Ferdinand /: so romantisch heißt mein Bedienter :/ Licht anschlug – einschlief und ein 4tel Stündchen nikte und still war, aber freilich in einem kalten einsamen Ett, wo mir also auch sehr unbehaglich war als ich aufwachte. – Nachdem ich Fre‡ytag meinen Brief abgeschikt hatte d: 24t hat ich Sez Probe von Joseph bis ½ 2 Uhr. dann gieng ich zum Minister, und sprach frisch von der Leber weg mit ihm, denn die Sache fängt mir an widerlich zu werden. dann Mittag im Engel. einige Visiten gemacht, umgezogen, in des Violoncellist Dotzauer Concert*, und von da auf den Casino Ball, wozu ich eine Einladung erhalten hatte. um ¼ auf 10 Uhr aber skisirte* ich mich schon wieder, und gieng noch zu Schmidls der mein geheimer Conferenz Rath ist, und natürlich jezt alle Hände voll zu thun hat mit der grösten Wichtigkeit. – Gestern d: 25t erhielt ich durch Apitz Onkel hier, einen Brief von ihm, in dem mir manches kurios vorkömt Z: B: bittet er mich am Schluß seiner Existenz und seines Namens gegen Niemand hier zu erwähnen. – Nun, es ist wahr, der Mensch kann ohne Verschulden oft im Leben zu seltsamen Dingen gezwungen werden. von 10 Uhr bis ½ 2 Uhr Sez und Quart: Pr: von Joseph. umgezogen. Mittag beim bayerschen Gesandten Graf Luxburg. recht angenehm, dann Briefe von Bruder Fritz und Lichtenstein erhalten. Ersterer dankt ziemlich frostig für das erhaltene*, und dringt immer darauf ich sollte für ihn sorgen. Mein Gott, wie kann ich das, und besonders jezt wo ich selbst in der sonderbarsten Laage bin. Der Zweite aber mit wahrhaft rührender Herzlichkeit geschrieben that mir recht wohl, bis auf eine sehr traurige Nachricht, nehmlich dem schnellen Tod der armen jungen Mad: Pölchau, wo immer Sonntags Kirchen Musik gemacht wurde. Da sie kurz nach Ihrer Entbindung starb*, so ist natürlich die arme Lichtenstein jezt in Ängsten*, und Er hat alle Mühe sie zu beruhigen, welches‡ er mit gutem Gewißen thun kann, da er überzeugt ist, daß ihr Tod durchaus nicht durch die Geburt herbeigeführt wurde. – Dann muste ich ins Theater und hatte sehr lange Debatten wegen dem Proben Arrangement weil viel Neues zusamen kamT. endlich biß ich mich durch, und ging ganz müde in Bett, unter mein grünes Dekerl[,] machte Muks in Gedanken + + + gab ihm ein paar 1000. Bußen, und schlief paßabel. Heute früh muste ich mich endlich zu etwas entschließen, wo ich lange nicht daran wollte, und welches mich beinah traurig machte; du wirst lachen wenn du hörst, daß ich mir die Haare schneiden laßen muste. Es war mir so wiederwärtig den Friseur auf meinem Kopf krabeln zu laßen, wo ich gewohnt war meinen Muks um mich trippeln zu sehen, und ihm im Vorbeigehen einen Buß anzuhängen. – pfuy, ich war ärgerlich darüber, aber es gieng nicht anderst, ich sah schon aus wie ein Wiedehopf. um 10 Uhr gieng ich ins Theater, und ordnete einigen Bau, und andere Pulte im Orchester an. um 11 Uhr in die Kirche, wo H: Morlachi eine Meße von seiner Comp: aufführte. Er hat wirklich viel Talent, und es war manches Schöne darinn, aber von wahrer Andacht und Erhebung keine Spur. dann mit Bassi zu Tisch bei Schmidl, wo zum Kaffee noch Miksch dazu kam. dann gieng ich mit Bassi ein bischen auf der Brükke hin und her, und dachte viel an die Prager Brükke, und ob vielleicht Schneefuß jezt auch da spaziere bei dem herrlichen warmen, aber ungesunden Wetter. und dann nach Hause genikt, und jezt mit Muks pabsen. Weist du wohl daß es mir hier viel | länger vorkömt bis ich einen Brief von dir erhalte? ich kann die Idee nicht los werden daß ich dir um so viel näher bin, als in Berlin, und deßhalb auch öfter Briefe haben müste, was aber ganz daßelbe ist, da die Post auch hieher nur 2 mal die Woche geht. Auch kann ich dir nicht so viel lustiges schreiben als von Berlin, und das thut mir so im Herzen weh, weil ich immer glaube und fürchte du wirst traurig oder ängstlich um mich, wenn ich nicht so fidel schreibe. Ja liebe Lina es ist nicht anderst, du wirst noch manchen Brief von mir bekommen in dem wohl ein bischen ein finsteres Geschäfts Gesicht herauskuken mag; aber laß das nur gut sein, das Herz ist das alte immer und ewig, und die Lust findet sich auch wenn die ersten Stürme überstanden sind. Du kannst denken daß ich um‡ meine Sache jezt das allgemeine Gespräch bei Hof und Stadt sind, und man den lebhaftesten Antheil von allen Seiten nimmt. Ich bin selbst begierig wie die Sache ablaufen wird. habe Vorgestern nochmals schriftlich dem Grafen Vizthum meine Vorstellung und Erklärung geschikt, und der Himmel möge nun darüber walten. Es ist schon einmal meine Bestimmung nur alles nach den entsezlichsten Kämpfen und Stürmen zu erreichen. Hiebei ist mir besonders auch unangenehm, daß ich so manches noch sein laßen und verschieben muß auf das ich mich so gefreut hatte. Z: B: einkaufen, Möbel besehen p Silberzeug bestellen pp natürlich befiehlt die Vorsicht das ganz gewiße abzuwarten ehe man weiter bedeutende Ausgaben macht. ich habe ohnedieß schon viel Geld ausgegeben was zu meiner Equipirung bei den vielen Visiten und ewigen Umkleiden nöthig war. Dieses bin ich nun schon so gewohnt, daß ich ganze Tage in Schuh und Strümpfen herumlaufe und mich ohne Ärger darin sehe, ja ich glaube gar ich kriege am Ende noch Waden. das wäre ein starkes Stük, gelt Muks? übrigens thät ich dir doch wohl manchmal gefallen, denn ich sehe wenigstens gehörig ordentlich aus mit meinem 3 ekkigen Hut mit der Sächsischen Kokarde, unter dem Arme. Mein Bedienter scheint ein recht guter stiller Kerl zu sein, den ich freilich erst abrichten muß. aber reinlich und ordentlich hält er alles. Nun laße dir mein Quartier beschreiben. ich wohne im sogenannten italienischen Dörfchen. No: 30. Man kömt durch ein kleines Thor in ein kleines Gärtchen, dann ins Haus, links eine hübsche Stube und Kabinett, par terre, wo alle hineingeführt werden die mich sprechen wollen. daneben die Bedienten Stube, Holzlager pp, eine kleine Treppe hinauf ebenfalls links, mein Schlafstübchen ganz klein mit einem Miniatur Öfelchen. ein kleines Vorzimmerchen, und eine Wohnstube, worin mein grüner Teppich an meinem Schreibtisch, und mein liebes Gestiktes von dir vor dem Sopha liegt. alles sehr klein, aber ungemein nett und gut möblirt, auch mit Teppich. freilich keinen Hothoschen, aber doch gut. Aus der kleinen Kaffee Maschine die ich von dir eingetauscht habe, trinke ich alle Morgen, und so umgiebt mich überall die Errinnerung an dich meine vielgeliebte Lina, als meine schönste und einzige FreudeT. von Besuchen bin ich natürlich bestürmt, da alles sich bei dem neuen H: Direktor ein Bildchen einlegen will. besonders kriechen auch die Italiener die sehr in Ängsten sind daß ihre ganze lahme Wirthschaft zu Grunde gehen möge. Meine Proben gehen recht schön vorwärts, und Donnerstag d: 30t magst du nur von 6 bis 8 Uhr deinem Muks den Daumen halten, ist‡ denn es ist die erste Vorstellung von Joseph[.] das wird mir wohl auch so bald keiner nachmachen mit 11 Proben im Ganzen diese Oper aus Nichts zu erschaffen*, und du solltest sehen wie brav die Choristen schon spielen. Nun ich hoffe Ehre damit einzulegen, die 2t Oper soll das Waisenhaus und dann die vornehmen Wirthe sein. In meinem nächsten Brief sollst du brühwarm den Erfolg des H: Joseph wißen. |
Nun heißts aber schließen, denn ich habe noch viel heute zu schreiben. also gute gute Nacht, geliebter Muks, Gott segne dich, sei froh heiter und gesund. Grüße mir meine lieben Junghs aufs herzlichste. auch die Mutter und alle Bekannten.
Sey brav und fett, und behalte Lieb deinen dich über alles innig liebenden treuen Carl. |
Guten Tag mein vielgeliebter Muks, von 9 bis ½ 2 Uhr Probe, und gestern Abend bis 12 Uhr gearbeitet*, dann bey Tisch zur Stärkung deinen lieben Brief No 23t vom 23t erhalten. Aber warte, du wirst schön Haue kriegen, ) ) ) ) ist der dumme Mops ganz traurig und betrübt und kann seine Lustigkeit nicht wieder finden, ich weiß schon was ich thue, ich schreib dir nichts mehr als bis alles wieder in Ordnung ist. Wie kannst du glauben daß bei einem TheaterPosten es ohne Verdruß und Millionen Umstände abgehen könne. bist ein recht dummes Vies! und daß du mir wieder lustig wirst sonst heiß ich dich gleich wieder einen melancholischen Hanswurst. Sei übrigens abermals freundlich und herzinniglich bedankt für deine Ansichten über mein Bleiben in Dresden, und glaube mir daß ich in jedem Fall auf dich und deine Liebe rechne, die mich glüklich und zufrieden sehen will. Es wird sich schon alles finden, und hoffentlich in 14 Tagen oder 3 Wochen ganz entschieden sein. Du Jude du willst mir Geld borgen? ja daß ich ein Narr wäre, du zögst mir das Fell über die Ohren. Lieber Muks ich danke, und brauche vor der Hand nitz. muß ja auch Gage bekommen, werde ja nicht umsonst dienen. Wegen des Fleißes bekomst du Belobungsdekret, und das dumme Visikator will mir gar nicht gefallen. Fall nur nicht wieder in Ohnmacht – – oder rufe mich dazu. Nun muß ich schließen denn die Post geht und ich habe noch viel viel zu thun. Sey brav! und lustig, oder ! – – ! du weist schon. Im Ernst lieber Muks sei guten Muth[s] die Sachen stehen gar nicht so schlimm, und ich hoffe im […]‡ Glanze aus dem Schlamaßel zu kommen. ich drükke dich‡ innigst an mein Herz. der Mutter wünsche gute Beßerung. eben so Junghs.
Ewig dein Carl.
Alles Erdenkliche von Schmidls, und du möchtest doch einmal wieder schreiben.
Mit dem armen Souffleur ist es nitz es ist alles hier besezt*, und thut mir recht leid um ihn.
Editorial
Summary
26. Januar: Tagebuch 24. u. 25. Januar: Aussprache beim Minister; Bruder Fritz bittet um Unterstützung; Tod der Mad. Poelchau; Beschreibung seines Quartiers im Italienischen Dörfchen; am 30. Januar soll Premiere von Joseph sein; die zweite Oper soll Das Waisenhaus sein und darauf Die vornehmen Wirthe; 27.1.: Privates; versucht, Carolines Besorgnis über die Ungewissheit seiner Anstellung in Dresden zu mildern
Incipit
“Endlich einmal eine ruhige 4tel Stunde”
Responsibilities
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Tradition
-
Text Source: Brief in drei Teilen
-
1. Fragment: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Shelf mark: Mus. ep. C. M. v. Weber 76Physical Description
- 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)
- einige Wasserflecken (oder Tränen Carolines?) im Text
- Rötelmarkierungen von Max Maria von Weber
-
2. Fragment: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Shelf mark: N. Mus. ep. 2633Physical Description
- Fragment: Schlusszeilen des Briefes vom 26. Januar [gehören wohl als Anfang an das obere Ende von Bl. 2r/v mit der Nachschrift vom 27. Januar]
- darunter Echtheitstestat von Max Maria von Weber: “Daß obige Zeilen von meinem Vater C. M. von Weber | eigenhändig geschrieben sind, bezeuge ich. Sie bilden den Schluß | eines seiner Briefe (vom 26 Jan 1817) an seine | Braut, die alle nur mit ‘Carl’ unterzeichnet sind | Wien 17 April 1874 | M. M. von Weber”
Provenance
- Stargardt Kat. 636 (1986), Nr. 838
- Boerner, C.G., A.-Kat. 104 (3.-6. Mai 1911), Nr. 1203
-
3. Fragment: New York (US), Pierpont Morgan Library (US-NYpm), Mary Flagler Cary Music Collection
Shelf mark: MFC W3733.B821Physical Description
- 1 Bl. (2 b. S. einschl. Adr.)
- Fragment: Nachschrift vom 27. Januar
- im unteren Drittel der Rectoseite Echtheitstestat von Max Maria von Weber: “27 Januar 1817. Brief von C. M. v. Weber an Caroline Brandt – | M. M. vWeber”
Provenance
- Madigan, Thomas F. (New York): Kat. 54 (1929), Nr. 54–199
- Charavay, Maison Gabriel: Cat. … 14. Mai 1881 (Slg. Johann Kafka), Nr. 63
Thematic Commentaries
Text Constitution
-
“An”supplied by the editors
-
“Fre”“Nro” overwritten with “Fre”
-
“welches”“beson” crossed out and replaced with “welches”
-
“ist”crossed out
-
illegible text
-
“dich”uncertain transcription
Commentary
-
“… des Violonc ellist Dotzauer Concert”Vgl. den Konzertbericht in der Abend-Zeitung vom 4. Februar 1817.
-
“… auf 10 Uhr aber skisirte”Skisieren – sich entfernen.
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“… arme Lichtenstein jezt in Ängsten”Victoire Lichtenstein war schwanger; die erste Tochter Marie wurde am 7. April 1817 geboren.
-
“um”recte “und”.
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“… Oper aus Nichts zu erschaffen”Laut Tagebuch elf Proben vom 18. bis 30. Januar 1817.
-
“… Abend bis 12 Uhr gearbeitet”Laut Tagebuch schrieb Weber den Eröffnungsaufsatz für seine dramatisch-musikalischen Notizen für die Abend-Zeitung.