Carl Maria von Weber an Hinrich Lichtenstein in Berlin
Dresden, Donnerstag, 6. Februar 1817
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- 1817-02-06: to Hoffmann
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- 1817-01-23: to Lichtenstein
- 1817-02-04: from Lichtenstein
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- 1817-02-10: to Lichtenstein
- 1817-03-08: from Lichtenstein
Du kannst gar nicht glauben mein guter theurer Bruder, wie sehr mich deine lieben Briefe die ich d: 25t Jan: und 4t Febr: erhielt erfreut und erquikt haben. Besonders der Erste, weil ich gar nicht hoffen konnte, von Euch eher etwas zu hören als bis ich geschrieben hatte, welches mir in der ersten Zeit, von Außen und Innen unmöglich war. Obwohl im Geselligkeits Taumel, stehe ich doch wieder so isolirt da als jemals, und so ein Freundes Zeichen ist wohlthätiger Balsam und Erheiterung. Vor allem muß ich dir berichten daß die erste deutsche Oper Joseph d: 30t Jan: sehr gut gegangen, und mit dem gröste[n]‡ Enthusiasmus aufgenomen worden ist, d: 2t Febr: desgleichen bey brechend vollem Hause wiederholt*. Vor der ersten Vorstellung sagte der König Wenn es heute [n]‡ur erträglich geht hat Weber schon sehr viel geleistet. Mit jedem Akte stieg seine Verwunderung und Zufriedenheit, und am Ende sagte er daß es seine Erwartungen über‡ sehr weit übertroffen habe. Uebrigens stehe ich noch immer auf dem Sprunge, und diene als Musikalischer Volontair*. Es zweifelt aber Niemand an der Ausgleichung dieser sonderbaren Begebenheit, nur ich glaube nicht eher als bis schwarz auf Weiß sehe. Du hast sehr richtig bemerkt daß dergl: Stürme gut sind. Meine Festigkeit und Ruhe hat mir bis jezt schon die allgemeine Liebe und Achtung gewonnen, ich werde mit der grösten Auszeichnung durchaus behandelt, meine Untergebnen sind voll Eifer und Lust, und die Bösen fürchten mich. Den Muth verliehre ich nie, aber daß ein solches Leben eben nicht sehr angenehm sein kann, ist klar; und der Kontrast mit meinem wahrhaft poetischen Aufenthalt in Berlin ist schneidend.
Ich lege dir hier bei was ich in 3 zusammengehörigen Aufsäzzen dem Publikum gesagt habe, und was seine vollkomenste Wirkung gethan hat, in jeder Rüksicht. Ließ es Nachtische in deinen Ruhestündchen auf dem Sopha /: ich sehe dich im Geiste da liegen :/ und theil es dann Hoffmann, Wollank pp mit. der mittelste Aufsaz war schon in Prag mit wenigen lokalen Änderungen benuzt.
Wenn Ihr lieben Freunde des Entfernten gedacht habt, so that er es gewiß nicht weniger, und thut es täglich und stündlich. Wie unbehaglich fühle ich mich an dem Wirthstische, und wie verlaßen muß ich meinen Kaffee brauen.
Dem 300sten Singethee hätte ich wohl beiwohnen mögen*. die Koch wird sich gefreut haben, und das Brautpaar — — ob es wohl zärtlich war? — Nun, Glük auf dem Weg, mir ists recht. Der Tod der armen Pölchau hat mich sehr frappirt, und der arme Mann muß trostlos sein. deine liebe Victoire die ich recht herzlichst grüße, wird wohl klug genug sein, sich dadurch nicht ängstigen zu laßen*, und die erste Pflicht, Erhaltung ihrer frohen Laune zum Heil und Gedeihen des Wesens unter dem Herzen, nicht darüber verabsäumen. Das Gedeihen meiner Werke stärkt und erheitert mich. so eben habe ich 5 Briefe aus Prag erhalten, die mir die wahrhaft enthusiastische Aufnahme der Silvana d: 2t Febr: in Prag melden. Alle Musikstükke wurden applaudirt, mehrere Da Capo gerufen, nach der Oper die Brandt herausgerufen*, und dann erst noch Vivat Weber geschrien. dieß hat mir viele Freude gemacht, da es ganz ohne mein Zuthun sich gehoben hat, und ich mich dadurch schön für die Liebe und Sorgfalt belohnt fühle, die ich während meiner Direktion den Arbeiten Anderer weihte.
Ich bin auch noch immer mit meinem Hauswesen nicht in OrdnungT, was mich sehr plagt, aber die Zeit wird mir wahrhaft gestohlen, und meist durch unnüzze Besuche die ich jezt noch nicht abweisen kann. habe auch noch kein Pianoforte*.
Auf dein Urtheil über die Rittertreue bin ich begierig, und freue mich übrigens des guten | Erfolgs* der vielleicht wieder etwas Leben in das TheaterWesen bringt.
Baron Poisl und Legrand aus München laß dir doch bestens empfohlen sein, es sind ein paar brave talentvolle Menschen, und meine Freunde*.
Alles Erdenkliche an das Elterliche Haus*,
Lorks
pp und alle Freunde und Bekannten. Seid froh und glüklich und gesund. das leztere bin ich Gottlob auch, das übrige wird sich finden. Ich umarme dich
von Herzen und bin wie immer
dein Weber
Dresden d: 6t Februar 1817.
Editorial
Summary
berichtet über die erfolgreiche Aufführung von Méhuls Joseph in Dresden; er sei trotz dieses Erfolgs über seine Anstellung weiterhin im Ungewissen; schickt Aufsätze, die er in der Abend-Zeitung veröffentlicht hat; betr. Berliner Bekannte; berichtet über Erfolg der Silvana in Prag, der ihm brieflich mitgeteilt worden sei
Incipit
“Du kannst gar nicht glauben mein guter theurer Bruder”
Responsibilities
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Tradition
-
Text Source: Leipzig (D), Leipziger Stadtbibliothek – Musikbibliothek (D-LEm)
Shelf mark: PB 37, Nr. 17 (Beilage aus der Abend-Zeitung als Nr. 16)Physical Description
- 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)
- Beilage: Dresdner Abend-Zeitung Nr. 25 vom 29. Januar 1817 mit Webers Aufsatz “An die kunstliebenden Bewohner Dresdens” und den “Dramatisch-musikalischen Notizen”
Provenance
-
Nachlass Lichtenstein/Hinrichsen
Corresponding sources
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Rudorff: Westermanns illustrierte deutsche Monats-Hefte, 44. Jg. (1899), 87. Bd., S. 164–165; mit Beilage S. 165–166: An die kunstliebenden Bewohner Dresdens
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Rudorff 1900, S. 62–68; Beilage S. 65–68
Thematic Commentaries
Text Constitution
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“n”supplied by the editors
-
“n”supplied by the editors
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“über”crossed out
Commentary
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“… bey brechend vollem Hause wiederholt”Vgl. u. a. die Berichte in der Abend-Zeitung vom 8. und 12. Februar 1817.
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“300sten Singethee hätte … wohl beiwohnen mögen”Ein Bericht darüber fehlt bislang.
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“… der Oper die Brandt herausgerufen”Caroline Brandt gab die Titelpartie; vgl. die Presseberichte.
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“… mich übrigens des guten Erfolgs”Zur Uraufführung vgl. u. a. AmZ, Jg. 19, Nr. 7 (12. Februar 1817), Sp. 132f. Ein anhaltender Erfolg war dem Werk nicht beschieden; es wurde 1819 nach wenigen Aufführungen abgesetzt.
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“es sind ein … und meine Freunde”Weber war dem Freiherrn Johann Nepomuk Freiherr von Poißl und dem Cellisten Peter Legrand, die er beide aus München kannte, am 13. Januar 1817 auf der Reise von Berlin nach Dresden begegnet, vgl. Tagebuch und Brief an an Caroline Brandt vom 14.–17. Januar 1817. Beide kamen aus Dresden; Legrand gastierte dann am 6. Februar in Berlin, wo am 24. Februar Poißls Oper Athalia in Berlin erstmals gegeben wurde; am 10. März erklang außerdem eine Messe Poißls.
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“das Elterliche Haus”Gemeint sind in diesem Falle die Eltern von Lichtensteins Frau, da sein Vater schon 1816 verstorben war.