Schreiben aus Prag an die Redaction des Notitzenblattes über den Zustand der Prager Schaubühne (Teil 1 von 2)
Als ein fleißiger Leser Ihres Blattes habe ich seit mehreren Jahren Gelegenheit, die hiesigen Theaternotitzen mit den Productionen zu vergleichen; und wenn ich mich oft über scharfsinnige Urtheile erfreute, so muß ich dagegen gestehen, daß ich stets die Bemerkung gemacht habe, daß es Ihrem Referenten nicht Ernst zu seyn scheint, eine totale Darstellung zu liefern, und mir däucht, man könne hundert seiner Notitzen lesen, ohne den wahrhaften Zustand des Theaters (in seiner Gesammtwirkung) auch nur zu ahnen. Schon oft hatte ich Lust, meine Ansichten und Bemerkungen über diesen Gegenstand gleichfalls in Ihrer schätzbaren Zeitschrift niederzulegen; aber die Besorgniß, Ihrem perpetuirlichen Correspondenten vorzugreifen, hielt mich davon zurück. Da ich jedoch schon im Jahre 1813 Gelegenheit hatte, zu bemerken, daß Sie mehr als einen Correspondenten haben, und durch die letzthin aus der Prager politischen Zeitung (welche das Göthe’sche: „Lob und Tadel muß ja seyn,“ wenigstens zur Hälfte erfüllt) aufgenommene Nachrichten auf den Gedanken gebracht wurde, Ihre Referenten seyen keine Fixsterne, sondern nur Kometen, die mit ihren kritischen Schweifen unsere Kunstwelt ein wenig fegen, so kann ich nicht umhin, Ihnen freymüthig mitzutheilen, was ich von dem hiesigen Theaterwesen halte. Mein Geschäft wird nicht das dankbarste seyn, denn leider weiß ich weniger zu loben, als meine Vorgänger; ja ich werde im Gegentheil oft in gewaltige Klagelieder ausbrechen müssen; – doch ich will zu Nutz und Frommen unserer guten Stadt einmahl versuchen, eine Stimme aus der Wüste erschallen zu lassen. Gott gebe ihr Kraft, um wiederzutönen in den Gemüthern derjenigen, welche sich rüsten sollen zur Besserung und Wiedergeburt.
Was zu loben ist in der neuesten Zeit, das hat mir leider die vielbesagte P. Z. meist alles vor dem Munde weggenommen – die freundliche Wiedererscheinung der herrlichen Auguste Brede und das erfreuliche Kommen des kunstreichen Wilhelm Ehlers, von dem ich nur noch hinzusetzen darf, daß er späterhin als Don Juan getheilten, als Joseph in Egypten aber den einstimmigsten Beyfall erhielt, und zugleich den Beweis lieferte, daß das hiesige Publicum sein Kunsttalent zu erkennen und zu würdigen versteht, da diese, sonst so wenig besuchte Oper sich zu seiner Einnahme eines gedrängtvollen Hauses erfreute und auch bey der nächstfolgenden Aufführung zahlreich besucht wurde. Was den Wallenstein betrifft, so ist Ihr Referent gerecht, wenn gleich sehr streng, vorzüglich gegen Herrn Liebich, dessen größter Fehler es meines Bedünkens war, daß er die Rolle des Wallenstein nicht Herrn Bayer gab, und selbst jene des Octavio Piccolomini oder irgend einen andern Charakter übernahm. Wäre denn bey dieser Besetzung auch die Rolle des Max Piccolomini in die Hände des Hrn. Polawsky oder Reitzenberg gefallen, und nicht mit diesem hohen Zauber poetischer Männlichkeit ausgestattet worden, so würde dieß doch dem Ganzen weniger Eintrag gethan haben, und Wallenstein hätte gewiß gerade so viel Glück gemacht, als er jetzt Leid erlebte. Auch hätte das Stück früher gegeben werden müssen, als noch Mad. Schröder da war, welche allein im Stande gewesen wäre, die Gräfinn Terzky vollkommen darzustellen, und zugleich durch kunstweisen Rath und Leitung die talentvolle Dlle. Böhler auf den Punct zu bringen, die Thekla zur Zufriedenheit darzustellen. – Übrigens hat unsere Bühne jetzt ein sonderbares Schicksal. Die Kunstweihe des komischen Meisters Liebich, die Vollkommenheit seiner Gatinn in ernsten und launigen Mutterrollen, und Polawsky’s reicher Humor (deren Lob aus dem Munde aller Reisenden erschallt), die gefeyerten Nahmen Schröder, Löwe und Brede haben den Ruhm der Prager Bühne in ganz Teutschland verbreitet; Bayer ist auf dem Wege, im nördlichen Theile das Seinige dazu beyzutragen – so daß es ein Fest für die Kunstfreunde ist, wenn ein Gast aus Prag auf ihren Bühnen erscheint; aber leider ist uns nur die Freude geblieben, uns an diesem eiteln Ruhm zu weiden. Die weiblichen Matadore unserer Bühne sind fortgezogen, und wenn gleich Mad. Brunetti in vielen launigen Rollen den Platz der Mad. Brede fast ganz erfüllt, so ist doch in der That Mad. Sonntag ein sehr magerer Ersatz für die beyden andern! – Noch ein Paar solche Verluste – noch einige Acquisitionen, wie manche der letztern Zeit, und unsere Bühne steht wieder auf derselben Stufe, wo alles ihre Erbärmlichkeit laut beklagte, bis die erhabenen Stände des Königreichs, überzeugt, wie sehr in unserer Zeit die Bühne auf die Volksbildung einwirke, selbe unter ihren mächtigen Schutz nahmen, und dem Director viele Vortheile zugestanden, um ihn dadurch zu verpflichten, etwas Großes zur Bildung und Veredelung des Geschmackes leisten zu können.
Man muß gestehen, daß Herr Liebich dem schönen Zweck der Stände Böhmens bis auf die neueste Zeit ganz zu entsprechen schien, und wenigstens das teutsche Schauspiel (von der Oper wollen wir ganz schweigen) auf eine beträchtliche Höhe gebracht hatte; aber seit Kurzem scheint ihn sein guter Engel verlassen zu haben, und wir möchten mit Thekla ausrufen: „Es geht ein finstrer Geist durch unser Haus!“
Seit dem Verluste mehrerer vorzüglicher Individuen scheint Herr Liebich das Verdienst durch die Zahl ersetzen zu wollen. Es ist nicht genug, daß wir mehrmahls in der Woche das Leid erleben, M. Gerstl u. Reinecke – ihrer braven und talentvollen Gatten wegen – sehen zu müssen, sondern Herr Liebich engagirt eine zahllose Menge Leute, welche höchstens bey andern bessern Bühnen Nebenrollen spielen, und gibt wichtige Rollen in ihre Hände; überdieß werden schlechte Choristen und ungeschickte Statistinnen zu Sängern und Schauspielern avancirt und treiben ganz ungescheut ihr Wesen. – Wahrlich, es ist unangenehm, wenn ein Herr Bolze Rollen von Bayer und Wilhelmi spielt; wenn ein Herr Bachmann den Gouverneur im Don Juan, ein Schwarz zweyte Tenor-, und Dorsch zweyte Baßrollen gibt, und mancher genußvolle Abend, den die Talente der übrigen Mitglieder uns bereiten, durch eine so widerliche Erscheinung verbittert wird. Wenn Herr Liebich ein Dutzend dieser unbrauchbaren Subjecte und die Ruinen des ehemahligen Ballets abschaffte, und dafür zwey bis drey taugliche Mitglieder engagirte, so dürften wir bey den großen und nur meist falsch angewandten Kräften unserer Bühne, hoffen, den Ruhm derselben zu behaupten, den sie bisher und zwar durch ihn erlangte; auf dem Wege aber, wie es jetzt geht, wird er ganz sicher zu Grabe getragen.
(Der Beschluß folgt.)
Editorial
Summary
Kritiker bemängelt das Personal und Spielplan des Theaters
General Remark
vgl. Forts. des Artikels sowie die Reaktion der Theaterdirektion (Liebich), die diese lt. Tagebuch vom 23. Oktober 1815 unter Beteiligung Webers verfasste
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Frank Ziegler
Tradition
-
Text Source: Der Sammler. Ein Unterhaltungsblatt, Jg. 7, Nr. 121 (10. Oktober 1815), pp. 504