Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 15. bis 16. November 1817 (Teil 4 von 4)
(Beschluß.)
Es schadet nicht, daß einzelne Theile ganz weiß bleiben, wie in den drei Vasengemälden, die uns hier zum erstenmale geboten wurden, auf dem ersten die zwei Drachen vor dem Flügelwagen der Ceres und die Aehrenbüschel nebst einigen Ackerwerkzeugen, auf dem zweiten die oberhalb unbekleidete Flötenspielerin, auf dem dritten der Napf zum Fußbade, welches das dienende Knäblein besorgt, ganz nach der Vorschrift der Urbilder in Tischbein’s und Millin’s Vasenwerken, weiß gelassen wurden. Denn auch dies ist nur Monochrom, ist nur Umriß in Einer Farbe. Auffallend und doch leicht erklärbar ist die Erfahrung, daß fast das ganze, darauf nicht vorbereitete Publikum beim Aufrollen des verhüllenden Teppichs nur lebensgroße Gemälde zu erblicken glaubte, wo Gemälde und Glieder nur auf ebener Fläche erschienen, und eben daher auch das Mißbehagen, welches viele fein fühlende Zuschauer empfanden, als Braut und Bräutigam aus der letzten Gruppenstellung gleichsam hervorgerufen (denn es war Täuschung, da Anna und Florentin nur in der Geschwindigkeit die Stelle der Figurenakte im dritten Vasengemälde eingenommen hatten), in die Vorderbühne traten; zwar auch in voriger gelber Daperie und Bemäntelung, aber doch mit der natürlichen Fleischfarbe des Gesichts und der Hände. Die Entwickelung des Stücks fordert diese plötzliche Belebung. Auch wollte der Dichter dadurch dem Scheinbetrug begegnen, als wären es wirklich nur gemalte Bilder. Aber es störte unleugbar in etwas die Illusion, und hätte vielleicht doch durch rasches Abwerfen der maskirenden Drapirung vermieden werden können.
Es drängen sich uns bei diesen eben so neuen, als recht erwogen und angewandt, folgereichen Versuchen noch manche Betrachtungen auf. Sie mögen vielleicht in einer Zuschrift an den erfindungsreichen Dichter, welcher sogleich einen Abdruck dieses Festspiels veranstalten wird *), eine schickliche Stelle finden. Hier nur noch so viel. Die Umgebungen begünstigten diesen ersten Versuch weniger, und manches wird unter andern Umständen noch vollendeter hervortreten. Denn obgleich hier, wo ¦ nur Fläche gegeben werden soll, eine gleich starke Beleuchtung auf allen Seiten von oben herab nöthig seyn dürfte, so war doch diesmal, um der, die Festlichkeit bezeichnenden, Illumination des Portals und der Lauben willen, des störenden und buntfarbigen Lichtschimmers viel zu viel. (Bei einer zweiten Vorstellung waren die rothen Lampen in blaue verwandelt, und dies minderte das Grelle des Reflexes.) Es springt in’s Auge, daß wo alles obige verdunkelt ist, der Effekt noch weit malerischer wirken muß, und wir hoffen, daß wir bald durch einige hiesige Künstler eine Schaustellung von ähnlichen Vasengemälden durch lebende Figuren sehen werden, wo, was hier nur Decoration, obgleich durch den Gang des Stücks nothwendig bedingt war, mit verdoppelter Aufmerksamkeit als Hauptsache behandelt wird. Eine zweite Bemerkung betrifft die große Bequemlichkeit und Leichtigkeit dieser mimisch-plastischen Unterhaltung. Die Gewänder sind schnell und mit sehr geringem Aufwand erschaffen, müssen aber allerdings von einem Verzierungskünstler, um der schwarzen Linien willen, womit die Haupttheile nach Maßgabe der Originalbilder angedeutet werden, vorgezeichnet seyn. Das Auftragen der rothen Färbung auf den unbekleideten Theil des Körpers geschieht in wenigen Minuten, ist völlig unschädlich, und kann in größter Schnelligkeit wieder abgewischt werden. Dieselben Gewände können zu Dutzenden von Vasengemälden gebraucht werden, da das Costüm überall das einfachste ist. Und welch ein unerschöpflicher Reichthum der herrlichsten Gruppirungen bietet sich schon in den tausend Vasengemälden dar, die selbst im Besitz des Schreibers dieses Aufsatzes sind. Und wie weit mehr sind noch vorhanden!
So flochten alle Schwesterkünste dem schönsten Feste Kränze durch einen seltenen Verein gelungener Leistungen. Der allgemeine Wunsch, den Genuß wiederholt zu sehn, wurde Gewährung, und es wurde dies Festspiel, zugleich mit dem Prolog, worin Mad. Hartwig besonders den Schluß noch ergriffener und ergreifender sprach, auch am folgenden Tage, am 16ten November, bei einem mehr als angefülltem Hause wiederholt. Zur ersten Vorstellung gesellte sich die höchstergötzliche Oper mit Musik von Solié, das Geheimniß, worin besonders Herr Geyer, als Thomas, einen sich selbst pfiffig dünkenden Einfaltspinsel, mit einem Ueberfluß lächerlicher Lazzi ausstattete. Zum Schluß der zweiten Vorstellung, am 16ten November, wurde das auf unserer Bühne mit so vieler Kunst und raschem Zusammenspiel schon mehrmals aufgeführte Lieblingsstück, die großen Kinder, von A. Müllner mit vorzüglicher Aufregung sehr brav gegeben.
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbericht Dresden: „Der Weinberg an der Elbe“ von Friedrich Kind am 15. und 16. November 1817 / Erwähnung: „Das Geheimniß“ von Solié am 16. November 1817
Entstehung
vor 27. November 1817
Überlieferung
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Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 284 (27. November 1817), Bl. 2v