Carl August Böttiger: Bericht über die Klopstock-Säkularfeier in Quedlinburg
Klopstock’s Säkularfeier in Quedlinbu[r]g.
Den 2 Jul. 1724 wurde Klopstock in Quedlinburg geboren. Bedurfte es mehr als eines anregenden Aufrufs an die Norddeutschen, welchen Klopstock durch sein Leben noch inniger verwandt zu seyn scheint, um dismal eine würdige Säkularfeier zu veranstalten? Des Sängers der Messiade, die, wie Herder aussprach, nächst Luthers Bibelübersezung das erste klassische Buch unserer (durch ihn mit dem Hexameter und dem lyrischen Polychord zuerst bezeichneten) Sprache, ideales, nicht blos unter den Kirchhoflinden zu Ottensen befindliches, sondern überall, wo sein Gesang noch im tausendstimmigen Echo wiederhallt, befindliches Grab schmüken dreifache Kränze; zuförderst seine Jugendkranz-Myrte, dann die Palme Sions, dann das prophetische Eichenlaub seines Vaterlandes. Aber der Lorbeer, der seit jenen pythischen Wettkämpfen jedes Saitenspiel bekränzt, darf auch seinem nie verklingenden Psalterion nicht fehlen. Die himmlische Tonkunst im Bunde mit dem zartkräftigsten Rhythmus der Deklamation muß, wo Klopstock, den Schiller vorzugsweise einen musikalischen Dichter nennt, gefeiert wird, die Verkünderin und Vollenderin des Festes seyn. Jezt galt es einer Säkularfeier. Hatte doch am 18. April 1820 die Akademie der Künste und des Gesanges in Berlin im Bunde mit dem dortigen Künstlerverein dem nach 300 Jahren wiederkehrende[n] Sterbetag Rafaels eine vielfach huldigende Feier dargebracht*. Sollte Klopstock’s erste Säkularerinnerung lautlos vorüber gehen? Die Tonkunst mußte, hier aller ihrer sieben Weihen sich bewußt, das Herrlichste, was verstorbene und noch lebende Tonkünstler dazu zu spenden vermochten, an würdigen Stellen zu vereinigen wissen. Einer Westminsterabtei und einer einzigen Hauptstadt ermangelt, zum Heil unsers Gesamtvaterlandes, das durch diesen Mangel, an Vielseitigkeit und Tiefe der Bildung alle übrigen Völker Europa’s überflügelt, unser Deutschland. Mag Hamburg, wo er am längsten sein Saitenspiel rührte und seine Vollendung empfing, mag Berlin, wo kein italienischer Tongebieter je den dort ächt vaterländisch sich gestaltenden Tonsinn übertäuben wird, mögen andere Städte deutscher Zunge und christlicher Andacht auch an ihrer Seite das Fest dessen, der allen zugehört, kunstreich sich angeeignet haben; mögen besonders die deutschen Hochschulen und Bildungsanstalten diesen Tag weise benuzt haben, um den in jeder Jünglingsbrust schlummernden Funken der Begeisterung zu entzünden. Die Hauptfeier konnte nur an dem Orte begangen werden, wo die Hellenis und Teutonis, die Sinaitin schwesterlich umfassend, an der Wiege des Dichters gestanden hatten. Und sie ist wirklich in Quedlinburg auf eine eben so ausgezeichnete als angemessene Weise in Gegenwart von vielen Tausenden, die aus einem Umkreise von 20 Meilen herbei geeilt waren, als ein wahrer deutscher Panegyris begangen worden. Es war ein gediegenes und erhebendes Musikfest. Der hier an Klopstocks Geburtsort gestiftete, das Ganze anordnende und leitende Verein zu Klopstock’s Denkmal besteht aus höchst achtungswerthen, vielseitig gebildeten Männern, und ihre Namen sollen überall, wo Deutsche deutsch fühlen, in Ehre genannt werden. Der k. preuß. Landrath Weyhe stand mit Recht an der Spize. Die von ihm zur Säkularfeier gedichtete Ode im choriambischen Sylbenmaaß*, wie es Klopstock sich angeeignet hat, beweiset, daß hier nicht blos der Name die Weihe ausspricht. Superintendent Dr. Frische‡ ist ein auch außer seinem wichtigen Beruf hochgeschäzter Forscher, von dem so eben eine treffliche Karte des Harzes (bei Heinrichshofen in Magdeburg) erschienen ist. Bürgermeister Don[n]dorf, Justizrath Pechmann, selbst ein ausgezeichneter Tenorsänger, Medizinalrath Dr. Ziegler und der Fabrikherr Kranz genießen als thätige Finder alles Guten die vollste Achtung ihrer Mitbürger. Die von diesen Männern ausgehende Anordnung war eben so zwekmäßig als sinnig. Die Musikdirektoren Bischoff und Rose hatten im Namen des Vereins eine gedrukte Anzeige über die abzuhaltenden Proben, die dabei zu beobachtende Ordnung und Aufeinanderfolgung, und die Verpflegung des zum Orchester gehörigen Personals erlassen. Die Schloßkirche bot das erwünschte Lokal. Die Hauptdirektion des Orchesters, sowohl am 1 Jul., am Tage der Vorfeier, als am 2 Jul., dem Tage der Hauptfeier, war dem königl. sächsischen Kapellmeister Maria v. Weber, als dem begabtesten unter den noch in Mannskraft wirkenden deutschen Tonsezern und Direktoren angetragen worden. Der als hochherziger und gefühlvoller Mensch nicht minder, als durch seine seltenen Leistungen ausgezeichnete Mann hatte troz seiner Kränklichkeit, die durch erschöpfende Anstrengung in seinem Berufe in Dresden auf eine seine Freunde beunruhigende Weise zugenommen, und eine nicht aufzuschiebende Badereise zu den Marienbader Heilquellen geboten hatte, sich doch gerne einem so ehrenden Zutrauen gefügt, und war in Begleitung zwei unvergleichlicher Virtuosen der königlichen Capelle, der Opernsängerin, Dem. Funk, und des in den schmelzendsten Flötentönen unübertroffenen Kammermusikus Fürstenau noch zu der lezten Generalprobe in Quedlinburg eingetroffen. Unter ihm hatten sich in die Leitung des Orchesters, welches aus 140 Musikern und 156 Sängern und Sängerinnen* aus ferner Umgegend von Braunschweig, Magdeburg, Hildesheim, Ballenstädt, Sondershausen, Halberstadt, Dessau, Köthen, Celle, Wernigerode, Cassel u. s. w. und aus Quedlinburg selbst, wo der Tonkunst ein schöner Tempel errichtet ist, bestehend, schon in einzelnen Divisionen von Kapell- und Konzertmeistern angeführt wurde (so wie z. B. bei der ersten Violine unter den 12 ihr zugetheilten Künstlern sich die Konzertmeister Müller aus Braunschweig und Kreibe aus Ballenstädt, und der Musikdirektor Rose aus Quedlinburg sich befanden), die Musikdirektoren Bischoff aus Hildesheim und Wachsmann aus Braunschweig‡ getheilt. Aber Weber durchdrang mit der ihm eigenen Fertigkeit, und überall feinsinnig eingreifenden Gegenwart, als sprühe er elektrische Funken aus, nach allen Seiten hin das Ganze. Solchem Verdienste ward volle Anerkennung. Am Tage der Vorfeier, wo außer der einleitenden Sinfonie von Beethoven, Mozart’s Hymnus und ein Flötenkonzert von Fürstenau herrlich vorgetragen, auch eine Gesangscene von M. v. Weber aus der Athalia komponirt, und von der Dem. Funk würdig vorgetragen, auch eine Jubel-Ouvertüre von Weber dazu komponirt‡, gehört wurden, erhielt er einen Lorbeerzweig mit einem vom Musikdirektor Rose sinnig komponirten und von Pechmann u. s. w. gesungenen Gedicht, darauf ein Lebehoch in Akkorden harmonisch ausgehalten, (so wie ihm am Abend der Hauptfeier selbst die Trompeter des in Q. garnisonirenden Kuirassierregiments eine Nocturne brachten.) Am Tage der Hauptfeier, die Vormittags von 9 bis 12 Uhr in einem dazu sehr verständig und Plaz gewinnend eingerichteten Lokal mit unbeschreiblicher Rührung und Begeisterung, der gedrängten Tausende aufgeführt wurde, machte der Psalm: Um Erden wandeln Monde, mit dem Vaterunser von Klopstock nach Naumanns unsterblicher Komposition, den Anfang, darauf folgte die Kantate von Friedrich Schneider, und der dritte Theil des Messias von Händel machte den Schluß. Es muß eine ins Einzelne gehende, die treflichen Sänger und Sängerinnen, die hier die Solopartie verwalteten, gebührend würdigende Beurtheilung den musikalischen Zeitungen aufbewahrt bleiben. Eine solche Huldigung der Tonkunst, dem höchsten Epiker und Lyriker der Deutschen dargebracht, wurde ganz im Sinne des Hochgefeierten ein Nationalfest voll Andacht und ergreifenden Unsterblichkeitsschauern. Die Tonkunst feierte ihren höchsten Triumph, der noch bei einer Nachfeier am 3 Jul. durch ein Konzert im Schauspielhause, auch noch unter Leitung Webers und des Konzertmeisters Müller aus Braunschweig, welcher im zweiten Theil das Orchester leitete, nicht erkaltete, als die Funk mit ihrem Gesang, Fürstenau mit seiner Flöte, Kapellmeister Hermstedt mit seiner Klarinette, allen Freunden hohen Genuß zubereiteten. Schon am 29 Jun. eilten aus allen Gegenden Musiker herbei, für deren Bewirthung und Aufnahme der Verein im rühmlichsten Wettkampf mit den gastfreundlichen Bewohnern der Stadt aufs Anständigste gesorgt hatte. Die Chöre, in welchen sich Fülle, Anmuth und Präzision bei so ausgezeichneten Talenten, besonders auch der holden Sängerinnen, im schönsten Bunde verklärte, waren schon | früher durch den unermüdlichen Eifer des Gerichtsdirektors Ziegler beim Quedlinburger Gesangverein, und in Hildesheim durch den rühmlich bekannten Anordner bei dergleichen Musikfesten, den Musikdirektor Bischoff, so wie auch noch in mehreren andern Städten mit seltenem Eifer eingeübt worden. Auch das Quedlinburger Gymnasium ließ sich bei dieser Gelegenheit durch einen feierlichen Redeakt vernehmen. […]
(Der Beschluß folgt.)*
Apparat
Generalvermerk
Autorenzuweisung nach dem Beiträger-Register der Allgemeinen Zeitung, hg. von Bernhard Fischer, München 2003 (lt. hs. Randnotiz im Cottaschen Redaktionsexemplar)
Entstehung
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Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Frank Ziegler
- Korrektur
- Eveline Bartlitz
Überlieferung
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Textzeuge: Beilage Nr. 136 zur Allgemeinen Zeitung, Jg. 27, Nr. 203 (21. Juli 1824), Sp. 545–546
Dazugehörige Textwiedergaben
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nachgedruckt in: Wiener Musikalische Zeitung mit besonderer Rücksicht auf den österreichischen Kaiserstaat, Jg. 8, Nr. 61 (31. Juli 1824), S. 242f., Nr. 62 (4. August 1824), S. 247(f.)
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Themenkommentare
Textkonstitution
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„Braunschweig“sic!
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„komponirt“sic!
Einzelstellenerläuterung
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„… eine vielfach huldigende Feier dargebracht“Zur Raphael-Feier der Königlichen Akademie in Berlin unter Mitwirkung der Singakademie vgl. u. a. Zelters Brief an Goethe vom 19. April 1820, in: Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter in den Jahren 1799 bis 1832, hg. von Hans-Günter Ottenberg und Edith Zehm (Johann Wolfgang Goethe. Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe, Bd. 20.I), München 1991, S. 597f.
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„… gedichtete Ode im choriambischen Sylbenmaaß“Abgedruckt in: Klopstock᾽s hundertjähriges Ehrengedächtniß, gefeiert in seiner Vaterstadt am zweiten Julius 1824. Allen Verehrern des Barden gewidmet, Quedlinburg und Leipzig: Basse, 1824, Beilagen, S. 58–62.
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„Frische“recte „Fritsch“.
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„… und 156 Sängern und Sängerinnen“Das gedruckte Festprogramm wie auch die Angaben in: Klopstock᾽s hundertjähriges Ehrengedächtniß, gefeiert in seiner Vaterstadt am zweiten Julius 1824. Allen Verehrern des Barden gewidmet, Quedlinburg und Leipzig: Basse, 1824, Beilagen, S. 23–32 weisen 91 Orchestermusiker (plus einen Pianisten) und 152 Chorsänger aus.
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„… (Der Beschluß folgt.)“Der „Beschluß“ in der Beilage zu Nr. 137 (23. Juli 1824), S. 549 enthält Berichte über weitere Klopstock-Ehrungen außerhalb Quedlinburgs.