Helmina von Chézy an Carl Graf Brühl
Dresden, Freitag, 22. März 1822

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Absolute Chronologie

Vorausgehend

Folgend


Korrespondenzstelle

Vorausgehend

Folgend

Hochgeborner Graf!
Verehrter Herr GeneralIntendant!

Ewrer Excellenz mich ehrendes Schreiben trifft auch mich nur eben von einem nicht langwierigen, aber desto gewaltsamer angreifenden Krankenlager erstanden, so daß ich auch meiner Geisteskräfte immer noch nicht recht habhaft geworden bin. Ein Herz ist mir geblieben Ihre Güte zu verstehen und zu erkennen, und dies Herz verlangt minder nach einem Ausdruck seiner Empfindungen, als nach einem Anlaß, der sie bewähren soll.

Die zarte Güte, welche stets die innre Triebfeder Ihrer Handlungen ist, mein verehrter Graf! bewegt Sie auch bey der nothwendigen Umarbeitung für die Darstellung mich durch Ihre bewährten Einsichten leiten zu wollen, im Voraus gestatte ich mir schon den Ausdruck | meiner Dankbarkeit darzubringen – Vieles schon – besonders u. a. eine Umschmelzung u natürlichere Gestaltung der Szenen die in Lyra’s abgefaßt sind – liegt, halb enthüllt vor meinem Geistesblick. Ich habe die Umarbeitung, die in Ewr Excellenz Händen ist, voriges Jahr im Frühling vollendet, so daß ich nun schon sie besser übersehen kann. Geleitet u erhellt durch Ihre geneigten Winke hoffe ich bey einer nun neu zu beginnenden Umgestaltung den Szenen die Natürlichkeit und Rundung in der Diktion zu geben, deren Mangel nicht zu ertragen ist, u wenn Schauspieler überirdische Wesen wären. Ich glaube nicht zu irren, wenn ich voraussetze, daß die darstellenden Künstler nicht, sondern die meisten unsrer Dichter die Sünder sind. Wir alle müssen uns erst durch die Unnatur in die wir schulmäßig hineingerathen, kraftvoll wieder hinaus arbeiten. Verschrobenheit ist nicht Genialität. Wenn der Dichter dem edlen Künstler ein gesundes Erzeugniß der Poesie darbringt, so wird es mit Liebe u Lust einstudirt u ausgeführt werden, u nicht minder mit Lust aufgenommen. – Darf ich wirklich | hoffen durch Ewre Excellenz huldreiche Gewährung u unter Ihrem Schutz meine Arbeit in das Leben treten zu sehn, so sollen Sie das Stück, sobald Ihre so liebreich mir verheißnen Ausstellungen zu meiner Kenntniß gelangt, in einer würdigen u angemessenen Gestaltung empfangen, denn ich weiß, daß ich jetzt besser, als voriges Jahr die letzte Hand anlegen kann*.

Mein Freund, Baron Malsburg, hat mir gestern seine eben nun vollendete Uebertragung in Jamben von Lope de Vega’s erstem u herrlichstem Trauerspiele: Don Sancho Ortiz, oder der Stern von Sevilla gelesen. Ich hatte bis dahin das Original nicht gekannt, u bin durchdrungen u hingerissen von Bewunderung für die Größe u Tiefe dieses seltnen Gedichts. Ich glaube es müßte von ungeheurer Wirkung seyn; es ist übrigens nicht ganz nach Lope de Vega’s Text, sondern nach der Bearbeitung von Figuerra so wie es noch jetzt in Spanien mit ungemessnem Beifall aufgeführt wird, übertragen; Camposano hat es B. Malsburg gegeben; so vermißt man denn hier nicht ungern Unklarheiten u Weitschweifigkeiten, auch das Krasse, was gewöhnlich Lope de Vegas herrlichste Werke entstellt. Ich habe | Baron Malsburg aufgemuntert Ewrer Excellenz eine Abschrift zu senden. Eben, weil er durchaus nur für den Ruhm arbeitet, ist sein Fleiß u sein dauerndes Streben von dieser Seite auch sehr ehrwürdig, denn ihm kann, seiner Lage nach, die Muse ganz: „die himmlische Göttin“ seyn; kein irdischer Zweck treibt ihn an, doch ein Lohn, wie dieser wäre, wenn sein Opfer in dem Tempel, wo ein reines Feuer der Kunst auf dem Altar lodert, vom Oberpriester nicht zurückgewiesen würde, wäre würdig der Reinheit u Aechtheit seines Strebens. Das Stück ist gar nicht Spanisch zugeschnitten, sondern es gehört allen Völkern u allen Zeiten, u nimmt jedes hohe u edle Gefühl in Anspruch. Das Interesse währt u steigt bis zum letzten Moment, wo die große, schöne Lösung die tief aufgeregte Seele stillt. Im ganzen Zuschnitt herrscht […] ein antiker Geist u Sinn, u durch das ganze Gebild weht ein kraftvoller Hauch ächt dramatischen Lebens. – Für die wirkliche Darstellung bedürfte es noch einer Umarbeitung mehrerer Nebenszenen, u für Ausschmückung u Pracht bietet es wohl einigen Anlaß, da es im Königsschloß zu Sevilla spielt, jedoch wenig Abwechslung dar, alleine es fesselt so sehr u regt so gewaltig auf, daß man alles Äußerliche darüber vergisst, u scheint mir | in der Diktion so grosartig u freymüthig, so einfach und edel als gehaltvoll zu seyn.

Mein inniges Bedauern des erlittenen Unfalls* Ewren Excellenz habe ich mehr empfunden, als ausgedrückt, der Himmel gebe, durch den Einfluß des holden Frühlings, ferneres Genesen! Mein Freund C. M. v. Weber war der Erste, der mir die schmerzliche Nachricht des Unfalls brachte, u das mit dem vollen Ausdruck seines Ihnen so glühend und wahrhaft ergebenen Herzens. Ich habe jetzt den Kummer auch ihn in Wien jetzt sehr leidend zu wissen; er darf Niemand sprechen, u wendet, ungeachtet der Krankheit seine Muße an, meine Oper zu beseelen, die er ganz leidenschaftlich lieb hat, ein Glück für die Musik derselben*.

Mit dem ergebensten Danke befolge ich den Befehl den Ihr Brief, verehrter Graf enthält, u lege eine Quittung über das Honorar bey, welches Sie so gütig mir bestimmen wollen.

Genehmigen Ewre Excellenz den schwachen aber redlichen Ausdruck meiner hochachtungsvollen u innig dankbaren Ergebenheit mit gewohnter Nachsicht. Wenn ich auch schon die Hoffnung auf das Gelingen meiner Wünsche aufgegeben hatte, so würde ich dennoch nie in der Anhänglichkeit u Wärme der Gesinnung gewankt haben, mit der ich für immer verbleibe Verehrter Graf
Ewr Excellenz
Ergebene Dienerin
Helmina von Chezy
geb. v. Klencke

Apparat

Zusammenfassung

bedankt sich für die Anregung zur Umarbeitung (wahrscheinlich El galán fantasma) und will diese bald umsetzen; berichtet über ein Stück, das ihr Baron Malsburg vorgelesen hat (Don Sancho Ortiz); hat über Weber von seinem Unfall erfahren; der in Wien weilende Weber sei ebenfalls leidend und mit der Euryanthe beschäftigt; legt Quittung über Honorar bei

Incipit

Ewrer Excellenz mich ehrendes Schreiben trifft auch mich nur eben von einem nicht langwierigen,

Generalvermerk

Der Brief ist nicht adressiert, kann aber aufgrund seines Inhalts dem Grafen Brühl zugeschrieben werden.

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Solveig Schreiter

Überlieferung

  • Textzeuge: Entwurf: Berlin (D), Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (D-Bbbaw)
    Signatur: NL H. von Chézy 723-1

    Quellenbeschreibung

    • Brief war ursprünglich durch zwei Fragmente in verschiedenen Nachlassmappen; Fragment 1: 1 DBl. (4 b. S.) in 908 Nr. 64 und Fragment 2: 1 Bl. (1 b. S. mit Datum und Unterschrift) in 880 überliefert, Signatur wurde im August 2023 vom Archiv geändert

Textkonstitution

  • „bewähren“unsichere Lesung
  • „Umschmelzung“unsichere Lesung
  • „[…]“gelöschter Text nicht lesbar
  • „so sehr“über der Zeile hinzugefügt

Einzelstellenerläuterung

  • „… die letzte Hand anlegen kann“Lt. Briefentwürfen an weitere Intendanten wurde El galán fantasma in Berlin angenommen.
  • „… inniges Bedauern des erlittenen Unfalls“Graf Brühl hatte sich bei einem Jagdunfall das Schlüsselbein gebrochen; vgl. Webers Brief an G. F. Treitschke vom 18. Januar 1822.
  • „… Glück für die Musik derselben“Weber weilte vom 17. Februar bis 21. März 1822 in Wien und reichte das Euryanthe-Textbuch bei der Zensur ein; vgl. den Briefe an Caroline von Weber aus der Zeit des Aufenthalts. Erste Entwürfe zur Oper entstanden allerdings erst ab 17. Mai 1822; vgl. TB.

    XML

    Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
    so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.