Aufführungsbesprechung Dresden: „Oberon“ von Carl Maria von Weber am 24. Februar 1828

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Ueber die Aufführung der Oper
Oberon

in Dresden am 24. Febr. 1828.

von C. B. Miltitz.

Je länger mit wahrer Sehnsucht alle Freunde des trefflichen, zu früh entrißnen Componisten der Erscheinung seines letzten Werkes entgegen harrten, je größer mußte die Freude seyn, als denn nun endlich, durch nicht zu beseitigende Hindernisse verzögert, dasselbe am oben angezeigten Tage wirklich auf dem hiesigen Hoftheater vorgestellt ward. Waren der früher beabsichtigten Aufführung mancherlei Umstände störend entgegen getreten, so vereinigten sich wiederum später andre zu ihrem Vortheil. Durch die schätzbare Erwerbung der Herren Babnigg und Wächter war man im Stande, die Parten des Hüon und Scherasmin ausgezeichnet gut zu besetzen und so, verbunden mit den andern Matadoren der deutschen Oper, eine Rollenverteilung zu bewirken, wie sie, in Deutschland, nicht viel andre Bühnen aufzuweisen haben. Da der geniale Weber uns einmal entrissen und demnach seine eigne Leitung nicht mehr möglich war, so hat das Publikum durch die Verzögerung eher gewonnen, als verloren. Waren indessen die Schwierigkeiten wegen der Besetzung überwältigt, so traten nicht geringere wegen der scenischen Darstellung hervor. Der Text des Gedichtes ist, seine gewaltige Länge und einige schleppende Stellen abgerechnet, von Planché sachverständig zusammengestellt und von Theodor Hell sehr gut, ja oft vortrefflich übertragen worden. Allein der englische Dichter schrieb eine Zauberoper für das große Theater von Convent-Garden in London. Ob weit kleinere Bühnen das Stück würden geben können, das war nicht seine Sorge. Auch unser Publikum, ¦ auch Weber’s Freunde fragten nicht danach, sondern überließen dies der Sorge der Theaterintendanz. „Wie billig!“ – höre ich sagen. Ganz recht. Allen, wenn nun die Direction aus wahrer Achtung für den Gegenstand geantwortet hätte: „Wir stellen das letzte Werk des unvergeßlichen Meisters zu hoch, um es nicht so vorzüglich als möglich darzustellen. Dies aber ist, wegen der vielen scenischen Veränderungen, die im Stücke vorkommen und in dem hiesigen kleinen Theater entsetzliche Mühe machen, ohne einen sichern Erfolg zu verbürgen, nicht rathsam, und daher besser die Oper nicht zu geben.“ Wie dann? Wer aber nur einige Einsicht in das Theatermaschinenwesen hat und es weiß, wie viele Anstalten vor der Aufführung zu treffen, wie viel Menschen in einem Moment unter, über und auf dem Theater bei einer nur etwas brillanten Decoration beschäftigt sind – wer es weiß, daß, selbst vorausgesetzt, alle diese Menschen hätten gleiche Aufmerksamkeit, gleichen guten Willen, gleiche Geschicklichkeit – dennoch kleine Fehler unvermeidlich sind, so lange die Prospecte nicht in ihrer ganzen Breite unter’s Theater hinabsinken, sondern hinaufgerollt und gezogen werden müsssen; – wer ferner erwägt, daß diese Decorationenwechsel eben nur in einem großen Hause ohne Störung möglich wird, weil Platz genug da ist, und der hinaufzuziehende Prospect, die vorzuschiebende Coulisse, nicht sechs andern ihresgleichen auf demselben Wege begegnet – wie dies hier in Dresden der Fall ist, – der wird der Direction seinen Dank und billige Anerkennung dessen, was sie geleistet, nicht versagen können. Was die Costüme erfordert, was das Auge erfreut, was die Täuschung befördern kann, das ist mit Kenntniß, mit Geschmack und hin und wieder selbst mit Pracht geliefert worden. Daß das Alles in noch höherm Grade geleistet werden könne, weiß jedermann, folglich auch die hiesige Intendanz, und man gebe ihr nur ein Haus wie San Carlo in Neapel, das | 4000 Menschen faßt, 39 Ellen Höhe und 31 Ellen Breite hat, und sie wird leisten, was dort geleistet wird. Allein hier, wo man wegen gar zu beschränktem Raum, mit jedem herabfallenden Prospect auch noch ein paar Gehülfen mit herablassen möchte, um ihn unterwegs vor Anstoßen, Hängenbleiben u. dgl. zu bewahren und jede Coulisse ersuchen, ihren Collegen hübsch aus dem Wege zu gehen, hier ist das, was im Oberon geleistet wird, wahrhaft das Aeußerste, und darum, wie gesagt, des Dankes und der Anerkennung werth. Ueber die Aufführung selbst, über das Verdienst der trefflichen Capelle, über die ausgezeichneten Leistungen der Sängerinnen und Sänger, hat sich das Publicum bekanntlich laut und höchst beifällig ausgesprochen, sowie es auch den Decorateur die verdiente Anerkennung bezeigte. Demnach bliebe über die Aufführung nichts zu sagen, allein vielleicht vernehmen Musikliebhaber gern noch einige Worte eines unter ihnen, über das Werk in rein musikalischer Beziehung. Zuerst wäre wohl der Vorwurf zu erwähnen, die Musik sey nicht melodiös und habe häufige Remeniscenzen aus dem Freischützen, Euryanthe &c. Wenn nicht ein jeder, der etwas Stimme und Gedächtniß für Musik hat, gleich Stücke aus dem Oberon nachzusingen vermag, wie er dies z. B. aus dem Freischützen und der Preciosa konnte – so liegt dies daran, daß im Freischützen, der nach Textesanlage und Zeitdauer nicht unter die ganz großen Opern zu rechnen ist, obschon dem Styl nach gewiß, die Situationen weit zusammengedrängter, und in jedem Textstücke gleichsam nur die Grundzüge der Empfindung angegeben sind, die vom Tonsetzer ausgedrückt werden sollten. So wie der Dichter sich wortreicher ausspricht, z. B. in Agathens schöner Scene, wird auch die Tondichtung umfassender, großartiger. Endlich gestatten auch Sätze wie der Jägerchor, das Schelmenlied, der Geang der Brautjungfern, keine große musikalische Ausführung. Hier mußte der Componist sein Publikum durch originelle Rhythmen, durch reizende Melodie fesseln und konnte von andern Mitteln der musikalischen Darstellungskunst keinen Gebrauch machen. Wo er es aber irgend im Oberon durfte, da hat er es auch gethan, wie im Chor: „Dunkel ist es schon[“] &c. – Ueber die blauen Wogen &c. – im Chor der Meermädchen: „O wie wogt es sich schön“ &c. und an unzähligen andern Stellen, die auch auf das Erstemal gleich jedes musikalische Ohr auf’s Schmeichelhafteste berühren müssen. Von der ¦ Musik des Oberon den Charakter der Tonstücke aus Preciosa (an sich ein herrliches Werk!) verlangen, ist nicht viel anders als von der Ode die Naivetät eines Wiegenliedes fordern, und setzt ein völliges Uebersehen der ungeheuern Verschiedenheit dieser beiden Gattungen voraus. Was nun die sogenannten Reminiscenzen betrifft, so bezeichnet man eigentlich damit nur Erinnerungen an fremde Musikstücke. Daß davon bei C. M. v. Weber keine Rede seyn kann, ist kaum zu erwähnen. Man hat bis jetzt eine merkwürdige Erfahrung gemacht, daß es nämlich für die meisten, selbst für die geistvollsten Componisten, allezeit ein Werk unter der Reihe ihrer theatralischen Compositionen gebe, in welchem sich ihr Genius am reichsten, am glänzendsten entfaltete und das sich gleichsam als Inbegriff ihrer musikalischen Schöpfungskraft ankündigt. Man erkennt dies natürlich nicht bei der ersten Production dieses Werkes, sondern bei der Erscheinung der später geschriebenen. In ihnen findet man die Eigenthümlichkeiten, die dort den Meister bezeichneten, mehr oder weniger beisammen, aber immer so deutlich wieder, daß man mit Bestimmtheit sagen kann, der oder jener Tonkünstler hat die Musik geschrieben. So erkennt man in Salieri’s Palmira, in Cäsar auf Pharmacusa, den Componisten des Axur – in Winter’s Maometto, das unterbrochene Opferfest, in der weißen Dame von Boieldieu, den Tonsetzer des Johann von Paris, in der Lodoiska von Cherubini, den Wasserträger und selbst bei einem der neuesten Componisten, bei Auber findet der aufmerksame Zuhörer im Maurer Stellen, die an die Composition der Oper, der Schnee, erinnern. Je früher dieses „Normalwerk“, wenn wir so sagen dürfen, componirt wird, je früher bildet sich in dem Componist eine Neigung, eine Vorliebe für gewisse rhythmische Perioden, für gewisse Harmoniefolgen, für eine gewisse Benutzung der Instrumente, also eigentlich für das aus, was ihn eben von andern Componisten unterscheidet, für seine Individualität und Originalität. Ueberläßt er sich dieser ohne Wahl, so entsteht, sey sie noch so reizend an sich – eine Manier, wie dies bei Rossini der Fall ist. Sonderbar genug läßt sich bei dem unsterblichen Mozart ein solches Werk, worin er gleichsam seine Individualität niedergelegt hätte, nicht nachweisen. Alle seine theatralischen Arbeiten unterscheiden sich streng von einander durch eine jedesmalige neue Frische der Erfindung. Allein tadeln wir denn ein Bild von | Raphael, weil wir auf den ersten Blick sehen, es ist von Raphael? Oder den Styl eines Buches, weil wir unwidersprechlich Johannes von Müller oder Lessing darin erkennen? Ist es uns, um die Frage noch näher zu legen, nicht recht lieb, daß unser Freund eben gerade die eigenthümliche Weise hat, die uns an ihn knüpfte? Beglückt es uns in der Geliebten nicht, daß eben dieser originelle Zug, der uns an sie fesselte, in allen Verhältnissen hervortritt? Jene sogenannten Reminiscenzen von genialen Tonkünstlern aus ihrem beßten Werke sind also, weit entfernt Tadel zu verdienen, eher dem lieblichen Klange der Stimme eines Freundes zu vergleichen, die wir unter hundert andern erkennen und unterscheiden würden. Unnatürlich aber, gesucht, gekünstelt ist wohl in dieser Weber’schen Musik durchaus nichts zu nennen. Man lese nur die Partitur, man frage nur die Instrumentisten, ob diese Composition nicht im Stimmenfluß, Wahl der Tonarten, Vorzeichnungen, eine der wenigst schweren dieses Meisters ist? Gekünstelt in Hinsicht der Zusammenstellung oder des Ausdrucks kann man meines Bedünkens keinen Satz im Oberon nennen. Kunstvoll aber und doch eben so natürlich als genial ist der herrliche Chor der Haremswächter: „Dunkel ist es schon[“] &c. gegen dessen faule, schläfrige Rhythmen, die süßen, feurigen Coloraturen in Rezia’s Arie so herrlich abstechen und nicht gesucht, sondern ausgesucht trefflich ihre große Scene und Arie auf dem Eilande: Ocean, du Ungeheuer &c. Hundert Componisten hätten hier der Versuchung nicht widerstanden, bei der Stelle – „schlangengleich hälst du umschlungen rings die ganze Welt,“ ihr Auditorium als die Welt zu betrachten, und das Orchester schlangengleich in den entsetzlichsten Tonarten sich um die erstre herum winden zu lassen. Ja, es wäre sogar nicht als Misgriff zu betrachten gewesen, wenn ein Tonsetzer die dunkle Ahnung von der schrecklichen Kraft des Meeres in einer fortlaufenden Bewegung, der ersten Hälfte des Textes hätte unterlegen wollen. Aber wie weit erhabner, tiefer, edler faßte unser Weber den Gedanken auf. Wer so wie Rezia am Felsen über der unergründlichen See steht und von dem riesigen Maasstab ergriffen, in die Worte ausbricht: „Ocean! du Ungeheuer! Schlangengleich hälst du umschlungen rings die ganze Welt!“ – der will weder mahlen, welch’ eine Art von Ungeheuer das Meer ist, noch seine ¦ schlangengleichen Windungen, sondern seine Seele versenkt sich in ahnungsvoller Betrachtung. Und so läßt Weber, ohne Instrumentalprunk, ohne Dissonanzen und unharmonische Melismen, Rezia ihre bedeutungsvollen Worte bloß auf die stufenweis angeschlagenen Intervallen eines consonirenden Duraccordes aussprechen. Das ist Ueberlegung und Effect beisammen! Ueberhaupt ließe sich über die Schönheiten dieser Scene ein Commentar schreiben. Als höchst reizende Instrumentaleffecte – wohin die ganze Ouvertüre gehört – zeichne ich noch aus die schönen Solo’s für’s Violoncello, die vorzüglich bei den Worten: „jetzt gießt sich aus ein sanfter Glanz“ in der Arie Hüon’s, dann in Hüon’s Gebet: „Vater! höre mich flehen!“ bloß mit dem Violon sich verbindend in eine wundersüße Harmonie zusammenzuschmelzen. Nebenbei sey dieses Gebet erwähnt als Beleg, wie ein Deutscher auch in der Oper ein Gebet behandelt, als Gegensatz zu der Art en passant und ohne weitre harmonische und ästhetische Umstände eine Bitte an den Himmel abzufertigen, wie sie uns jüngst ein französischer Tonsetzer hat hören lassen! Ferner die schöne Figur des Waldhornes – die Italiener nennen einen solchen festgehaltenen Gang sehr charakteristisch un’ostinazzione – im Chor der Meermädchen. Dann, von den Stimmen vorgetragen, das ganz originelle, ächt Weber’sche: „Wohlgemuth, wohlgemuth!“ im selben Chor am Schlusse des zweiten Acts. Zum Schlusse dieses Aufsatzes bitte ich diejenigen Leser, die mit mir nicht einerlei Meinung sind, nur noch ein paar Vorstellungen des Oberon mit anzuhören und – ich wette – dann treten sie auf meine Seite über! –

Apparat

Zusammenfassung

über die EA des „Oberon“ in Dresden

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Ziegler, Frank

Überlieferung

  • Textzeuge: Einheimisches, Beilage zur Abend-Zeitung, Jg. 12, Nr. 3 (März 1828), S. 9–11

Textkonstitution

  • „Convent“sic!

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