Friedrich Rochlitz: Rezension zu Webers „Oberon“, Teil 1/2

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Oberon. Romantische Oper in drey Akten. Nach dem Englischen des J. Planché, von Theodor Hell. Musik von Carl Maria von Weber. Klavierauszug vom Componisten. Berlin, bey Schlesinger. (Pr. 6 Thlr. 12 Gr.)

Keine Oper, die wirklich eine ist, kann, als eine solche und nicht bloss als eine Reihe verschiedenartiger Gesangstücke, aus dem Klavierauszuge allein beurtheilt werden; und geschieht es dennoch, so hat der Leser nicht nur die unbedingte Befugniss, sondern, nimmt er wirklich an ihr Theil, sogar einigermaassen die Obliegenheit, die Beurtheilung bedenklich und nur als eine vorläufig aufmerksam machende Anzeige aufzunehmen. Da wir nun hier, bey Ankündigung des Klavierauszuges des Oberon, gleichwohl Manches über die Oper selbst, als solche, zu sagen unternehmen: so sind wir genöthigt zu erklären, dass wir sie keinesweges bloss, oder auch nur zunächst, aus diesem, sondern zuerst aus einigen, und zwar höchstgenauen, auch sonst in jeder Hinsicht rühmenswürdigen Aufführungen auf der Leipziger BühneT, dann aus fleissigem Studium der Composition, wie sie von Weber ausgegangen, und nun aus noch mehrmaligen Wiederholungen auf jener Bühne kennen gelernt haben. *) Sonach hoffen wir, der Leser werde unserer Beurtheilung wenigstens eben so viel Zutrauen schenken, als irgend einer, die von uns ausgegangen; wesshalb wir auch unsern Namen zu unterzeichnen für Pflicht halten. ¦

Jede Beurtheilung einer Oper, die wirklich eine ist, und nicht eine Art Concert, von verkleideten, mehr oder weniger in Handlung gesetzten Sängern und Sängerinnen aufgeführt, muss von der Dichtung ausgehen; nicht von den Worten derselben, als Worten und ihrer Form – obschon auch diese nicht gleichgültig und gleichfalls zu beachten sind: sondern von der Fabel und deren Führung, von den Characteren, und von den Situationen; welche letzte für den Componisten unserer Tage sogar von der allergrössten Bedeutung sind, weil sie ihm den meisten Stoff zu reicher Ausführung in die Tiefe und in die Breite geben, und weil sie – wir wollen nicht entscheiden, mit wie viel Recht und wie viel Unrecht – bey der jetzigen Gewöhnung des Publikums, auch des musikalisch gebildeten, doch mehr auf das hervorstechende Einzelne, als auf das Ganze zu achten, über den Erfolg der Opern vorzüglich zu entscheiden pflegen. Nun würden wir mit wahrer Freude den gesammten Oberon diesen drey Hauptpunkten nach, erst im Ganzen, dann in seinen einzelnen Musikstücken durchgehen; hieran knüpfen, was über Anderes, zwar gleichfalls Bedeutendes, doch weniger Entscheidendes, zu sagen wäre, und endlich aus Allem ein möglichst bestimmtes Resultat zu ziehen uns bemühen: aber das müsste mehre Druckbogen füllen und hiesse, die Gränzen, die ein Auszug setzt, nicht bloss überschreiten – was wir allerdings wollen – sondern ganz und gar vergessen. Wir werden uns daher an das halten, wonach, wie uns dünkt, Jeder, der von dem trefflichen Werke etwas Näheres wissen will, zuvörderst, doch in allen jenen Beziehungen, fragen möchte; was Jeder, selbst vor Bekanntschaft mit ihm von der Bühne, fassen und einigermaassen übersehen kann; was ihm dann diese Bekanntschaft erleichtert, falschen Erwartungen vorbeugt, die rechten aufregt, und damit den Genuss, wenn man ihn empfängt, wo nicht vermehrt, doch reiner und unverkümmert hervorgehen lässt. Hierzu | fühlen wir uns durch eigene Neigung gedrängt; denn Oberon ist unseres theuern Webers, ist sein letztes, und in seiner Art, sein trefflichstes Werk; überdiess ein Werk, das ihm von keiner Seite und in keiner Hinsicht würdig verdankt, viel weniger vergolten worden ist; das selbst sein Ende beschleunigen geholfen hat; es ist auch von einer Art, die leicht verkannt und dann irrig beurtheilt werden kann, besonders, wenn man von ihm, wie das so oft geschieht, dasselbe verlangt, was andere, vorzüglich beliebte, seiner Werke schon geleistet haben, statt mit besonderm Interesse zu betrachten und mit vermehrtem Antheil anzuerkennen, auf wie höchstverschiedenen Wegen der Meister zum Ziele aller solcher Werke zu führen versteht; oder wenn man die vielfältigen, wahrhaft lastenden Beschränkungen, denen er sich bey diesem Werke fügen musste, gar nicht in einigen Anschlag bringt, sondern zum alleinigen Maassstab ein Unbedingtes, Abstractes anlegt, statt theilnehmend zu ehren, wie edel und schön er sich unter diesen Beschränkungen zu bewegen, ja aus ihnen selbst etwas Neues, ihm Eigenes, in hohem Grade Freyes, woran, die ihn beschränkt, gar nicht gedacht hatten, zu schaffen, und was er daraus geschaffen, mit grösster Liebe und Treue auszubilden vermocht hat. Jenes Rechte nun nach Kräften zu fördern, diesem Unrechten nach Kräften vorzubeugen: das ist der Zweck unseres ganzen Aufsatzes.

Die Fabel des Oberon. Wir brauchen sie nicht zu erzählen: Jedermann weiss sie. Was der Dichter von ihr aufgenommen, weiss man auch, da Theodor Hell seine Uebersetzung des ganzen Stücks schon früher hat drucken lassen. Ueber die Art, wie der Dichter das Aufgenommene geordnet und geführt hat, wird es genug seyn, Folgendes zu bemerken. Wieland diente ihm als Führer, aber nur in einer gewissen Anzahl einzelner historischer Ereignisse, keineswegs aber in dem Poetischen ihrer Gestaltung, ihres Sinnes und geistigen Zusammenhanges (wenigstens weiss er diess nicht zur Anschauung zu bringen), und so erscheinen diese einzelnen Ereignisse auch vereinzelt. Diese sind nun aber durchgehends – zwar auch nicht recht (geistig) verbunden, doch durchflochten, mit Scenen der Feenwelt, zu welchen der Dichter von Shakespeare (vornämlich aus dem Sommernachtstraum, doch hin und wieder auch aus dem Sturm) so vieles zu sich genommen hat, als er hier für verdaulich hielt. Das Letzte müssen wir loben, wenn auch nicht ihm dess¦wegen; denn sonst wäre, trotz allem Zubehör für die äusseren Sinne, nichts herausgekommen, als ein, wenn auch noch so buntes, doch langweilendes Spectakelstück. Bey Anordnung dieses Stoffs (von einer Verarbeitung desselben kann nicht wohl die Rede seyn) scheint der Dichter eigentlich Dramatisches – was nämlich wir Deutsche so nennen – gar nicht beabsichtigt, sondern wie nach einer Art Schema, abgenommen von dem, was man jetzt in England von einer Oper will und wie man es will, gearbeitet zu haben: jede Scene etwas Anderes, mit dem eben Vorhergegangenen möglichst Contrastirendes, in Personen, in Localität, in Decorationen, in Form und Ausdruck der Singstücke – in Allem; alles diess an einem historischen Faden, so gut es sich eben will thun lassen, angereihet. Wären nun auch Weber’n nicht zur Composition die Acte einzeln zugesandt worden, wie doch geschehen, so dass er das Ganze eigentlich erst kennen lernte, als er es fast beschliessen musste: so wäre doch damit es ihm unmöglich gemacht worden, gerade den grössten und den ihm, unter allen Zeitgenossen, eigenthümlichsten Vorzug gelten zu machen – den Vorzug, dass jede seiner Opern (die Preciosa mit eingerechnet) ein wahres und auch ein wahrhaft theatralisches Ganze ausmacht, jede von der andern fast eben so gänzlich verschieden und selbstständig, als alle von denen, anderer Meister. Es wäre ihm unmöglich gemacht worden, diesen Vorzug gelten zu machen, sagen wir – wenn nicht sein denkender, feiner und sehr gebildeter Geist, Hand in Hand mit seiner Kunst, einen Ausweg ersonnen, und seine Kenntniss und Erfahrung ihm Mittel geboten hätten, diesem Auswege treu zu bleiben, auch ihn mit den schönsten Blumen aufzuschmücken. Und das war der, von welchem wir in der Folge, wo von den Characteren die Rede seyn wird, bestimmter und ausführlicher zu sprechen haben: die luftige, mildheitere Feenwelt, mit allem, was sie hier ist und thut, ja auch, wie sie sich nur hinstellt oder wozu sie den Musiker veranlasst, von dem, was die Menschen beginnen, leiden, thun, sagen, ganz zu trennen; *) auf jene in seiner Musik bey weitem das | Hauptinteresse zu werfen, und sie, diese Zauberwelt, in seiner Kunst mit einem Reiz, einer Anmuth und Lieblichkeit auszustatten, wie – das kann man geradezu behaupten, und Jeder, der diesen Haupttheil des Werkes vollkommen ausführen sieht und hört, wird es bestätigen – wie, in dieser Art, zu diesem Zwecke geistreichen Spieles, noch gar nichts vorhanden ist. Dass Weber dabey die auftretenden Menschen und was sie angeht nicht vernachlässigte, brauchen wir kaum zu versichern: er that für sie, was sich, der Dichtung nach, und ohne seinen lieben Feen zu nahe zu treten, thun liess. Konnte nun auch hierdurch das Werk nicht ein eigentliches dramatisches Ganze werden: so wurde es doch in so fern ein Ganzes überhaupt, als es in jenem seinem Haupttheile ein (musikalisch) ganz eigenthümlich erfundenes, ganz eigenthümlich ausgeführtes, zum Bewundern deutliches, vollkommen zusammenhängendes, und in sich übereinstimmendes Bild ward; dabey ein überaus reiches, in den zartesten, reizvollesten, verschmolzendsten Farben schimmerndes Bild, an dessen Hauptidee und Hauptinteresse sich nun das Andere schliesst, so gut es kann.

Ehe wir zu einem Zweyten übergehen, sey es uns erlaubt, einige Nebenbemerkungen anzubringen. Die erste wendet sich an die Theatertdirectionen. Wenn diese die Ausführung der Chöre der Elfen und die kleinen Solos derselben ungefähr so besetzen und behandeln lassen sollten, wie die Chöre und kleinen Solos der jetzt gangbaren italienischen Opern: (man weiss ja, was und wie sie da sind; was sie da wollen, was sie da sollen:) so muss Webers Oberon— wenn auch nicht fallen, doch kann er dann nur auf kurze Zeit einiges Vergnügen, und ein Vergnügen gewöhnlicher Art gewähren. So leicht (im Gesange) jene Chöre u. s. w. scheinen, und den Noten nach auch sind, so wollen sie doch nur von guten, gebildeten Stimmen vorgetragen und aufs Allergenaueste einstudirt seyn, um mit bester Uebereinstimmung Aller im Zu- oder Abnehmen der Stärke ¦ des Tones, im Portamento, in pünklichster Haltung oder Abbrechung der Töne, in Allem, was man Discretion des Vortrages zu nennen pflegt, und, wohl zu merken, auch mit Seele ausgeführt werden zu können. Die vollendete Ausführung der geist- und ausdrucksvollen, ganz eigenthümlichen und zuweilen sehr sonderbaren Begleitung dieser Chöre und Solos durch die Instrumente kann man den jetzt fast überall so geschickten Orchestern, unter guter Leitung, schon eher zutrauen. – Unsere zweyte Nebenbemerkung richtet sich an die, welche das Werk nur noch aus dem Klavierauszuge kennen oder kennen lernen. Sie müssen unser Lob der W.schen Musik zu den Feenscenen für übertrieben halten; ja, sie werden von Manchem in ihr kaum wissen, was es sey, und wolle; viel weniger, warum es so sey und wie das viel wirken könne; sie werden das Eine wunderlich, bizarr, das Andere gesucht, ängstlich ausgepünktelt – und wie sonst noch, finden. Das war nicht zu vermeiden, wie sorgsam auch der Auszug verfasst worden: es liegt in der Sache; und diese beruhet hier nicht wenig auf dem, was man zugleich sehen muss, indem man hört, weit mehr aber noch auf der ganz besondern, mit der grössten Kenntniss und dem feinsten Sinne gewählten, zum Theil noch nie, auch von Weber noch nicht, so versuchten Instrumentation, deren Stellvertreter das tonarme Pianoforte ganz und gar nicht seyn kann. Jedermann kennt W.s eigenthümliche Meisterschaft in dieser Hinsicht und man hat öfters gesagt, der beste Auszug aus seinen Stücken solcher Art gleiche kaum einem guten Kupferstiche nach einem Gemälde von Correggio’s oder Albano’s Farbenkunst: in jenen Feenscenen hat nun aber W. offenbar sich selbst noch übertroffen, und so möchte man sagen, der Kupferstich werde hier zum Schattenriss. Es wird daher wohlgethan seyn, sein Urtheil aufzusparen, bis man das Werk, wie es ist, ausführen gesehen und gehört hat: des Auszuges aber alsdann sich nur als einer Leitung der Erinnerung und Phantasie zu bedienen, damit diese einigermaassen ersetzen, was Ohr und Geschmack entbehrt.

Charaktere. Wir betrachten sie, wie sie bey der Aufführung sich darstellen, vom Dichter theils nur veranlasst, theils entworfen, vom Componisten theils eigens gebildet, theils weiter ausgeführt; und da müssen wir mit demselben beginnen, womit wir so eben beschlossen haben: mit der Gesammtheit der Reichsunterthanen Oberons. Sie, als eine ganz einige, stets und in allen Mitgliedern über|einstimmende Gesammtheit, gleichsam als Eine vervielfachte Person, hat einen so bestimmten, so in sich abgerundeten Charakter, als irgend eine musikalisch-theatralische Personalität ihn hat. Alles, was sie singen (auch thun und wie sie sich bezeigen), und wie diess durch das Orchester ausgemalet wird, ist luftig und zierlich, mild und freundlich, zart, fein, anmuthig, dabey fremdartig, abenteuerlich, und doch ohne den mindesten Zwang leicht hinfliessend; es ist durchgehends geschieden im Ausdruck und in der Schreibart von dem, was die Menschen singen und sagen, leiden und thun: es ist die lieblichste, in sich entfaltetste Blüthe der Phantasie und des Gemüths unseres Weber; je näher man allmählich sie sich bringt (durch öfteres Betrachten), je erfreulicher, je lieber wird sie Einem. – Von dieser Gesammtheit des Feenreichs unterscheidet sich Puck, der vertraute Diener seines Königs und thätige Vollstrecker seines Willens: noch weit mehr aber der König Oberon selbst. Jener ist zwar noch ein Sylphe, aber weit rascher, vordringender, derber und widerhaltiger, als jenes Luft- und Nebel-Geschlecht; er hat schon etwas von menschlichen Affecten, fühlt seine Kraft, commandirt gern, und thut es mit Geräusch und Stolz. Es ist ihm nicht Vieles zu singen anheimgefallen: aber was ihm geworden, das ist so, wie wir gesagt haben. Dabey ist es sehr angemessen und hilft bezeichnen, dass W. die Partie für eine klingende, helle Altstimme gesetzt hat. Aber Oberon: mit diesem scheint der Dichter nicht gewusst zu haben, was eigentlich anfangen. Er soll den Menschen noch näher stehen, als sein Puck; und das mag Recht seyn: aber darüber ist er, seine Wunderthätigkeit abgerechnet, gar zu einem Menschen geworden, und zu einem sehr ordinairen; denn was er zu Tage legt, ist nichts, als leidenschaftliche Klage, durch eigene Schuld seine Geliebte verloren zu haben, und dann eine, obendrein ziemlich zweydeutige Menschenliebigkeit. Seine Wunder können ihn selbst nicht interessanter, viel weniger bedeutend machen, da sie ihn nichts kosten: er braucht ja bloss den Lilienstengel zu schwingen. Kurz: er ist nur der Gott aus der Maschine. Wir müssten uns sehr irren, oder Weber hat auch nicht gewusst, wohin mit diesem Oberon. Zum Glück hat der König nicht vieles zu singen: was er hat, ist einzeln gut, aber es könnte auch jedem menschlichen Liebhaber in solcher Situation zugetheilt seyn. Die Instrumentalmusik, die manche seiner Handlungen begleitet, ist gleichfalls gut: aber – wir wenigstens ¦ finden keinen Punkt, der Eines mit dem Andern zur Einheit und einiger Selbstständigkeit verbände; wir finden im musikalischen Oberon so wenig, als im dichterischen, eigentlichen Charakter. Da nun die Deutschen Alle überdiess ein ganz anderes, ohne Vergleich anziehenderes Bild des Oberon aus ihrem Wieland in sich tragen, das, bringt man es mit in diese Oper, ihrer Wirkung schaden muss: so hielten wir uns um so mehr verbunden, jenes gerade heraus zu sagen; und damit man nicht gestört oder wohl gar gegen das Ganze einigermaassen verstimmt werde, rathen wir an, das Wieland’sche Oberonsbild hier ganz aufzugeben und den Elfenkönig nur als einen herausgeputzten Schemen, übrigens aber als conditio sine qua non für das ganze Werk mit in den Kauf zu nehmen. Der Schauspieler, der ihn darzustellen hat, wird, da er kaum etwas Weiteres thun kann, für ein edles Repräsentiren und für Würde in Sprache und Bewegungen zu sorgen haben. Man hat vorgeschlagen, die Rolle für eine grossgestaltete und hübsche Frau zuzuschneiden; das würde sich leicht thun lassen, und ein starker, klingender Mezzo-Sopran könnte die Partie recht wohl singen: wir zweifeln aber, dass, nach der ganzen Anlage und Führung des Stückes, die man doch wohl würde beybehalten müssen, Beträchtliches damit gewonnen werden möchte; zu geschweigen, dass es Oberon fast stets mit seinem Gefolge und mit Puck, mithin mit weiblichen Stimmen, zu thun hat – was, selbst im Dialog, schwerlich eine gute Wirkung machen könnte. – Hüon und Rezia sind Er und Sie, der Ritter und die Dame, die erste Tenor- und die erste Sopranpartie, im Sinne der jetzigen romantischen Oper; in so fern diese überhaupt Charakter zu haben pflegen, haben sie ihn auch, und W. hat sie so lebendig und mannichfaltig ausgestattet, so reich und glänzend ausgeschmückt (besonders Rezia), dass, die sie darzustellen bekommen, eines rauschenden Beyfalls gewiss seyn können – wenn sie nämlich den Anforderungen des Componisten zu genügen vermögen. Hierzu gehört aber viel; und das Schwierigste dabey ist, dass Beyde, vorzüglich aber Rezia, wahrhaft ausgezeichnete Bravoursänger und zugleich des einfachen, sanftrührenden, getragenen Gesanges mächtig seyn müssen; was nicht oft beysammen gefunden wird. – Scherasmin ist munter, treuherzig, eine ehrliche Haut: vollkommen dem angemessen sind seine, zwar untergeordneten, aber gefälligen Gesangstücke. Fatime dagegen ist viel höher gestellt; von dem Compo|nisten nämlich. Er hat ihr ihren muntern, leichtbeweglichen Sinn und ihr artiges Wesen gelassen, aber sie durchaus nicht als blosse Zofe genommen, sondern als zärtliche Vertraute ihrer Fürstin; als ein feines, anmuthiges, besonders auch Dicht- und Tonkunst liebendes Wesen; und so, offenbar mit vieler Liebe, sie zu unserer Freude ausgebildet. Ein Recht dazu bekam er dadurch, dass Fatime in Arabien, einer Heimath weiblicher Feinheit und der Liebe zur Dicht- und Tonkunst, geboren und aufgewachsen ist. So angesehen, sind ihre zwey Arien höchstbezeichnend; wie sie auch überhaupt zu den schönsten Solostücken der Oper gehören. Was sie sonst, und mit Anderen, zu singen hat, scheint damit nicht ganz überein zu stimmen: aber es scheint nur so; Mädchen der Art sind anders mit Anderen, anders allein. – Die Chöre endlich sind, was sie seyn sollen und sehr gut von einander geschieden: z. B. die, der Trabanten des Sultans, von denen, seiner faulen, tölpischen Sklaven u. dgl.

Auch hier erlauben wir uns einige Nebenbemerkungen. Was Weber für die Characterisirung der menschlichen Wesen gethan hat, ist zwar bey weitem nicht so Vieles, als z. B. im Freyschütz: aber lieset man das Gedicht, so muss man rühmen, dass er diess noch vermocht; und weiss man, welche weitere, an die Persönlichkeiten der englischen Sänger und Sängerinnen und an ihre Fähigkeiten oder Unfähigkeiten geknüpften Beschränkungen ihm noch auferlegt worden: so muss man es bewundern. Zu diesen Beschränkungen gehörte auch, dass unter den Solopartieen keine, für eine eigentliche Bassstimme seyn durfte; weil man keine besass. Die Aufführung der Oper in Deutschland wird diess aber nicht behindern, da Oberon und Scherasmin auch nicht eigentliche Tenorpartieen sind, sondern zwischen Tenor und Bass schweben, jener sich mehr dem ersten, dieser dem zweyten zuneigend; und unsere häufigen Baritons haben an den französischen Opern lernen müssen, eine ziemliche Höhe sich zu erwerben. – Die Musik zu den kleinen pantomimischen Tänzen oder Bewegungen der Feen und was zu ihnen gehört, ist so characteristisch und fast so reizend, als die, zu ihren Gesängen. Theater, die ein grosses Ballet besitzen und darum geneigt seyn möchten, neben ihnen grössere Tänze mit anderer Musik einzuschalten, sollten sich dessen hier enthalten; noch mehr aber, wie das sonst so oft geschieht, die vorgeschriebene Musik mit anderer zu vertauschen. Jenes würde das sehr bedachtsam angeord¦nete Ganze aus einander treiben und seine Wirkung schwächen: diess es ganz zerreissen, entstellen und um einen Theil seines Schönsten bringen. —

Situationen. Da die Rede von einer Oper ist, so nehmen wir diess Wort in dem Sinne, wie es der musikalische Componist nimmt, wenn er sich selbst recht versteht und wir ihn recht verstehen. Dann bezeichnet diess Wort—für das Ganze und dessen Fortschritt bedeutende Scenen, zu welchen mehre Personen der Handlung, verschiedenen Charakters, und eben jetzt verschiedener Gesinnung, Stimmung, An- und Absicht, zusammentreten; wo nun jede Person dieser Verschiedenheit gemäss sich äussert; dadurch ein Conflict zwischen ihnen sich bildet; hieraus vor unseren Augen und Ohren irgend ein Neues, ein Fortschritt der innern Handlung, eine vorher von den Handelnden nicht gefasste Ansicht, Gesinnung, Entschliessung zu Stande kömmt; hierdurch auch irgend ein Neues, ein Fortschritt der äussern Handlung, sey es nun in Einigung oder entschiedener Trennung der Parteien – womit sich die Scene abrundet, abschliesst: welches Alles nun der Componist in Ein grosses Musikstück, aus Einem oder mehren Tempos bestehend, zusammenfasst, indem er jede Person ihr selbst angemessen im Gesange sich ausdrücken lässt, doch aber zugleich in einer festgehaltenen, gleichmässig fortgeführten, Alle umschliessenden, nur für Jeden besonders modificirten Instrumentalmusik, sämmtliche Anwesende zusammenfasst, und was sie wollen oder thun hierdurch, abgesehen von den Einzelnheiten ihres äusseren Bezeigens, in einer höhern Region – in der, einer allgemeinern Empfindung und ihres Ausdrukkes – kunstreich zu einer Einheit eng verknüpft. (Wem das durch unsere Worte nicht deutlich oder doch nicht lebendig werden will, der denke z. B. an Mozarts Quartett im ersten, an dessen Sestett im zweyten Akte des Don Giovanni, an das Septett desselben im Figaro, wo dieser seine Aeltern erkennt und Susanne dazukömmt—Musikstücke, welche eben so vollkommen jene Idee in allen ihren Theilen verdeutlichen, als für sich und in jeder Hinsicht vollkommen sind.) Situationen nun in diesem Sinn enthält Oberon gar nicht. Der Dichter hat sie nicht geboten, er hat zu ihnen nicht einmal Gelegenheit gegeben; und wie nun einmal die Anlage war, konnte er’s auch kaum. Ueberall wo ein Conflict entstehen und durch ihn sich etwas vor unseren Augen und Ohren nach und nach entwickeln könnte, tritt Oberons wunderthätiges Eingreifen ein, und die Sache ist ab|gemacht. Wäre Oberons Kraft eine, auf bestimmte Sphäre beschränkte, an gewisse Bedingungen geknüpfte, und wären dann einige Hauptpunkte der Geschichte der Liebenden so gestellt, dass man zweifeln müsste, ob Oberon würde helfen können: (bey Wieland ist hierzu bekanntlich der noch weit wirksamere Hebel angesetzt, dass die Liebenden ihren Schutzgeist beleidigt haben und darum eine Zeit lang wirklich von ihm verlassen sind:) so hätten sich einige Situationen jener Art bilden lassen; aber das ist in diesem Gedichte gar nicht der Fall, und die einzige Gelegenheit, die der Dichter sich selbst hierzu gelassen, die Scenen im Harem Almansors in Tunis, hat er nicht im Geringsten dazu benutzt, sondern lässt sie von Personen kurzweg ausführen, welche gar nicht singen, sondern, wie episodisch, aus einem Schauspiele herübergenommen erscheinen. Indem wir diesen Mangel bedauern, und das um so mehr, da, was er uns entzieht, doch eigentlich wohl der Gipfel unserer jetzigen Opernmusik – der deutschen nämlich – genannt werden kann: so wollen wir doch auch dabey erstens uns erinnern, dass unser lieber Weber in Ausführung solcher Situationen zwar glücklich, wie überall, seit er ein Mann war, doch bey weitem nicht am glücklichsten war, weil dazu seiner höchstbeweglichen Phantasie und seiner etwas unruhigen, leicht überwallenden Empfindung die Stetigkeit, die gleichsam zähe Beharrlichkeit bey Einem in sich gleichbleibend erhöheter Stimmung, ohne welche jenes vollkommen, mithin auch dem Anscheine nach leicht, ungezwungen, natürlich durchzuführen unmöglich ist – von der Natur nicht verliehen, sondern, wo und in wie weit er es erreichte, durch grosse Anstrengung errungen war. Er sagte leichter, lieber, vorzüglicher zehnmal neu Etwas, als einmal dasselbe, nur immer neu gewendet und modificirt. Damit wir aber jenen Mangel bey Anhörung des Oberon nicht empfinden, wollen wir auch auf das, was er uns in dieser Hinsicht versagt, lieber freywillig Verzicht leisten und uns desto mehr an das halten, was er uns, und so reich und schön, darbringt. —

Nach diesen Betrachtungen der Oper im Allgemeinen, gehen wir nun die sämmtlichen Musikstücke derselben durch – kurz, doch, wie wir hoffen, für unsern Zweck genügend: wiederholen aber, dieser Kürze halben, das bisher Gesagte nicht, weisen auch nur selten wörtlich darauf zurück, sondern setzen es, als vorläufig, bis zur eigenen Kenntniss des Werkes, zugestanden, voraus. Rochlitz.

(Der Beschluss folgt.)

[Originale Fußnoten]

  • *) Indem wir diess schreiben, ist Webers Oberon in Leipzig— der Zahl der Einwohner nach, doch nur einer Mittelstadt – innerhalb dreyer Monate vierzehn Male und stets bey gedrängtvollem Hause gegeben worden.
  • *) Wenn manche Leser finden sollten, Obiges, und auch Einiges des Folgenden, sey schon in einem Briefe über Webers Oberon im Januar der Allgemeinen Zeitung, wenn auch nur kurz angedeutet, zu lesen gewesen; der Verf. obiger Anzeige spreche mithin einem Andern nach, den er wenigstens hätte anführen sollen: so irren sie bloss im Letztern. Der Verf. spricht sich selbst nach. Er hatte einem, an Weber und seinem Werke theil|nehmenden Freunde, auf dessen Bitten, gleich nach der zweyten Aufführung der Oper über sie geschrieben, und dieser sandte in guter Meinung, doch ohne des Briefstellers Vorwissen, jene Zeilen der Redaction der genannten Zeitung zu. Dass nach späterm Studium und oftmals wiederholter Anhörung des Werks das frühere, aus dem ersten Eindruck hervorgegangene Urtheil im Wesentlichen dasselbe geblieben, nur im Einzelnen sich näher bestimmt und mehr verdeutlicht hat: das wird ihm, diesem Urtheile, wenigstens nicht schaden.

Apparat

Zusammenfassung

Rochlitz: Rezension des Oberon

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Jakob, Charlene

Überlieferung

  • Textzeuge: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 29, Nr. 15 (11. April 1827), Sp. 245–255

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