Carl Maria von Weber an Gottfried Weber in Mannheim
Prag, Samstag, 29. Januar 1814

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S: Wohlgebohren

dem Herrn Licentiat

Gottfried Weber

in

Mannheim

Liebster Bruder!

Schimpfe, Fluche, lärme, tobe, heiße mich einen Hund pp und du hast in allem Recht, nur in dem nicht, wenn du glaubst daß meine Liebe zu dir und den deinigen nur einen Augenblik nachgelaßen hätte, oder ich nicht ganz und gar mehr der alte von innenraus wäre. Von außen würdest du mich sehr verändert finden. Meine Geschäfte und mein durchaus freudenloses Leben haben mich sehr grämlich gemacht, finster und Leutescheu. Ja wenn mich der Himmel nicht bald einmal mit Gewalt hinauspufft unter Menschen so werde ich der schändlichste Philister den die Erde trägt.      Außeinander sezzen läßt sich das in allen Details nicht, aber genug ists dir zu sagen das ich nicht eine Seele habe die mich versteht, Niemand mit dem ich über die Kunst sprechen könnte. — — — — —

Seit dem 14t July 1813 habe ich nicht geschrieben. in der kürzesten Kürze will ich dir die wichtigsten Ereigniße bis jezt referiren.      Meine Kränklichkeit, die Organisation der Oper, das Contracte schließen, Verfaßungen entwerfen pp und der unsichere Postenlauf ließen mich damals nicht schreiben.      der Krieg machte daß mir 5 Mitglieder der Oper ausbliebenT. doch muste die Oper im September beginnen, denk dir meine Verlegenheit bey Zerüttung eines solchen Planes. doch, mit Geduld und Fleiß überwindet man alles. d: 9t Sept: war die Erste Oper, Cortez. und seitdem habe ich einstudirt. Cortez. die Vornehmen Wirthe, Jacob. Vestalin. Uthal. Wasserträger, Faniska. Lotterieloos. Carlo Fioras. Aschenbrödel, Joh: v: Paris. | Don Juan. Die Dorfsangerinnen. 13 OpernTT.

Dir als SachVerständigem brauche ich nicht erst zu sagen wie viel Anstrengung dazu gehört in 4 ½ Monat diese Opern in Scene zu bringen. Ballette und Schauspiele mit Chören ungerechnet. und du glaubst es wohl ungeschworen daß ich keinen Augenblik Erholung für mich hatte und wirklich todt und stumpf für alles übrige war.      Ich hätte dir immer gern recht viel geschrieben und recht ausführlich; da das nicht angieng so kam ich gar nicht dazu. doch jezt will ich lieber diese paar Zeilen fortjagen, damit du wenigstens siehst daß ich noch lebe, und, Leben und Euch lieben ist eins.

im Juli kam Gänsbacher von Salzburg zurük*, und seine Vaterlandsliebe riß ihn im August wieder von meinem Herzen*. Er gieng nach Tirol als Schütze. ist unterdeßen bis zum Hauptmann avancirt hat sich sehr ausgezeichnet, öffentlich belobt worden und ist diesen Augenblik in Trient*. ich war also ganz allein. Wie schmerzlich mir dieses war, brauche ich wohl auch nicht zu betheuern.      d: 28t Sept: erhielt ich deinen Brief vom 15t August durch Schönholz. Konnte aber nicht mehr antworten.

d: 25t Dec: führte ich zum Besten des WittwenFonds mit mehr als 100 Musikern Beers Gott und Natur aufT. Es gieng gut und gefiel. ich hatte 3 Proben davon gemacht, wo 2 von 9—3 Uhr dauerten*.

ich gab es mit der Liebe die ein schönes Werk verdient. Gearbeitet habe ich gar nichts. manche Pläne liegen in meinem Kopf aber ich kann keine Ruhe zum ausarbeiten finden.      Seit dem Juni habe ich nichts von Beer gehört.      d: 23t Xber | erhielt ich dein Mahnschreiben vom 15t. Wenn mein Seegen etwas helfen kann so ertheile ich Ihn aufs feyerlichste Bruder Roeck, den ich herzlichst an meine Brust drükke.

Nun noch eine Bitte. Sey so gütig mir sogleich aus dem alten Recept Buche meines Vaters das Arcanum zur Schwängerung des Korns oder Getreides abzuschreiben und mit umgehender Post zu schikken. Es liegt mir viel daran es bald und sicher zu erhalten.

Ueber andere Gegenstände nächstens ein mehreres. Vor wenig Tagen erst habe ich deine Rezension meiner Sachen gelesen.* Bruder, du hast geschrieben wie ein Mann und wie ein edler Freund. Gott lohn es dir. sie sind trefflich und haben mir viel Freude gemacht.

Ich umarme Euch alle aufs innigste, und wenn ihr eine frohe Stunde verlebt, so gedenkt des armen Verlaßnen in der Ferne der nur in der Errinnerung froh sein kann. Ewig dein Bruder
Web:

Apparat

Zusammenfassung

entschuldigt Briefpause; berichtet kurz über Tätigkeit seit Juli 1813, insbesondere Aufnahme seines Prager Amts; Neuigkeiten von Gänsbacher; Aufführung von Beers Oratorium; erwähnt Kompositionspläne und Rezensionen von Gottfried Weber

Incipit

Schimpfe, fluche, lärme, tobe, heiße mich einen Hund pp

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: New Haven (US), Yale University, Beinecke Rare Book and Manuscript Library (US-NHub), Frederick R. Koch Foundation

    Quellenbeschreibung

    Provenienz

    • Stargardt Kat. 630 (1983), Nr. 1005

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Bollert/Lemke 1872, S. 58–59
    • TV: MMW I, S. 429–430

Textkonstitution

  • nur„und“ überschrieben mit „nur
  • „… unterdeßen bis zum Hauptmann avancirt“mögliche Lesart auch: avandirt
  • „… umarme Euch alle aufs innigste“dreifach unterstrichen
  • 4„3“ überschrieben mit „4

Einzelstellenerläuterung

  • „… kam Gänsbacher von Salzburg zurük“Laut Tagebuch am 19. August 1813.
  • „… August wieder von meinem Herzen“Laut Tagebuch verzögerte sich die Abreise, so dass Gänsbacher die letzte Nacht in Prag (24./25. August 1813) in Webers Quartier verbrachte. Zur Abreise via Linz nach Klagenfurt vgl. Denkwürdigkeiten, S. 47.
  • „… ist diesen Augenblik in Trient“Gänsbacher war am 15. September 1813 in Lienz im Range eines Oberleutnants zum Kompanie-Kommandanten ernannt worden. Zu den nachfolgenden Kampfhandlungen in Tirol bis zur Ankunft in Trient im November und der Beförderung Gänsbachers zum Hauptmann im Januar 1814 vgl. Denkwürdigkeiten, S. 49–62.
  • „… 2 von 9—3 Uhr dauerten“Vgl. die Tagebuchnotizen vom 22., 23. und 24. Dezember 1813 mit abweichenden Zeitangaben.
  • „… deine Rezension meiner Sachen gelesen.“Fraglich, welche der Rezensionen Gottfried Webers in der AmZ 1813 gemeint.

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