Der Aufbau des deutschsprachigen Musiktheater-Ensembles am Prager Ständetheater
1) Die Ära LiebichMüller von 1807 bis 1813
Hatte der Impresario Guardasoni während seiner Leitung des Ständetheaters noch ausschließlich die italienische Oper gepflegt, so favorisierte nach dessen Tod 1806 der Nachfolger Johann Karl Liebich die deutsche Oper. Das italienische Ensemble wurde im April 1807 aufgelöst; ab Mai begannen unter dem neuen Kapellmeister Wenzel Müller Vorstellungen in deutscher Sprache.
Mit seinen Bemühungen um den Aufbau eines neuen Sänger-Ensembles war Liebich zunächst recht erfolgreich: Neben drei Übernahmen aus dem Personal der italienischen Operntruppe (Luigia Caravoglia-Sandrini – Sopran, Giulio Radicchi – Tenor, Wilhelm Häser – Bass) gelang es ihm u. a. mit den Engagements der Sopranistinnen Therese Müller, Philippine Bessel und Friederike Fischer, des Tenors Johann Christoph Grünbaum und des Bassisten Matthias Schreinzer adäquate Interpreten für erste Gesangsrollen zu verpflichten; lediglich der Tenor Walther wurde den Anforderungen nicht gerecht. Zweite und dritte Partien wurden, wie selbst an Hoftheatern in dieser Zeit noch allgemein üblich, häufig von singenden Schauspielern bzw. von Darstellern übernommen, die per Kontrakt gleichberechtigt im Sprech- wie im Musiktheater auftraten. So halfen u. a. Henriette Bessel, Augustine Nuth (ab 1808 verh. Czermak) und ab 1809 Babette Bauernfeind (ab 1810 verh. Allram) in zweiten Sopranpartien aus; in zweiten Tenorpartien waren Johann Baptist Hesselschwerdt und Joseph Rottmayer zu hören, als Tenorbuffo Heinrich Ludwig Schmelka, in nachgeordneten Basspartien Johann Manetinsky, Friedrich Feddersen und Carl Blumauer, im Bass-Buffofach Joseph Allram und Heinrich Wagner. Der als Bühnendarsteller unerfahrene Franz Strobach dürfte nur kurzzeitig (1807/08) eine Theaterlaufbahn versucht haben, sang aber mehrere Mozart-Partien im Ständetheater.
Der Stamm der ausgewiesenen Sänger blieb freilich, besonders im Sopran- und Tenor-Fach zu gering. Zahlreiche Abgänge (u. a. die Damen Caravoglia-Sandrini 1808, P. Bessel, H. Bessel und Czermak 1809 sowie Fischer 1811, die Herren Walther, Radicchi, Rottmayer und Wagner 1808, Häser und Blumauer 1809 sowie Hesselschwerdt ca. 1811/12) erschwerten zudem einen geregelten Repertoirebetrieb und konnten durch Neuverpflichtungen nicht ausgeglichen werden. Der als Ersatz für den bereits um den Jahreswechsel 1807/08 kontraktbrüchig abgegangenen Tenor Walther und den 1808 nach Wien wechselnden Radicchi engagierte Anfänger Fleischmann blieb nur eine Saison, ihm folgten 1809 (wohl ebenso nur kurzfristig) die Tenöre Urban und Simoni. Auch die 1810 aus Berlin engagierte Wilhelmine Unzelmann und Clara Doberauer verließen das Haus wieder. Die 1812/13 in Prag tätige Victorine Weyrauch erfüllte die in sie gesetzten Erwartungen nicht. Lediglich für erste Basspartien wurde nach dem Abgang von Häser (1809) und der kurzfristigen Verpflichtung eines gewissen Blum (1809/10) im Herbst 1812 der fähige Franz Siebert gewonnen. Insgesamt war das Sängerensemble der Prager Oper besonders in den Jahren 1810 bis 1813 drastisch unterbesetzt und – von wenigen Spitzenkräften (Th. Müller, Grünbaum, Siebert) abgesehen – vermutlich nicht sehr leistungsfähig.
2) Webers Aktivitäten zum Aufbau des Opernensembles am Prager Ständetheater von 1813 bis 1816
Parallel zum Ausscheiden Wenzel Müllers aus dem Amt des musikalischen Leiters des Prager Ständetheaters hatte Direktor Liebich zu Ostern 1813 sein komplettes Opernpersonal (inklusive Orchester) entlassen; vgl. Brief vom 26. Januar 1813. Hinsichtlich der Sänger-Akquise der letzten Jahre wenig erfolgreich, betraute Liebich den designierten neuen Operndirektor Weber mit den Neuengagements der Sängerinnen und Sänger sowie der Musiker und Choristen (teils auch des Ballettpersonals). Weber hatte also die Gelegenheit, sein Musiktheater-Ensemble, das im Herbst 1813 mit den Vorstellungen beginnen sollte, weitgehend nach eigenem Ermessen zusammenzustellen, gebunden an die finanziellen und administrativen Vorgaben der Direktion und unter dem Vorbehalt des letztlichen Einverständnisses des Direktors (und des Kontraktabschlusses durch diesen)1. Zu Personalgesprächen sollte u. a. die ohnehin geplante Reise Webers nach Wien von Ende März bis Anfang Mai dienen; eine für den Sommer 1813 vorgesehene Engagementsreise Liebichs mit Weber nach München und Mannheim (vgl. Brief vom 22. Februar 1813) kam nicht zustande.
Webers anfängliche Euphorie im Brief an Türke vom 6. April 1813, in Wien schnellen Erfolg bei den Einstellungsgesprächen zu haben, erhielt rasch einen Dämpfer (vgl. Brief an Gänsbacher vom 16. April), was möglicherweise nicht nur an den beschränkten finanziellen Mitteln lag, die in Prag zur Verfügung standen. Das Ständetheater war, ungeachtet der Subventionen durch die Stände, eine Privatunternehmung, die gerade angesichts der instabilen politischen Verhältnisse in den Kriegsjahren weniger Sicherheit versprach, als ein finanziell in der Regel besser gestelltes Hoftheater. So finden sich in vielen Briefen Webers aus jenen Monaten an Freunde und Bekannte „Hilferufe“, ihm geeignete Künstler zu empfehlen bzw. zu vermitteln.
a) Die Sängerinnen und Sänger
Über Webers Gesangspersonal gibt insbesondere sein Prager Notizen-Buch Auskunft. Zu Beginn der neuen Opernsaison im September 1813 stand für erste Gesangsrollen nur ein relativ kleiner Personalstamm zur Verfügung. Von den bereits bis Ostern 1813 in Prag tätigen Bühnenkünstlern wurden Therese Grünbaum (vorherige Müller) als erste Sängerin, deren Ehemann Johann Christoph Grünbaum als erster Tenor, Franz Siebert als erster Bassist und Johann Manetinsky als zweiter Bassist erneut engagiert (die Zählungen als erster bzw. zweiter bezeichnen nicht wie heute die Stimmlage, sondern die Rangfolge der Partien). Neu verpflichtet waren für erste Tenorpartien Otto Mohrhard, der allerdings bald darauf überraschend verstarb, sowie der Bassist Josef Kainz. Die kriegerischen Ereignisse rund um die Leipziger Völkerschlacht und die nachfolgenden Gefechte der Truppen der Allianz gegen Napoleon sowie die damit verbundene Unsicherheit führten dazu, dass mehrere nach Prag verpflichtete Künstler ihren Kontrakt nicht antraten (darunter der Tenor Carl August Dölle mit seiner Frau Mathilde sowie der Buffo Matthias Rohde); die Soubrette Caroline Brandt traf aus demselben Grund erst zu Jahresende 1813 verspätet in Prag ein.
Wie bereits vor 1813 üblich wurden zweite und kleinere Gesangspartien häufig von Schauspielern übernommen, die laut ihrem Kontrakt auch zur Mitwirkung in der Oper verpflichtet waren; in Prag waren dies erneut Joseph Allram als Bass-Buffo und seine Frau Babette in zweiten Sopranrollen sowie – neu engagiert – Mad. Leut(h)ner (Mütterrollen) mit deren Tochter (Kinderrollen in Schauspiel und Oper) und Seidl in dritten Tenorpartien. Kleinere Partien im Musiktheater übernahmen von den gleichermaßen für Sprech- wie Musiktheaterrollen zuständigen Darstellern gelegentlich auch Juliane Junghanns mit ihren Töchtern Julie und Marie, die Damen Richter und Ritzenfeld sowie die Herren Arnoldi, Seewald, Valet und Wilhelmi, daneben aber auch häufiger ausgewählte Choristen mit Soloverpflichtung wie der Bassist Bachmann und der Tenor Schwarz.
Darsteller, die per Kontrakt ausschließlich dem Schauspiel zugeordnet waren, wurden nach Webers Angaben im Notizen-Buch in den Musiktheaterproduktionen offenbar fast ausschließlich in Sprechrollen besetzt, wie etwa die Herren Bayer, Bolze, Doberauer, Herold, Passy und Reinecke sowie die Damen Herold und Reinecke; seltener traf dies auch auf Tänzer und Tänzerinnen (teils mit Schauspielverpflichtung) wie Therese Frühmann, Küffel und Mad. Länger zu. Ausnahmen unter den Schauspielern ohne Opern-Verpflichtung, die mehrfach im Musiktheater auch in Gesangspartien eingesetzt wurden, sind der von Weber als unmusikalisch bezeichnete Ludwig Löwe, der als Tenor-Buffo aushelfen musste, und Ferdinand Polawsky, der zwar seltener in der Oper auftrat, aber immerhin mittlere Rollen wie den Dandini in Isouards Aschenbrödel, St. Val in Fanchon oder Chemise in den Schwestern von Prag zugeteilt bekam.
Die Personaldecke der Prager Oper blieb, was die ersten Gesangspartien betraf, über den gesamten Zeitraum von Webers dortiger Anstellung dünn. Der Versuch, junge Debütanten an größere Rollen heranzuführen, scheiterte sowohl im Falle von Christiane van der Vliegen als auch bei Joseph Schnepf; beide sind 1813 nur kurzzeitig als Mitwirkende an Opernaufführungen nachgewiesen. Größerer Erfolg war lediglich der Tochter des ersten Bassisten Josef Kainz, Marianne Kainz, beschieden, die 1815 in Prag debütierte.
Zu den von Weber zwischen 1814 und 1816 für erste Rollen neu engagierten Sängern gehörten u. a. 1814 Susette Bach und ihr späterer Ehemann, der Tenor Lorenz Max Neumayr, die beim Publikum allerdings nicht ankamen und daher 1815 ans Königsberger Theater wechselten. Beliebter war Christine Böhler, die 1814 mit ihrer Mutter Julia und ihrer jüngeren Schwester Doris nach Prag kam und dort das Fach der ersten Liebhaberinnen in Schauspiel und Oper besetzte (die Mutter gab Mutterrollen, die Schwester Knaben und junge Mädchen). Besonders schwer war es, einen geeigneten Nachfolger für Mohrhardt zu finden, zumal Grünbaums Tenor allmählich an Kraft verlor. Viktor Rosenfeld blieb nur für ein ausgedehnteres Gastspiel in Prag, Wilhelm Ehlers etwas länger, von Juli 1815 bis April 1816, erst danach gelang ein langfristiger Kontraktabschluss mit Johann August Stöger. Alle Versuche, nach dem Abgang der Bach/Neumayr für Therese Grünbaum als einzige Sängerin anspruchsvoller Sopranpartien eine Entlastung zu finden, blieben erfolglos. So musste die 1815 engagierte Anna Czegka (eigentlich Altistin) gelegentlich auch Sopranpartien wie die Gräfin in Mozarts Figaro übernehmen. Der Bariton Friedrich Schröder bekam 1814/15 in Prag trotz Missfallens beim Publikum ein Engagement, weil seine Frau Sophie zu den Stützen des Schauspielensembles gehörte. Nach dem Abgang von Johann Manetinsky nach Brünn im Sommer 1814 wurden 1815 Georg Gned und Dorsch als zusätzliche Bassisten gewonnen; gelegentlich wurde 1814/15 auch der fast 50-jährige Luigi Bassi in Bass- oder Baritonpartien eingesetzt. Erst kurz vor Webers Abgang aus Prag debütierte im Sommer 1816 der Bassist Leopold Zeltner.
Auf heftige Angriffe bezüglich der eingeschränkten Leistungsfähigkeit des Prager Opernensembles im Sammler, reagierte Liebich mit einer Replik, die er zuvor mit Weber abgestimmt (eventuell sogar gemeinsam verfasst) hatte, doch nachfolgend scheint es auch von Seiten der Prager Behörden zu Beschwerden gekommen zu sein, auf die Weber wiederum mit einem Rechtfertigungsschreiben reagierte, in dem er die Schwierigkeiten bei seinen Bemühungen, geeignetes Personal zu verpflichten, darlegte. Darin findet sich auch eine Liste von namhaften Sängerinnen und Sängern2, mit denen er erfolglose Engagementsverhandlungen geführt hatte, darunter die Sopranistinnen Henriette Eberwein, Josephine Flerx, Catharina Gervais, Helena Harlas, Regina Lang und Josephine Weixelbaum, die Tenöre Friedrich Gerstäcker, Heinrich Stümer, Georg Weixelbaum und Franz Wild sowie die Bassisten Franz Anton Forti, Wilhelm Häser, Andreas Hannwacker, Carl Schikaneder und Ludwig Schwarzboeck.
b) Orchester und Chor
Die Neuverhandlungen der Verträge der Orchestermusiker führten 1813 zunächst zu vehementen Auseinandersetzungen (vgl. Brief an Gänsbacher vom 23. Juni). Weber hatte mit der Einstellung Franz Clements als Orchesterdirektor offenbar den vorherigen Stelleninhaber Václav Král brüskiert, der sich gemeinsam mit seinem Sohn František an die Spitze einer Orchesterrevolte stellte, mit der die Musiker offenbar versuchten, Gehaltsaufbesserungen gegenüber ihren alten Verträgen zu erreichen. Sie setzten Weber entsprechend unter Druck, der seinerseits die Front aufzubrechen suchte, indem er außerhalb Prags nach geeigneten Musikern suchte; vgl. Brief an Dietrichstein vom 3. Juli 1813. Erst gegen Ende Juli 1813, kurz vor Beginn des Probenbetriebs (2. August), konnten die Differenzen ausgeräumt werden. Král sen. erhielt als zweiter Orchesterdirektor weitreichende Kompetenzen. Der Erfolg der gemeinsamen Arbeit führte bald ebenso wie Webers Bemühen, die Landessprache wenigstens in Grundzügen zu erlernen, dazu, dass die Stimmung umschlug und Weber als Orchesterleiter allgemein respektiert und geachtet wurde.
Zum Aufbau des Chors schaltete Liebich Anfang Juni 1813 eine Zeitungsanzeige. Die Interessenten meldeten sich bei Weber, der mit ihnen laut Tagebuch am 24., 26. und 28. Juni probte, um schließlich am 20. Juli mit 14 ausgewählten Personen die Kontrakte abzuschließen. Der aus sangesfreudigen Laien rekrutierte Chor wurde in Pressekritiken unterschiedlich bewertet, besonders die Frauenstimmen waren zu Beginn offenbar unzulänglich.
Eine Übersicht weiterer Themenkommentare zu Webers Wirken am Prager Ständetheater findet sich in der Dokumentation „Carl Maria von Weber als Operndirektor des Prager Ständetheaters von 1813 bis 1816“.