Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
Liebwerda, Montag, 11. Juli 1814 (Nr. 1b)
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An
Mademoiselle
Sängerin und Schauspielerin
zu
Gegen Rezipiße
beym Juden Tandel-
Markt, bey H: von
Schwarz im 2t Stok
Wie könnte ich meinen ersten ruhigen Augenblik beßer anwenden als mit dir mein theures Mukkerl zu sprechen, und mich so wenigstens an deine Seite zu träumen, und mich damit zu trösten daß du gewiß in diesem Augenblik auch an deinen Carl denkst. Die paar Worte die ich dir Gestern durch den Kutscher Thomas* schrieb mögen confus genug gewesen sein, doch waren sie vielleicht hinreichend dich über meine glükliche Ankunft zu beruhigen. Die so glüklich vollendete Reise fieng mit einem Abentheuer an, denn der Postillion fuhr gleich aus dem Liebichschen Hause in denen kleinen Straßen so irre, daß ich aussteigen, einen Weg suchen, und den Wagen mit vieler Noth zurükschieben helfen mußte. ich dachte dabey an dich, und war froh daß du diesen üblen Anfang nicht wißen konntest, um nicht wegen der Folge ängstlich zu sein. Von diesem Augenblik an gieng es aber ohne Anstoß und Gefährde weiter bis ans Ziel. Die sich häuffenden Ereigniße der lezten Tage wo immer ein schmerzlicherer Schlag, ein unangenehmerer Vorfall dem anderen folgte, hatte mich so angegriffen, daß ich im Wagen in ein dumpfes Dahinbrüten versank. ich kann sagen daß ich von Freytag ½ 12 Uhr an bis Samstag Abends 11 Uhr wo wir in Reichenberg ankamen, wie ein Automat gelebt habe, eine unwiederstehliche Schlaflust hatte sich meiner bemächtigt, drükte mit Zentnerschwere auf meine Augen, und diente nur – immer unterbrochen und von 1000 sich durchkreuzenden bunten Traumbildern beunruhigt – dazu, mich noch mehr abzumatten. In Reichenberg endlich gab mir eine ruhige Nacht, auch die Fähigkeit wieder, zusamenhängend denken und fühlen zu können.
Jeden Augenblik war ich bey dir, und folgte deinen Beschäftigungen. Meine ReiseGefährten unterhielten sich mit Singen und Schwazzen und waren diskret genug mein Schweigen zu ehren.
Gestern d: 10t früh, fuhren wir von Reichenberg nach Friedland. aßen da zu Mittag und kamen hier gegen Abend an. ich pakte aus brachte meine Sachen so viel als möglich in Ordnung, und entschlief mit dem Gedanken an dich, und dem innigen Wunsche, daß du sanft ruhen, und freundliche Bilder | von deinem treuen Carl dich umschweben mögen.
Heute d: 11t früh 8 Uhr wurde meinen gebratenen bestaubten Gliedern das Glük eines Baades zu Theil, dann ordnete ich meine Papiere und ging zu Tische. Wenige Leute, und wahrscheinlich gar keine Menschen. Desto beßer, so fällt es ihnen wenigstens nicht ein Ansprüche auf mich zu machen, da ich meiner Seits herzlich froh bin, wenn ich nach Pflichtschuldigem Kourierlaufen auf‡ das Baden, mein friedliches Stübchen ungestört betreten, und darin in meiner beßern Ideen Welt hausen kann. Ich sehe gerade auf Wald und Wiesen. An dem einzigen Fenster steht der einzige Tisch an dem ich dieß schreibe, 1 Bett, eine Komode, und wenn du mich besuchst noch ein Stuhl, ist alles was die 4 gelbweißen Mauern umfaßen. Ach Gott ein Klavier hätte ich bald vergeßen daß außer der Abwesenheit von einigen 20 Saiten im besten Zustande ist, und wie Käfer Geschwirre im Sonnenschein klingt. – Meinetwegen, ich danke doch Gott und dem OberAmtmann daß ich nur das habe, und wahrscheinlich wird es kräftiger tönende Sachen gebähren, als mein Wiener Fortepiano in Prag.
Die Natur ist, so viel ich im Vorbeyfahren gesehen habe, – herrlich, künftig bade ich schon um 6 Uhr und um 8 Uhr kannst du dir immer denken daß ich auf einem Berge herumkrabble. Daß ein‡ Das einzig mal wo ich auf der Reise ausstieg, - bey Liebenau, - lokte mich eine Menge der Blümchen heraus, deren Namen ich dir hoffentlich nicht zuzurufen brauche. ich pflükte sie für dich, und drükte Sie innig an meine Lippen, laß mich sie einst fröhlich wieder aus deiner lieben Hand empfangen.
Mit Sehnsucht warte ich auf Nachricht von dir, wie es Dir geht, ob du gesund, zufrieden, ruhig bist. eine andere Frage zu thun wäre Frevel, denn ich vertraue dir so herzlich. Gott schenke | Dir nur Kraft, die mancherley schweren Lasten mit Faßung zu tragen, die das Schiksal dir auferlegt hat. Ich beschwöre dich bey allem was dir werth ist, suche Ruhe zu erringen, und begegne allem Harten, mit Ergebung und Festigkeit. Gieb dich nicht dem Schmerz hin, und bedenke daß nur der Gedanke mich froh in die Zukunft blikken läßt, daß ich meine Lina heiter wieder umarmen könne.
Alle 14 Tage geht aus dem Clamschen Hause eine Gelegenheit hieher wo man Pakete schikken kann. ich habe mancherley vergeßen. Laße Dir von Liebich doch die beyden Opernbücher, Alfred von KörnerT und die Oper, von RochlitzT geben, und schikke Sie mir. auch Strümpfe liegen noch bey Dir.
Das grüne Tuch war mein treuer Reise Gefährte, und das blaue hat mich heute ins Bad begleitet. Freundlich hat es mich überrascht daß meine Serviete am Tisch, auch mich‡ mit einem blauen Bande gebunden war, und ich zog fröhliche Vorbedeutung daraus.
Nun lebe wohl, mein liebes, theures, Leben. Schreibe mir recht bald und viel, du weißt wie lieb mir das kleinste ist was dich angeht; sey offen, und glaube daß du kein reiner mitfühlendes Herz finden wirst, als das deines dich unveränderlich liebenden C: Liebwerda d: 11t July 1814.
Apparat
Zusammenfassung
schildert Reise nach Liebwerda
Incipit
„Wie könnte ich meinen ersten ruhigen Augenblik“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Mus. ep. C. M. v. Weber 39Quellenbeschreibung
- 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
- Siegelrest und -loch
- Ort, Datum und Nummerierung am Kopf von Bl. 1r von F. W. Jähns’ Hand:„ Liebwerda d. 11. Juli. 1814.
No. 1.b.“ - Rötelmarkierungen und Blei-Unterstreichungen von Max Maria von Weber
Provenienz
- Weber-Familiennachlass
Dazugehörige Textwiedergaben
-
(Muks), S. 38–41 (Nr. 2)
-
tV: MMW I, S. 442–444
Themenkommentare
Textkonstitution
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„… No : 1.“Die Briefnummer steht am unteren Blattrand 1v (Adressenseite) in umgekehrter Schriftrichtung, auf demselben Blatt am oberen rechten Rand: ich bitte, beyliegendes durch den Joseph auf die Stadthauptmanschaft tragen zu laßen.
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„auf“„nach“ durchgestrichen und ersetzt mit „auf“
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„Daß ein“durchgestrichen
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„mich“durchgestrichen
Einzelstellenerläuterung
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„… Gestern durch den Kutscher Thomas“Zum Kutscher, mit dem Weber von Prag nach Liebwerda gereist war und der Webers erste Kurznachricht an Caroline Brandt (darin zweimal erwähnt) nach Prag mit zurücknahm, liegen keine weiteren Informationen vor.