Carl Maria von Weber an Hinrich Lichtenstein in Berlin
Prag, Montag, 21. bis Dienstag, 22. November 1814

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S: Wohlgebohren

dem

Herrn Professor Dr. Lichtenstein

zu

Berlin

Im linken

Flügel des Univer-

sitätsgebäudes.

Geliebter Bruder!

Es geht mir um kein Haar beßer als dir, und ich muß die Nacht zu Hülfe nehmen wenn ich nur dazu kommen soll mit dir plaudern zu können.      Müde und Matt, nach einer Probe von 10-2 Uhr, und einer Oper von 7-10 Uhr Abends,* werde ich mich kurz faßen und nur das nothwendige berühren; die schöne Zeit wo wir nach überstandener Tageslast unsren Empfindungen Luft machten und die Welt noch einmal im Schlafrokke und ohne Klitter an uns vorbey tanzen ließen, – ist nicht da, und Gott weiß wan[n] sie wieder kommen wird. – Na, wie Gott will.

Auf meine Antwort an Brühl, habe ich noch keine RükAntwort erhalten, tappe also total im Finstern. Was du in der Sache gethan hast, billige ich dankend. du hast gut, und ganz in meine Seele hinein gehandelt daß du mit Romberg gerade weg von der Sache gesprochen hast, denn ich kenne keinen Preiß der mich vermögen könnte die Achtung und Liebe eines braven Künstlers durch Hinterlist aufs Spiel zu sezzen.      Wir laßen uns beyde suchen und wen’s trifft der wird wahrhaftig dem andern drum kein scheel Gesicht schneidenT. die Geschichten und das Geberden meines dikken Vetters, kömt mir sehr komisch vor, und unter 2 so großen Uebeln, sucht er also doch nach dem scheinbar kleinsten zu greiffen — .

Andreas Romberg ist seit 10 Tagen Hier, und giebt Uebermorgen sein Concert*. der Himmel gebe daß es zu seiner Zufriedenheit ausfalle, was ich für ihn thun konnte, habe ich mit Freuden gethan. auch scheint es ihm ziemlich zu behagen, und besonders ergözt ihn mein Orchester und die Art wie es geleitet wird. An Beers habe ich noch immer nicht geschrieben. Es thut mir innig wehe daß Mayers Oper in Wien so total durchgefallen ist*. die Aufführung soll aber Schuld gewesen sein. Ich habe unterdeßen auch einen Antrag von Kozebue der die Leitung des Theaters in Königsberg übernommen hat, erhalten der schmeichelhaft genug war, für den ich aber dankteT. Sollte es mit Andreas in Gotha nichts werden, so hoffe ich ihn dahin zu bringen.

Du hast in der Liebe deiner Verwandten dich gebadet, ich glaube aber kaum, daß du Ihre Gegenwart recht eigentlich genoßen | hast, dazu kenne ich Berlin, und deine Umgebungen zu gut. auch kann ich mir denken wie man dich mit gewalt hat zum Dienste auf der Ehegaleere preßen wollen. – Gott schenke dir ein braves Weib die dich glüklich, oder doch nicht unglüklich macht, das ist schon sehr viel. ich komme täglich mehr und mehr von dieser schönen Hoffnung zurük. ich lebe wie ein Betrunkener der auf einer dünnen Eißrinde fröhlich tanzt, und sich troz seiner beßern Ueberzeugung gerne überreden möchte das sey ein fester sicherer Boden. Gott sey Dank daß mein Gemüth die Ruhe zur Arbeit wieder gefunden hat. ich bin längst ausgesöhnt, und in vieler Hinsicht recht glüklich - aber 1000 kleine Dinge die zulezt ein Großes bilden geben mir Stoff zu trübem Blik in die Zukunft, es ist abermals nicht das was ich verlange – ich weiß daß meine Foderungen überspannt sind, aber um mich glüklich zu machen müsten sie erfüllt werden. Ich liebe Sie von Herzen, und ist es bey Ihr keine Wahrheit, – so ist hiemit der SchlußAkkord für mein übriges Leben erklungen. ich werde leben, vielleicht sogar heyrathen, – glaubenlieben? nie mehr.

Wollank schwebt in Himmels Höhen*. Heil Ihm.

Dieser Brief möchte wohl nicht produzierbar sein*, ich schreibe auch Morgen ohnedieß an Wollank.

Bey der guten Koch die ich herzlichst grüße, entschuldige aufs bestmöglichste mein Stillschweigen.

Grüße an alle Bekannten und Freunde.
Gute Nacht mein lieber theurer Bruder, lebe wohl und behalte lieb deinen treuen W:

d: 22t Guten Morgen lieber Bruder. ich habe vergeßen dir zu sagen daß man Brühl hier erwartet, das wäre denn der Weg bald aufs Reine zu kommen.

Daß ich Kysting noch nicht geschrieben ist auch schändlich, ich will aber gern noch die Wagen Geschichte abwarten, der | wahrscheinlich verkauft istT.

Andreas R: sagte mir seines Bruders HauptBedingung* wäre die Wiederherstellung der Kapelle. das wäre ein sonderbares und schwieriges Verlangen.

Apparat

Zusammenfassung

wartet auf Antwort Brühls; Angebot von Königsberg, wohin er A. Romberg empfehlen will, falls dieser nicht in Gotha genommen werde; Privates; über Berliner Bekannte

Incipit

Es geht mir um kein Haar beßer als dir, und ich muß

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Leipzig (D), Leipziger Stadtbibliothek – Musikbibliothek (D-LEm)
    Signatur: PB 37 (Nr. 10)

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Rudorff: Westermanns illustrierte deutsche Monats-Hefte, 44. Jg. (1899), 87. Bd., S. 32–33
    • Rudorff 1900, S. 46–49
    • tV: MMW I, S. 468–469

    Einzelstellenerläuterung

    • „… Oper von 7-10 Uhr Abends,“Am 21. November 1814 wurde im Ständetheater aufgeführt: Der lustige Schuster von Ferdinando Paër.
    • „… und giebt Uebermorgen sein Concert“Zu Rombergs Prager Konzert am 23. November 1813 vgl. auch den Kommentar zum Brief vom 3.–16. November 1814.
    • „… Wien so total durchgefallen ist“Vorstellung an der Hofoper (Kärntnertortheater) am 20. Oktober 1814.
    • „… Wollank schwebt in Himmels Höhen“Er heiratete am 24. April 1815.
    • „… möchte wohl nicht produzierbar sein“D. h. nicht – wie üblich – zum Vorlesen oder zur Weitergabe im Berliner Freundeskreis gedacht.
    • Brudersrecte „Cousins“.
    • „… sagte mir seines Bruders HauptBedingung“Für die Übernahme einer Kapellmeister-Position in Berlin.

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