Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
München, Samstag, 22. Juli bis Montag, 24. Juli 1815 (Nr. 10)

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An

Mademoiselle

Carolina Brandt

Sängerin und Schauspielerin

des Ständischen Theaters

zu

Prag.

Gegen Recipisse

Es ist schon spät, und die Müdigkeit überwältigt mich fast, doch könnte ich nicht schlafen, ohne meinem geliebten Mukkel eine gute Nacht zugerufen zu haben. 2 Tage lang habe ich nicht mit dir plaudern können, schon dünkt mich dieß eine lange Zeit. – wie wird es erst sein, wenn ich dir gar nicht mehr sagen darf wie theuer du mir bist. – vergeblich habe ich seit 2 Tagen auf einen Brief von dir gewartet, kaum kann ich mich überzeugen daß wirklich ein Post tag ohne Nachricht von dir kommen könnte. – ich will mich nicht ängstigen es giebt ja der Hinderniße so viele – nur nicht Krankheit, – Nein, dafür wird dich der Himmel schüzzen.      den 19t wo ich an dich schrieb, habe ich ganz zu Hause zugebracht und was rechtes weggearbeitet*. d: 20t mußte ich wegen meinen Concert Arrangements vielerley laufen und rennen*. nach Tische gab ich LectionT, Abends arbeitete ich zu Hause.      d: 21t als Gestern, arbeitete ich von 6 bis 12 Uhr, machte dann Visiten, war Mittags bey Wiebekings und Abends im Waßerträger*. Heute habe ich den ganzen Tag gearbeitet, und die Arie für die Harlas vollendet. ich zog mich erst gegen 6 Uhr Abends an, besah wilde Thiere*, und gieng dann ins VorstadtTheater die Prinzessin Dudel zu sehen. Dummes Zeug. – aber ich hätte um keinen Preiß länger zu Hause aushalten können. ich dachte Heute müße ein Brief kommen. es kam auch einer aber nicht von dir. ich war in einer gewißen Spannung daß ich gewaltsam Zerstreuung suchen mußte. – das höchstnothwendige zum ConcertT ist also nun fertig, und d: 27t soll es sein, wenn nichts dazwischen kömt. ich kann nicht sagen, wie viel Ueberwindung es mich kostet, nur die nöthigsten Anstalten, Visiten, Bitten pp zu machen und es ist doppelt Unrecht von mir, da ich lügen müßte, wenn ich nicht sagte, daß mir alles halb auf den Händen entgegen getragen wird. doch ich muß mich ja wieder daran gewöhnen.

Was mich auch oft an mir schmerzt, ist die Kälte gegen meine Arbeiten so bald sie vollendet sind, troz der Theilnahme, die andere ihnen beweisen, können sie mir gar keine Freude ablokken.

Wenn du diesen Brief erhältst so schreibe mir nach Gotha Post restante, denn ich glaube schwerlich daß ich mich irgendwo unterwegs lange aufhalten werde.

Nun gute Nacht, geliebte theure Lina. Schlummere süß und ruhig, mit jedem Brief den ich abschikke, nehme ich von einer Lebensfreude Abschied. die Zeit fliegt. — gute Nacht. gute, gute!!! — Dein ewig treuer Carl. |

Gestern endlich kam dein Brief Nro: 9 vom 18t an. Verzeihe wenn ich nicht gleich ihn zu beantworten eilte. er ist so trüb, so trüb – daß ich hätte fürchten müßen in demselben Tone zu bleiben, und das will ich nicht. verscheuchen möchte ich diesen verzehrenden Trübsinn von meiner Lina, aber nicht ihn nähren.      Liebes theures Leben, ist es recht daß ein paar Menschen sich die schönste Blüthenzeit aufs grausamste durch Selbstpeinigung abstreifen?      Es ist wahr deine Umgebung und Lage ist so, daß ein hoher Muth dazu gehört, Faßung zu behalten, und ist dann auch diese errungen, was bleibt für den Menschen selbst? o Gott, wie unendlich wollte ich ihm danken, wenn du ein Wesen fändest dem du vertrauend dich anschließen könntest. o meine theure Lina, wie fürchterlich rächt sich das Mißtrauen. — — Ja schütte nur in meine Seele all Deinen Kummer, all deinen Schmerz, dahin gehört er, ich will ihn weich empfangen, und als den meinigen tragen und pflegen.      Möge dieser stürmische Ausbruch von dir, für lange Zeit dir wieder Ruhe geben, möge es dir möglich werden, – wenn es dir Ruhe giebt – öfters, nicht an mich denken zu können. – ja selbst in dir möchte ich noch sterben, wenn es nur dich heiter, froh und ruhig macht. Nicht mehr so trübe theure Lina. nicht wahr? sey brav. sonst zank ich mit dem bösen MukkelPuntum.

Mit deinem Brief zugleich erhielt ich welche von Liebich, Gubiz und Bayer. Der Erste klagt, der 2t schimpft, der 3t will Briefe nach Berlin. nächster Posttag soll sie alle befriedigen. du kannst mir noch hieher schreiben. Gestern war der Intendant Baron Rumling bey mir, und sagte daß Ihre  M: die Königin, Donnerstag nicht in mein ConcertT kommen könne, da diesen Tag der König aus Baden zurükkomt. daß sie es aber zu hören wünsche, und ich daher es verschieben soll. ich muß also jezt gleich zum TheaterIntendanten gehen und deßhalb mit ihm sprechen. Der Violinspieler Rovelli, der bey mir spielen sollte, hat sich die Hand verrenkt pp ich erkenne meinen alten Stern*. – Ausdauer.

Bärmann will mich durchaus bereden, nicht weiter zu reisen sondern von hieraus gerade nach Prag zurük zu gehen. Seine Gründe sind freylich gut und richtig, aber was hilft das, es drängt und treibt mich fort, um überall zu suchen was ich nie wieder finden werde.

Es ist mir unendlich tröstend, daß du mich über deine Gesundheit beruhigst. auch ich sehe recht wohl aus. auch der Mutter Genesung freut mich, denn sie ist krittlich und peinigend für dich wenn sie krank ist.

     Ich kann nicht schließen ohne nochmals meiner Lina, Muth und Heiterkeit zu empfehlen, bedenke welchen | Vorrath du zu sammlen nöthig hast. also sey brav. froh und gedenke mit hellem, freundlichen Andenken deines ewig unveränderlichen dich innigst liebenden Carls.

Apparat

Zusammenfassung

Tagebuch 19.-21. Juli (u.a. Opernbesuch); klagt über Verschiebung seines Münchener Konzerts; will von München aus nach Gotha reisen; Privates

Incipit

Es ist schon spät, und die Müdigkeit überwältigt

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Weberiana Cl. II A a 1. 8

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
    • PSt.: a) R. 4. MÜNCHEN | 24 JUL. 1815; b) Chargé
    • auf Bl. 1 r oben rechts Ergänzung von Jähns (Blei):„ München 1815
    • auf Bl. 2 v unten links Vermerk von Jähns: „Carl Maria von Weber an seine Braut. Eigenhändig“
    • Rötelmarkierungen von Max Maria von Weber

    Provenienz

    • vermutlich zu jenen 60 Weber-Briefen gehörig, die Max Maria von Weber Anfang 1854 an Friedrich Wilhelm Jähns verkaufte; vgl. Max Jähns, Friedrich Wilhelm Jähns und Max Jähns. Ein Familiengemälde für die Freunde, hg. von Karl Koetschau, Dresden 1906, S. 403

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • tV: MMW I, S. 484–485 (Auszug)
    • Bartlitz (Muks), S. 164–168 (Nr. 27)

    Einzelstellenerläuterung

    • „… zugebracht und was rechtes weggearbeitet“Laut Tagebuch Kompositionsarbeiten an der Konzertarie für H. Harlas sowie am langsamen Satz des Grand Duo concertant.
    • „… Arrangements vielerley laufen und rennen“Laut Tagebuch besuchte Weber u. a. S. Rumling, P. Legrand und G. Mittermayr.
    • „… Wiebekings und Abends im Waßerträger“Aufführung im Hof- und Nationaltheater.
    • „… Abends an, besah wilde Thiere“Laut Tagebuch u. a. Elch und Seelöwe.
    • „… ich erkenne meinen alten Stern“Das zunächst für den 27. Juli angekündigte Konzert wurde laut zweiter Konzertanzeige auf den 2. August verschoben. Zwischenzeitlich war der 31. Juli als Konzerttermin ins Auge gefasst worden, erst am 29. Juli folgte die Festlegung auf das endgültige Datum; vgl. die Briefe an F. R. Bayer vom 25. Juli sowie an C. Brandt vom 27./28. und 30. Juli. Rovelli wirkte laut Aufführungsbesprechungen schließlich doch mit.

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