Carl Maria von Weber an Philipp Jungh in Prag
Berlin, Samstag, 2. November 1816

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Lieber Bruder!,

Wenn du dich auch noch so böse stellst, so glaube ich dir es doch nicht, denn ich weis von jeher daß du Nachsicht und Liebe für die Fehler deiner Freunde hegst, und auch zu sehr überzeugt bist wie hoch du und die deinigen in meinem Herzen stehen, als daß du in meinem Stillschweigen bis jezt etwas anderes sehen solltest als einen unglaublichen Andrang von Abhaltungen, da ich doch so gerne recht ordentlich mit Euch geplaudert hätte. der H: v: Muks hat es darin freylich beßer, wenn ich sie herumgeschleppt habe, so kann sie die übrige Zeit stille sizzen und thun was sie will, aber ich muß dann nachholen was ich dadurch an Arbeit versäumte.      Wenn ich daran denke was ich bis d: 1t December alles zu vollenden habe*, so bricht mir wirklich der Todesschweis aus. ich hoffe aber Gott wird schon helfen, und mir Ideen Stromweise zuführen.      Meine gute Lina ist recht brav; nun sie alles in der Nähe sieht, schwindet der schwarze Schleyer den Ihre düstere Phantasie über alles gebreitet hatte, und sie ist harmlos froh und wird dikk und fett; ja, zankt nicht einmal mit mir wenn ich selten komme, und nur kurze Zeit bleibe, da meine Arbeiten mich zu sehr drängen. dieß ist die einzige Kehrseite meines jezigen Lebens, daß ich nicht so viel bey der guten Lina sein kann als mein Herz es wünscht. aber es muß sein, und später desto schönere Früchte tragen. Sie hat bis jezt 2 mal mit dem entschiedensten Beyfall gespielt, und wird wirklich halb vergöttert*. doch hat es keinen bösen Einfluß auf sie, und sie denkt noch eben so gerne daran diesen eiteln Ruhm mit dem reellen einer braven Hausfrau zu vertauschen.      Ueber mein ferneres Schiksal kann ich dir noch nichts bestimmtes schreiben, hätte sich selbes entschieden während meinem Aufenthalt in Dresden, so hätte ich dir dieses gewiß gleich gemeldet, so aber war ich blos bey dem Minister v. Einsiedel*, der sehr artig war, und sagte daß er alles thun wolle mich für den Dienst des Königs zu gewinnen; aber bis jezt ist noch nichts entschieden, und ich erwarte von einem Tage zum andern, eine bestimmte Auskunft.      Auf jeden Fall bleibe ich bis zum December hier um die meinem Verleger schuldigen Arbeiten abzuliefern, bis dahin wird hoffentlich die Sache ins Reine sein.      Ich habe mich so nach und nach mit dieser Idee so vertraut gemacht, daß es mir sehr wehe thun würde, wenn sie in Nichts zerrönne. doch auch dann würde ich den Muth nicht sinken laßen, | und auf Gott vertrauen der schon so oft weiter geholfen hat. Ein sehr großer Trost und Stärkung für mich liegt auch darin daß ich auch von Lina hoffen darf, daß Sie mit Ergebung und Ruhe diesen Fall ertragen würde. und dann wäre ja auch in Jahresfrist wohl Zeit einen anderen guten Posten zu erhalten. Selbst hier sieht es so aus als würde die Lage der Dinge nicht bleiben wie sie jezt ist; Romberg ist unzufrieden, und die übrigen sind es mit ihmT. – Wie Gott will – Komt Zeit, komt Rath.

Der Himmel hat dein Haus abermals mit Krankheit heimgesucht, Gott sey Dank daß es so glüklich wieder vorüber ist. Wir sind recht wohl und froh. die Lina werdet ihr kaum wiedererkennen so dikk und fett ist sie geworden.

Sydenhams Werke habe ich Hoffnung zu bekommen*, und dir sie durch den Muks zu schikken.

Jordans grüßen dich herzlichst. Noch immer leben die guten Menschen in Schmerz versunken*. Sie hat wieder ein kleines Mädchen angenommen von 6 Jahren, das giebt ihr doch einige Zerstreuung. Uebrigens habe ich hier alles im alten Gleise gefunden, meine Freunde alle voll herzlicher Liebe und Theilnahme, und ich befinde mich recht zufrieden, wobey mir nichts fehlt als du und die lieben Deinigen.      Täglich gedenken wir Eurer in Liebe und Treue, und wünschen uns in Eure Mitte. Außerdem befinde ich mich wie ein Gefangener der in Freyheit gesezt ist; jeden Vormittag kann ich es kaum begreiffen daß er mein gehört, und ich nicht in die lästige Probe muß. Mein Kopf wird auch ganz toll, und die Schöpfungslust regt sich mächtig und lustig in mir.

Nun lieber Alter muß ich schließen, ich grüße und küße aufs innigste deine liebe brave Fanny, die gute liebe Mutter, deinen fleißigen Buben, den Bruder, und das ganze Haus. behaltet mich alle lieb und gedenkt fleißig Eures Euch ewig unveränderlich herzlich liebenden treuen Freundes
CMvWeber

Apparat

Zusammenfassung

berichtet, dass er viel arbeite, um Schlesinger bis Anfang Dezember eine Reihe von Kompositionen abliefern zu können; betr. Caroline Brandt; teilt mit, dass er über seine Anstellung in Dresden noch im Ungewissen sei

Incipit

Wenn du dich auch noch so böse stellst, so glaube

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Hamburg (D), Theatersammlung der Universität Hamburg (D-Hth)

    Quellenbeschreibung

    • 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)
    • Stempel: „Handschriftensammlung Adolph Meyerdiercks, Hamburg“

    Provenienz

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Fritz Tutenberg, Ein unbekannter Brief Webers. Zur 125. Wiederkehr seines Todestages am 5. Juni, in: Zeitschrift für Musik. Jg. 112 (1951), S. 305–306

    Einzelstellenerläuterung

    • „… December alles zu vollenden habe“In dem mit Schlesinger am 29. Juni 1816 abgeschlossenen Vertrag war als Ablieferungstermin der Werke der 1. Dezember 1816 vereinbart.
    • „… und wird wirklich halb vergöttert“Zu den Gastauftritten Caroline von Webers in Berlin am 28. und 31. Oktober 1816 vgl. Webers Tagebuchnotizen.
    • „… bey dem Minister v. Einsiedel“Laut Tagebuch am 10. Oktober 1816.
    • „… habe ich Hoffnung zu bekommen“Weber erwarb laut Tagebuch am 15. November ein Werk von Thomas Sydenham, möglicherweise eine der Ausgaben von dessen Opera medica. Vgl. auch die Notiz zum nächsten Brief vom 19. November 1816.
    • „… guten Menschen in Schmerz versunken“Nach dem Tod von Adoptivtochter Henriette, geb. Bayard de Faverolles.

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