Carl Maria von Weber an Karl Friedrich Ludwig Kannegießer in Prenzlau
Hosterwitz, Montag, 2. August 1819

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Wohlgebohrner Herr!
Hochgeehrter Herr Rektor!

Empfangen Sie meinen besten Dank für die Mittheilung der übersandten Lieder*, die mich sehr angesprochen haben. Es giebt des guten sehr wenig in dieser Gattung, und das eigentliche Lied wird täglich seltener, daher kann es dem Komponisten nur willkommen sein sich so etwas anvertraut zu sehen.      Ich sende Ihnen vor der Hand 2 derselben in Musik gesezt. Mancherley könnte ich über meine Ansicht bei Behandlung derselben sagen, aber es wird wohl nicht nöthig sein. der Dichter wird mich wohl verstehen habe ich anders ihn verstanden. bei Gute Nacht: bitte ich blos d: 7t Takt des 2t Tenors so machten selten Pause pp ausschreiben zu laßen. Es trifft sich beßer. daß es in der Partitur anders steht, ist der Korektheit zu Ehren und dem Schwachen zu Liebe geschehen*.

Wenn Sie die Lieder singen laßen, so bitte ich, sie nicht beide unmittelbar aufeinander folgen zu laßen. die Gleichheit der Tonart* verschwemt die Frische des Eindrukkes.

Hätte mich das Freiheitslied nicht so besonders ergriffen, ich würde es nicht gesezt haben, da es eigentlich gegen meine Grundsäzze ist etwas schon componirtes, nochmals zu schreiben*. Es liegt darin eine Art Arroganz die ich überall am meisten aber am Künstler haße. da ich’s aber nun einmal gethan habe, wollt ich’s Ihnen auch nicht vorenthalten.       Ermunterung erhalten | Sie nächstens.      den Spanier an s: G: hat Wollank comp:* und daß er die Form der Gloße nicht beachtet, ist natürlich: – man kann das nicht. die ersten 4 Zeilen müste jede einen musikalischen Schlußfall in der Tonart erhalten, umd als Schlußzeile der andern Strophen dienen zu können und den Zwek der Gloße auszusprechen.      das geht nicht.      auch ist das Gedicht, so schön es ist, kein Lied.      Es steigt im Effekt, statt in einem Gefühl zu verharren.

Mit dem Schlumerlied ist mir ein Unglük paßirt, was in andern Fällen keines ist; nehmlich beim lesen der ersten Strophe, entstand auch die Musik dazu in meiner Seele, aber – 4 stimmig.      da ich es nun für Unsinn halte, wenn viere zugleich per ich an eine Geliebte, oder zu sonst Lieben, sprechen, so muß ich es wohl uncomponirt laßen, da ich eine einmal so empfangene Melodie nicht wieder loswerden, und überhaupt nur einmal wahr sein kann. und zur Lüge bringt mich auch nicht einmal der herrschende MusikGeschmak. schweren Herzens laß ich das liebliche Ding fahren*.       Wie’s mit der Schäferin wird weiß ich noch nicht*.

Blume und Sutor haben hübsche Männer Gesänge geschrieben.      höchst trefflich aber Michael Haydn gestochen bey Gombart in Augsburg. aber ich glaube für 4 Solostimmen berechnet.

Die Herausgabe der von mir gesezten Lieder behalte ich mir vor*, wozu ich an Ihrer gütigen Erlaubniß nicht zweifle.           Herrn Haße kenne ich nicht. –

Ich war sehr krank und lange*. Nun aber hat Gott mich mit neuer Kraft und Lust gesegnet. | der Himmel schenke Ihrem Unternehmen gedeihen und Bestand: ich werde stets wahren Theil daran nehmen.

Erfreuen Sie mich bald wieder mit so trefflichen Gedichten, und glauben Sie daß es mir herzlich lieb ist Ihnen bei dieser Gelegenheit versichern zu können daß ich mit ausgezeichneter Hochachtung stets sein werde E: Wohlgebohren
ganz ergebener
CMvon Weber.
Hosterwitz bei Pillnitz

Da hat sich dann doch die Ermunterung auch noch dazu gefunden*.      Beim Anfange der 2t Strophe, müßen die Sänger durch deutliches Deklamiren uns beiden nachhelfen, denn die Kürze der Sylben, Ja freue dich, im Verhältniß zu den langen, du liebst Gott, Men[sch] pp und der verschieden fallende Einschnitt macht dieß bsonders nöthig.      Im Freiheitslied werden wohl die 1t Tenore das erstemal im 3t Takte versucht sein Fis statt F zu singen*. – Wenn es Ihnen möglich ist, wäre es wohl am besten, immer nur ein Lied an einem Abend zu geben. man genießt es beßer, und giebt sich auch mehr Mühe es zu verdauen, wenn man nicht von der Neugierde gleich zu den folgenden gejagt wird, wo dann immer nur eines obenauf bleibt.      Nichts vor Ungut des Komponisten Vatersorge.

Apparat

Zusammenfassung

dankt für Zusendung der Liedtexte, die ihn sehr angesprochen haben; schickt 2 der Vertonungen u. gibt Anweisung, eine Stelle im 2. Tenor in bestimmter Weise ausschreiben zu lassen; bittet darum, die Lieder nicht unmittelbar aufeinander folgend singen zu lassen (gleiche Tonart); hat das Freiheitslied, entgegen seinem Grundsatz, einen schon von anderer Seite vertonten Text nicht nochmals zu komponieren, in Musik gesetzt, da es ihn besonders ergriffen habe; betr. Komposition des Schlummerlieds; sendet doch Ermunterung noch mit

Incipit

Empfangen Sie meinen besten Dank für die Mittheilung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: 55 Ep 178

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (3 b. S. o. Adr.)

    Provenienz

Textkonstitution

  • „laßen“durchgestrichen
  • „d“durchgestrichen
  • „einmal“über der Zeile hinzugefügt
  • „den langen“über der Zeile hinzugefügt

Einzelstellenerläuterung

  • „… die Mittheilung der übersandten Lieder“Es handelt sich um die Texte zu den im Brief erwähnten Liedern Gute Nacht, Freiheitslied und Ermunterung , die dann im Op. 68 bei A. M. Schlesinger im Druck erschienen (PN 1167), außerdem um die Gedichte Der Spanier an seine Gitarre, Schlummerlied und Die Schäferinn; vgl. Gedichte von Karl Ludwig Kannegießer, Breslau: Reinhard Friedrich Schoene’s Buchhandlung 1824, S. 56f., 70f., 105–107, 120f., 142f. und 145f. Das Gedicht Der Spanier an seine Gitarre hatte Kannegießer bereits zuvor publiziert in: Pantheon. Eine Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst, hg. von Johann Gustav Büsching und K. L. Kannegießer, Bd. 1, Leipzig 1810, Heft 2, S. 342–344.
  • „… dem Schwachen zu Liebe geschehen“In der Partitur ist statt b jeweils ais notiert, das als Terz der Zwischendominante Fis zum folgenden H-Dur-Septakkord satztechnisch richtiger, für die Einzelstimme in der Linie aber schwerer auszuführen ist.
  • „… laßen. die Gleichheit der Tonart“Beide Lieder stehen in C-Dur.
  • „… componirtes , nochmals zu schreiben“Vermutlich meint Weber hier die Vertonung von Carl Friedrich Zelter für Bass solo und vierst. Männerchor-Refrain (vgl. das Autograph in D-B, Mus. ms. autogr. K. F. Zelter 12), zumindest ist bislang keine weitere Vertonung des Textes bekannt.
  • s: G:Abk. von „seine Gitarre“.
  • „… seine Gitarre hat Wollank comp:“Vgl. Friedrich Wollank, Sechs DEUTSCHE LIEDER mit Begleitung des Pianoforte op. 4, Berlin: Schlesinger (VN 62), Nr. 2 (Beleg: D-B, DMS O. 46007). Diese Lieder sind Carl Maria von Weber gewidmet.
  • „… ich das liebliche Ding fahren“In op. 68 ist unter Nr. 4 ein vierstimmiges Schlummerlied enthalten, dessen Text allerdings von I. F. Castelli stammt. In dessen Gedicht-Ausgabe von 1835 (Berlin: Duncker und Humblot, S. 83) heißt es freilich zu dem Text des Schlummerlieds: „Zu C. M. v. Weber’s Musik gedichtet.“ Das deutet darauf hin, dass Weber seine ursprüngliche Idee zu Kannegießers Schlummerlied 1822 in Wien aufgriff und von Castelli einen neuen, nun angesichts der Vierstimmigkeit passenderen Text verfassen ließ; vgl. auch ausführlicher: Wann entstand Webers Schlummerlied?
  • „… wird weiß ich noch nicht“Der Text wurde von Weber nicht vertont.
  • „… Lieder behalte ich mir vor“Die drei mitgeschickten Kompositionen integrierte Weber in die Sammlung Gesänge für Männerstimmen op. 68, die 1823 bei Schlesinger erschien.
  • „… war sehr krank und lange“Laut TB von März bis Juni des Jahres.
  • „… Ermunterung auch noch dazu gefunden“Dieser Nachtrag ist insofern irritierend, als Weber laut Tagebuch alle drei Gesänge (auch Ermunterung) bereits am 29. Juli komponiert hatte, nicht aber erst, wie der Anschein erweckt wird, während des Schreibens dieses Briefes auf die Idee zur dritten Komposition kam. Das heute in der Bibliothèque nationale de France aufbewahrte Autograph (Ms. 406) enthält Ermunterung an zweiter Stelle zwischen den beiden anderen Gesängen, kann also keineswegs das Kompositionsautograph sein. Die Tatsache, dass dieses Autograph und der Brief an Kannegießer sich noch in den 1870er Jahren zusammen im Besitz von O. A. Schulz befanden, deutet darauf hin, dass es sich bei dem Notenblatt um die Reinschrift für Kannegießer handelt, in der Weber (im Widerspruch zum Brieftext) die ursprüngliche Reihenfolge der Gesänge vertauschte.
  • „… Fis statt F zu singen“In einem aufwärts zum Zielton g geführten Skalenausschnitt.

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