Carl Maria von Weber an Heinrich Baermann in München
Dresden, Freitag, 10. Dezember 1824
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Du must wahrlich glauben ich hätte dich ganz vergeßen, mein threurer Freund, denn es ist wirklich unverantwortlich wie lange ich dir nicht geschrieben habe. Aber es ist leider nur zu wahr daß ich von Jahr zu Jahr mehr für meine Freunde, und also auch für mich, verlohren gehe. Wenn der Himmel mich auch segnet vor so vielen andern, mit Ehre und Freuden von Außen, so scheint er es auch recht verhüten zu wollen, daß ich nicht übermüthig werde, durch meine DienstVerhältniße hier. Nicht als ob sie irgend besondern Verdruß oder Mißhelligkeiten enthielten, Nein, dem Himmel sei Dank daß alles sich friedlich bewegt, aber gerade aus dieser freundschaftlichen Stellung ist eine so drükkende Maße von Arbeit für mich entsprungen, daß ich schon einigemal in eine Art von hohem Mißmuth alles aufgeben wollte. Wie glüklich ist bei Euch ein KapellMster, der nichts als den wenigen Kirchen Dienst zu versehen hat, entfernt von allem Theaterwesen, und mit reichlicher Muße versehen, eigene Werke zu schaffen. wahrlich ich weiß nicht was ich thäte wenn ihr mich rieft.
Wenn ich dir sage daß ich wegen immerwährender Krankheit und 8 monatlicher Abwesenheit Morlachis, den Dienst für ihn nun schon gegen 2 Jahre versehe*, daß in der Zwischen Zeit Schubert starb, und ich ganz allein, ital: deutsche, Oper alle Kirche, Concerte pp zu leiten hatte, daß ich dadurch so vernichtet wurde, daß man mich mit Gewalt nach dem Marienbade schikte, daß man nun ganz zwekwidrige Anstellungen gemacht hat, daß Morlachi den ganzen Winter noch nichts thun, und den Sommer ins Bad gehen wird, daß für alle diese unerhörte Anstrengungen, man mir nicht ein Wort des Dankes oder der Anerkennung gesagt hat, daß ich körperlich und geistig so abgespannt bin, daß ich seit 15 Monaten keine Note geschrieben habe, so wirst du meinen Unmuth begreiffen, und einsehen daß es so nicht fortgehen könne. —
Doch genug des Betrübenden. Nun zu andern Dingen. |
In meinem Hause geht es übrigens gut. Mein Max gedeihet Gottlob sichtlich und macht meine einzige Freude aus.
Meine Frau sieht in wenig Wochen ihrer Entbindung entgegen. Gott gebe es gnädig*.
Ich habe rechte Sehnsucht zu hören wie es dir geht. Fürstenau konnte mir nicht freundliches genug, von deiner und deiner lieben Frau Güte erzählen*. ich erkannte darin ganz meinen alten Hansel wieder, deßen Sorgfalt, Theilnahme und Hülfe ich auch so viel zu verdanken hatte.
Wie geht es Poißl in seinem Wirkungskreise? hätte ihm gern einmal geschrieben, aber theils hatte ich auch keine Zeit, und theils hielt mich eine gewiße Delikateße zurük. In Karlsbad wurde ich recht an München errinnert durch v. Reichenbach, Priuli, Belli pp*
Es ist doch schon recht lange her daß ich in München war, und es mag sich da Manches verändert haben. Habe auch gar keine Aussicht es berühren zu können, denn wenn meine Reise nach England noch im März vor sich geht, so nehme ich den Weg über Paris, und bin auch so in meiner Zeit beschränkt daß ich an Umwege nicht denken darf. Auch sage ich mir, daß ich eigentlich in München nichts zu thun hätte. Konzerte gebe ich nicht mehr, da Monate vergehen ehe ich einmal das Klavier öffne, und‡ — so weit habe ich es noch nicht gebracht Geld zu meinem Vergnügen verreisen zu können. also — —
Ich schließe für heute, in der Hoffnung daß du nicht gleiches mit gleichem vergelten, so mir verzeihen, und dieß durch eine baldige Antwort beweisen wirst, daß du nie an meiner treuen Anhänglichkeit und Liebe zweifeln konntest, bin ich ohnedieß fest überzeugt; wie auch ich auf dich unwandelbar baue.
Meine Frau vereiniget ihre besten Grüße mit mir, an dich und deine liebenswürdige Gattin. Gott erhalte dich froh und Gesund, und behalte lieb deinen alten
treuen Bruder
CMvWeber
Dresden d: 10t Xb 1824.
Apparat
Zusammenfassung
Entschuldigung für langes Stillschweigen; Weber berichtet über unerträgliche Arbeitsbelastung in Dresden; Privates; erkundigt sich nach Situation in München, wohin er leider kaum mehr kommen werde; Reisepläne
Incipit
„du mußt wahrlich glauben ich hätte dich ganz vergeßen“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: N. Mus. ep. 1515Quellenbeschreibung
- 1 DBl. (3 b. S. einschl. Adr.)
- PSt: a) DRESDEN | 10 Dec. 24; b) AUSLAGE
- am oberen Rand der Rectoseite Antwortvermerk von Baermann: „d 24ten December beantwortet.“
Provenienz
- Karl & Faber (München), Auktion 70 (29./30. April 1959) (mit Faks.)
Textkonstitution
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„und“gelöschter Text nicht lesbar
Einzelstellenerläuterung
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„… schon gegen 2 Jahre versehe“Morlacchi hatte für seinen venezianischen Opernauftrag (Ilda d’Avenel) Dresden im November 1823 verlassen (vgl. Webers Brief an Michael Beer vom 27. September 1823) und kehrte erst im September 1824 nach Dresden zurück (vgl. Webers Tagebucheintrag vom 10. September 1824). Danach fiel er krankheitsbedingt aus.
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„… entgegen. Gott gebe es gnädig“Alexander von Weber wurde am 6. Januar 1825 geboren.
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„… deiner lieben Frau Güte erzählen“Zu Fürstenaus München-Aufenthalt im April/Mai 1824 vgl. den Kommentar zu Webers Brief vom 24. Mai 1824 an den Quedlinburger Klopstock-Verein.
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