Carl Maria von Weber: Dramatisch-musikalische Notizen (Dresden): „Fanchon“ von F. H. Himmel
Dramatisch-musikalische Notizen.
Als Versuche, durch Kunst-Geschichtliche Nachrichten und Andeutungen die Beurtheilung, neu auf dem Königl. Theater zu Dresden erscheinender Opern zu erleichtern.
Von Carl Maria von Weber.
Montag, den 24. Febr. zum Erstenmale: Fanchon, das Leyermädchen, nach dem Französischen von Kotzebue bearbeitet, Musik von Himmel*. Die Anwesenheit der Mlle. Lindner aus Kassel, die die Rolle der Fanchon als Gastrolle geben wird*, ist die Veranlassung des Erscheinens dieser in einem großen Theile Deutschlands beliebten Oper*, die als Vaudeville eine Zeitlang der Drehpunkt der Pariser Aufmerksamkeit war, und in vielen Parodieen den Antheil bewieß, den das Publikum an ihr nahm.
Kotzebue bearbeitete sie zunächst für das Berliner Theater, und Himmel schuf eine neue Musik in gleicher Beziehung dazu.
Friedr. Heinrich Himmel, 1765 zu Treuenbrietzen geboren, hat eine Art von näherem Anspruch auf die Theilnahme der Dresdner Musikfreunde dadurch, daß er seine eigentlichen Kunststudien bei unserm trefflichen Naumann machte, und diesem jene Harmoniekenntniß, fließende Stimmenführung und Gewandtheit der Instrumentation verdankt, die seinen lieblichen Leistungen, den Reiz einer gewissen Gediegenheit und Gewandtheit geben. Sein Lebenslustiger heiterer Sinn, frohe Laune und Hang zum Lebensgenusse ließen ihm ¦ nicht Zeit in die tiefsten Geheimnisse der Kunst zu dringen, die ohne reifes, anhaltend strebendes Forschen, selbst dem von der Natur begünstigten Genius sich nicht erschließen; denn wahrhaft Großes zu leisten, ist nur dem in sich ganz gesammelten und abgeschlossenen Gemüthe möglich.
Himmel verdankt daher auch seinen Ruf größtentheils seinen herzlichen sinnigen Liedern, der Composition von Tiedges Urania*, und der Oper Fanchon. In diesen einzelnen Lichtstrahlen seines schönen Talentes entfaltet sich ein großer Zauber italischer Lieblichkeit mit deutscher Vollendung in der Form, jedes dieser Musikstücke scheint wie die Spitze eines frohen Augenblicks, ein künstlerischer Champagner-Moment. Die Vorliebe und Hinneigung zu dem Sentimentalen ist vorherrschend, und Himmel hat in dieser Gattung Sachen geliefert, die gewiß unter das Vorzüglichste gehören. Fanchon ist ein solcher Blüthenstrauß, in den verschiedensten Farben der Laune und des Gefühls spielend, ein Schmetterlings-Gaukeln im Kunstgarten. Versetzt in den elegantesten Zirkel des üppigen Paris, wird jedes Musikstück zum vorüberfliegenden Witz, Scherz oder zur sonstigen Betonung erhöhten Gefühles.
Ausgeführte größere Musikstücke lagen außer dem Kreise dieser dem Vaudeville nachgebildeten Oper, oder eigentlichem Liederspiele. Sein ausgezeichnetes Glück verdankt es hauptsächlich dem genauen Anschmiegen an die Individualität der vorzüglichsten Künstler, die (1803) die Berliner Bühne schmückten, wo jeder einzelne Charakter nach dem schon vorhandenen gezeichnet schien. Die hieraus entspringende treffliche, durchaus abgerundete Darstellung, und die Leichtigkeit, mit der jeder Zuhörer sich diese Musik aneignen konnte, mußte es für eine Zeit zum Lieblingskinde des Publikums machen, und stets wird es, mit diesem Maßstabe gemessen, eine ungemein liebliche Erscheinung in der Theater-Welt seyn.
Von größern Arbeiten hat Himmel’s Vasco di Gama und seine Trauerkantate auf den Tod Friedr. Wilhelm des 2ten am meisten in der Welt gewirkt. Weniger gefiel eine spätere Oper: Die Sylphen (1807) und gänzlich mißfiel sein letztes Werk: Der Kobold, für das Wiedner Theater in Wien geschrieben. Als Clavierspieler hatte Himmel einen außerordentlichen Zauber im Anschlag und eine Süßigkeit des Vortrages, der ohne eigentliche große Virtuosität allgemein entzückte.
Er starb vor zwei Jahren als Königl. Preuß. Kapellmeister, und mit Recht können alle Freunde lieblichen gefühlvollen Gesanges ihn beklagen.
Apparat
Zusammenfassung
Aufführung aufgrund eines Gastspiels von Therese Lindner; Weber erläutert Himmels Bedeutung als Komponist und die wesentlichen Bestandteile des Werkes, die für dessen Erfolg verantwortlich sind; am Ende geht er auf weitere Werke Himmels ein
Entstehung
21. Februar 1817 (laut TB)
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Veit, Joachim
Überlieferung
Einzelstellenerläuterung
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„… Kotzebue bearbeitet, Musik von Himmel“Vgl. Webers TB-Eintrag vom 24. Februar 1817 sowie seine Briefe an seine Braut vom 19.–21. und 23.–24. Februar 1817. Webers Auseinandersetzung mit dem Werk reicht in die Breslauer Zeit zurück, wo es unter seiner Leitung erstmalig am 9. November 1804 aufgeführt wurde; vgl. Weberiana 28 (2018), S. 28. 1805 bot er in einem Brief seine Bearbeitung dem Verlag Breitkopf & Härtel an. 1814 studierte er die Oper in Prag neu ein mit Caroline Brandt in der Titelrolle, vgl. das Prager Notizenbuch sowie den Spielplan 1814T.
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„… großen Theile Deutschlands beliebten Oper“In Berlin wurde das erfolgreiche Stück bis 1853 gegeben, weitere Aufführungen in Breslau (9. November 1804), Posen (18. Februar 1805), Hamburg (19. Juli 1805), Hannover (9. September 1805), München (1805), Königsberg 1805; Prag (Mai 1807), Wien, Theater an der Wien (13. Juli 1808) und Kärtnerthortheater (18. Juni 1817) und St. Petersburg (12. Februar 1806).
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„… der Composition von Tiedges Urania“Christoph August Tiedge, Urania: Über Gott, Unsterblichkeit und Freiheit. Ein lyrisch-didaktisches Gedicht in sechs Gesängen, Halle: Renger, 1801; vgl. Digitalisat .