Aufführungsbesprechung Leipzig: „Silvana“ von Carl Maria von Weber, November 1816

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Korrespondenz-Nachrichten.

Leipzig, November 1816.

Das Theater gewährt gegenwärtig durch die unaufhörlichen Gastrollen, die zum Theil die Errichtung unsres stehenden Theaters herbeyführt, viele Abwechselung. Im Ganzen viele gemeine Natürlichkeit, hohle Repräsentation und Selbstvertrauen, ohne eifriges Bilden an sich, und ohne Glauben und uneigennützige Liebe für die Kunst, noch weniger für das, was sie in ihrer höchsten Kraft und Wahrheit bestrebt; in der Regel sogar Vernachlässigung der äussern Erscheinung bis zu einem Grade, welcher dem in der gebildeten Gesellschaft Erzogenen und Einheimischen Verachtung einflößt, Mangel an deklamatorischen und mimischen Studien, oft gar mangelhafte Organe für beyde, das sind die Eigenschaften der Masse, die sich zur Kunst Thaliens und Melpomenes berufen glauben.

Vor vielen Gästen dieser Art zeichnete sich Demois. Eunike aus Berlin durch die glänzenden Vorzüge eines reizenden Aeußern und einer liebenswürdigen Gewandtheit in Spiel und Gesang so vortheilhaft aus, daß sie nicht nur die Herzen der Männer bezauberte, sondern auch die weiblichen Richter vollkommen gewann, und während ihrer Vorstellungen der Andrang des Publikums immer größer ward, bis ein Brief sie nach der dritten Vorstellung mit ihrem Vater, der dießmal nicht auftrat, nach Berlin zurückrief. Sie gab uns Fanchon, Olivier im Johann von Paris, und Susanne im Figaro. Referent hält diese Darstellung für die ausgebildetste unter diesen dreyen; denn es gelang der Künstlerinn in derselben vollkommen, die seltne Verbindung einer unverdorbenen Natürlichkeit mit der höhern Kultur in einer lebendigen Gestalt zu zeigen; ihr Spiel war stets fortschreitend, ohne Uebertreibung, wenn nicht vielleicht die Momente des bewegten Gemüths noch einige Mäßigung verstatteten. Der Gesang „Fort, daß die Leyer klinge“ war nur ein unartikulirtes Schluchzen, wobei man Text und Melodie verlor. Daß der Page Olivier nicht so allgemein gefiel, lag wol zum Theil in der Rolle, zum Theil in der nicht ganz günstigen Costumirung. In der Romanze vom Troubadour applaudirte man der biegsamen Fertigkeit über an sich nicht vollkommen angenehmen, wenn man aber durch reizende Geberde und geübten Geschmack belebten Stimme, wenn man auch die Ueberladung in Verzierungen tadeln musste. In der Rolle der Susanne bewies Dem. Eunike ebenfalls, wie wirksam durch die Verbindung eines gewandten Spiels mit einem geübten Gesang die Oper seyn kann. Keinen Laut des großen Komponisten ließ die bedeutungslos fallen, und manche seiner Melodieen erschien uns in neuem Reize. Ihr Gesang ist sehr dramatisch und wird sich noch vollkommner als solchen zeigen, wenn sie die Lockungen zu überladenen Verzierungen, welche sie übrigens mit einnehmender Nettigkeit ausführt, immer mehr überwindet und den Gang des Komponisten dadurch weniger aufhalten wird. Im Spiele konnte ¦ man tadeln, daß Susanne über dem Publikum ihren Figaro etwas vergaß. Zugleich müssen wir bemerken, da die Darstellung des Figaro eine der seltenen war, mit welchen man sehr zufrieden seyn konnte. Es schien das Leben sich allen Mitspielenden mitgetheilt zu haben. Besonders zeichnete sich Hr. Wehrstädt als Figaro aus, und unterstützte Susannes Spiel mehr, als sie als Fanchon und Olivier unterstützt worden war.

Bald darauf trat in der bis zum Ekel abgedroschenen Parteyenwuth Hr. Jost, vom königlichen Theater zu Stuttgart, als Kooke, und als Burgermeister Klippfisch in der Brandschatzung von Kotzebue auf; er spielte erstere Rolle sehr verständig, doch ohne seine Vorgänger zu erreichen; in letzterer fehlte ihm die herzliche, aus dem Innern hervorgehende Laune. Hr. Weidner, welcher als neuengagirtes Mitglied im Tamino auftrat, hat eine seltene Tenorstimme, welcher eine gründliche Ausbildung und Uebung, so wie seinem Spiele, sehr zu wünschen ist. Eine Demois. Pöschel, vom Breslauer Theater, verdarb in der Rolle der Aschenbrödel durch Affectation eines kindlichen Ausdrucks den Eindruck, welchen die sonst bey ihrem Aeußern hätte machen können; auch ist ihre Stimme fast eine Kinderstimme. Hierauf trat Hr. Hodiarsky vom Prager Theater als Johann von Finnland in dem Stücke gleiches Namens mit vielem Beyfall auf. Seine Darstellung wirkte sehr auf das Gefühl, seine Stimme aber ist eigentlich unangenehm. In demselben Stücke trat zugleich ein Hr. Dupré als Richers auf: er zeigte ein zwar schwaches aber angenehmes Sprachorgan, eine nicht üble Gestalt und einige Routine, aber viel süßliche Affectation in der Haltung und Bewegung seines Körpers, und eine oft predigende Declamation. Das ganze Stück wurde, den König ausgenommen, über Erwartung gut gegeben, wozu besonders die genannte Mad. Köhler und Demois. Mollard, als Gemahlin des Herzogs, beytrugen. Von neuen Stücken sahen wir jetzt zum ersten Male Sylvana oder das Waldmädchen, mit Musik von Maria von Weber. Sie hat vortreffliche Stücke, besonders im ersten Akte; ist aber im Ganzen doch etwas ungleich gearbeitet, und ohne bestimmt hervortretenden Charakter. Das Stück ist wieder in der gewöhnlichen Opernart, ohne Haltung und Zusammenhang wie ein planloser Traum. Auch die Aufführung war ohne Leben und Wärme. Herr Geiling der Aeltere, dessen Sohn in launigen Rollen einige nicht unglückliche Versuche gemacht hat, war als Knappe die einzige lebendige Figur. Eine Laune, wie sie derselbe bey schon zunehmenden Jahren vor kurzem in einer kleinen artigen, nur aber sehr matt schließenden Operette, der Unsichtbare (mit Musik von Carl Eule) in der Rolle des Gastwirths zeigte, und welche der trockensten Rede einem zum Lachen hinreißenden Ton mittheilt, ist auf dem Theater, wo Affectation die Natur so häufig verdrängt, nicht allzuhäufig anzutreffen, und darum, wie hier geschah, mit Beyfall anzuerkennen. Denn mag es auch seyn, daß diese Laune sich am liebsten in possenhaften Einfällen bewegt, und zuweilen den Anstand etwas verletzt, so ist doch sein Buffon von diesem Vorwurfe gänzlich frey geblieben.

In den Donnerstags-Concerten ließ ein Herr Wassermann*, ein Schüler Spohrs, sich auf der Violine hören. Er hat einen angenehmen, vollen Ton, und ein reines Spiel. Möge er Spohrs Kraft und Leben immer vor Augen behalten!

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Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbericht Silvana: Leipzig am 30. Januar 1817

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Blümer, Simon

Überlieferung

  • Textzeuge: Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 11, Nr. 026 (30. Januar 1817), S. 104

Textkonstitution

  • „Hodiarsky“sic!

Einzelstellenerläuterung

  • „… Donnerstags-Concerten ließ ein Herr Wassermann“Heinrich Joseph Wassermann (1791–1838), 1810/11 Schüler Spohrs in Gotha.

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