Korrespondenz-Nachrichten Dresden

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Dresden. In der letzten Woche des Mays wurden: Elisabetta von Rossini, il Barbiere di Siviglia von Morlacchi, und Elena von Mehul wiederholt. Am 8ten Juny wiederholte man Jacob und seine Söhne von Mehul, worin Hr. Gerstäcker, vom Hamburger Theater, als erste Gastrolle den Jospeh, und Hr. Toussaint den Jakob gab. Erster war vormals hiesiger Kreuzschüler u. hernach Mitglied der ehemaligen Operngesellschaft ¦ des Hrn. Joseph Seconda, die auf dem Theater des hiesigen linkischen Bades deutsche Opern gab. Schon darum nahm man an ihm hier ein besonderes Interesse, das durch seinen nicht unbeträchtlichen Ruf vermehrt, und hernach durch seine Vorzüge bestätigt wurde. Indem wir nun, nach grösster Aufmerkdamkeit und unparteyischem Erwägen, über diesen Sänger sprechen wollen, thäte es vielleicht Noth, ganz besondere Vorkehrungen zu treffen, theils, um durch die fast tumultuarischen Ausbrüche des Entzückens der Lautesten im Publicum doch auch ein wenig vernommen zu werden, theils, um leicht möglichen Anfällen unsers ruhigen Urtheils von Seiten der Enthusiasten in Ehren auszuweichen: aber wir wolllen lieber alles unterlassen, als eben dieses unser Urtheil auszusprechen, und Andere mögen gleichfalls sagen und thun, was sie nicht lassen können. –

Hr. G. also besass schon als Kreuzschüler eine angenehme, nicht ganz ungebildete Tenorstimme, und für Musik überhaupt Talent, Geschicklichkeit und Fleis. In alle dem vervollkommnete er sich hernach immer mehr; und nun, seit er uns fremd geworden, hat seine Stimme, ohne Anmuth verloren zu haben, an Umfang, Gewandtheit und Ausdauer, er selbst aber, in Fleis und Eifer noch derselbe, an Geschicklichkeit, Routine, Festigkeit, Erfahrenheit und alle den Vorzügen, die hieraus, unter so günstigen Umständen, als sie Hrn. G. zu Theil worden sind, entstehen, gar sehr zugenommen, so dass er gewiss jetzt einer der ausgezeichnetsten Tenoristen in Deutschland ist. Dabey ist er auch von sehr vortheilhafter Gestalt, spricht gut aus, im Dialog und im Gesang, ist auch kein übler Schauspieler, (vielmehr gelingt ihm auch in dieser Hinsicht gar Manches vorzüglich gut) und weiss alle diese, natürlichen oder angebildeten Vorzüge auf deine wolhlgefällige Weise geltend zu machen. Der Klang seiner Stimme ist zwar nicht besonders kräftig u. männlich, (wie die, des Hrn. Wild, in ihren natürlichen Tönen,) auch nicht eigentlich metallisch, (wie die, des Hrn. Bergmann, wenn sie derselbe nur erst wird gänzlich geltend machen können;) aber er ist, dieser Klang, schön, in den ungezwungenen Brusttönen sehr schön, und auch ziemlich durchdringend: er würde aber noch schöner seyn, wenn Hr. G. nicht oftmals die Stimme übernähme, und wenn man da, wo er, um schwach zu singen, des Falsets sich bedient, ¦ diesen Wechsel des Registers nicht so bemerkte. Hr. G. singt bis zum eingestr. H: die hohen und auch die mittlern Brusttöne sind bey weitem die schönsten: die tiefern sind nicht sehr hörbar und durchdringend. Seine Singmanier ist methodisch, und seine Sicherheit, so wie seine Bildung in Hinsicht derselben, ausgezeichnet; sein Triller ist schulgerecht, aber nichts weiter; seine Verzierungen sind deutlich, oft sehr vortheilhaft angebracht, aber, wie sein Vortrag überhaupt grössentheils, ohne viel inneres Leben und ursprünglichen Geist, welches beyde durch angenommene Lebhaftigkeit, heftig angeregte Kraft und eingeübtes Feuer für den Kenner nur scheinbar, u. selbst für ein gemischtes Publicum wol nicht auf die Dauer, ersetzt wird. Den Joseph sprach und spielte Hr. G. mit angemessener Würde. Hr. Toussaint besitzt eine starke und sonore Stimme. Seine Methode ist natürlich u. einer tiefern Stimme angemessen. Ueber sein Spiel und seine Aussprache sagen wir noch nichts, weil wir ihn erst in andern Vorstellungen beobachten wollen, wozu wir um so besser Gelegenheit finden werden, da ihn die königl. Direction auf ein Jahr beym hiesigen Theater angestellt hat. – Am 13ten gab die italien. Gesellschaft Sargino von Pär. Die Vorstellung gefiel ungemein; und zwar sowol wegen der nicht wenigen, wirklich schönen Musikstücle, die diese Oper enthält, als auch wegen der vorzüglichen Ausführung. Hr. Gerstäcker hatte sich den jungen Sargino zur zweyten Gastrolle gewählt, und zeichnete sich auch in dieser aus, aber in Hinsicht auf Aussprache, Declamation und Ausdruck weniger, als in der vorigen. Er spricht das Italienische nicht ganz richtig und gut aus: wie könnte er also gut declamiren, und in die Perioden, besonders der Recitative, den gehörigen Ausdruck legen? Auch brachte das weniger Gewohnte dieser Sprache, welche gut auszusprechen gewiss nicht so leicht ist, als man gemeinhin glaubt, und in ihrer Syntax noch schwieriger – ihn zuweilen in Verlegenheit, wodurch er den rechten Ausdruck vergriff – wie z.B. in der Arie des 2ten Acrts, wo der König ihn mit seinem eigenen Schwerdte in den Kampf sendet. Hier lässt der Compnist, der Situatiom gemäss, die Cabaletta in den Worten: Qual tenero cantento etc. blos von Blasinstrumenten begleiten, um die gerührte Freude des Jünglings auszudrücken: Hr. G. war aber sehr heftig hierbey ¦ u. dgl. m. Wer seine Oper nur so im Bausch und Bogen hört, in Bausch und Bogen sich entzückt, und Bemerkungen, wie die unsrigen, für Kleinlichkeit und Pedanterey erklärt; dem haben wir freylich nichts zu sagen; und wer sagt, Hr. G. singe noch nicht lange Italienisch, den fragen wir blos: Ist es rathsam, als Gast, wo man seine Rollen wählt, in einer Sprache aufzutreten, deren man nicht mächtig ist? Dem größten Theile unsers Publicums, der diese Sprache nicht versteht, ist es nicht übel zu nehmen, wenn er über alle das hinwegsiehet: doch erbitten wir uns von ihm, es gleichfalls nicht übel zu nehmen, wenn wir dies nicht thun. Am vorzüglichsten sang Hr. G. seine Romanze, und das erste, so wie das zweyte Duett. Hr. Mieksch gab den König, den sonst Hr. Quillici hatte. Hr. Benincasa stellte den Ritter Sargino sehr schön dar, und seine herrliche Stimme triumphirte im ersten Finale, so wie in dem trefflichen Terzett des 2ten Acts. Mad. Sandrini (Sophia) zeichnete sich als Sängerin und Schauspielerin aus, und fand gerechten Beyfall, obgleich die, welche sich erinnern, wie sie diese Rolle ehemals gesungen, die Abnahme ihrer Stimme nicht verkennen konnten. Hr. Decavanti spielte den Montigny so schlecht, oder vielmehr so ganz und gar nicht, als wolle er Sophiens Wahl, selbst ehe ihr Geliebter aus seiner träumerischen Zaghaftigkeit erwacht, vor aller Welt rechtfertigen. Hr. Sassaroli war, als Pietro, Vater der Isella, leidenschaftlich, stand aber Hrn. Cipriani, der ehedem diese Rolle gab, weit nach. Dem. Hunt, als Isella, und Hr. Tibaldi, als Isodoro, waren gut. Hr. Bassi, als Regisseur, hatte keine Mühe gespart, dass das Ganze vortheilhaft herauskam, auch was Statisten und Choristen betraf: es war ihm vollkommen gelungen. Das ganze Orchester verdiente grosses Lob. – Am 17ten gab die deutsche Gesellschaft Mozarts, von ganz Europa seit langer Zeit mit grossem, gerechten Beyfall aufgenommene Entführung aus dem Serail. Man gab zwey Vorstellungen derselben, und Hr. Gerstäcker den Belmont, als dritte und letzte Gastrolle. In dieser Rolle war er an seinem eigentlichen Platze, sowol im Gesange, als im Spiele. Seine Stimme glänzte hier weit mehr, als in dem vorhergehenden, denn er liess sie hier mehr in ihrer natürlichen Sanftheit und Anmuth hören, und zeigte auch mehr Haltung durch das Ganze. Vorzüglich schön sang er im 1sten Acte die Arie: ¦ Constanze, dich wieder zu sehn! Und dennoch bezeigte sich das Publicum (obschon es ihn, wie in jenen beyden Rollen, herausrief,) nicht so entzückt und enthusiasmirt, als neulich: warum? das weiss ich nicht, und was ich vermuthe, das sag’ ich nicht. Dem. Hähnel eine Chorsängerin des Theaters, trat zum erstenmal in eine Solopartie, und zwar sogleich in der, der Constanze, auf, die doch so schwer ist, da sie einen weiten Umfang der Töne, viel Kunst des Singens, und auch, im Gesang und Spiel, innigen, lebendigen, überdies auch mannigfaltigen Ausdruck verlangt. Eben darum hätte man sie iner Anfängerin nicht geben sollen, die alles dies nicht besitzen, und besässe sie wirklich etwas davon, es aus Ungeübtheit unmöglich gehörig darlegen konnte. Indessen lief der Versuch, da das Publicum, von den Verhältnissen unterrichtet, sehr nachsichtig war, und die junge Sängerin viel mehr ermunterte, nicht eben schlimm ab. Die Stimme der Dem. H. ist von grossem Umfang, dich nicht viel Ton, und wenn sie diesen verstärken will, wird er schreyend. Ihre Organe scheinen viel natürliche Biegsamkeit zu haben, es fehlt ihnen aber noch an feiner Ausbildung. Action besitzt sie noch gar nicht, und die Methode ihres Gesanges ist auch nicht die beste. Mit alle dem wollen wir aber die junge Sängerin durchaus nicht den Muth benehmen; sondern nur sie auf das aufmerksam machen, was sie zunächst zu thun haben möchte, um eine gute, wenigstens eine sehr brauchbare Sängerin zu werden. Einen wahrhaft guten Lehrer, der ihre Uebungen mit Geist, Erfahrung und Geschmack leitet: das ist es, was wir ihr zunächst u. mit wahrer Theilnahme wünschen. Dem. Julie Zucker, als Blonde, spielte allerliebst, und sang einnehmend. Ihre Stimme ist sehr wohlklingend: zwar nicht stark, aber frisch und sonor. Die Arie im 2ten Acte war für sie wol etwas schwer: sie zog sich aber gut aus der Sache und das Publicum gab ihr den verdienten Beyfall. – Bassa Selim war Hr. Werdy; Pedrillo Hr. Wilhelmi; Osmin, bey der ersten Vorstellung Hr. Metzner, bey der zweyten Hr. Toussaint. Erster erwies sich auch hier als einen guten Komiker: letzter sang besser, ist aber kein grosser Schauspieler, und spricht auch nicht so gut, als Hr. M. – Das Ganze, auch von Seiten der Choristen, und vornämlich des Orchesters, ging, unter der trefflichen Ausführung des Hrn. Kapellm. v. Weber, sehr gut zusammen.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsberichte Dresden

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Blümer, Simon

Überlieferung

  • Textzeuge: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 20, Nr. 29 (22. Juli 1818), Sp. 524

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