Schreiben aus Prag an die Redaction des Notitzenblattes über den Zustand der Prager Schaubühne (Teil 2 von 2)
Was die Opern betrifft, so ist zu ihrer Wiedererstehung gar wenig Hoffnung. Als die teutsche an die Stelle der italienischen trat, und wir die Herren Häser, Schreinzer, Radicchi, Wagner, Grünbaum (damahls noch mit Stimme), die Damen Caravoglia-Sandrini, Müller, Bessel und Fischer besaßen, bedauerte man, daß die Oper doch durchaus keine Vergleichung mit der italienischen aushalten könne; wir verloren ein Mitglied nach dem andern, bis endlich Herr v. Weber an die Stelle des Capellmeisters Müller trat. Unter der Leitung dieses geistvollen jungen Tonkünstlers hofften wir den Phönix der Prager Oper aus seiner Asche wieder erstehen zu sehen, aber – leider hat sich die Kraft des Gesanges so ganz auf Mad. Müller-Grünbaum concentrirt, daß, wie im vorigen Jahre ein ausländisches Blatt sagte:„hier keine Oper gut gegeben werden würde, die sie nicht allein singen kann.“
Wir haben seit einiger Zeit neben dem Wallenstein auch den travestirten Äneas gesehen. Abgerechnet, daß man die Heiligthümer der Kunst nicht mit Possen besudeln sollte, so fallen einem überdieß bey der hiesigen Production des Äneas die inhaltschweren Voltaire’schen Worte ein: „Es heißt sich dem Teufel umsonst ergeben, wenn man unzüchtige Verse macht, die nicht einmahl witzig sind.“ So müssen sich hier brave Künstler, z. B. Mad. Brunetti und Herr Seewald herablassen, den Hanswurst zu machen, und sind nicht einmahl komisch. Dergleichen Sachen können durchaus nur von Schauspielern vorgetragen werden, die sich ausschließend dem niedrigkomischen Fach gewidmet haben; Personen, die den andern Tag wieder auf Kothurnen gehen müssen, können wohl auf dem Soccus des höhern Lustspiels einhertreten, aber der massive Holzschuh der Travestie wird nie an ihren Fuß passen, und der gewaltsame Effect eines solchen Stückes in der Leopoldstadt würde im Burgtheater nie hervorgebracht werden. Daher sollte jede Theaterdirection von größerer Bedeutung die goldenen Worte Schillers an die Künstler: Die Menschheit ist in eure Hand gegeben,Sie sinkt mit euch – mit euch wird sie sich heben, im innersten Herzen bewahren, und keine Mühe scheuen, um das Edlere zu gestalten, und das schaulustige Publicum zum Bessern zu führen.
Die Mitglieder unserer Bühne nehmen es noch jetzt im höhern Lustspiel und Conversationston überhaupt mit den meisten teutschen Theatern auf, wovon die herrliche Darstellung der Jäger, Hagestolzen, Elise von Valberg, Amerikaner, Graf Benjowsky, Minna von Barnhelm, Brief aus Cadix, Intermezzo, Bruderzwist, teutschen Kleinstädter, Radicalkur, die Vertrauten u. s. w. den unzweifelhaftesten Beweis geben. Gewiß findet Herr Liebich so wenig Rivalen als Oberförster, Hofrath Reinhold, Kaufmann Herb, Amtshauptmann von Valberg, Paul Werner, Hettmann der Kosaken und Bürgermeister Staar, wie seine Gattinn als Oberförsterinn, Obersthofmeisterinn, Claudia Galotti und Floß- und Fischmeisterinn Brendel. So hat jedes der vielen brauchbaren Mitglieder einen reichen Rollenkreis, und würde, wohl angewandt und nicht von schlechten Gehülfen herabgezogen, gewiß noch mehr leisten, als es jetzt leistet.
Wenn gleich das Publicum Iffland nicht mehr so wie ehemahls goutirt – worüber ich nicht so sehr als manche Jüngere entzückt bin, weil meistens die Stücke, welche ihn ersetzen, weit hinter den seinigen zurück stehen, und die neuere Zeit nicht fruchtbar ist: – warum nimmt man nicht Zuflucht zu den vortrefflichen ältern Stücken eines Schröders oder Jünger? Es ist wahr, daß manche Werke des letzteren nicht sehr besucht werden, und dieß, weil wir theils seiner Form entwöhnt sind, theils, weil ihr Dialog mit der Mode des Tages im Widerstreite steht; aber beyden wäre leicht abgeholfen. Jüngers Dialog zu modernisiren, ist leicht und das Publicum wieder an seinen echten, arglosen Humor zu gewöhnen, könnte doch wahrlich nicht schwerer seyn, als ihm den Äneas aufdringen, der anfangs – zur Ehre der Prager sey es gesagt – doch nicht recht behagen wollte.
Nun zum Schlusse ein Paar Worte über das hiesige Publicum, welches bey vielen guten Eigenschaften, besonders musikalischem Geschmack, doch ein Paar sehr böse Angewohnheiten in der Spende seiner Gunst und Ungunst hat. Pfeifen ist polizeywidrig; Pochen, welches anderswo als Surrogat des erstern gebraucht wird, ist bey uns eine Gunstbezeugung; nur ein Zeichen des Mißfallens ist dem Publicum geblieben, und dieses scheint es auch vertheidigen zu wollen – das Zischen. Wahrhaftig, wenn Jemand sich die Ungnade der Lauten im Volke zuzieht (was oft durch Dinge geschieht, die durchaus nicht in die Welt der Kunst gehören) und wird einmahl von den Unbefangenen applaudirt, so scheint sich das Parterre in ein Volk von Schlangen zu verwandeln, um den verdienten Beyfall hinwegzuzischen. Der Beyfall wird oft auch unzweckmäßig genug vertheilt, und die lobenswerthe Ermunterung für den Anfänger äußert sich hier oft auf eine so ungestüme Art, daß für den vollendeten Künstler durchaus keine Steigerung mehr übrig bleibt, und dieser, mit jenem gleich belohnt, mit dieser Spende unzufrieden bleibt. Ein noch größerer Mißbrauch ist der Muthwillen, Personen, welche mißfallen haben, hervorzurufen, um sie dann auszulachen. Ist der Schauspieler nun nicht von aller Scham und Selbstkenntniß entblößt, so muß ihn ein solches Verfahren auf’s schmerzlichste verletzen; ist er thöricht genug, den bittern Spott nicht zu begreifen, und ihn wohl gar für den Triumph seiner Kunst zu halten, so wird er vollends inkurabel, und auf jeden Fall entsprechen alle diese Äußerungen des Beyfalls und Mißfallens ihrem wahren Zweck keineswegs. – Nehmen Sie diese meine Betrachtungen gütig auf, und wenn Sie glauben, daß selbe einigen Nutzen stiften könnten, so theilen Sie solche Ihrem Publicum gefälligst mit.
Prag den 24. Sept. 1815. B – i.
Apparat
Generalvermerk
vgl. Beginn des Artikels sowie die Reaktion der Theaterdirektion (Liebich), die diese lt. Tagebuch vom 23. Oktober 1815 unter Beteiligung Webers verfasste
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Frank Ziegler
Überlieferung
-
Textzeuge: Der Sammler. Ein Unterhaltungsblatt, Jg. 7, Nr. 122 (12. Oktober 1815), S. 508