Gutachten über die Auseinandersetzungen zwischen Brühl und Spontini (1824)

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Geschäftserzählung

I. Der H. Graf vBrühl übersendet Anfang April dem GMD Spontini die Oper Eurianthe und begehrt deren Annahme, mit der Bemerkung, daß wohl bei diesem Werk die sonst übliche Prüfung seines inneren Werths als überflüssig wegfallen könne.

H. Spontini nimmt die Forderung des Grafen nicht an und sendet ihm die Oper mit einem höchst unehr[er]bietigen Schreiben zurück.

Der Graf, der stets wachsenden Unehrerbietigkeiten des H. S. müde, nimmt von dieser letzten Unehrerbietigkeit Anlaß sie höheren Orts zur Sprache zu bringen, und begehrt seine Entlassung, um mit dem p. S. außer Berührung zu kommen.

Des Königs Majestät verweigern die Dienstentlassung des Grafen und verweisen dagegen den Gr. hinsichts des seinen Schritt veranlassenden Beschwerdegrundes und zur Erledigung desselben an seine vorgesetzte Behörde den F. Witgenstein.

Der Frst vW. hat diesen Beschwerdegrund noch nicht untersuchen, und in der Sache noch nicht entscheiden lassen können; als
II. In den Zeitungen eine Verhandlung der Gen:[eral] Musikdirektion erscheint, bestehend A., in einem Schreiben des H. S. an die andern Mitglieder in welchem er diese zur Beglaubigung des Inhalts dieses seines Schreibens durch ihre Namensunterschrift auffodert, und B., in dieser Beglaubigung durch Namensunterschrift der Mitglieder. Der Inhalt des Schreibens A. war hauptsächlich 1. daß H. S. bereits vor mehreren Monaten der Direction den Plan mitgetheilt habe die Oper Eurianthe, Jessondanda pp in Scene zu setzen. 2. daß er unterm 7 Apl. gleich nach Eingang der Partitur v[on] Eurianthe dieselbe dem H Kapellmeister Seidel zugestellt u ihn beauftragt habe sich mit derselben zu beschäftigen, Proben u Vorstellung zu dirigiren. – 3. daß er gleichzeitig den Regisseur H. Blume Instruction über die Eurianthe gegeben. – 4. daß er dieselbe unverzüglich dem H. Gf. Brühl übergeben indem er sie nicht der durch die Königℓ. Dienstinstruction befohlenen Prüfung unterwerfen wolle, weil der Name des Componisten den Werth des Werkes verbürge. – 5. dies alles verlange er beglaubigt, damit es als Beschluß der Gen[eral] Musik Direction dem Gf Brühl (aus Beweggründen welche dem H Grafen bekannt wären) mit der Bitte zugesendet werden könne, höheren Orts die Bestätigung eines Verzeichnisses aufzuführender Opern einholen zu wollen.

Dieser Zeitungs Artikel mußte von den vorgesetzten Behörden, Gf Brühl u Fst Witgenstein aufgenommen werden 1. wegen der ad I vorangegangenen Umstände. 2., als eine Dienstverhandlung, die nicht zur öffentlichen Kunde des Publikums, sondern zur Beförderung auf dem Weg des Dienstes bestimmt ist, und nie ohne Genehmigung der höheren vorgesetzten Behörden publicirt werden darf. – 3. wegen der | darin enthaltenen Unwahrheiten, die aus den ad I bekannten faktischen Widersprüchen mit dem hier publicirten klar hervorgiengen und dengenannten beiden Behörden bekannt waren.

Daher bringt Gf Brühl auf gleichem Weg zur deutlichen Kenntniß, daß jene Bekanntmachung nicht mit Vorwissen und Bewilligung der Behörden geschehen ist, und mehrere Unrichtigkeiten enthält*. – Dem Fst Witgenstein fällt nunmehr Untersuchung und Bestrafung des Spontini anheim, weil er seinem foro unterworfen ist; dem Gf Brühl dagegen Untersuchung der Mitunterschriebenen, weil sie seiner Gerichtsbarkeit untergeben sind.

Diese letzte Untersuchung ist bereits eingeleitet, ihr gieng voran, eine mündliche und schriftliche Erklärung des H. S. an den Gf Brühl, in welcher er dem H Gf auf dessen Befragen: Wie der bewuste Artikel in die Zeitungen gekommen? auf sein Ehrenwort versichert, er wisse es nicht, er habe es nicht einrücken lassen. – Durch die Zeitungsredaktionen wurde dagegen ermittelt, daß ein H. G:* den Artikel von H Spontini empfangen und in dessen Auftrag hatte einrücken lassen.

Die gerichtliche Untersuchung, vom Gf B. gegen die seinem foro unterworfenen Glieder der Musikdirektion ergab im Wesentlichen A. daß jene Herrn die Verhandlung auf H Sp. Wunsch unterzeichnet hatten, ohne jedoch deren Inhalt gehörig zu prüfen.

B., daß Sie nicht von der beabsichtigten Publikation desselben unterrichtet waren; vielmehr als sie dieselbe erfuhren, den H S darüber zur Rede stellten, der ihnen zu wiederholten malen in einer langen Rede seine Ehre verpfändete daß diese Publikation ohne sein Wissen u Willen erfolgt sei.

C, daß als sie eine Erklärung in die Zeitung gesendet hatten in welcher sie sich von allen Antheil an jener Publikation lossagten, H S. sie zur Zurücknahme dieses Artikels durch die Erklärung bewogen habe: jene Publikation ihrer Verhandlung sei auf höhere Veranlassung durch eine Personne d’importence, qui faisait Trembler les ministres, in die Zeitungen aufgenommen worden.

D., daß der Inhalt der mehr erwähnten Publicirten Verhandlung größtentheils falsch sei; indem ad 1. H S weder vor mehreren Monaten noch überhaupt in ihren Conferenzen ihnen den Plan zur Aufführung der Eurianthe mitgetheilt habe. ad 2. daß H Seidel niemals | die Partitur der Eurianthe vom H S. zugestellt erhalten noch vielweniger Aufträge zur Aufführung pp erhalten hat. – ad 3. daß H Blume nie einen officiellen Auftrag über diese Oper erhalten hat. – ad 4., daß H S. dem Gf Brühl die Partitur übergeben u. daß er keine Prüfung damit anstellen wolle, weil des Componisten Name Bürgschaft für die Güte des Werks sei; ist aus der ad I erwähnten Correspondenz zwischen ihm u dem Gf Brühl hinlänglich als falsch widerlegt.

Was nun erfolgen müßte.

Diesem allen, müßte nunmehr die durch den F Witgenstein gegen den H Spontini einzuleitende gerichtliche Untersuchung folgen*. und zwar.
1. ad I wegen Unehrerbietigkeit gegen seinen Vorgesetzten den GeneralIntendanten Gf Brühl.
2. ad II. 1.) wegen Publikation einer Dienstverhandlung, durch öffentliche Blätter, die nur an die vorgesetzten Behörden zu richten ist.
3. ad II. 2.) wegen Publikation in den Zeitungen, ohne vorher eingeholte Bewilligung der vorgesetzten Behörden.
4. ad II. 3.) Wegen der darin enthaltenen Unrichtigkeiten, darin bestehend:
(1.) vor Monaten den Plan zur Aufführung der Eurianthe gefaßt u der Musikdirektion vorgetragen zu haben. – welches diese in Abrede stellt.
(2.) dem Kapellmeister Seidel die Partitur u Aufträge zur Aufführung übergeben zu haben – welches dieser in Abrede stellt u beweist.
(3.) dem Regisseur Blume gleiche Aufträge gegeben zu haben.
(4.) dem H Gf Brühl die Partitur übergeben zu haben ohne sie prüfen zu wollen weil der Name des Componisten Bürge für den Werth des Werkes sei, – welches durch des S. Brief an den Gr. ad I widerlegt wird.
5. Wegen des falsch gegebenen Ehrenworts an den Vorgesetzten u seine Collegen, die Publikation der Verhandlung nicht veranlaßt zu haben.
6. Wegen Mißbrauchen und Belügen seiner Collegen in dieser Ganzen Angelegenheit.

Apparat

Zusammenfassung

Gutachten zu den Auseinandersetzungen Brühls mit Spontini die Aufführung der „Euryanthe“ betreffend

Incipit

I. Der H. Graf vBrühl übersendet Anfang April

Generalvermerk

Zur Einordnung des Dokuments vgl. Weberiana 21 (2011), S. 7–36

Entstehung

1824

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Geheimes Staatsarchiv – Preußischer Kulturbesitz (D-Bga)
    Signatur: VI. HA Familienarchive und Nachlässe, Rep. 92 Schilden VIIIb, Nr. 1, Bl. 1r–2r

    Quellenbeschreibung

    • e. Entwurf [eigenhändig]; Bl. 2v leer

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Weberiana 21 (2011), S. 17–20

    Einzelstellenerläuterung

    • Jessondandarecte „Jessonda“.
    • „… ist, und mehrere Unrichtigkeiten enthält“Vgl. Reaktion Brühls in der Königlich privilegirten Berlinischen Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 174 (15. Mai 1824).
    • „… ermittelt, daß ein H. G:“Nach Weberiana 21 (2011), S. 19 handelte es sich vermutlich um Friedrich Wilhelm Gubitz.
    • „… Spontini einzuleitende gerichtliche Untersuchung folgen“Zu einer gerichtlichen Untersuchung kam es nicht; vgl. den Brief von Fürst zu Sayn-Wittgenstein an Minister von Schuckmann vom 13. Mai 1824.

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