Rätsel um die Uraufführung des Peter Schmoll

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Die Anfrage eines Nutzers unserer Homepage ist Anlass, einmal die problematische Quellenlage zur Uraufführung von Carl Maria von Webers dritter Oper in den Blick nehmen. Der einzige verbindliche Hinweis diesbezüglich ist eine Aussage des Komponisten in seiner 1818 verfassten Autobiographie: Der 1801 komponierte Peter Schmoll wurde demnach „in Augsburg aufgeführt ohne sonderlichen Erfolg, wie natürlich.“ An dieser Angabe muss wohl nicht gezweifelt werden, jedenfalls konnten alle in derselben Quelle gemachten Angaben zu den Aufführungen des vorhergehenden Bühnenwerks, Das Waldmädchen, inzwischen durch Quellenfunde untermauert werden, auch die lange Zeit angezweifelten Aufführungen in Prag und St. Petersburg.

Weber wies in seiner Autobiographie auf zwei positive Gutachten zum Schmoll hin, die im Gerber’schen Lexikon der Tonkünstler (2. Ausgabe, Teil 4, Sp. 526) publiziert worden waren: In einem der Zeugnisse, das Webers Lehrer Michael Haydn am 2. Juni 1802 verfasst hatte, ist von einer „freundschaftlichen Probe“ des Werks am Tag zuvor (also am 1. Juni 1802) in Salzburg die Rede. In welcher Form die Oper bei dieser Vorabaufführung erklang – ob mit Klavier- oder (reduzierter) Orchesterbegleitung, sicherlich konzertant – bleibt unklar. Da Haydn im selben Zusammenhang Weber als „ausgezeichnet starke[n] Klavierspieler“ rühmt und die Instrumentierung nicht thematisiert, scheint eine Klavierprobe naheliegend. Zudem ist in dem ebenso bei Gerber zitierten, gleichfalls auf die Probe vom 1. Juni 1802 bezogenen Zeugnis von Joseph Otter lediglich von „mehrere[n] Musikstücke[n] aus der Oper“ die Rede; offenbar erklangen also nur Auszüge aus dem Werk.

Doch zurück zur tatsächlichen Uraufführung: sie bot vielfach Anlass für Spekulationen. So brachte Max Maria von Weber sie mit der am 17. Oktober 1802 beginnenden Wintersaison am Augsburger Theater in Zusammenhang und mutmaßte, Edmund von Weber könne bei der Vermittlung des Werks eine Rolle gespielt haben1. Allerdings irrte er bezüglich der biographischen Daten Edmunds: Der war tatsächlich am Augsburger Theater tätig, aber nicht mehr 1802/03, sondern lediglich von 1790 bis 17922. Von wem Max Maria von Weber die Information erhalten hatte, dass Peter Schmoll in Augsburg, „wenn nicht alles trügt, im März 1803 in Scene ging“, bleibt sein Geheimnis. In seinem Lebensbild Carl Maria von Webers heißt es weiter, die Darstellung sei „ohne jeglichen Erfolg [geblieben], denn weder die Akten des städtischen Theaters, noch die Erinnerungen einiger sehr alter Herren, die der Aufführung beiwohnten[!], wissen irgend etwas von einem solchen zu berichten“3. Der Komponisten-Sohn nennt im Vorwort seiner Weber-Biographie als seinen Augsburger Gewährsmann den 1807 geborenen Georg von Forndran4, der von 1847 bis 1866 Bürgermeister der Stadt war. Der dürfte seinerseits ältere Augsburger nach der Aufführung befragt haben, wie verlässlich deren Erinnerungen allerdings nach mehr als einem halben Jahrhundert waren, bleibt mehr als fraglich.

Friedrich Wilhelm Jähns äußerte sich im Werkverzeichnis von 1871 wesentlich vorsichtiger: Die Uraufführung könnte „in die erste Hälfte von 1803 fallen, wenn die Voraussetzung richtig [ist], dass W.[eber] u. dessen Vater bei ihrer Gegenwart in Augsburg von Dez. 1802 bis etwa Ende Juli 1803 die Ausführung betrieben haben dürften“5. Jähns bemühte sich mehrfach, ein genaues Premierendatum zu ermitteln; er wandte sich in dieser Angelegenheit beispielsweise (vergeblich) an den Augsburger Verleger Anton Böhm6. Da der Libretto-Erstdruck von 1802 (ein Arienbuch ohne Dialoge)7 nicht in Augsburg, sondern in München erschienen war, versuchte er auch dort sein Glück – wiederum erfolglos8.

Erst in die Nachträge zu seinem Weber-Werkverzeichnis konnte Jähns Informationen von Hans Michel Schletterer und Friedrich August Witz aufnehmen9, freilich sind diese nicht miteinander in Einklang zu bringen: Während Schletterer in seiner Libretto-Ausgabe bei Breitkopf & Härtel von 1879 (wohl unter Bezugnahme auf Max Maria von Weber) behauptete, der Schmoll sei „im März 1803 von der Vanini’schen Gesellschaft zur Darstellung gebracht“ worden10, ordnete Witz in seiner Augsburger Theatergeschichte von 1876 die Uraufführung ebenfalls der Gesellschaft der Direktorin Maria Vanini zu, gab deren Spielzeitbeginn allerdings zutreffend mit 21. Oktober 1803 an11. Zwischen Oktober 1802 und Frühjahr 1803 spielte in Augsburg hingegen die Gesellschaft von Johann Ludwig Büchner12. Schletterer irrte also mit der Angabe der Theatertruppe, Witz seinerseits aber offenbar mit der Datierung, denn die Spielzeit im Winter 1803/04 gehört zu den am besten dokumentierten des Augsburger Theaters zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Ein gedrucktes Journal überliefert den kompletten Spielplan, und darin findet sich keinerlei Hinweis auf Webers Oper13. Witz lag für seine Publikation noch eine zusätzliche, heute verschollene Quelle vor: „ein kleines handschriftliches Büchlein [… enthaltend] genaue Verzeichnisse sämmtlicher Theater-Direktoren und ihrer Gesellschaften von 1769 an bis 1823“14. Dieses „theatr. Tagebuch“ hatte ihm der Rollen-Kopist und Gallerie-Billeteur Fischer überlassen, der von „1769 bis in die [18]30ger Jahre […], wo er schon halb blind war“, dem Augsburger Theater angehört hatte15. Allerdings bleibt fraglich, ob die Schmoll-Aufführung in diesem Manuskript tatsächlich vermerkt war; in seinem Hinweis auf die Oper bezog sich Witz nicht ausdrücklich darauf, sondern ausschließlich auf die Aussagen von Webers „Biograf[en]“, also Max Maria von Weber16.

Max Herre, der sich im Rahmen der Augsburger Stadttheater-Festschrift von 1927 erneut mit dem Schmoll befasste, ordnete die Uraufführung etwa Anfang 1803 ein17 und widerlegte seinerseits ausdrücklich die Datierung durch Witz18. Alle erneuten Versuche in jüngerer Zeit, in den Theater-Dokumenten des Augsburger Stadtarchivs und den Beständen der dortigen Staats- und Stadtbibliothek zusätzliche Indizien zu ermitteln, blieben erfolglos: Keine Theaterzettel, keine Einträge in ein Spielzeit-Journal, keine Zeitungsannoncen, keine Aktennotizen zur Augsburger Schmoll-Produktion ließen sich bislang ermitteln.

So muss man wieder zum Stand des Weber-Werkverzeichnisses von 1871 zurückkehren: Der Aufenthalt Carl Maria von Webers in Augsburg (von Dezember 1802 bis ca. Juli/August 1803) ist als Zeitrahmen für eine Aufführung des Peter Schmoll in Augsburg mit größter Wahrscheinlichkeit in Erwägung zu ziehen19. Aktivitäten zur Vorbereitung einer Aufführung gab es freilich schon 1802, darauf deutet nicht nur der Münchner Textdruck aus diesem Jahr hin, sondern ebenso der Hinweis auf die erwogene Widmung des Werks an die Hamburger Kaufmannschaft vom August 180220 und der Verkauf des Stimmenmaterials nach Coburg im November 180221. Bleibt zu hoffen, dass auch dieses Weber-Rätsel in absehbarer Zeit durch den Fund einer neuen Quelle gelöst werden kann.

Einzelnachweise

  1. 1Vgl. MMW, Bd. 1, S. 68.
  2. 2Vgl. Weberiana 18 (2008), S. 14f. und 20 (2010), S. 199.
  3. 3Vgl. MMW, Bd. 1, S. 73.
  4. 4Vgl. ebd., S. XVI.
  5. 5Vgl. Jähns (Werke), S. 43.
  6. 6Vgl. seinen Fragebogen mit Böhms Antworten vom 20. März 1865.
  7. 7Ein Exemplar hatte Hans Michel Schletterer 1879 Jähns geschenkt (vgl. den Brief vom 22. Mai); heute D-B, Weberiana Cl. VI [Kasten 1], Nr. 1.
  8. 8Vgl. die Briefe von Carl Baermann vom 16. Juni und 9. Oktober 1879.
  9. 9Vgl. die Teilpublikation der Nachträge, S. 54f. Jähns nimmt darin auf eine briefliche Mitteilung von Witz vom 13. Oktober 1878 Bezug, gibt deren Wortlaut allerdings nicht genau, sondern nur sinngemäß wieder.
  10. 10Vgl. Schletterers Vorbemerkung zur genannten Ausgabe (Breitkopf & Härtel’s Textbibliothek Nr. 94), S. 3.
  11. 11Vgl. F. A. Witz, Versuch einer Geschichte der theatralischen Vorstellungen in Augsburg. Von den frühesten Zeiten bis 1876, Augsburg [1876], S. 63. Während der Augsburger Winterspielzeit 1803/04 hielt sich Carl Maria von Weber allerdings nicht mehr in Augsburg, sondern in Wien auf.
  12. 12Stadtarchiv Augsburg, Bestand Theater und öffentliche Productionen, Fasz. IIa, Nr. 5 (1801–1806), darin Nr. 7 (1802): Erteilung der Spielerlaubnis für den Winter 1802/03 (ohne Hinweise auf den Peter Schmoll).
  13. 13Vgl. Carl Eduard Rosenberg, Theater-Journal. Dem hohen und gnädigen Adel und dem [sic] verehrungswürdigen Gönnern und Freunden des Theaters in aller Unterthänigkeit gewidmet, [Augsburg 1804]; freilich endet dort der Spielplan mit dem 25. April 1804 (Witz behauptet in seiner Theatergeschichte hingegen ein Spielzeitende am 2. Mai). Theoretisch bliebe also noch die Möglichkeit, dass die Schmoll-Uraufführung um den Monatswechsel April/Mai 1804 stattfand. Leider ist zur Augsburger Spielzeit 1802/03 noch kein entsprechendes Journal aufgetaucht.
  14. 14Witz (wie Anm. 11), S. IVf.
  15. 15Ebd., S. 213.
  16. 16Ebd., S. 63 (damit kontrastiert freilich, dass Max Maria von Weber die Aufführung im März 1803 annimt, Witz dagegen nicht vor Oktober 1803).
  17. 17Vgl. Max Herre, „Aus der Geschichte der Oper“, in: Das Stadttheater Augsburg. Festschrift zum fünfzigjährigen Bestehen, hg. von Max Herre, Augsburg 1927, S. 110 (auch er stellte fest, dass zu dieser Zeit kein Hinweis auf Edmund von Webers Zugehörigkeit zum Augsburger Theater bestünde).
  18. 18Vgl. ebd., S. 112.
  19. 19Auch Alfred Lorenz, der Herausgeber des Peter Schmoll in der ersten kritischen Weber-Edition (Carl Maria von Weber. Musikalische Werke, 2. Reihe, Bd. 1: Jugendopern, Augsburg, Köln 1926) vermutete im Vorwort seiner Ausgabe (S. IX), dass die Uraufführung im Zeitraum „von Dezember 1802 bis etwa Ende Juli 1803 […] vor sich ging“.
  20. 20Vgl. die Notiz in der Zeitung für die elegante Welt vom 26. August 1802. Eine möglicherweise erhoffte Aufführung in Hamburg kam nicht zustande; lediglich in Webers dortigem Konzert am 30. Oktober 1802 erklang ein TerzettT.
  21. 21Vgl. Webers Brief an Ignaz Susan vom 30. Juni 1803; eine Aufführung des Werks in Coburg konnte nicht ermittelt werden und ist auch unwahrscheinlich, da das nach Coburg gesandte Paket mit Partitur und Textbuch des Werks ungeöffnet an Weber nach Augsburg zurückgesandt wurde.

Frank Ziegler, Donnerstag, 20. August 2020

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