Carl Maria von Weber an Johann Gänsbacher
Prag, Samstag, 20. Januar 1816

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Mein theurer Freund und Bruder!

Der erste freye Abend gehört dir, dem ich so lange Nachricht schuldig und der das gegründeteste Recht hätte sehr böse zu sein, wenn er nicht wüste daß man mit der innigsten Liebe an Jemand denken kann ohne den Augenblik haschen zu können ihm es auch zu sagen. ich bin der Alte, und, – keine andre Ursache hielt mich ab dir früher zu schreiben als der Drang der Dinge, wie du gleich selbst beurtheilen wirst können da ich dir vom Tage deiner Abreise an berichten will. der 6t 8ber entriß dich mir, und unbeschreiblich war die Lükke die ich in meinem Leben fühlte; du weißt meine Stimmung von außen und wie kräftig du mich empor hieltst. kaum warst du fort so ekkelte mich meine Arbeit an, bey jedem Takte wollte ich dich fragen, und überall fehltest du mir.      d: 7t erhielt ich nach langer Zeit einen sehr lieben Brief von Meyerbeer worinn er mir viel von seinem leben und Treiben in Paris schreibt, welches er wohl unterdeßen auch dir gethan haben wird. die Proben von seiner Oper Alimelek giengen Ihren Gang. mancherley DienstGeschäfte häuften sich, ich muste zu einem Stük von Gubiz 3 Lieder mit Orchester componiren, hier aufführen* und nach Berlin schikken. d: 13t dann faßte ich eine neue Idee aufs Publikum zu wirken*, und schrieb beyliegende Aufsäzze die ich seitdem bei jeder neuen Oper fortsezteT. d: 22t war zum Erstenmale Alimelek. getheilter Beyfall anfangs d: 24t wiederholt, und mit Enthusiasmus aufgenommen, und seitdem immer beliebter seit jeder Vorstellung. Wie innig mich das freute, des braven Kerls Ehre, den Wienern zu Troz* gerettet zu haben, kannst du dir denken, und wie viel ich nun zu schreiben hatte, um Wohlbrück, ihm, und seinen Eltern zu referiren. dann schrieb ich auch einen Aufsaz in die Musikalische Zeitung darüber. du siehst daß ich nicht müßig war. d: 27t kam Minette an die ich d: 28t besuchte, und ganz das kluge gute Wesen wiederfand was wahrer Theilnahme so fähig ist. seitdem bin ich alle Montage ihr KostGänger, und außerdem komme ich selten dazu sie zu sehen, da meine Arbeiten sich immer mehr häufen.      d: 8t 9ber erhielt ich deinen Brief vom 27t 8b der mich in die gröste Betrübniß versezte, indem ich mich aus eigener Erfahrung nur gar zu lebhaft in deine Lage versezzen konnte*.      So gerne hätte ich dir meine innigste Theilnahme ausgesprochen, und, – sonderbar, ich konnte die Stimmung dazu nicht finden. ich saß manchmal am Schreibtische mit dem Vorsazze dir zu schreiben, und immer stierte ich Gedankenvoll das Papier an, bis die Zeit verfloß und ein anderes Geschäft mich abrief.      Bey allen deinen Freunden machte es großen Eindruk, nur waren die Grade sehr verschieden. am meisten fühlte es wohl M: dann vielleicht P: und zulezt Angst. — —      einigen Trost gab mir der glükliche Erfolg deiner hiesigen Geschäfte, die Zufriedenheit deiner Vorgesezten und die Beschäftigung und Zerstreuung die ich daraus entspringen sah.      Arbeit und Zeit – was heilen diese nicht. – um diese Zeit war ich sehr unwohl und fürchtete eine Krankheit, aber es verlohr sich Gottlob wieder.      d: 12t componirte ich eine Ballade in ein Trauerspiel von Reinbek, die viele Wirkung machte und sehr gefiel. H: Ehlers sang sie recht brav*. mancherley Erklärungen habe ich seitdem mit ihm gehabt*, in Gegenwart Liebichs, und nun ist die Sache endlich beruhigt, und wir gehen mit einer politischen Höflichkeit umeinander herum. und mögen uns beyde nicht. es ist ein gemeiner Kerl. nun sizt er täglich bey der Mlle Böhler.      Glük zu.      d: 13t bekam ich einen Brief von Liebich, worinn er mir anzeigt das er vom Gubernium eine Ausstellung bekommen hätte, daß er seit 3 Jahren nichts für die Oper gethan hätte, ich | schrieb darauf eine Antwort von der ich wünschte daß du sie lesen könntest. – darauf erfolgte nichts mehr als mündliche Entschuldigungen pp ich sey ja nicht gemeint gewesen. pp      ist es nicht unendlich kränkend, an einem Orte wo man alles gethan hat, Zeit, Kopf und Gesundheit opferte, alles so verkannt zu sehen, ja noch dazu Vorwürfe zu bekommen? dieß besiegelt noch meinen Entschluß Prag auf jeden Fall zu verlaßen. – Nun fiengen die KonzertGeber an sich zu melden, und ich überlegte daß es gut sey mein Concert so bald als möglich zu geben, faßte also d: 26t November den mächtigen Entschluß den 22t December meine Cantate aufzuführenT. da war keine Minute Zeit zu verliehren. dann herausschreiben, probieren pp was frißt das alles für Zeit. ich arbeitete also in voller Anstrengung und auf einmal wieder mit Lust alle Nächte bis 2-3 Uhr und wurde richtig d: 18t Xb: fertig. bey meinen vielen DienstGeschäften und Proben war das gewiß eine RiesenAufgabe.      alles übrige blieb natürlich liegen. dieß Schiksal traf auch deinen lieben Brief vom 10t Xber den ich den 16t erhielt, und der mich recht erquikkend erfreute, da du mich darinn selbst so liebevoll entschuldigst, wenn meine Cantate mich abhielte dir zu schreiben. nur das that mir weh daß du glauben konntest ich hätte etwas gegen dich, du dummes      , da würde ich schreiben, schimpfen, aber nicht schweigen.      Wie beneide ich dich um die Freude Bärmann und die Harlas bey dir gehabt zu haben*.      daß sie glüklich in Venedig angekommen sind, weis ich, aber noch nicht wie ihr Debüt* ausgefallen, ich zittre beinah für Sie.      Wie ist deine alt neue Cantate ausgefallen und gegangen?*      Haas ist ein Hund, und alles mahnen hilft nichts. Schleßinger, lehnte aus Mangel an Arbeitern zuerst deine Lieder pp ab*, in seinem lezten Briefe aber, verspricht er sie nun bald zu nehmen und dann das Honorar zu berichtigen. ich werde an ihm treiben und dann dir es melden.

Was den Hosenträger betrifft, so errinnere ich oft genug daran, und ich glaube er ist wirklich in der Arbeit*. — d: 22t 9ber war Johann von Wieselburg, Parodie des Joh: v: Paris, und fiel gänzlich durch, obwohl H: Ehlers darin paradirte*.      d: 30t gab Sieberts Concert und nahm 11 -1200 ƒ ein. d: 8t Xber gab Mad: Czeka Concert und machte eben so viel. d: 15t gab Sellner und Janusch Concert eben so. d: 22t endlich kam mein ConcertT. und war – schlecht, den[n] für mich, und etwas so neues als ich gab sind 900 ƒ wohl eine LumpenEinnahme.      ich gab Simph: g moll Mozart*. dann sang die Grünb: eine Arie, trefflich. dann spielte ich mein Concert. dann die Cantate die ¾ tel Stunden spielt. sie gieng vortrefflich voll Feuer und Leben, und Niemand fehlte als du um es ganz zu genießen. ich habe mich Gott lob in keinem Effekt betrogen, und ich glaube du würdest mit dem Ganzen zufrieden sein, denn es ist noch manche glükliche Idee hinein gewachsen. bey der SchlußFuge standest du immer in Gedanken vor mir*, und ich meyne mein Geist müste dich den Abend umweht haben. zulezt pakte es denn auch das kalte Volk, und sie musten loslegen | sie mochten wollen oder nicht.      ich habe wirklich viele Feinde hier. der Teufel weis warum. ich will doch nur das Gute und lege Niemand etwas in den Weg.      aber freylich bin ich kein Speichellekker und unterthäniger Diener.      was ich für elende Urtheile vom hohen A:[del] durch M: erfuhr, ist unglaublich. das alles verbittert einem doch das Leben.      d: 26t war zum 1t male die Oper von Weigl, Peter der Grosse, mißfiel wegen ihrer Fadheit mit Recht.      nun wollte ich dir ernstlich schreiben, da kam Fränzl d: 1t Januar an, wohnte bey mir, ich muste ihm alles besorgen, ihn überall aufführen, Concert arrangiren pp das er d: 12t gabT und d: 15t abreiste.      d: 11t Januar zum 1t male zum Benefice der Grünbaum Joconde und gefiel. urtheile also wie ich beschäftigt war, und habe Nachsicht mit deinem armen geplagten Bruder. und nun muß ich ausschn[a]ufen von dem langen Referat.

Es ist wirklich zuweilen toll wie alles zusamen kommt. z. B: der Theater Copist Petrarsh ist zum sterben und kann nicht mehr schreiben es kam also so weit, daß ich ein paar Nächte opfern muste um die BlasInstrumente des 2t Aktes von Joconde herauszuschreiben*, um den Gang der Opern nicht aufzuhalten. —

Was meine Stimmung betrifft lieber Bruder, so ist sie noch immer die seltsamste von der Welt, voll Liebe für das Wesen von dem mir mein Kopf täglich sagt daß eine Verbindung mit ihr, uns beyde in der Folge unglüklich machen muß. – doch habe ich so viel Faßung errungen arbeiten zu könen. und denk mit Ernst an die großen Vorarbeiten zu meiner Reise.      unter dem Siegel des tiefsten Geheimnißes von dem Niemand etwas weis, muß ich dir sagen daß man mir Anträge von Berlin aus gemacht hatT. kannst du wohl glauben daß sie mir mehr Schmerz als Freuden machten? sollt ich da ein solides Brod erhalten und nicht und dadurch alle Hinderniße eine Frau zu ernähren gehoben sein, und ich biete nicht meine Hand dar, so kann ich nicht umhin mich für eine Art von schlechtem Kerl anzusehen, obwohl mein innerstes Gewißen und Ueberzeugung mich frey spricht. es ist ein ewiges Labyrinth, ich laße alles der Zeit über und hoffe daß sie die Sache beßer aus einander wikkeln wird als ich es kann.      am liebsten wäre mir eine große lange Reise, weit in die Welt so gleichsam von mir selbst fort beynahe. bedaure mich, und rathe wenn du kannst. aber ich wiederhole es dir Niemand weiß von der Sache. — —

Beyliegender Brief von P: ruht schon 14 Tage bey mir.      ich gebe nun täglich beynahe 3 LectionenT, meinem Schüler Freytag, der Gräfin Swerts und der Fr: v: Lämel, die du als Seeligman vielleicht aus Mannheim dich errinnerst.      ich bin wirklich recht fleißig; das ist doch etwas.      Man ahndet es hier daß ich weggehen will doch weiß es niemand gewiß, und ich werde mich hüten es vor dem Termin Ostern laut werden zu laßen. ich hoffe daß sie in der Folge meinen Verlust fühlen werden. jezt sind sie das Gute gewohnt und meinen es müste so sein.

     Nun gute Nacht, geliebte Seele; Lina hat mir | aufgetragen dich aufs herzlichste zu grüßen. Sie hält große Stükke auf dich, und spricht mit Enthusiasmus von deinem Gesang, – ich gehe in mein Bette in dem ich gewöhnlich jezt die halbe Nacht schlaflos zubringe. die vielen Nachtarbeiten haben mich sehr angegriffen. item. Schreibe mir bald wieder, und laße mich keine Repressalien fühlen. Gott erhalte dich Gesund, und mir deine Liebe. ewig deinem dich unveränderlich treu liebendsten Bruder Weber

NB: die Zeitungsblätter schikke dann wenn du sie gelesen hast, an Gottfried Weber in Mainz. ich habe keine mehr, und habe ihn an dich verwiesen. vergiß es ja nicht

Editorial

Summary

berichtet über seine Tätigkeit seit Anfang Oktober 1815; berichtet über Erfolg des Alimelek in Prag und seine publizistischen Versuche dazu; erwähnt verschiedene Kompositionen; klagt über Ärger und Undankbarkeit in Prag; Austausch über gemeinsame Bekannte (u.a. Meyerbeer); berichtet über Konzerte in Prag, u.a. sein eigenes Konzert mit Aufführung der Sieges-Kantate; betr. Caroline Brandt; teilt unter dem Siegel der Verschwiegenheit seinen Ruf nach Berlin mit

Incipit

der erste freye Abend gehört dir, dem ich so lange

Responsibilities

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Tradition

  • Text Source: Wien (A), Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Archiv (A-Wgm)
    Shelf mark: Weber an Gänsbacher 37

    Physical Description

    • 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.)
    • am unteren Rand Bl. 2v Echtheitsbestätigung von F. W. Jähns (Tinte): “Eigenhändig von C. M. v. Weber.”

    Corresponding sources

    • Nohl 1867, S. 246–250 (Nr. 36)

Text Constitution

  • “3”sic!
  • “und nicht”crossed out
  • “und”added above
  • “… NB :”vierfach unterstrichen
  • “… . vergiß es ja nicht”dreifach unterstrichen

Commentary

  • “… Orchester componiren , hier aufführen”Aufführungen in Prag am 18. und 20. Oktober 1815.
  • “… Idee aufs Publikum zu wirken”Im Tagebuch ist die früheste Beschäftigung mit den „dramatisch musikalischen Notizen“ erst am 15. Oktober 1815 dokumentiert.
  • “… Ehre, den Wienern zu Troz”Zur erfolglosen Wiener Aufführung der Oper (unter dem Titel Die beyden Kalifen) am 20. Oktober 1814 vgl. AmZ, Jg. 16, Nr. 47 (23. November 1814), Sp. 789.
  • “… in deine Lage versezzen konnte”Gänsbachers Mutter Maria Elisabeth, geb. Mayr, war am 24. Oktober 1815 im Alter von 74 Jahren in Sterzing gestorben.
  • “… Ehlers sang sie recht brav”Prager Erstaufführung am 19. November 1815.
  • “… ich seitdem mit ihm gehabt”Weber und Ehlers konkurrierten um die Gunst von C. Brandt. Zur Aussprache bei J. C. Liebich vgl. den Tagebucheintrag vom 2. November 1815.
  • “… bey dir gehabt zu haben”Die beiden Künstler hatten Gänsbacher offenbar auf ihrer Reise nach Venedig Ende November 1815 in Innsbruck besucht. In München hatte Helene Harlas für ihr Gastspiel am venezianischen Teatro La Fenice einen viermonatigen Urlaub, beginnend am 12. November 1815, gewährt bekommen; vgl. Weber-Studien, Bd. 3, S. 367.
  • “… noch nicht wie ihr Debüt”Helena Harlas debütierte in Venedig in der Titelrolle von Farinellis Oper Zoraida (UA 26. Dezember 1815) ohne Erfolg; vgl. AmZ, Jg. 18, Nr. 14 (3. April 1816), Sp. 232 sowie Nr. 29 (17. Juli 1816), Sp. 492f. Dem widerspricht allerdings die Darstellung im Münchner Theater-Journal, Jg. 3, Nr. 1 (Januar 1816), S. 46.
  • “… neue Cantate ausgefallen und gegangen?”Vermutlich Cantate zur Tiroler Erbhuldigung, Mai 1816, Text von Leopold Philipp Graf Künigl.
  • “… zuerst deine Lieder pp ab”Vermutlich bezogen auf Schlesingers Brief vom 25. November 1815.
  • “… ist wirklich in der Arbeit”Das Geschenk von Karoline Kleinwächter übersandte Weber gemeinsam mit seinem Brief vom 14. August 1816 an Gänsbacher.
  • “… obwohl H: Ehlers darin paradirte”Sowohl in Webers Notizen-Buch als auch in der Aufführungsbesprechung im Sammler vom 9. Januar 1816 fehlen entsprechende Besetzungsangaben. J. A. Gleichs Quodlibet ist im Druck von 1813 als „Seitenstück zum Johann von Paris“ bezeichnet, in dieser Oper spielte W. Ehlers die Titelpartie, insofern dürfte er in der Parodie den Johann Görgés (unter dem Namen Franz) gegeben haben.
  • “… gab Simph: g moll Mozart”Lt. Tagebuch Sinfonie in Es.
  • “… immer in Gedanken vor mir”Gänsbacher beriet Weber bei der Komposition der Schlussfuge; vgl. Webers Brief vom 2. Februar 1816 sowie Gänsbachers Denkwürdigkeiten, S. 79.
  • “… t Aktes von Joconde herauszuschreiben”Gemeinsam mit F. Fränzl; vgl. die Tagebuchnotiz vom 7. Januar 1816.

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