Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
Dresden, Montag, 16. Juni 1817 (Nr. 57)
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Libster vortrefflichster Schneefuß!
ich bin eigentlich etwas rabbiat, plakke und schinde mich, mit Proben zum Nachstudieren des Joh. v. Paris und Lottolooses, da die Zukker in Töplitz ist*, so arg daß ich nicht einmal Zeit habe mit meinem Muks zu plaudern, heut Abend soll GeneralPr: und Morgen die Aufführung von Johann sein, und – Mad. Grünb: ist jezt Morgens 9 Uhr noch nicht angekommen, das ist doch recht fatal, und diese Ungewißheit zerreißt alle Dispositionen, Mittwoch sollte das Lotterieloos wahrscheinlich in Pillnitz sein, aber das erfährt man immer erst denselben Tag früh um 10–11 Uhr, nun weiß ich aber vollends nicht woran ich bin da auch der Faust morgen sein soll, wenn die Grünb: nicht binnen hier und 2 Stunden komt. Aber da werden die Beers ein Dinèr nach dem anderen gegeben haben, und das Lebens und Glanzlustige Frauchen hat sich nicht losreißen können. Nun aber – Puntum, und gieb mir einen guten Buß, damit ich mich stärke. Ach,! Mukkin, ich werde eine rechte Sehnsucht kriegen wenn die Grünb: nach Prag gehen, mich mit einzupakken – geht aber nicht, und muß ich mich blos mit dem täglichen Blik in den Kalender trösten, daß die Zeit immer näher rükt wo ich meine geliebte Lina heimführen kann. Was wäre es schön gewesen wenn du schon den Sommer in der herrlichen Gegend hättest verleben können. doch es kommen ja der Sommer noch viele, und man muß mit den Freuden geizen.
d: 13t fuhr ich nach Tische mit Baßi nach Pillnitz, worüber Schmiedl eine große Freude hatte*. es wurde viel spaziren gegangen, und bei jeder schönen Aussicht gerufen oder gedacht, ach wenn Mukkin die doch auch jezt sähe. Abends wurde gepunscht, und gewiße Gesundheiten getrunken, um 1 Uhr lag ich im Nest. Bei Gelegenheit des zu gebenden großen Konzertes* machen die Italiener wieder allerley Streiche die ihnen aber immer selbst zum Nachtheil ausschlagen. So hat sich H: Morlachi sehr beleidigt gefunden daß er nicht dirigirt, sich deßhalb beim Direktor beklagt, und eine derbe Nase empfangen. –
d: 14t GeneralPr. vom Geheimniss. Mittag im Engel, dann kam Schmiedl von Pillnitz herein, und ein Comitè der Kapelle* und ich giengen in die FrauenKirche um das Locale zu besehen*, den Orchesterbau anzuordnen ppp.
Dann wurden einige Behörden besucht, und Abends im Engel Grünb: erwartet. Gestern d: 15t Proben von Lotterieloos und Johann, Mittag im Engel. dann um 5 Uhr aufs Baad gefahren, und das Lotterieloos‡ Geheimniss gegeben, gieng gut, und gefiel*. dann wieder im Engel und vergebens gewartet.
Mit meiner Jägersbraut geht es so so, die vielen zerstreuenden DienstGeschäfte besonders wenn man so ins Ungewiße hinein arbeitet, halten mich sehr ab, recht ordentlich daran zu kommen. ich spielte Gestern Kind die ersten paar Stükke vor, wovon er sehr erbaut war*. Wenn ich bedenke daß ich bei meinen vielen Geschäften, Stöhrungen, Korrespondenzen und der Unruhe im Gemüth die statt die Zeit festzuhalten, sie lieber weghexen möchte, eine deutsche, eine italienische OperT, und eine Meße bis zum Winter schreiben soll, so steht mir der Verstand still, wo er sich doch eigentlich recht bewegen sollte, um etwas zu Stande zu bringen. Zum Glük bin ich recht wohl auf, und habe den Ekel vor aller Arbeit wieder verlohren, und gehörig Lust dafür erhalten, | fänd sich nun nur auch wieder so eine freie Zeit und Umgebung wie die lezte in Berlin, das wäre schön, und da könnte was rechtes vom Flekke gearbeitet werden, so aber muß ich alles für mich allein machen. so kom doch! du garstiger Pumpernikkel und hilf mir statt mich jezt immer zu stören. denn wenn du bei mir bist, so brauche ich nicht an dich zu denken, da hab ich dich gewiß, aber so – – – Na! Geduld! – –
Ade, Mlle: Muks, muß in die
Prob. nach Tisch, ein weiteres.
100 000 000 000 schöne frische Bußen von deinem
Carl.
Tausend Dank, meine liebe gute Lina für deinen freundlichen Brief No 61. der mich recht frohen guten Muths machte. will ihn auch gleich so ordentlich als möglich beantworten ehe der Kapellen Ausschuß wieder komt. Daß ich der Mll: Krikeberg keinen Gruß an dich mitgegeben habe* ist sehr natürlich da ich sie die lezten 14 Tage oder 3 Wochen gar nicht zu sehen bekam, und sie auf einmal weg war, ohne bei irgend Jemand Abschied zu nehmen, welches ihre Mutter wenn sie wirklich klug ist, nicht hätte leiden sollen. du wirst dich aber wohl haben von ein paar zierlichen RedensArten blenden laßen. Auch begreiffe ich nicht wie Sie, wenn sie mir eine Oper geben wollte, es dir jezt sagt, und bei einem mehrtägigen Aufenthalte hier, sich nicht an mich selbst wendete. daß sind nur so Sachen, um die Gunst der Menschen zu gewinnen, wenn man ihnen von dem spricht, was ihnen lieb ist. Nun wirst du schon meine Meynung über den Plan mit Louis wißen, und ich erwarte nun nächsten Posttag zu erfahren ob du mit mir einverstanden bist. es ist auf jeden Fall beßer, welches du wohl auch finden wirst. nach deinem heute erhaltnen Briefe scheint mir beinah hervor zu gehen als ob du noch nicht an Louis geschrieben hättest, sondern erst meine Antwort abwarten wolltest. das wäre recht gescheid gewesen, denn es ist nichts fataler als Jemand erst eine Sache vorzustellen, und dann, wenn der Andere sich damit vertraut gemacht hat, wieder sie umzuwerfen und etwas anderes auszukramen. Du hast sehr Recht gehabt mir H: Urban nicht zu empfehlen, ich bin kein Freund davon und überlaufen genug*. ein anderes ists mit bedeutenden Künstlern, oder allenfalls ein sehr hübsches Mädchen, aber so was empfiehlst du mir nicht, gelte? Spizbub!
Du irrst sehr wenn du glaubst daß ich Trübensee verdrängen will, Gott bewahre mich davor, ich habe der Liebich blos geschrieben, auf den Fall daß sie ohnedieß eine Veränderung einmal träfe, solle sie sich an meinen Bruder wenden, der vielleicht Bern verlaßen wolle*. Uebrigens ist Prag doch mehr als Bern, und mein Bruder hat auch Frau und Kinder*. ich werde ihm nicht‡ dazu rathen, das kannst du glauben.
Die Prager verdienen es recht die Grünb: zu verliehren, welches auch gewiß geschehen wird, selbst wenn sie nicht zu uns kömt.
Aus deinem lieben Briefe sehe ich auch daß ich mich zuweilen wiederhole, und dir schon von meinen 2 Opern pp gesprochen habe*; ja das ist kein Wunder, das Zeug liegt mir immer in Gedanken. Ja, ja, viel Zeit ist freilich nicht dazu da, und was binnen hier und 3 Monaten nicht geschieht, möchte dann wohl etwas liegen bleiben. aber deine Rechnung ist nicht ganz richtig, von jezt bis 20t Sept. gehört die Zeit mir, denn die Einrichtungs Geschäfte, werden gleich Nachtische, zur Verdauung betrieben. dann geht es freilich 6 Wochen oder gar 2 Monat auf Reisen, aber dann gehts wieder ans Arbeiten, wo mir die Bußen forthelfen und stärken sollen. | Die nothwendigsten Visiten werden dann so nebenher abgemacht. Nun, wie Gott will, und meinen Genius segnet. – Also ein tüchtiges Loos hat er beim Ballab: gemacht? Nun Mosje Schneefuß, flikk Ers auch nur wieder. die mancherley Festtage sind freilich auch kein Spaß, aber es muß sein, und ist auch eine Freude. Brauchsts nur nicht immer so arg zu machen, die Aufmerksamkeit zu beweisen, ist ja doch die Hauptsache. Daß die Krikeberg herausgerufen worden ist, wird hier große Sensation machen, Bassi hat halb der Schlag gerührt, und er meinte, jezt sag ich nichts mehr –
Ja meine geliebte Lina, auch mir ist immer seltsam zu Muthe, wenn ich so allein in die freie schöne Natur hinaussehe. Mit Gottes Hülfe soll uns künftig dabey immer ganz wohl sein. Küß auch die Hand für die schönen Sachen die Err mir sagt. fürchte beinah deine Phantasie mahlt mich dir in der Abwesenheit so hübsch und gut, daß du dich überfliegst, und mich dann nicht halb so viel werth findest. denk nur immer so ein bißel mitunter an den Brumbär, und den WirthschaftsRechner, und den eigensinnigen ewigen Hofmeister p p p p p Des Vaters Angelegenheit laße du nur ruhen bis wir hier sind, der junge H: Dr: Iwan, wird da auch in der Geschwindigkeit nichts ausrichten.
So einen Baumwollnen Hut giebts hier nicht, wenigstens habe ich keinen gefunden und gesehen. aber einige von Pantoffel Holz, die aber theuer sind. wer so einen aufhat, ist ein lebendiger Stöpsel. ich hoffe du trägst keinen, und ich auch nicht, schon wegen des ominösen Namens Pantoffelholz.
Grüße habe ich immer eine Menge an dich zu bestellen, aber ich hätte viel zu thun wenn ich sie alle nennen wollte, denn es haben dich gar Viele lieb, und intereßiren sich für uns.
Nun heißt aber schließen. des Dr. Auftrag habe ich noch nicht in Ordnung weil sich nicht gern Jemand dazu entschließen will, auch besonders wegen des Portos, will diess der H: in Prag tragen?
Grüße mir alle bestens. sobald die Comitè fort ist, eile ich meiner andern Braut ein Rokkerl anzumeßen.
Gott segne dich + + + meine vielgeliebte Lina,
und erhalte dich heiter, brav, gesund, und zufrieden. spare und laße dir nichts
abgehen, iß und trink so viel du kannst, und bleibe alles als ehrliche Person schuldig,
verliebe dich in alle junge Herren, und sehe keinen an, oder sprich gar mit ihm, bei
Todestrafe, ich werde unterdeßen die guten Meingungen‡ zu rechtfertigen suchen die Ew:
Edlen von mir hegen, und habe die Ehre mit der unmenschlichsten Liebe zu sein und zu
verbleiben Dero
und dein getreustes Vies
Sklav und Mohr – Carl.
Millionen Bußen.
Alles Schöne an die Mutter, und baldige Beßerung ihres Khatars.
Editorial
Summary
Tagebuch 13.-15. Juni; erwähnt Ärger mit Morlacchi wegen des Weber übertragenen Benefizkonzertes; arbeite gezwungenermaßen unregelmäßig an der “Jägersbraut”, aus der er Kind bereits die ersten Stücke vorgespielt habe; er wolle keineswegs Triebensee verdrängen, nur habe er Frau Liebich empfohlen im Falle einer Veränderung sich an seinen Bruder Edmund in Bern zu wenden, der vielleicht einmal dort wegstrebt; er gönnt es Prag, wenn es die Grünbaum verliert, selbst wenn sie nicht nach Dresden käme; Private Mitteilungen
Incipit
“ich bin eigentlich etwas rabbiat, plakke und schinde mich”
Responsibilities
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Tradition
-
Text Source: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Shelf mark: Mus. ep. C. M. v. Weber 101Physical Description
- 2 Bl. (4 b. S. einschl. Adr.)
- Bl. 2 oben links ein Streifen abgeschnitten (ohne Textverlust)
- Rötel- und Bleistiftmarkierungen von Max Maria von Weber
- auf Bl. 2r oben von F. W. Jähns mit Tinte: “Gehört zu N° 57 des Jahres 1817.”
Corresponding sources
-
Muks, S. 412–415 (unvollständig)
Thematic Commentaries
Text Constitution
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“Lotterieloos”overwritten
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“nicht”dreifach unterstrichen
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“Meingungen”sic!
Commentary
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“… die Zukker in Töplitz ist”Anstelle von E. Zucker sang A. Hunt die Lorezza in Johann von Paris (19. Juni); vgl. den Bericht in der Abend-Zeitung vom 3. Juli 1817. Im Lotterieloos war E. Zucker als Betty besetzt und musste bei der Aufführung am 18. Juni in Pillnitz ersetzt werden, im handschriftlichen Spielzeitjournal sind für die Oper allerdings nur die Grünbaums als Gäste in den Rollen von Blinville und Adele genannt.
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“… wovon er sehr erbaut war”Im Tagebuch ist dieses Treffen nicht festgehalten, lediglich eine Begegnung am 16. Juni 1817.
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“… Gruß an dich mitgegeben habe”Laut Tagebuch der deutschen Bühnen (1817, S. 343f.) gastierten Friederike Krickeberg d. j. mit Mutter und Schwester zwischen 10. und 27. Juni 1817 am Prager Ständetheater.
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“… Freund davon und überlaufen genug”Urban gastierte laut Tagebuch der deutschen Bühnen (1817, S. 342f.) am 21., 27 und 31. Mai sowie am 4., 6. und 10. Juni 1817 am Prager Ständetheater. Im Juni kam er nach Dresden, erhielt aber keine Auftrittsmöglichkeit; vgl. Webers Brief an Caroline Brandt vom 23. Juni 1817.
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“… hat auch Frau und Kinder”Edmund hatte vier Kinder, die das Erwachsenenalter erreichten: Carl aus der ersten Ehe mit Josepha, Moritz aus der zweiten Ehe mit Louise sowie Therese und Viktoria Josephine aus der dritten Ehe mit Therese. Zu dem Zeitpunkt lebten nur Therese und Viktoria Josefine im Haushalt.