Carl Maria von Weber an Hinrich Lichtenstein in Berlin
Dresden, Mittwoch, 18. Dezember 1822
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Das ist nun einmal wahr und ausgemacht, daß alle wahren Beweise von fortwährender Theilnahme und Liebe stets von Euch meine lieben Freunde in Berlin kommen. ich kann dir nicht genug sagen lieber Bruder was dein Brief mir für Freude gemacht hat. ich wahr so exaltirt, daß wenn ich bestimt gewußt hätte ob den 20t die Sache vor sich gieng ich mich wahrhaftig in den Wagen gesezt hätte, und den Abend so unverhoft in Eure Mitte getreten wäre*. ich konnte mir das so schön ausmalen, daß ich nur mit großer Ueberwindung von dem Gedanken los komme. aber Erstlich, stelle dir vor daß ich seit 4 Wochen der einzige dienstfähige Kapellmster bin, da Morlachi und Schubert krank liegen, und ich also allen Dienst in allen Zungen thun muß. 2tens wäre es die Hauptpointe daß mich Niemand in Berlin eher zu sehen bekäme als bis ich an den Jagorschen Tisch treten könnte, und wie leicht könnte dieß vereitelt werden bei denen vielen Zufällen die eine theatralische Vorstellung zu fürchten hat. Am Ende käme ich gar nicht einmal ins Theater selbst, nehmlich unbemerkt, und bemerkt zu werden vermeide [ich] in dergl: Gelegenheit aufs angelegentlichste, weil es gar zu leicht als ein nach Prunk Haschen aussehen könnte was meiner Natur in den Tod zuwieder ist. also fahre hin, du schöner Traum, deßen Ausmalen ich mir immer nicht versagen kann; und in dem ich mich recht eigentlich wiege. Ich lege dir hier einige Worte bei, die ich dich bitte den Versamelten vorzulesen. ich weis noch nicht was ich sagen werde, und bin wahrlich recht verlegen darum, da mir das Herz so voll ist. Für große öffentliche Ehrenbezeugungen habe ich ein ziemlich durables Fell bekommen, aber Beweise wahrer Liebe machen mich wirbeln, und ich glaube dann nie so recht ordentlich es [zu] sagen wie mirs ums Herz ist; und so ist es auch, das Rechte bringt man nicht heraus.
Das ungewöhnliche dieses Beyfalls, muß mir auch billig ungewöhnlich bange für die Zukunft [machen]. wenn der Jubelgreis nur nicht vor der Zeit alt wird. Komisch war es da߇ man mir einige Stunden vor Eingang deines Briefes eine Berliner Rezension über d: Fr: zuschikte*, wo es mir gar übel ergeht. darauf kam aber dein Brief wo es | mir gar zu gut geht. Was anderweitige Anerkennung von höheren Ortes betrifft, so glaube ich nicht daran. ich weiß nicht woran es liegt, aber ich glaube ich habe kein Glük bei den Großen dieser Erde.
Gerne bestätige ich unser sämtliches Wohlseyn. Max nimmt herrlich zu, und hat vor 14 Tagen seinen ersten Zahn bekommen. der verehrte Herr Bruder sticheln aber etwas, und meynen ich würde wohl einige Aber anhängen? du hast wohl recht theurer Freund, wenn du mich eine unzufriedene Seele nennst. dein lezter trefflicher Brief vom May enthält inhaltsschwere Worte, die so treffend sind, daß meine Lina ganz ernstlich darauf drang ich sollte ihn alle Morgen durchlesen. das habe ich nun zwar nicht so buchstäblich gehalten, aber oft habe ich ihn gelesen, und eben so viel beruhigenden Trost als Ermuthigung dadurch empfangen. Gewiß bin ich ein von Gott mit vielem Glükke überschütteter Mensch. Nur zwey Dinge betrüben mich gewiß mit Recht. Meine gar zu schwankende Gesundheit, und mein Alleinstehen hier, in jeder Hinsicht. Seit meinen bedeutenden Erfolgen habe ich manche betrübende Erfahrung in meiner Umgebung machen müßen, und das thut so wehe. — In Berlin, selbst in WienT, würde ich gewiß das doppelte arbeiten wie hier, und zwar mir der größten Leichtigkeit, weil freudiger Trieb und Anregung da nicht fehlen. Hier muß ich alle Lust rein aus mir saugen, und daß die dann seltner erscheint ist doch wohl natürlich. der Aufenthalt in Pillnitz den ganzen Sommer, hat Weib und Kind und auch mir recht wohl gethan. das leztere ist wahrhaft zu verwundern da ich alle Wochen /: oft 8-9 mal :/ in die Stadt fahren mußte, dabei meistens Abends nach dem Theater wieder nach Hause, so daß es wahrlich oft Strapaze war. die den ganzen Sommer und noch jezt fortdauernde Krankheit Schuberts zwang mich dazu. darunter litt natürlich die arme Euryanthe am meisten. Jezt kamen die Feyerlichkeiten zur Vermählung des Pr: Johann dazu; wo | Morlachi schnell erkrankte, so daß ich ein Hof Concert ohne Probe übernehmen mußte, und seine eigene Cantate die er zu dieser Feyer comp: hatte*T. Schon früher hatten wir uns Gottlob verständiget, und der Eifer will‡ welchem ich ihm hier meine Theilnahme bewies, scheint die Ruhe von dieser Seite begründet, und dadurch meine hiesige Existenz unendlich verbeßert zu haben. der Himmel erhalte es dabey. damit mir nun bei diesen täglich 8-9 Stunden füllenden Arbeiten nicht etwa gar noch Euryanthe einfiele, mußte ich auch 7 Musikstükke zu einem Festspiele von Robert componiren. dafür hat mir mein gnädigster König einen schönen Brillantring geschenktT, die Aufführung meiner Oper aber für diesen Winter unmöglich gemacht. im März kommen die Italiener wieder nach Wien*, mit denen mag ich nicht caramboliren, ich habe also das Ganze bis zum Herbst 1823 verschoben. Unterdeßen hat man mir auch angetragen eine Oper für London zu schreiben*.
Du siehst daß es mir nicht an Gelegenheit fehlte, durch Vielschreiberey dummes Zeug zu liefern, ich laße mich aber nicht irren und warte auf die gute Stunde. Von künftigem Sommer hoffe ich viel, in der schönen Natur, und ungestörter Ruhe, wenns wahr ist. —
Der Dichter und Theater Regisseur Treitschke in Wien hat eine sehr bedeutende Schmetterling Samlung. Er wünscht mit dir in Tausch, Kauf pp zu treten. ist es dir erwünscht, so schikke mir was du allenfalls an ihn schreiben willst.
Du kannst denken wie begierig ich auf deinen nächsten Brief bin. bis zum 20t kann dieser nicht in Berlin sein, da er erst den 19t Abends abgeht*.
Meine Lina grüßt bestens mit mir Victoire und die Kinder. Es ist mir sehr lieb dein Urtheil über die Logiersche Methode zu hören*, da man aus dem hin und her Geschrey doch nicht das Rechte herausfindet.
Nun Gott zum Gruß, und genug für Heute, ich umarme dich dankbarst gerührt mit vollem Herzen, und bin wieimmer und immer
dein Weber.
Dresden d: 18t Xb 1822.
Editorial
Summary
würde gerne unter den Berliner Freunden weilen, denen er für ihr Gedenken dankt, das er weit über öffentliche Anerkennung stellt; klagt über Krankheit und Alleinsein in Dresden; habe seinen Sommeraufenthalt oft unterbrechen müssen, um u.a. bei Vermählung Prinz Johanns zu dirigieren und Festspiel zu komponieren, so dass sich Euryanthe wohl auf Herbst 1823 verschiebe; erwähnt Opernauftrag aus London; Treitschkes Schmetterlingsammlung, Logiers Klaviermethode
Incipit
“das ist nun einmal wahr und ausgemacht”
Responsibilities
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Tradition
-
Text Source: Leipzig (D), Leipziger Stadtbibliothek – Musikbibliothek (D-LEm)
Shelf mark: PB 37, (Nr. 37)Physical Description
- 1 DBl. (3 b. S. o. Adr.)
Corresponding sources
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MMW II, S. 445–448
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Rudorff: Westermanns illustrierte deutsche Monats-Hefte, 44. Jg. (1899), 87. Bd., S. 178–180 (u. Beil. S. 180)
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Rudorff 1900, S. 113–117 (u. Beil. S. 117–119)
Thematic Commentaries
Text Constitution
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“ß”“s” overwritten with “ß”
Commentary
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“… in Eure Mitte getreten wäre”Gemeint ist die Feier der Berliner Weber-Freunde anlässlich der 50. Freischütz-Aufführung in Berlin am 28. Dezember 1822. Das Treffen war wohl zunächst für den 20. Dezember geplant, an diesem Tag gaben die Königlichen Schauspiele allerdings Rossinis Barbier von Sevilla.
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“… Rezension über d: Fr: zuschikte”Die Zusendung erfolgte durch Ferdinand Philippi; vgl. Webers Brief an diesen vom Vortag.
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“… zu dieser Feyer comp: hatte”Vgl. die Tagebuch-Notizen vom 22. bis 28. November 1822.
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“will”recte “mit”.
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“… Oper für London zu schreiben”Laut Tagebuch verhandelte Weber am 14. Dezember 1822 mit Barham Livius „wegen neuer Oper für London“ – allerdings vergeblich.