Helmina von Chézy an Amadeus Wendt in Leipzig
Dresden, Freitag, 1. März 1822
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Kontext
Absolute Chronologie
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- 1822-02-13: an Winkler
- 1822-02-06: von Weber
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- 1822-03-01: an Schlesinger
- 1822-03-04: von Göschen
Korrespondenzstelle
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- 1823-07-13: an Wendt
Verzeihen Sie, lieber Herr Professor, wenn ich auf ein kl. Bl. schreibe, den Brief an R. nicht zu verdicken. Die Inlage an Fr: Loeben habe ich besorgt.
Fr: v. Hohenhausen (wo ist sie jetzt?) ist nicht blos eine vielverheißende, treffliche Dichterin sondern eine reine, herrliche Frau. Ich liebe sie sehr. Wenn Sie ihr schreiben, so bitte ich sehr, ihr meine Gesinnung ausdrücken zu wollen. Seit ich einige der herzzerschneidensten Erfahrungen gemacht, weiß ich es einer Pichler, Huber, Wilh. Willmar, Fr: von Alefeld, Elise Ehrhardt*, u wenigen Andern dreifach Dank, daß ihr Gemüth sich durch alle Unnatur, Fegefeuer durch welche es bey schriftstellerischen Bestrebungen der Frauen hindurch muß, herrlich bewährt u erhoben hat, die Fr: v. Hohenhausen ist in dieser Rücksicht auch sehr hoch zu stellen, u noch mehr, wenn man weiß, wie sich ihr Leben gestaltet hat.
Vielleicht komme ich nicht später als den 15ten Aprill auf einer Reise, die mir bevorsteht, nach Leipzig. Ich wünsche u hoffe sehr daß Sie mich noch in D. antreffen. Sollte ich fortgehn, u Sie nicht in Ihrer Familie* oder bey Freunden wohnen, so würde ich Sie sehr bitten mein Paradies nicht zu verschmähen, ich lasse dann jemand darin, um meine Briefe zu empfangen, u. s. w. u es ist der reizendste Wohnplatz in Deutschlands‡ aller Residenzen vielleicht, u à porteé de tout.
Was die Oper betrifft, so müßte ich wissen: für wen und welche Art? Euryanthe‡ war eine ernste Oper zum Durchkomponiren. Diese erfordern ungeheure Arbeit. Eine solche kann ich nicht für 20 Louisdór schreiben, wohl aber eine mit Dialog vermischt; u auch dann noch müßte ich mir ein /mäßiges/ Honorar bedingen, so wie die Oper auf ein andres Theater, u wieder auf auf ein andres käme. Auch wünschte ich sehr, die Zeit zu wissen, wo sie verlangt würde, da ich die Reise vorhabe, um auch zu wissen, ob ich sie zu einem solchen Zeitpunkt versprechen kann. Eine zweyte Oper diesen Sommer Webern zu schreiben habe ich mich schon verpflichtetT, u muß sogar einiger Lokalitäten | wegen deshalb eine kleine Reise machen (von 17 Meilen zwar nur.) denn das von Weber selbst vorgeschlagne Sujet verliert sich in die Nacht der Zeit, u die Lokalansicht ist günstig zur Arbeit‡. Weber verlangt die Oper zu heben, welcher Dichter würde da nicht freudig die Hand bieten? Er, u unser ganzer KreisT hier, haben mir die Meinige über meine Erwartung gelobt, doch habe ich Webers Angaben dabey sehr viel zu danken, u würde auch einen andren Compositeur bitten müssen, mir, wie Weber gethan, ein Scenarium, anzudeuten, ob die musikalisch angewendeten Momente gut gewählt sind‡? Gewiß wird jede‡ Oper, die geschrieben ist, wie die Vestale, u wie Quinault’s* u Metastasio’s Sachen, oder die Malvina* (ich meine um den Geist der Anordnung der Einheit‡ u des ächt dramatischen Interesse’s) allgemein ansprechen, u bleiben. Mit welcher Lust u Liebe ich die Euryanthe gearbeitet, kann ich gar nicht beschreibenT. Natürlich gehn einem bey solcher Arbeit neue Ansichten auf, u man schafft sich neue Plane. Die, welche ich nunmehr für Weber arbeiten werde, braucht er erst künftigen Winter, u ich ziehe diese Art der‡ Arbeiten, wegen des Vergnügens, das sie mir machen, jeder andren vor. Wollen Sie mir also Ihren Freund nennen, u er, oder Sie, mir näher das‡ Fach bestimmen, so will ich Ihrem Zutrauen zu entsprechen suchen. Wenn ich diesen Sommer das Scenarium für Weber mache, so habe ich schon genug gethan, denn er kann sie vor November nicht anfangen, da er im Herbst‡ nach Wien reiset, um die Euryanthe einstudiren zu lassen*.
Indem Sie Ihren Almanach so reichhaltig ausstatten, behandeln Sie ihn nur nicht selbst zu stiefmütterlich, in dem Sie zu wenig hineingeben. Was Ihnen von meinen Liedern nicht ganz zusagt lassen Sie hinaus*. Dieser Frühling bringt mir vielleicht Lieder, seither habe ich schweren Kummer gehabt, von welchem ich mich nur nach u nach u schwer erholen werde. Empfangen Sie die Versicherung meiner achtungsvollen Ergebenheit. Helmina Chezy
Apparat
Zusammenfassung
u. a. über Euryanthe und einen zweiten Opernauftrag für Weber
Incipit
„Verzeihen Sie, lieber Herr Professor, wenn ich auf ein kl. Bl. schreibe,“
Generalvermerk
Der Brief ist nicht adressiert, kann aber aufgrund seines Inhalts Amadeus Wendt zugeschrieben werden. Im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften haben sich mehrere Briefe von ihm an Helmina von Chézy erhalten, u. a. einer vom 5. Oktober 1821 (Signatur: NL H. von Chézy 682), in dem er sie um Lieferung für sein Taschenbuch bittet: „Indem ich [...] Ihnen das Taschenbuch übersende, welches Ihre Novelle schmückt, rufe ich mich zugleich in Ihr Gedächtniß zurück, und verbinde damit einen Wunsch für den nächsten Jahrgang meines Taschenbuchs. Ich habe so liebliche Gedichte von Ihnen in Brockausens Urania gefunden, daß ich Einiges der Art zur Auswahl für mein geselliges Vergnügen gern haben möchte.“ In Urania. Taschenbuch für Damen, Leipzig und Altenburg, erschienen von Chézy auf das Jahr 1822 neun Gedichte als Frühlingsliederstrauß (S. 404–411), im Taschenbuch zum geselligen Vergnügen auf das Jahr 1822 die Novelle Die Zeit ist hin, wo Bertha spann (S. 219–270).
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Solveig Schreiter
Überlieferung
Themenkommentare
Textkonstitution
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„Deutschlands“„ganz“ durchgestrichen und ersetzt mit „Deutschlands“
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„zur Arbeit“„dazu“ durchgestrichen und ersetzt mit „zur Arbeit“
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„musikalisch angewendeten Momente gut gewählt sind“„Musikstücke an den rechten Plätzen stehn“ durchgestrichen und ersetzt mit „musikalisch angewendeten Momente gut gewählt sind“
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„jede“„die“ durchgestrichen und ersetzt mit „jede“
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„der Einheit“über der Zeile hinzugefügt
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„der“„zu“ durchgestrichen und ersetzt mit „der“
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„das“„das […]“ durchgestrichen und ersetzt mit „das“
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„im Herbst“„wieder“ durchgestrichen und ersetzt mit „im Herbst“
Einzelstellenerläuterung
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„… von Alefeld , Elise Ehrhardt“Evtl. Elise Charlotte Ehrhardt-Rächler (1789–1833), deutsche Schriftstellerin.
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„… Sie nicht in Ihrer Familie“In Dresden lebten 1822 (lt. Adressbuch): August Wendt (1741–1824), geh. Kabinettsrat (S. 27, 30) und Finanzfurier Christian August Wend (S. 35).
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„… Vestale , u wie Quinault’s“Philippe Quinault (1635–1688), französischer Dichter, Librettist und Assistent von Jean-Baptiste Lully.
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„… Metastasio’s Sachen, oder die Malvina“Möglicherweise ist die Oper Malvina von Franz Danzi auf ein Libretto von Georg Christian Römer (Uraufführung Karlsruhe, November 1814) gemeint.
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„… die Euryanthe einstudiren zu lassen“Einstudierung und Uraufführung erfolgten erst ein Jahr später (1823).
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„… ganz zusagt lassen Sie hinaus“In dem von A. Wendt herausgegebenen Taschenbuch zum geselligen Vergnügen auf das Jahr 1823 (verlegt in Leipzig bei Joh. Friedrich Gleditsch sowie Wien bei Carl Gerold) erschien der Zyklus Nachtigalleneinsamkeit, bestehend aus neun Gedichten: 1) Gut’ Nacht (S. 104), 2) Mein einsam Denken (S. 105), 3) Gedenkenslust (S. 105f.), 4) Das Schneegefild (S. 106f.), 5) Mein banges Weh (S. 107), 6) Liedeswonne (S. 108f.), 7) Einsamkeit und Freundesnähe (S. 109), 8) Dezime (S. 110) sowie 9) Nachschlag (S. 110f.).